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KONGRESSBERICHT
ASH 2019 – Annual Meeting of the American Society of Hematology, Orlando/Florida, 7. bis 10. Dezember 2019
Chronische myeloische Leukämie (CML)
Leben und überleben mit der CML-Diagnose
Patienten mit CML haben heute eine ähnliche Lebenserwartung wie die nicht an CML erkrankte Population. Therapieoptimierungen sind aber nach wie vor insbesondere für ältere Patienten mit Resistenz oder Intoleranz gegenüber dem Erstlinien-TKI möglich. Entsprechendes gilt für jüngere Patientinnen mit Kinderwunsch. Beim ASHKongress im Dezember wurden dazu relevante Studienergebnisse präsentiert.
Das mediane Alter von CML-Patienten, bei denen eine Resistenz oder Intoleranz gegenüber einem Tyrosinkinasehemmer (TKI) auftritt, liegt bei über 60 Jahren. Dazu ist die Toxizität der angewandten TKI Dasatinib oder Nilotinib bei den älteren Patienten häufiger und klinisch relevanter als bei jüngeren.
BEST-Studie: Bosutinib niedriger dosiert
Mit Bosutinib (500 mg/Tag) wird eine vergleichbare Wirksamkeit wie mit Dasatinib und Nilotinib erreicht. In der multizentrischen Phase-II-Studie BEST (1) wurde bei älteren Patienten in der zweiten Therapielinie untersucht, ob eine geringere Dosierung von Bosutinib zu Therapiebeginn und eine Adaption der Dosierung entsprechend dem molekularen Ansprechen möglicherweise zielführender sind, als die derzeitige Praxis der fixen initialen Dosis, die erst bei Auftreten von Nebenwirkungen angepasst wird. Es wurden 63 Patienten mit einem medianen Alter von 73 Jahren eingeschlossen. 22% der Patienten waren 80 Jahre oder älter. Die Mehrheit der Patienten hatte in der ersten Therapielinie Imatinib erhalten. Mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 12 Monaten wurde mit Bosutinib in der zweiten Therapielinie ein gutes molekulares Ansprechen (MMR) bei 65% der Patienten erreicht. Nach einer prospektiven Dosisadaption entsprechend dem molekularen Ansprechen nach 3 und 6 Monaten erhielten nur 19% der Patienten eine Dosierung von bis zu 400 mg/Tag. Zur Zeit der Auswertung waren 79% der Patienten unter Therapie, und 88% dieser Patienten erhielten täglich 300 mg Bosutinib oder weniger. Patienten, die die Therapie mit Bosutinib abbrachen, taten dies am häufigsten aufgrund von Intoleranz. Es wurde kein
Krankheitsprogress unter dieser niedrigeren Dosierung gesehen.
PETALs-Studie: Tiefere Remission durch Nilotinib plus Interferon-Gabe
In der französischen multizentrischen Phase-III-Studie PETALs wurde untersucht, ob mit der Zugabe von pegyliertem IFN-α-2a zu Nilotinib der Erfolg der Erstlinientherapie verbessert werden kann (2). In die Studie wurden 200 Patienten mit einem mittleren Alter von 46 Jahren eingeschlossen. In der beim ASH-Kongress präsentierten aktualisierten Auswertung mit einer Nachbeobachtungszeit von median 49,1 Monaten wurden signifikant höhere Raten an molekularen Ansprechen nach 12 Monaten und ein längeres krankheitsfreies Überleben beobachtet. Mit Ausnahme von häufigeren Autoimmun-Nebenwirkungen unter der Kombination waren die Toxizitäten von Grad 3 bis 4 in beiden Studienarmen ähnlich. Der Vergleich der Daten bezüglich stabiler, mehr als 2 Jahre anhaltender tiefer molekularer Remission (MR) war mit bisher 14 Patienten, die dieses Studienziel erreicht haben, noch nicht möglich. Das Studiendesign sieht vor, bei Patienten mit einem tiefen molekularen Ansprechen (MR ≥ 4,5) über wenigstens 2 Jahre die Therapie mit Nilotinib abzusetzen.
Schwangerschaft mit CML ist gut möglich
Die Normalisierung der Lebenserwartung von CML-Patienten bedingt, dass jüngere erkrankte Frauen ihren Kinderwunsch umsetzen wollen. Der Gebrauch von Interferon in der Schwangerschaft ist üblich, aber die Therapie mit einem TKI wird aufgrund teratogener Effekte früh eingestellt.
Mit einer retrospektiven Analyse von 224
jungen CML-Patientinnen wurde be-
stätigt, dass die Familienplanung auch
für erkrankte Frauen möglich ist (3). Die
meisten Patientinnen wurden schwanger,
während sie unter TKI-Therapie waren.
Der Abbruch der TKI-Behandlung bei
positivem Schwangerschaftstest in Wo-
che 4 bis 5, vor Ausbildung der Organe
des Fetus, war nicht mit einer erhöhten
Rate an Abnormalitäten assoziiert. Auch
die TKI-Behandlung bis zur Schwanger-
schaftswoche 13 bis 15 scheint möglich
zu sein, sollte aber nur bei absoluter Not-
wendigkeit so lange fortgeführt werden.
Imatinib und Nilotinib sind aufgrund der
niedrigen Plazentapenetration bei Kin-
derwunsch Dasatinib zu bevorzugen. In-
terferon kann während der gesamten
Schwangerschaft eingesetzt werden. Pa-
tientinnen, bei denen während der
Schwangerschaft eine CML diagnosti-
ziert wurde, scheinen keinen Nachteil
durch einen verschobenen Therapiebe-
ginn zu haben. Insgesamt sollte die The-
rapieentscheidung natürlich immer im
Sinne von Mutter, Kind und unter CML-
Kontrolle getroffen werden, wobei die
Compliance der Patientin eine entschei-
dende Rolle spielt.
I
Ine Schmale
Quelle: 61st Annual Meeting and Exposition der American Society of Hematology (ASH), 7. bis 10. Dezember 2019, Orlando/Florida.
Auf einen Blick
I Die Zugabe von pegyliertem IFN-α-2a zu Nilotinib führt bei neu diagnostizierter CML zu tieferen Remissionen.
I Ältere Patienten im ersten Rezidiv profitieren von niedriger Bosutinib-Dosierung bei Therapiebeginn.
I CML-Patientinnen mit Kinderwunsch können mit angepasster Therapie gut durch die Schwangerschaft geführt werden.
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KONGRESSBERICHT
ASH 2019 – Annual Meeting of the American Society of Hematology, Orlando/Florida, 7. bis 10. Dezember 2019
Referenzen: 1. Castagnetti F et al.: Bosutinib dose optimization in
elderly CML patients after intolerance or failure of first-line TKI (BEST study, Bosutinib Efficacy Safety and Tolerability). ASH 2019, Abstr. #496. 2. Niccolini FE et al.: The combination of nilotinib + pegylated IFN α-2a provides somewhat higher cumulative incidence rates of MR4.5 at M36 versus nilotinib alone in newly diagnosed CP CML patients. Updated results of the petals phase III national study. ASH 2019, Abstr. #494. 3. Abruzzese E et al.: Pregnancy management in CML patients: To treat or not to treat? Report of 224 outcomes of the European Leukemia Net database. ASH 2019, Abstr. #498.
SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 1/2020
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