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Seite der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Klinische Krebsforschung (SAKK)
Studie SAKK 39/16 (OptiPOM): Alternative Dosierung von Pomalidomid bei multiplem Myelom
In den letzten Jahren wurden in der Therapie von Patienten mit multiplem Myelom (MM) grosse Fortschritte erzielt. Dennoch ist das MM nach wie vor eine unheilbare Krankheit. Patienten mit MM, die bereits eine Therapie mit einem Immunmodulator (IMiD) erhalten haben und die gegen Bortezomib resistent sind, haben eine ungünstige Prognose.
Therapie mit Pomalidomid Der Wirkstoff Pomalidomid (Imnovid®) gehört in die Gruppe der immunmodulatorischen Substanzen (IMIiD), ist hochwirksam und wird als Tablette oral eingenommen. In der Schweiz ist Pomalidomid, in Kombination mit Dexamethason, zur Therapie des refraktären respektive rezidivierenden MM nach mindestens zwei vorgängigen Therapien inklusive Lenalidomid und Bortezomib zugelassen. Pomalidomid löst aber nicht selten Nebenwirkungen aus. In der Zulassungsstudie traten bei 60% aller Patienten erhebliche Toxizitäten (Grad 3 oder 4) auf, im Vordergrund stehen Blutbildveränderungen wie Neutropenien sowie Pneumonien. Dies führte in der Zulassungsstudie MM03 dazu, dass die Pomalidomid-Therapie bei 67% der Patienten unterbrochen werden musste. Bei 27% wurde die Dosis reduziert. In früheren Studien wurde die Dosis von Pomalidomid bei den Testpersonen so lange erhöht, bis die Nebenwirkungen nicht mehr akzeptabel waren. Ob diese maximale Dosierung auch optimal wirksam ist, wurde nicht untersucht. Aufgrund neuerer Daten darf man davon ausgehen, dass auch niedrigere Tagesdosen mindestens den gleichen Effekt haben. Es ist nicht auszuschliessen, dass Patienten, die aufgrund der tieferen Dosierung weniger Nebenwirkungen haben, sogar länger von der Therapie profitieren können. Aus diesem Grund wird in dieser Studie ein alternatives Dosierungsschema geprüft.
Abbildung: Ablauf der Studie SAKK 39/16
Einnahme jeden zweiten Tag Pomalidomid ist sehr wirksam und hat von allen bislang zugelassenen IMiD die längste Halbwertszeit. Deshalb wird in der Studie SAKK 39/16 ein alternatives Dosierungsschema geprüft. Die Patienten erhalten innerhalb eines 28-Tage-Zyklus jeden zweiten Tag 4 mg Pomalidomid (Schema: 4 mg q2d, d1-28) und nicht mehr täglich. Wegen der niedrigeren Dosierung wird auf die bislang notwendige Pause von einer Woche verzichtet. Dadurch wird eine gleichmässigere Verteilung erreicht. Ergänzend wird wöchentlich Dexamethason in altersadaptierter Dosierung verabreicht. Diese Behandlung wird bis zum Fortschreiten der Erkrankung oder bis zur Unverträglichkeit fortgeführt. Der primäre Endpunkt der Studie ist die Ansprechrate im Vergleich zur Zulassungsstudie. Zu den sekundären Endpunkten gehören das Gesamtüberleben, das progressionsfreie Überleben und das Auftreten von Nebenwirkungen. Zur wissenschaftlich belastbaren Auswertung der Studie sollen 110 Patientinnen und Patienten teilnehmen, die in 15 Zentren in der Schweiz behandelt werden.
Geringere Kosten mit alternativer Dosierung Dass die Patienten in der Studie SAKK 39/16 nur noch jeden zweiten Tag Pomalidomid
einnehmen, hat neben der Hoffnung, dass damit Nebenwirkungen reduziert werden können, noch einen gesundheitsökonomischen Hintergrund: Die Kosten für eine Therapie sind sehr hoch: In der Schweiz kostet ein Therapiezyklus 10 304 Franken. Dieser Betrag ist unabhängig von der Dosierung (1 mg = 2 mg = 3 mg = 4 mg). Somit erreicht der Hersteller eine Maximierung seiner Einnahmen, selbst wenn der Arzt/die Ärztin weniger des Medikaments einsetzt. Vor dem Hintergrund der beschriebenen Pharmakokinetik eröffnet die Einnahme an jedem zweiten Tag nun die Möglichkeit, die Dosis und die Nebenwirkungen wie auch die finanziellen Aufwendungen zu reduzieren und damit das Kosten-Nutzen-Verhältnis zu optimieren (OptiPOM). Diese Studie wird unterstützt durch den Fonds LOA IV/1 von curafutura, pharmaSuisse und santesuisse sowie die Krebsforschung Schweiz.
