Transkript
Im Fokus: Immuntherapien in der Hämato-Onkologie
CAR-T-Zell-Therapie
Wirkprinzip, Indikationen, Produkte, Einschätzung für die klinische Praxis
Eine neuartige Behandlungsform – die CAR-T-Zell-Therapie (CAR = chimärischer Antigenrezeptor) – hält derzeit Einzug in die Klinik: Spektakuläre Behandlungserfolge bei refraktären Lymphomerkrankungen, neuartige, zum Teil heftige Nebenwirkungen und dabei sehr hohe Therapiekosten führen zu viel Aufsehen in Expertenkreisen und in der Laienpresse. In diesem Artikel werden Hintergründe zum Wirkprinzip, zum Einsatz und zu Limitationen in der klinischen Praxis sowie ein Ausblick gegeben.
AntoniA MAriA Müller
SZO 2020; 1: 6–10.
Antonia Maria Müller
Seit 2017 sind in den USA und seit 2018/19 in der Schweiz und Europa zwei kommerzielle CAR-T-ZellProdukte zugelassen: I Tisagenlecleucel (Kymriah®) für pädiatrische und
junge erwachsene Patienten mit akuter lymphatischer B-Zell-Leukämie (B-Zell-ALL; die refraktär ist, nach einer Transplantation rezidiviert oder nach zwei Therapielinien oder später rezidiviert ist) sowie für Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem diffus grosszelligem B-Zell-Lymphom (DLBCL) nach zwei oder mehr Linien einer systemischen Therapie. I Axicabtagen-Ciloleucel (Yescarta®) für erwachsene Patienten zur Behandlung von rezidiviertem oder refraktärem diffus grosszelligem B-Zell-Lymphom (DLBCL) und primär mediastinalem grosszelligem B-Zell-Lymphom (PMBCL) nach zwei oder mehr systemischen Therapielinien..
Rationale und Wirkprinzip der T-Effektor-Zell-Therapie
Dass T-Zellen effektiv Tumorzellen kontrollieren und eradizieren können, ist seit Langem bekannt: Die am besten etablierte und potenteste Immunzelltherapie ist die allogene Stammzelltransplantation, bei der neben der Blutstammzelle, die eine lebens-
ABSTRACT
Chimeric Antigen Receptor T (CAR-T) Therapy
Chimeric antigen receptor T (CAR-T) cells have entered clinical practice and are now available as a treatment option for certain patients with aggressive lymphomas and acute B lymphoblastic leukemia. CAR-T cells are mostly generated from autologous T cells of the patient, that are retro- or lentivirally transduced to target antigens on the lymphoma cell. Immune effects of CAR-T cells can be much stronger than natural T-cell responses, and therefore achieve cure even for patients with relapsed/refractory malignancies.
Keywords: CAR-T-cells, aggressive lymphomas, acute B lymphoblastic leukemia.
lange Blutbildung im Empfänger sicherstellt, auch reifzellige Spenderlymphozyten transplantiert werden. Letztere können Antigene auf der Zelloberfläche von Lymphom- oder Leukämiezellen als fremd erkennen und entsprechend attackieren. Diese sogenannten Graft-versus-Leukemia/Lymphoma-Effekte bewirken das höhere Heilungspotenzial der allogenen Stammzelltransplantation gegenüber konventioneller oder hoch dosierter Chemotherapie (mit/ohne autologem Stammzellersatz). Allerdings können allogene Spenderlymphozyten auch Antigene («Minor-Histokompatibilitätsantigene») auf gesunden Zellen als fremd erkennen und hierdurch zur Organschädigung führen (Graft-versus-Host-Erkrankung, GVHD), was substanziell zur Morbidität und Mortalität dieser Patientengruppe beitragen kann. Trotz des in der klinischen Praxis nachgewiesenen insgesamt höheren Heilungspotenzials der allogenen Stammzelltransplantation respektive der deutlichen Minderung der therapieassoziierten Mortalität konnte bedauerlicherweise in den vergangenen 20 Jahren die anhaltend hohe Rezidivrate von über 25% nach Transplantation nicht verbessert werden. Wenngleich also allogene Spenderlymphozyten zwar prinzipiell das Potenzial haben, maligne Zellen zu erkennen und zu eliminieren, so versagen sie hierbei doch oft (1). Ziel sämtlicher innovativer Effektorzelltherapien wie auch Vakzinierungsstrategien gegen Tumorantigene ist deshalb, die Effizienz, die Potenz und die Immunaktivität von T-Zellen (oder anderen Zellarten) zu steigern und hierdurch die Heilungschancen zu erhöhen – im optimalen Fall ohne Stammzelltransplantation.
