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KONGRESSBERICHT
ESMO 2019 – Jahreskongress der European Society of Medical Oncology, Barcelona, 27. 9. bis 1. 10. 2019
Ovarialkarzinom
Zielgerichtete Substanzen führen zu neuen Therapiestrategien
In der Behandlung des Ovarialkarzinoms stehen mit den PARP-Inhibitoren bereits zielgerichtete Substanzen für selektierte Patientinnen als Erhaltungstherapie nach Ansprechen auf eine platinhaltige Erstlinientherapie zur Verfügung. Die Kombination von PARP- und VEGF-gerichteten Therapien in der Erhaltung sowie die Applikation in Kombination mit der Erstlinienchemotherapie bilden Strategien für die Therapieoptimierung.
Niraparib wirkt auch bei HR-kompetenten Tumoren
Niraparib ist der neueste der verfügbaren PARP-Inhibitoren. In der PRIMAStudie erhielten Patientinnen mit neu diagnostiziertem Ovarialkarzinom und hohem Risiko für ein Rezidiv nach Ansprechen auf eine platinbasierte Erstlinientherapie 2:1 randomisiert Niraparib (Zejula®) oder Plazebo (1). Primärer Endpunkt der Studie war das progressionsfreie Überleben (PFS). 733 Patientinnen wurden randomisiert, und 728 erhielten die Studienmedikation: 484 Patientinnen (245 HR-defiziente [HR = homologe Rekombination]) wurden mit Niraparib behandelt, 244 (125 HR-defiziente) mit Plazebo. Mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 13,8 Monaten waren noch 37% der Patientinnen im Niraparib-Arm sowie 28% der Patientinnen im Plazebo-Arm unter Therapie. Das mediane PFS bei Patientinnen mit HR-defizienten Tumoren betrug 21,9 Monate unter Niraparib versus 10,4 Monate im Plazebo-Arm (HR = 0,43; 95%-KI: 0,31–0,59; p < 0,001). Innerhalb der gesamten Studienpopulation wurde das Risiko für einen Krankheitsrückfall um 38% reduziert. Im Median waren die Patientinnen 13,8 versus 8,2 Monate ohne Progress (HR = 0,62; 95%-KI: 0,50–0,76; p < 0,001). Der PFS-Vorteil unter Niraparib versus Plazebo wurde in allen präspezifizierten Subgruppen gesehen, auch bei HR-kompetenten Patientinnen (HR = 0,68; 95%-KI: 0,49–0,94). Bezüglich des Gesamtüberlebens (OS) wurde in einer geplanten Interimsanalyse mit 11% Datenreife ein nummerischer Vorteil der Niraparib-Erhaltungstherapie beobachtet: Innerhalb der gesamten Studienpo-
pulation waren nach 2 Jahren 84% versus 77% der Patientinnen am Leben, innerhalb der HR-defizienten Population 91% versus 85% und bei HR-kompetenten Patientinnen 81% versus 59%. Es wurden keine neuen Sicherheitssignale für Niraparib identifiziert, und die Lebensqualität wurde durch die NiraparibTherapie nicht beeinflusst. Die individualisierte Dosierung führte im Vergleich zu einer fixen Dosierung zu einer geringeren Häufigkeit an hämatologischen Nebenwirkungen.