Studienname: «Alternate day dosing of Pomalidomide in patients with refractory Multiple Myeloma. A multicenter, single arm, open label phase II trial»
28 SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 4/2019
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Seite der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Klinische Krebsforschung (SAKK)
Teilnehmende Zentren: Kantonsspital Aarau, Kantonsspital Baden, Universitätsspital Basel, EOC – Istituto Oncologico della Svizzera Italiana, Bern/Inselspital, Kantonsspital Graubünden, Hôpital Fribourgeois – Hôpital Cantonal, Kantonsspital Baselland Liestal, Luzerner Kantonsspital, Kantonsspital St. Gallen, Network – Spital Thurgau, Kantonsspital Winterthur, Zürich/ Klinik Hirslanden, Zürich/Hirslanden Klinik Im Park, Universitätsspital Zürich
Coordinating Investigator: Dr. med. Thilo Zander Luzerner Kantonsspital E-Mail: thilo.zander@luks.ch
Clinical Project Manager: Priska Stocker SAKK Bern E-Mail: priska.stocker@sakk.ch
Kommentar von Dr. med. Thilo Zander
In der Behandlung des multiplen Myeloms ist es in den letzten Jahren zu atemberaubenden Fortschritten mit der Zulassung zahlreicher neuer Medikamente gekommen, welche die Prognose dieser Erkrankung erheblich verbessert haben. Da aber hauptsächlich ältere und damit verstärkt verwundbare Patienten betroffen sind, spielen das Nebenwirkungsprofil und die Lebensqualität eine wichtige Rolle. Vonseiten der pharmazeutischen Industrie sind eher Studien interessant, welche letztlich zur Verwendung von mehr Medikamenten führen.
OptiPOM ist eine Studie, welche erstmals versucht, die minimal effiziente Dosierung für Pomalidomid zu etablieren und das bislang vorgegebene Dosierungsschema zu verbessern. Es überrascht auch nicht, dass die Herstellerfirma diese wichtige Frage nicht unterstützt. Trotzdem ist es uns gelungen, die Studie auf den Weg zu bringen. Weltweit haben die Kosten für Krebsmedikamente ein Niveau erreicht, welches langfristig als nicht mehr tragbar bezeichnet werden darf. Deshalb sind solche strategischen Studien sehr wichtig und international von grossem Interesse. Im besten Fall profitieren die uns anvertrauten Patienten von weniger Nebenwirkungen und trotzdem von dieser innovativen Substanz.
SAKK–Infos
SAKK/Celgene «HEM Pioneer Grant» 2019
Am 26. Juni 2019 wurde im Rahmen des Swiss Oncology & Hematology Congress (SOHC) der «HEM Pioneer Grant» verliehen. Der Forschungspreis honoriert dieses Jahr ein innovatives Projekt zum Thema Verwendung von künstlicher Intelligenz in der Diagnostik von Blutkrebs. Der Grant wird unterstutzt von der SAKK sowie der Celgene GmbH.
Der «HEM Pioneer Grant» unterstützt Forschungsprojekte, die möglicherweise einen entscheidenden Unterschied im Kampf gegen Blutkrebs erreichen können. «Dieser Grant fördert Ideen, die Innovationsgeist, Mut und eine Prise ‹craziness› vereinen. Für viele eingereichte Projekte wäre es schwierig, von klassischen Fördergefässen Unterstützung zu erhalten», erklärt Jurypräsidentin und SAKK-Board-Member Prof. Dr. med. Gabriela Baerlocher.
Das Projekt von Dr. med. Corinne Widmer hat die Jury überzeugt. Sie setzt auf künstliche Intelligenz in der Medizin: «Wir wollen die älteste diagnostische Methode der Hämatologie mit aktuellen Technologien kombinieren. Bei rasant neu entwickelten Therapieansätzen für hämatoonkologische Erkrankungen sind Ärztinnen und Ärzte in diesem Bereich mit stets steigendem Wissensaufbau und vermehrt administrativem Aufwand konfrontiert. Das führt zu einem Ressourcenkonflikt mit zeitaufwändiger Routinearbeit, wie der morphologischen Blutbilderkennung, welche auch noch regelmässig trainiert werden sollte.» Hier setzt Corinne Widmer mit ihrem Projekt an: «Wir wollen die Brücke zwischen menschlicher und maschineller Diagnostik weiter ausbauen. Das Ziel ist, einen Algorithmus zu trainieren, welcher erkrankte Blutzellen erkennt, noch bevor es für unser Auge überhaupt möglich ist.» Sollte das gelingen, ermöglicht ein kleiner Tropfen Blut innert kürzester Zeit eine Diagnose einer hämato-
logischen Erkrankung. Durch weitere Optimierung kann möglicherweise eine Aussage über den weiteren Verlauf der Erkrankung gemacht werden. Die bereits bestehende Bilddatenbank wird in den nächsten Monaten aufbereitet, und das «machine learning» sowie das Training des Algorithmus wird in Angriff genommen. Dabei darf das Universitätsspital Zürich auf die Unterstützung der ETH Zürich zählen. tanja.brauen@sakk.ch www.HEMpioneer.ch
SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 4/2019
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