Wirkprinzip der CAR-T-Zellen Die Antigenerkennung von natürlichen T-Zellen bedarf der Präsentation des entsprechenden Antigens
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durch MHC-Moleküle (major histocompatibility antigens; beim Menschen HLA, human leukocyte antigens). Tumorzellen weisen jedoch häufig einen Verlust der MHC-Expression auf (2). Für die CAR-TZell-Therapie werden körpereigene (autologe) T-Zellen des Patienten mittels gentechnischer Modifikation (lenti- oder retrovirale Transduktion) in vitro mit einem neuen Oberflächenprotein, einem sogenannten chimären Antigenrezeptor (CAR), ausgestattet. Wie in Abbildung 1 dargestellt, besteht ein CAR im Wesentlichen aus I einem extrazellulären, antigenspezifischen Teil,
der dem variablen Antigen-Bindungsfragment eines monoklonalen Antikörpers entspricht (single-chain variable fragment, scFv) I einem Gelenkstück (hinge region), welches als Platzhalter zwischen Antigenerkennungsdomäne und Zellmembran Ersterem eine gewisse Bewegungsflexibilität verleiht I einer Transmembrandomäne, die den CAR stabilisiert I einer intrazellulären T-Zell-Signaldomäne, durch welche die T-Zelle aktiviert wird. Üblicherweise wird für diese Signaldomäne eine CD3ζ-Domäne verwendet. Zusätzlich zu dieser können weitere kostimulatorische Moleküle (z.B. CD28 und/oder CD137 [4-1BB], CD27, CD134 [OX40]) in den Rezeptor integriert werden. In Abhängigkeit von der Anzahl Kostimulatorischer Moleküle im CAR unterscheidet man verschiedene CAR-T-Zell-Generationen (1. bis 4. Generation: 1. Generation: ohne KoStimulatoren, 2. Generation: 1 Kostimulatorisches Molekül, 3. Generation: 2 Kostimulatorische Moleküle usw.) (3, 4). Solche CAR-ausgestatteten T-Zellen können (vergleichbar einem Antikörper) unprozessierte Antigene erkennen und die Signalkaskade zur Aktivierung der T-Zelle nach intrazellulär weiterleiten, ohne dass hierfür eine Präsentation des Antigens durch MHC-Moleküle erforderlich wäre. CAR-T Zellen erkennen somit ihr Zielantigen mit der Sensitivität eines Antikörpers und agieren mit potenzierter Effizienz einer T-Zelle (3, 4). Im Unterschied zu Zelltransfers frischer herkömmlicher (bzw. in vitro expandierter) T-Zellen sind bereits geringe Zahlen dieser genetisch modifizierten CAR-T-Zellen zur exponenziellen Proliferation in vivo und zu massiven Immunantworten fähig.
