Transkript
EHA 2019
Annual Meeting of the European Hematology Association, Amsterdam, 13. bis 16. Juni 2019
Akute myeloische Leukämie (AML)
Vielversprechende Therapieansätze bei rezidivierter/refraktärer Erkrankung
Patienten mit einer rezidivierten oder refraktären AML weisen eine schlechte Prognose auf. Am EHA-Kongress wurden mehrere neue Ansätze vorgestellt, die bei solchen Patienten zu guten Resultaten geführt haben. So bewirkte der FLT3-Hemmer Gilteritinib ein signifikant besseres Überleben, und der Anti-CD47-Antikörper Hu5F9-G4 überzeugte in einer Phase-1b-Studie mit guten Ansprechraten.
AML-Patienten mit einer Mutation in der FMS-like-Tyrosinkinase 3 (FLT3), insbesondere bei Vorliegen interner Tandemduplikationen (FLT3-ITD), weisen eine schlechte Prognose auf (1). «Über die Jahre wurden zur Behandlung dieser Patienten verschiedene FLT3-Inhibitoren, alles Tyrosinkinasehemmer, entwickelt», erklärte Dr. med. Alexander Perl, Philadelphia/USA. «Als Monotherapie eingesetzt, zeigen sie jedoch eine sehr unterschiedliche Selektivität und Aktivität. Resistenzmutationen in der FLT3-Tyrosinkinase-Domäne sind dafür verantwortlich, dass die Ansprechdauer nur kurz ist. Zudem entstehen bei einigen dieser Substanzen Probleme hinsichtlich der Verträglichkeit, denn es kann zu Nebenwirkungen wie Hand-Fuss-Syndrom, einer Verlängerung des QTcF-Intervalls oder zu gastrointestinalen Problemen kommen.» Aus diesen Gründen wurde nach weiteren Optionen gesucht, vor allem auch nach solchen, die bei FLT3-ITD-Mutationen und Mutationen in der FLT3-Tyrosinkinase-Domäne (FLT3TKD) aktiv sind.
ADMIRAL: Phase-III-Studie mit Gilteritinib
Ein Kandidat, der diese Voraussetzungen erfüllt, ist Gilteritinib, ein neuer, oraler Typ-I-FLT3-Inhibitor. «Gilteritinib ist aktiv bei FLT3-ITD und FLT3-TKD-D835-Mutationen», so Dr. Perl. Die Substanz hat sich als Monotherapie bei Patienten mit einer FLT3mut+ rezidivierten/refraktären AML (rrAML) ab einer Dosis von 80 mg pro Tag als aktiv erwiesen (2). Dabei zeigte Gilteritinib kein Hand-Fuss-Syndrom, lediglich einzelne Fälle eines verlängerten QTcF-Intervalls (3% von 252 Patienten, Grad 3).
Aufgrund dieser positiven Resultate wurde schliesslich die Phase-III-Studie ADMIRAL gestartet (3). Sie schloss AMLPatienten mit einer FLT3-mutierten AML (FLT3-ITD/FLT3-TKD D835 oder I836) ein, die entweder refraktär gegenüber einer Induktionschemotherapie waren oder sich im unbehandelten ersten Rezidiv befanden. Sie wurden im Verhältnis 2:1 entweder zu einer kontinuierlichen Behandlung mit Gilteritinib (120 mg/Tag) oder zu einer Salvage-Chemotherapie nach Wahl des Prüfarztes randomisiert. Als Salvage-Therapien waren möglich: tief dosiertes Cytarabin (LoDAC), Azacitidin (AZA), Mitoxantron/Etoposid/Cytarabin (MEC) oder Fludarabin/Cytarabin/ G-CSF/Idarubicin (FLAG-IDA). Konnte eine allogene Stammzelltransplantation durchgeführt werden, erhielten die Patienten des Gilteritinib-Arms danach eine Erhaltungstherapie mit dem FLT3-Inhibitor. Ko-primäre Endpunkte der Studie waren das Gesamtüberleben (OS) und die Ansprechrate (komplette Remission [CR] und komplette Remission mit partieller hämatologischer Erholung [CRh]). Die ITT-Population umfasste 371 Patienten, 247 unter Gilteritinib und 124 unter SalvageTherapie (36,7% FLAG-IDA, 25,7% MEC, 22,9% AZA, 14,7% LoDAC). Etwa 40% der Patienten waren refraktär auf die Vortherapie, 60% befanden sich im Rezidiv.