Olaparib plus Bevacizumab als Erstlinien-Erhaltungstherapie
Bei neu diagnostizierten Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom ist die Therapie mit dem PARP-Inhibitor Olaparib (Lynparza®) plus Bevacizumab (Avastin®) als Erhaltungstherapie nach platinbasierter Chemotherapie plus Bevacizumab effektiv, wie beim ESMOKongress 2019 gezeigt wurde (2). In der Phase-III-Studie PAOLA-1/ ENGOT-ov25 erhielten 806 Patientinnen nach Platin-Taxan-basierter Chemotherapie und wenigstens 3 Zyklen Bevacizumab 2:1 randomisiert Olaparib über eine Dauer von 2 Jahren plus Bevacizumab oder Plazebo plus Bevacizumab. Bevacizumab wurde dabei für insgesamt 15 Monate, unter Einbezug der Zeit in Kombination mit Chemotherapie, gegeben. Stratifiziert wurden die Patientinnen nach dem BRCA-Mutationsstatus und dem Erfolg der Erstlinientherapie. Primärer Endpunkt der PAOLA-1-Studie war das vom Prüfarzt ermittelte PFS. Der primäre Studienendpunkt wurde mit einem medianen PFS von 22,1 versus 16,6 Monaten erreicht (HR = 0,59; 95%KI: 0,49–0,72; p < 0,0001). Subgruppen-
analysen bezüglich des BRCA-Mutationsstatus zeigten einen PFS-Vorteil durch Olaparib sowohl für Patientinnen mit als auch ohne BRCA-Mutation. Mit einer BRCA-Mutation lebten Patientinnen im Median 37,2 versus 21,7 Monate progressionsfrei. Das 12- und das 24-Monats-PFS betrug 94% versus 76% (bzw. 76%) versus 39%. Zeigten die Patientinnen keine BRCA-Mutation, betrug das mediane PFS 18,9 versus 16,0 Monate mit einer Hazard Ratio von 0,71 (95%-KI: 0,58–0,88). Der beste Therapieerfolg wurde bei Patientinnen mit HR-defizienten und BRCAmutierten Tumoren erreicht: Im Median betrug das PFS 37,2 versus 17,7 Monate (HR = 0,33; 95%-KI: 0,25–0,45). Nach 12 Monaten waren 89% versus 71% dieser Patientinnen progressionsfrei, nach 24 Monaten 66% versus 29%. HR-kompetente Patientinnen hingegen profitierten nicht von der zusätzlichen Olaparib-Gabe, das mediane PFS betrug 16,9 versus 16,0 Monate in den beiden Studienarmen, und die Hazard Ratio lag bei 0,92 (95%-KI: 0,72–1,17).
Phase-III-Daten für Veliparib plus Chemotherapie in der Erstlinie
Auch mit dem PARP-Inhibitor Veliparib plus Chemotherapie wurde eine signifikante Verlängerung des PFS erreicht (3). In der Phase-III-Studie VELIA/GOG-3005 wurde der PARP-Inhibitor allerdings bereits mit der Erstlinien-Chemotherapie über 6 Zyklen gegeben, danach folgte die Veliparib-Erhaltungstherapie oder Plazebo über weitere 30 Zyklen. Patienten, die in den dritten Studienarm randomisiert waren, erhielten Plazebo plus Chemotherapie, danach Plazebo. Insgesamt wurden 1140 Patientinnen mit hochgradig serösen Tumoren im FIGOStadium III oder IV eingeschlossen. Der primäre Endpunkt der Studie war eine Verlängerung des PFS im Vergleich zur durchgehenden Veliparib-Therapie versus die Kontrolle. Mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 28 Monaten betrug das mediane
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KONGRESSBERICHT
ESMO 2019 – Jahreskongress der European Society of Medical Oncology, Barcelona, 27. 9. bis 1. 10. 2019
PFS für die ITT-Population unter durchgehender Veliparib-Therapie 23,5 versus 17,3 Monate im Kontrollarm (HR = 0,68; 95%-KI: 0,56–0,83; p < 0,001). Bei Patientinnen mit BRCA-Mutation wurde ein medianes PFS von 34,7 versus 22,0 Monaten beobachtet. Das Risiko für einen Progress wurde bei diesen Patientinnen im Veliparib-Arm um 56% gegenüber dem Kontrollarm verringert (HR = 0,44; 0,28–0,68; p < 0,001). Bei Vorliegen von HR-defizienten Tumoren wurde das Progressionsrisiko um 43% gesenkt (HR = 0,57; 95%-KI: 0,43–0,76; p < 0,001), der Median betrug 31,9 versus 20,5 Monate. Wurde Veliparib nur in Kombination mit der Chemotherapie, aber nicht als Erhaltungstherapie gegeben, wurde kein verlängertes PFS für die ITT-Population, die BRCA-mutierten oder die HRdefizienten Patientinnen im Vergleich zum Kontrollarm festgestellt.
Folatrezeptor-α-gerichtete Therapie bei selektierten Patientinnen
Das Folatrezeptor-α-(FRα-)gerichtete Antikörper-Wirkstoff-Konjugat Mirvetuximab Soravtansin wurde in der Phase-IIIStudie FORWARD I (GOG 3011) bei Patientinnen mit platinresistentem Ovarialkarzinom geprüft (4). In der Studie wurden 366 Patientinnen mit 1 bis 3 vorangegangenen Therapielinien und positivem FRα-Status laut immunhistochemischem Nachweis 2:1 auf Mirvetuximab Soravtansin oder eine Chemotherapie nach Wahl des Behandlers randomisiert. Mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 12,5 Monaten zeigte sich bezüglich der ITT-Population kein signifikanter PFS-Vorteil für den experimentellen Arm (medianes PFS: 4,1 vs. 4,4 Monate; HR = 0,981). Wurden nur die Patientinnen ausgewertet, die eine hohe FRα-Expression aufwiesen, wurde das Progressionsrisiko durch Mirvetuximab Soravtansin um 31%
gegenüber einer Chemotherapie reduziert (medianes PFS: 4,8 vs. 3,3 Monate; HR = 0,693; p = 0,049). Es sprachen innerhalb dieses selektierten Patientinnenklientels 24% versus 10% auf die Studienmedikation an. Bezüglich des OS bildet sich laut Zwischenanalyse ein möglicher Vorteil für das Antikörper-Konjugat ab (HR = 0,618). Auch das Nebenwirkungsprofil war mit geringerem Auftreten von Nebenwirkungen ≥ Grad 3, weniger Dosismodifikationen und Therapieabbrüchen vorteilhafter unter der Therapie mit Mirvetuximab Soravtansin.