Limitationen und derzeit verfügbare CAR-T-Zell-Therapien
Ein grosser Nachteil der Effektivität und der Immunaktivität der CAR-T-Zellen ist, dass diese nur gegen bekannte und «exklusive» Tumorantigene entwickelt werden können – dass also unvermeidbarer Kollateralschaden auf gesunden Zellen, die das entsprechende Zielantigen ebenfalls exprimieren, tolerierbar sein muss. Derzeit für die klinische Anwendung
Abbildung 1: Wirkmechanismus der CAR-T-Zelle
zugelassen sind lediglich CAR-T-Zell-Produkte, die gegen B-Zell-Neoplasien (CD19) gerichtet sind. Zwar ist nach einer gegen B-Zellen gerichteten Therapie auch mit einer schweren B-Lymphopenie und Hypogammaglobulinämie zu rechnen, Letztere kann klinisch aber durch intravenöse Immunglobulingaben ausgeglichen und gut kontrolliert werden. Die Behandlung der meisten übrigen hämatologischen Neoplasien ist komplexer. CAR-T-Zellen, die gegen andere Zielstrukturen gerichtet sind, würden unter Umständen zu schwerem Schaden an der hämatopoetischen Stammzelle respektive der Blutbildung führen, zum Beispiel im Falle der akuten myeloischen Leukämie, deren Blasten ein der gesunden Blutstammzelle sehr ähnliches Oberflächenmarkerprofil aufweisen. Eine gegen die leukämische Stammzelle gerichtete Immuntherapie benötigte demnach modifizierte, innovative CAR-T-Zellen, die entweder sicher kurzlebig sind (und dennoch stark und selektiv genug ihre Effektorfunktion ausüben) oder gezielt wieder eliminiert werden können. Weiter wäre mit schweren Kollateralschäden an der gesunden hämatopoetischen Stammzelle mit prolongierter Aplasie zu rechnen, sodass derartige Therapien möglicherweise im Anschluss einer Stammzelltransplantation bedürften (5, 6). Eine noch grössere Herausforderung stellt die Behandlung solider Tumoren mit CAR-T-Zellen dar, denn: I einerseits gibt es wenige exklusive Tumoranti-
gene – und oft sind diese nur sehr schwach immunogen I andererseits kann der Kollateralschaden an gesundem Gewebe aufgrund der Immunaktivität und Potenz der CAR-T-Zellen selbst bei deutlich geringerer Antigendichte auf diesen Zellen enorm bis tödlich sein. Die Gewährleistung der Patientensicherheit erschwert deshalb häufig die Translation präklinischer CAR-Konstrukte in die Klinik.
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Abbildung 2: Herstellung von CAR-T-Zellen – aufwendig und zeitintensiv (ca. 4 Wochen), mehrere Phasen durchlaufend
CAR-T-Zell-Produkte – verfügbare und in Entwicklung befindliche In den USA, der EU und der Schweiz sind derzeit die beiden CAR-T-Zell-Produkte Tisagenlecleucel und Axicabtagene ciloleucel (siehe oben) kommerziell verfügbar: Bei Tisagenlecleucel (Kymriah®) (CTL019) handelt es sich um ein sogenanntes CAR-T-Zell-Produkt der zweiten Generation, welches 4-1BB (CD137) als kostimulatorisches Molekül im CAR enthält. In einer klinischen Phase-II-Zulassungsstudie (JULIET) konnte bei Patienten mit rezidiviertem/refraktärem diffus grosszelligem B-Zell-Lymphom, die bereits eine Hochdosischemotherapie mit autologer Stammzelltransplantation erhalten hatten oder für diese nicht qualifizierten, ein anhaltender Benefit gezeigt werden: Mit einem medianen Follow-up von 26 Monaten bei letzter Präsentation der Daten war die mediane Dauer des Ansprechens noch nicht erreicht. Das Gesamtansprechen (ORR) lag bei 54% (95%-KI: 43%–64%) mit einer kompletten Remissionsrate