Überleben signifikant verlängert Die Ansprechrate (CR/CRh) betrug 34,0% unter Gilteritinib und 15,3% unter Salvage-Chemotherapie (p = 0,0001). Von den mit Gilteritinib behandelten Patienten erhielten 26% eine allogene Stammzelltransplantation; im Vergleichsarm war dies bei 15% der Patienten der Fall.
Die Patienten im Gilteritinib-Arm zeigten ausserdem ein signifikant verlängertes OS im Vergleich zum Salvage-TherapieArm (9,3 vs. 5,6 Monate, HR: 0,637; 95%KI: 0,490–0,830; p = 0,0007), die Überlebensrate nach einem Jahr betrug 37,1% unter Gilteritinib und 16,7% im Vergleichsarm. «Wie eine separate Analyse zeigte, scheint der Einfluss der allogenen Stammzelltransplantation auf das Überleben gering zu sein», fügte Dr. Perl an. «Eine Landmarkanalyse ab Tag 60 nach Transplantation erbrachte jedoch Hinweise, dass die Wiederaufnahme der Gilteritinib-Therapie nach Transplantation das Überleben verbessern könnte.» Die häufigsten unerwünschten Ereignisse unter Gilteritinib (bzw. der SalvageTherapie) waren febrile Neutropenie (47 vs. 37%), Anämie (47 vs. 35%) und Fieber (43 vs. 29%). Bei 5% der Patienten unter Gilteritinib kam es zu einer Verlängerung des QTcF-Intervalls. Der Referent wies darauf hin, dass die mediane Dauer der Behandlung im Gilteritinib-Arm mit 4,1 Monaten (vs. 0,9 Monaten im Salvage-Arm) deutlich länger war. Daher wurde separat untersucht, wie das Nebenwirkungsprofil in den ersten 30 Tagen der Behandlung ausfiel. «Dabei zeigte sich, dass es unter Gilteritinib im grossen Ganzen zu weniger Nebenwirkungen kam.» Zusammengefasst: «Die Daten sprechen dafür, Patienten zum Zeitpunkt eines Rezidivs auf das Vorliegen von FLT3-Mutationen zu testen und gegebenenfalls eine gezielte Therapie anstelle einer Standard-Chemotherapie einzusetzen», so Perl.
Neuer Ansatz: Anti-CD47-Antikörper
In der gleichen Session präsentierte Dr. med. David Sallman, Tampa/USA, die ersten Resultate einer Phase-Ib-Studie mit dem «first-in-class-»Anti-CD47-Antikörper Hu5F9-G4 (5F9) (4). CD47 an der Oberfläche von gesunden Zellen führt über eine Interaktion mit dem von Makrophagen exprimierten Rezeptor SIR-
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Palpha dazu, dass die Zellen nicht phagozytiert werden (5). Festgestellt wurde, dass sich Tumorzellen, darunter auch Leukämiestammzellen, mithilfe einer Überexpression diesem «Don’t eat me»Signal einer Phagozytose entziehen können (6). «Bei AML-Patienten war eine erhöhte CD47-Expression denn auch mit einer schlechteren Prognose assoziiert», erklärte Dr. Sallman. «Im Tiermodell konnte mithilfe von 5F9 die Interaktion zwischen CD47 auf den Leukämiezellen und dem Rezeptor auf den Makrophagen gestört und so die Phagozytose der Zellen induziert werden», erklärte er weiter. In der von ihm vorgestellten Studie wurde 5F9 einerseits als Einzelsubstanz bei Patienten mit rrAML respektive MDS (myelodysplastischem Syndrom) eingesetzt, andererseits in Kombination mit AZA bei unbehandelten AML-Patienten, die nicht für eine intensive Induktionschemotherapie infrage kamen, sowie bei MDS-Patienten mit intermediärem bis sehr hohem Risiko (nach IPSS-R). «AZA wurde als Kombinationspartner gewählt, da es die Expression von prophagozytischen Signalen (wie Calreticulin) auf Tumorzellen induziert. Im AMLMausmodell führte die Kombination aus 5F9 und AZA zudem zu einem signifikant besseren Überleben als 5F9 oder AZA allein», so Dr. Sallman.
