Transkript
EHA 2019
Annual Meeting of the European Hematology Association, Amsterdam, 13. bis 16. Juni 2019
Non-Hodgkin-Lymphome
Immuntherapien bei indolenten und aggressiven Lymphomen
Eine Session der EHA Working Group Lymphoma widmete sich ganz dem Thema der verschiedenen Immuntherapien für Patienten mit Non-Hodgkin-Lymphomen (NHL). Dabei ging es insbesondere um Antikörper-Substanz-Konjugate, bispezifische Antikörper und CAR-T-Zellen.
Den Anfang machte Prof. Hervé Tilly, Rouen/Frankreich. Er sprach über die Antikörper-Substanz-Konjugate (AntibodyDrug-Conjugates, ADC). «Die ADC sollen eine zytotoxische Substanz zu bestimmten Zellen, in unserem Fall Tumorzellen, transportieren und dabei möglichst wenig Nebenwirkungen hervorrufen», so erklärte er das Prinzip. Um ein wirksames ADC herzustellen, müssten gewisse Voraussetzungen erfüllt sein, so Tilly. So müsse das Zielantigen von den Tumorzellen stark exprimiert werden, sollte dabei aber auf gesunden Zellen möglichst nicht vorkommen. Der entsprechende Antikörper soll eine hohe Affinität zu diesem Antigen aufweisen. Die mit einem Linker, der im Kreislauf möglichst stabil sein muss, an den Antikörper gebundene Substanz muss eine hohe On-target-Zytotoxizität aufweisen, soll andere Zellen jedoch möglichst verschonen. Für die Herstellung von ADC werden zwei Klassen zytotoxischer Substanzen eingesetzt: I Einerseits handelt es sich um Aurista-
tinderivate (Monomethyl Auristatin E [MMAE] und Monomethyl Auristatin F [MMAF]) sowie um Maytansine, welche die Mikrotubuli der Zelle zerstören und so zu einer Apoptose führen;
I andererseits kommen Calicheamicine zum Einsatz. Sie führen zu einer Schädigung der DNA.
«Beide Substanzgruppen werden mit spezifischen Nebenwirkungen assoziiert», fügte Prof. Tilly an. «Bei den Auristatinderivaten und Maytansinen kann es zu peripheren Neuropathien und hämatologischen Toxizitäten kommen, während für die Calicheamicine Thrombozytopenien und venös-okklusive Erkrankung beschrieben sind.»
Polatuzumab vedotin beim DLBCL
Diverse ADC werden derzeit in klinischen Studien getestet. Prof. Tilly konzentrierte sich in seinen weiteren Ausführungen auf Polatuzumab vedotin (Pola), einen AntiCD79b-Antikörper, der mit MMAE gekoppelt ist. «CD79b stellt eine Komponente des B-Zell-Rezeptors dar und wird von allen B-Zell-Lymphomzellen exprimiert», erklärte er. In einer Phase-IIStudie (ROMULUS) wurde Pola in Kombination mit Rituximab (R) bei rezidivierten/refraktären (r/r) Patienten mit follikulären Lymphomen (FL) und diffusen grosszelligen B-Zell-Lymphomen (DLBCL) eingesetzt (1). An Toxizitäten vom Grad 3 und 4 wurden hier Neutropenie (23%), Durchfall (10%), Anämie (8%) und periphere Neuropathie (8%) regis-
triert. Die Gesamtansprechrate (ORR) bei DLBCL-Patienten betrug 54%, das mediane progressionsfreie Überleben (PFS) 4,7 Monate. Bei den FL-Patienten lag die ORR bei 70% und das PFS bei 12,7 Monaten. Pola wurde in der Folge auch in Kombination mit Bendamustin (B) und R untersucht, so in der Phase-II-Studie von Sehn und Kollegen (2). Hier wurden je 80 nicht transplantierbare Patienten mit einem r/r DLBCL respektive r/r FL zu 6 Zyklen Pola-BR oder BR randomisiert. «Die Rate an Nebenwirkungen war bei den Patienten, die Pola-BR erhielten, höher als in der Vergleichsgruppe», sagte Tilly. «Die meisten waren mild, bei den höhergradigen Nebenwirkungen handelte es sich vor allem um hämatologische Toxizitäten.» Bei den FL-Patienten zeigte sich kein Unterschied bezüglich Ansprechraten, PFS und Gesamtüberleben (OS) zwischen Pola-BR und BR. «Dies könnte die gute Wirksamkeit von BR beim follikulären Lymphom widerspiegeln. Daher wird in aktuellen Studien Polatuzumab vedotin beim FL in Kombination mit anderen Substanzen, zum Beispiel Lenalidomid, Obinutuzumab, Venetoclax oder Checkpoint-Inhibitoren, untersucht.» Beim DLBCL konnte das Regime Pola-BR dagegen signifikant bessere Resultate (Ansprechraten, PFS, OS) als BR erreichen. «Die FDA hat die Kombination Pola-BR mittlerweile auch zur Behandlung von rezidivierten/refraktären DLBCL-Patienten zugelassen», ergänzte der Referent. Nachdem Pola in Kombination mit einer Immunchemotherapie bei bisher unbehandelten DLBCL-Patienten mit einer ORR von 89% und einem 2-Jahres-PFS
22 SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 3 – KONGRESSAUSGABE SEPTEMBER 2019
EHA 2019
Annual Meeting of the European Hematology Association, Amsterdam, 13. bis 16. Juni 2019
von 83% vielversprechende Resultate erreicht hat, wird die Erstlinientherapie mit dem ADC in der Phase-III-Studie POLARIX (Pola plus R-CHP vs. R-CHOP) weiter untersucht (3, 4).