von 40% bei einem medianen Gesamtüberleben von 10,3 Monaten (7). Ähnlich positiv waren die Resultate der Zulassungsstudie für die akute B-Zell-lymphoblastische Leukämie (ELIANA, Phase I–II), in welcher 75 Patienten im Alter bis zu 25 Jahren nach 3 Monaten ein Gesamtansprechen von 81% erzielten. Das ereignisfreie Überleben 1 Jahr nach Infusion lag bei 50%, das Gesamtüberleben bei 76% (8). Axicabtagene ciloleucel (Axi-cel; Yescarta®) ist ebenfalls ein CAR-T-Zell-Produkt der zweiten Generation, enthält jedoch das kostimulatorische Molekül CD28, weswegen sich das Nebenwirkungsprofil der beiden Produkte in Schwere und Dynamik etwas unterscheidet. Die Zulassung dieses CAR-T-Zell-Produkts ba-
siert auf der Phase-I/II-Studie ZUMA-1, in welcher die Effizienz von Axi-cel (n = 101 Patienten) dem retrospektiven SCHOLAR-1-Studienkollektiv (n = 508) gegenübergestellt wurde. Das jüngste Update dieser Studie zeigt bei einem medianen Follow-up von 2,3 Jahren im CAR-T-Zell-Arm und einem Follow-up von 7,6 bis 14,8 Jahren im Kontrollarm, dass das Gesamtansprechen und die komplette Remissionsrate mit jeweils 72% und 54% nach CAR-T-Zell-Gabe deutlich besser war als im Standardarm, in welchem das Gesamtansprechen mit 22% und die komplette Remissionsrate mit 7% dokumentiert wurden. Entsprechend lag das 2-Jahres-Überleben für extensiv vorbehandelte Patienten bei 50% nach CAR-T-Zell-Therapie, aber nur bei 12% nach Standardtherapie (9). Seit 1. Januar 2020 sind diese beiden CAR-T-Zell-Produkte in den Leistungspflichtenkatalog der gesetzlichen Grundversicherung aufgenommen. An dieser Stelle sei erwähnt, dass ein weiteres gegen CD19-gerichtetes CAR-T-Zell-Produkt zur Zulassung bei den Behörden eingereicht wurde: Lisocabtagene maraleucel, Liso-cel, (JCAR 017) Bristol-Myers Squibb. Derzeit noch in klinischen Studien, aber voraussichtlich ebenfalls in Vorbereitung zum Zulassungsverfahren befindet sich zudem ein gegen BCMA (B cell maturiation antigen) gerichtetes CAR-T-Zell-Produkt: bb2121 (Bluebird Bio) zur Behandlung von Patienten mit Plasmazellmyelomen. Durch bb2121 konnte in einer klinischen Phase-I-Studie bei 33 Patienten mit rezidivierten/refraktären Plasmazellmyelomen ein Gesamtansprechen von 85% mit einer kompletten Remissionsrate von 45% erzielt werden. Das mediane progressionsfreie Überleben lag bei 11,8 Monaten (10), was die Hoffnung weckt, dass auch Plasmazellmyelome zu den Krankheitsentitäten gehören, die eines Tages durch zukünftige optimierte CAR-T-ZellProdukte möglicherweise langfristig in Remission gebracht oder gar geheilt werden können.
Praktische Aspekte der Herstellung und Verabreichung von CAR-T-Zellen
Die Herstellung von CAR-T-Zellen ist aufwendig, zeitintensiv (ca. 4 Wochen), kostspielig und durchläuft mehrere Phasen (Abbildung 2): 1. Die Leukapherese zur Lymphozytengewinnung
sollte möglichst zu einem Zeitpunkt stattfinden, an dem die T-Zellen einen ausreichend langen Abstand zur letzten Chemotherapie, letzten Steroideinnahme und Bestrahlung haben, da der Zustand der T-Zellen als biologisches Ausgangsmaterial gewiss zur Aktivierbarkeit und Persistenz der CAR-T-Zellen in vivo beiträgt (wenngleich hierzu bislang keine prospektiv validierten Daten vorliegen). Je nach Anbieter werden die Zellen am behandelnden Zentrum kryokonserviert oder aber frisch verschickt und vom Hersteller eingefroren.