Trametinib zur Behandlung von niedriggradig serösen Tumoren
Niedriggradig seröse Tumoren der Eierstöcke oder des Peritoneums, eine seltene Untergruppe der serösen Tumoren, sind durch Alterationen im MAPK-Signalweg charakterisiert. In einer Phase-II/IIIStudie wurde die Wirksamkeit des MEKInhibitors Trametinib (Mekinist®) gegenüber einer Chemotherapie nach Wahl des Behandlers bei insgesamt 260 Patientinnen geprüft (5). Etwa die Hälfte der Patientinnen wurde bereits mit mehr als drei vorangegangenen Therapielinien behandelt. Primärer Studienendpunkt war eine Verlängerung des PFS. Die mediane Nachbeobachtungszeit betrug zur Zeit der Auswertung 31,4 Monate. Im Ergebnis wurde eine signifikante Verlängerung des PFS unter Trametinib gesehen: Im Median lebten die Patientinnen 13,0 versus 7,2 Monate progressionsfrei (HR = 0,48; 95%-KI: 0,36–0,64; p < 0,0001). Es sprachen 26,2% versus 6,2% der Patientinnen auf die Studienmedikation an, und auch die Dauer des Ansprechens war unter dem MEK-Inhibitor vorteilhafter als unter den Chemotherapien, dies mit einem Median von 13,6 versus 5,9 Monaten. Obwohl bei
Progress der Cross-over in den Trametinib-Arm erlaubt war, wurde ein OS-Trend mit Vorteil von median 8 Monaten für Trametinib (37,0 vs. 29,2 Monate) beobachtet (HR = 0,75; 95%-KI: 0,51–1,11). I
Ine Schmale
Quelle: Jahrestagung der European Society of Medical Oncology (ESMO), 27. Sept. bis 1. Okt. 2019, Barcelona
Referenzen: 1. Gonzáles-Martín A et al.: Niraparib therapy in pa-
tients with newly diagnosed advanced ovarian cancer (PRIMA/ENGOT-OV26/GOG-3012). ESMO 2019, Abstr. #LBA1. 2. Ray-Coquard I et al.: Phase III PAOLA-1/ENGOTov25: Maintenance olaparib with bevacizumab in patients with newly diagnosed, advanced ovarian cancer treated with platinum-based chemotherapy and bevacizumab as standard of care. ESMO 2019, Abstr. #LBA2_PR. 3. Coleman RL et al.: VELIA/GOG-3005: Integration of veliparib with front-line chemotherapy and maintenance in women with high-grade serous carcinoma of ovarian, fallopian tube, or primary peritoneal origin. ESMO 2019, Abstr. #LBA3. 4. Moore KN et al.: FORWARD I (GOG 3011): A phase III study of mirvetuximab soravtansine, a folate receptor alpha (FRa)-targeting antibody-drug conjugate (ADC), versus chemotherapy in patients with platinum-resistant ovarian cancer (PROC). ESMO 2019, Abstr. #992O. 5. Gershenson DM et al.: A randomized phase II/III study to assess the efficacy of trametinib in patients with recurrent or progressive low-grade serous ovarian or peritoneal cancer. ESMO 2019, Abstr. #LBA61.
Auf einen Blick
I PARP-Inhibitoren zeigen sowohl in der Erstlinienerhaltung als Monotherapie und Kombination mit Bevacizumab als auch in Kombination mit der Erstlinien-Chemotherapie eine vielversprechende Wirksamkeit.
I Das Folatrezeptor-α-gerichtete AntikörperWirkstoff-Konjugat Mirvetuximab Soravtansin zeigte Aktivität bei Patientinnen mit platinresistentem Ovarialkarzinom und hoher FRα-Expression.
I Bei niedriggradig serösen Tumoren könnte der MEK-Inhibitor Trametinib eine effektive Therapieoption sein.
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