Bispezifische Antikörper
Prof. Dr. med. Max Topp, Würzburg/ Deutschland, sprach zum Thema der bispezifischen Antikörper.
Blinatumomab und Moseunetuzumab «Der bekannteste Vertreter dieser Gruppe ist der Anti-CD19-Antikörper Blinatumomab», meinte er einleitend. «Dieser ist der Beweis dafür, dass dieses Konzept funktioniert.» Bei indolenten r/r B-NHL führte der Antikörper zu anhaltenden Remissionen. Als dosislimitierende Toxizitäten traten neurologische Nebenwirkungen auf. «Es gab jedoch keine Fälle eines schweren ZytokinFreisetzungs-Syndroms», betonte Prof. Topp. Ein Nachteil sei aber, dass Blinatumomab aufgrund seiner kurzen Halbwertszeit als kontinuierliche Infusion verabreicht werden müsse. Moseunetuzumab, ein bispezifischer Anti-CD20/CD3-Antikörper, wurde in der Phase-I/Ib-Dosiseskalations-Studie bei Patienten mit r/r B-NHL getestet (5). Nebenwirkungen waren dabei meist vom Grad 1 und 2. Ein Zytokin-Freisetzungs-Syndrom (CRS) vom Grad 1 bis 2 wurde bei 22,9% der Patienten (n = 131) beobachtet. Behandlungsbezogene neurologische Nebenwirkungen > Grad 3 waren mit 0,8% selten. Eine Neutropenie > Grad 3 wurde bei 16,8% der Patienten registriert. Die ORR bei Dosierungen > 1,5 mg betrug bei FL-Patienten 61% und bei DLBCL-Patienten 33%. Anti-Tumor-Aktivität, Sicherheit und Verträglichkeit wurden auch für einen weiteren bispezifischen Anti-CD20/CD3-Antikörper (REGN1979) bei r/r B-NHL- Patienten untersucht (6). Hier zeigten sich aber vor allem hämatologische Toxizitäten sowie bei 5,9% der Patienten (n = 68) ein Grad-3/4-CRS. «Interessanterweise wurden keinerlei neurologische Nebenwirkungen beobachtet.» Die ORR bei Dosierungen > 5 mg betrug bei FL-Pati-
enten 100%, bei DLBCL-Patienten 40%. Prof. Topp fasste zusammen: «Auch wenn es für einen direkten Vergleich dieser beiden Anti-CD20/CD3-Antikörper mit Blinatumomab noch zu früh ist, kann man sagen, dass sie sich sowohl bei indolenten als auch bei aggressiven Lymphomen als wirksam erwiesen haben. Es wurden Fälle eines CRS beobachtet, diese waren jedoch nicht dosislimitierend. Neurologische Nebenwirkungen wurden nicht oder nur selten beobachtet. Die Anti-CD20/CD3-Antikörper haben zudem den Vorteil, dass sie wöchentlich oder alle 2 Wochen verabreicht werden können.»