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Tabelle 1:
Zytokin-Release-Syndrom (CRS), «Zytokinsturm» infolge der CAR-T-Zell-Therapie – Grading, adapt. nach (13)
CRS Vitalparameter
Symptom Temperatur > 38 °C Systol. RR ≤ 90 mmHg
Grad 1 Ja Nein
O2-Bedarf für SO2 > 90% Nein
Grad 2 Ja Ansprechen auf Volumen, keine Vasopressoren notwendig O2-Nasenbrille
Grad 3 Ja Medikamentöse Vasopression erforderlich O2-Maske, High-flow-Nasenbrille
Grad 4 Ja Mehrere Vasopressoren
CPAP, BIPAP, Intubation
Tabelle 2:
Neurotoxizität, «immune effector cell-associated neurotoxicity syndrome» (ICANS), adapt. nach (13) (ICE = Immun cell effector)
ICANS ICE-Score Bewusstsein Anfälle, motorische Defizite
Motorische Defizite Hirndruck
Grad 1 Mild (7–9) Spontan wach –
– –
Grad 2 Moderat (3–6) Wach auf Ansprache –
– –
Grad 3
Grad 4
Schwer (0–2)
Kritisch, Vigilanzminderung,
unfähig, ICE-Test zu machen
Erwachen auf taktile Stimuli Kaum weckbar (nur durch Schmerz),
Stupor, Koma
Fokale oder nicht konvulsive Generalisierte Krampfanfälle,
Anfälle (EEG) mit Ansprechen konvulsiver/nicht konvulsiver Status,
auf Benzodiazepine
repetitive klinische oder elektro-
enzephalografische Anfälle ohne
zwischenzeitliche Rückkehr
zum Normalzustand
– Fokale motorische Defizite
(Hemiparese, Paraparese)
Fokales/lokales Ödem
Diffuses Ödem; Dekortikationshaltung,
in Bildgebung
Abduzensparese, Papillenödem,
Cushing-Triade (Hypertension,
Bradykardie, unregelmässige,
insuffiziente Atmung)
ICE-Score (aktualisiert CARTOX-10): 10 Punkte = normal; je 1 Punkt für Orientierung (Jahr, Monat, Stadt, Spital) ➙ 4 Punkte; Benennung von 3 Objekten (z.B. Uhr, Stift, Knopf) ➙ 3 Punkte; Aufforderungen befolgen (Augen schliessen, Zunge zeigen) ➙ 1 Punkt; Standardsatz schreiben ➙ 1 Punkt; Rückwärtszählen von 100 in 10er-Schritten ➙ 1 Punkt
In flüssigem Stickstoff werden die Zellen dann in die jeweilige Produktionsstätte zur Weiterverarbeitung verschickt. 2. In vitro werden die T-Zellen stimuliert, lentiviral respektive retroviral transduziert und expandiert (Dauer ca. 9–10 Tage). 3. Das fertige Zellprodukt wird erneut zur Zwischenlagerung und für den Versand kryokonserviert. 4. Vor allfälliger Freigabe des Produkts werden verschiedenste Tests zur Qualitätssicherung durchgeführt. 5. Vor Infusion der CAR-T-Zellen erhalten die Patienten eine Chemotherapie zur Lymphozytendepletion (meist mit Cyclophoshamid und Fludarabin). Der lymphozytenarme Raum fördert die Proliferation der infundierten CAR-T-Zellen durch homöostatische Expansion in vivo.