Vielversprechende Ansprechraten Die 5F9-Therapie wurde in beiden Armen mit einer Initialdosis von 1 mg/kg eingeleitet und danach über einen Zeitraum von 2 Wochen auf die Erhaltungsdosis von 30 mg/kg pro Woche gesteigert. AZA wurde in der Standarddosierung von 75 mg/m2, Tage 1 bis 7, verabreicht. Insgesamt erhielten 10 Patienten (6 AML, 4 MDS) im rr-Stadium 5F9 als Monotherapie. «Das mediane Alter dieser Patienten lag bei über 70 Jahren», fügte der Redner an. Im Mittel hatten sie 3 (AML) be-
Tabelle:
Ansprechraten in der Phase-Ib-Studie mit 5F9 +/– Azacitidin (4)
Bestes Ansprechen
Gesamtansprechrate (ORR) Komplettes Ansprechen (CR) Komplettes Ansprechen mit inkompletter Regeneration (CRi) Partielles Ansprechen (PR) Morphologisch leukämiefreier Status/ CR im Knochenmark
Hämatologische Verbesserung (HI) Stabile Erkrankung (SD) Progress (PD)
rrAML/MDS 5F9 Monotherapie n = 10 1 (10%) 0 0
0 1 (10%)
– 7 (70%) 2 (20%)
5F9-AZAErstlinientherapie AML (n = 14) 9 (64%) 5 (36%) 2 (14%)
0 2 (14%)
– 5 (36%) 0
5F9-AZAErstlinientherapie AML (n = 11) 11 (100%) 6 (55%) –
0 4 (36%) 2 mit Knochenmark CR und HI 1 (9%) 0 0
ziehungsweise 2 Vortherapien (MDS) erhalten. 39 Patienten bekamen die Kombination aus 5F9 und AZA als Erstlinienbehandlung (22 AML, 17 MDS), auch hier lag das mediane Alter bei über 70 Jahren. Die Verträglichkeit von 5F9, sowohl als Monotherapie wie auch in Kombination mit AZA, erwies sich als gut. «Lediglich bei einem Patienten, bei dem es bei der ersten Verabreichung zu einer infusionsassoziierten Reaktion mit Fieber und unspezifischen neurologischen Symptomen kam, musste die Therapie abgebrochen werden.» Die beobachteten Ansprechraten sind in der Tabelle zusammengefasst. «Bei einem medianen Follow-up von 3,8 Monaten ist es bei keinem der unter 5F9 plus AZA ansprechenden Patienten zu einem Rezidiv oder Progress gekommen», kommentierte Sallman. 64% der ErstlinienAML-Patienten (9/14) wurden transfusionsunabhängig. MRD-negativ (negativ auf «minimale Resterkrankung») wurden 33% der in der ersten Linie mit 5F9 und AZA behandelten AML-Patienten und 20% der MDS-Patienten. Bei 25% der ansprechenden Patienten konnte erfolgreich eine allogene Stammzelltransplan-
tation durchgeführt werden. «Der Pa-
tient, der bis jetzt am längsten auf die
Therapie angesprochen hat, befindet
sich nun seit mehr als 9 Monaten in kom-
pletter Remission», sagte Dr. Sallman. Ba-
sierend auf diesen Resultaten wurde so-
wohl für AML als auch für MDS eine
Expansionskohorte gestartet.
I
Therese Schwender
Referenzen: 1. Kottaridis PD et al.: The presence of a FLT3 internal tandem duplication in patients with acute myeloid leukemia (AML) adds important prognostic information to cytogenetic risk group and response to the first cycle of chemotherapy: analysis of 854 patients from the United Kingdom Medical Research Council AML 10 and 12 trials. Blood 2001; 98: 1752–1759. 2. Perl AE et al.: Selective inhibition of FLT3 by gilteritinib in relapsed or refractory acute myeloid leukaemia: a multicentre, first-in-human, open-label, phase 1–2 study. Lancet Oncol 2017; 18: 1061–1075. 3. Perl AE et al.: Gilteritinib significantly prolongs overall survival in patients with FLT3-mutated relapsed/refractory Acute Myeloid Leukemia: results from the phase 3 ADMIRAL trial. EHA 2019, Abstract #S876. 4. Sallman DG et al.: The first-in-class anti-CD47 antibody Hu5F9-G4 is active and well tolerated alone or in combination with Azacitidine in AML and MDS patients: initial phase 1b results. EHA 2019; Abstract #S878. 5. Jaiswal S.: CD47 is upregulated on circulating hematopoietic stem cells and leukemia cells to avoid phagocytosis. Cell 2009; 138: 271–285. 6. Majeti R et al.: CD47 is an adverse prognostic factor and therapeutic antibody target on human acute myeloid leukemia stem cells. Cell 2009; 138: 286–299.
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