CAR-T-Zellen: vielversprechend bei noch ungelösten Fragen
Als letzter Redner der Session erläuterte Prof. Dr. med. Ulrich Jäger, Wien/Österreich, das Thema CAR-T-Zellen bei NHL. Zurzeit steht mit Axicaptagen-Ciloleucel (Yescarta®) eine gegen CD19 gerichtete Therapie für erwachsene Patienten mit r/r DLCBL und primär mediastinalem grosszelligem B-Zell-Lymphom (PMBCL) nach zwei oder mehr systemischen Therapielinien zur Verfügung. Tisagenlecleucel (Kymriah®) kann zur Behandlung von pädiatrischen und jungen erwachsenen Patienten mit einer rezidivierten/refraktären akuten lymphatischen B-Zell-Leukämie (B-Zell-ALL) sowie zur Therapie von Erwachsenen mit r/r DLBCL eingesetzt werden. «Grundsätzlich müssten die Patienten Zugang zu diesen Therapien haben, allerdings gibt es nach wie vor gewisse Probleme», meinte Prof. Jäger. So sei unter anderem die lange Herstellungszeit problematisch. «Fünf unserer Patienten wurden während dieser Zeit progredient und haben ihre CAR-T-Zellen daher nie erhalten», beschrieb er seine Erfahrungen. Ausserdem sei heute bekannt, dass die Möglichkeit der Entwicklung einer Therapieresistenz durch CD19-Mutationen bestehe. Ein weiteres Problem stelle das Fehlen prädiktiver Faktoren für die Patientenselektion dar. «Schliesslich ist auch die Therapiesequenz noch unklar», ergänzte er weiter. Es wies darauf hin,
dass sich auch die EHA mit den offenen
Fragen rund um die CAR-T-Zellen be-
schäftigte und dazu ein Guidance-Doku-
ment zusammengestellt habe, das frei
online verfügbar ist (7). Ausserdem sei
eine Sonderausgabe der EHA-Zeitschrift
«HemaSphere» dem Thema der CAR T-
Zellen gewidmet (8). «Einer der Artikel
zeigt auf, dass für viele der Probleme, die
ich hier angesprochen habe, bereits
nach Lösungen geforscht wird», schloss
Prof. Jäger.
I
Therese Schwender
Referenzen: 1. Morschhauser F et al.: Polatuzumab vedotin or pinatuzumab vedotin plus rituximab in patients with relapsed or refractory non-Hodgkin lymphoma: final results from a phase 2 randomised study (ROMULUS). Lancet Haematol 2019; 6: e254–e265. 2. Sehn LH et al.: Randomized phase 2 trial of polatuzumab vedotin with bendamustine and rituximab in relapsed/refractory FL and DLBCL. J Clin Oncol 2018,36 (Suppl): Abstract #7507. 3. Tilly H et al.: Polatuzumab vedotin in combination with immunochemotherapy in patients with previously untreated diffuse large B-cell lymphoma: an open-label, non-randomised, phase 1b-2 study. Lancet Oncol 2019; 20: 998–1010. 4. Tilly H et al.: POLARIX: A phase 3 study of polatuzumab vedotin (pola) plus R-CHP versus R-CHOP in patients (pts) with untreated DLBCL. J Clin Oncol 2019; 37 (15), Published online. DOI: 10.1200/JCO.2019.37.15_suppl.TPS7571 5. Budde LE et al.: Mosunetuzumab, a full-length bispecific CD20/CD3 antibody, displays clinical activity in relapsed/refractory B-cell Non-Hodgkin Lymphoma: interim safety and efficacy results from a phase 1 study. Blood 2018, 132(Suppl. 1): 399. 6. Bannerji R et al.: Emerging clinical activity of REGN1979, an anti-CD20 x anti-CD3 bispecific antibody, in patients with relapsed/refractory follicular lymphoma, diffuse large B-cell lymphoma, and other B-cell Non-Hodgkin Lymphoma subtypes. Blood 2018; 132(Suppl. 1): 1690. 7. The process of CAR T-cell therapy in Europe. Verfügbar unter: https://journals.lww.com/hemasphere/pages/default.aspx 8. Charrot S, Hallam S. CAR-T Cells: Future Perspectives. HemaSphere 2019; 3(2):e188. doi: 10.1097/HS9.0000000000000188.
Auf einen Blick
I Das Antikörper-Substanz-Konjugat Polatuzumab vedotin hat sich bei r/r DLBCL als wirksam erwiesen.
I Zurzeit wird Polatuzumab vedotin als Erstlinientherapie beim DLBCL in Kombination mit einer Immunchemotherapie untersucht.
I Bispezifische Anti-CD20/CD3-Antikörper könnten eine Lösung für verschiedene Probleme darstellen, die mit Anti-CD19-Antikörpern einhergehen.
I Auch wenn zwei CAR-T-Zell-Präparate bereits zugelassen sind, bestehen noch einige offene Fragen, an deren Beantwortung gearbeitet wird.
SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 3 – KONGRESSAUSGABE SEPTEMBER 2019
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