Nebenwirkungen der CAR-T-Zell-Therapie
Nach intravenöser Verabreichung und Aktivierung durch die Tumorzellen können CAR-T-Zellen massiv
expandieren und als Art «lebendes Medikament» Monate bis Jahre im Körper des Patienten verbleiben. Die akute Immunattacke der expandierenden CAR-T-Zellen gegen grössere Tumormassen kann in den ersten Tagen (meist zwischen Tag 3–10) nach Infusion zu einem sogenannten Zytokinsturm (cytokine release syndrome, CRS) führen, welcher klinisch oft einem akut infektiösen Geschehen im Sinne grippaler Symptomatik bis zum septischen Bild ähnelt. Konstitutionelle Symptome, Fieber, Schüttelfrost, Hypotension, Organtoxizität und «vasculary leakage» können eine medikamentöse Kreislaufunterstützung (Katecholamine) erforderlich machen und zur Dialysepflicht (weniger häufig) und respiratorischen Insuffizienz mit mechanischer Beatmung führen (Tabelle 1). Rund 60 bis 80% der Patienten entwickeln klinische Zeichen eines CRS, hiervon je nach Produkt zirka 20 bis 30% auch höhergradiges CRS. Pathophysiologisch kommt neben Interferonen und Tumor-Nekrose-Faktoren dem Interleukin -6 (IL-6) eine Schlüsselrolle in der Entstehung des CRS zu. Zur
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Unterbrechung der Entzündungskaskade kann in der Klinik ein monoklonaler Antikörper gegen den IL-6Rezeptor (Tocilizumab) eingesetzt werden (11–13). Begleitend oder aber auch ohne zeitgleiches/vorangegangenes CRS finden sich zudem häufig neurologische Nebenwirkungen nach Behandlung mit CART-Zellen. Diese können klinisch extrem variabel in Erscheinung treten und reichen von einfachen Verwirrtheitszuständen und Tremor über global enzephalopathische Phänomene bis zu epileptischen Ereignissen und bis zum lebensbedrohlichen Hirnödem. Die Neurotoxizität tritt meist innerhalb der ersten 8 bis 12 Wochen, gelegentlich auch innerhalb der ersten 4 Wochen, selten erst später auf. Die Pathophysiologie der neurologischen Nebenwirkungen wird bis jetzt weniger gut verstanden. (Symptomatik siehe Tabelle 2). Tocilizumab scheint bei alleiniger Neurotoxizität wenig effektiv in der Behandlung zu sein. In diesem Fall ist die Intervention durch mittel- bis hoch dosierte Steroide indiziert, die die CAR-T-Zell-Expansion und die Aktivität inhibieren können (11–13). Da zwischenzeitlich Leitlinien der American Society of Blood and Marrow Transplantation (ASBMT) zum Management von CAR-T-Zell-Toxizitäten verfügbar sind, können schwerwiegende lebensbedrohliche Nebenwirkungen meist abgewendet werden (13).
Ausblick
Für bestimmte hämatologische Neoplasien wie rezidivierte/refraktäre aggressive B-Zell-Lymphome stellt die CAR-T-Zell-Therapie eine vielversprechende Behandlungsstrategie mit hoher Effizienz und potenziell gut kontrollierbaren Nebenwirkungen dar. Die Rolle der CAR-T-Zell-Therapie in der ersten oder zweiten Therapielinie ist zurzeit noch nicht geklärt. Ebenso ist die Frage nach der Dauer des Ansprechens, nach Langzeitremissionen und möglicher Heilung noch nicht abschliessend zu beantworten. Klinische Studien sollten darauf ausgelegt werden, Biomarker zu identifizieren, die eine möglichst personalisierte, hocheffiziente, nebenwirkungsarme Therapie ermöglichen. Trotz hoher Kosten und offener Fragen ist jedoch bereits jetzt abzusehen, dass die Immuntherapie einen
Paradigmenwechsel für die Behandlung lymphati-
scher Neoplasien darstellt. Die Bestrebungen, CAR-
T-Zellen und andere Immuneffektorzell-Therapien
weiter zu optimieren, also effizienter zu machen und
gleichzeitig die Toxizität besser tolerierbar zu halten,
sind enorm hoch. Ultimative Ziele wären, Patienten
zu heilen, denen zuvor keine kurativen Therapie-
ansätze angeboten werden konnten, sowie in frühe-
ren Therapielinien den Verzicht auf intensive Chemo-
therapie zu ermöglichen und eine bessere
Therapieverträglichkeit zu erzielen.
I
PD Dr. med. Antonia Maria Müller Oberärztin meV Hämatologie Klinik für Medizinische Onkologie und Hämatologie UniversitätsSpital Zürich 8091 Zürich E-Mail: antoniamaria.mueller@usz.ch
Interessenkonflikte: Advisory Boards Honoraria von Novartis, Kite/Gilead und Celgene.
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