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Forum Versorgungsforschung in der Onkologie
Ein Blick in die Krebsheilkunde der Welt – Äthiopien
Herausforderungen in der (radio)onkologischen Versorgung von Patienten in Gondar, Äthiopien
Ein Blick nach Äthiopien, einem Schwellenland Afrikas, aus der Sicht hiesiger und dortiger Krebsexperten mit Fokus auf die Strahlentherapie: Mit welchen Malignomen, in welchem Ausmass, und mit welchen Versorgungsproblemen ist das Land überwiegend konfrontiert? Die Autoren stellen die dortigen Herausforderungen in der Onkologie vor und beschreiben erste Ansätze des Unterstützungsprogramms des Schweizer Vereins BEZA. Sie werben damit für die Teilnahme weiterer Tumorzentren und Herstellerfirmen.
DANIEL RAUCH, BINIYAM TEFERA, TIMOTHY D. COLLEN
Während wir in der Schweizer Onkologie mit breitem diagnostischem Instrumentarium, mit Chirurgie, Bestrahlung, einer grossen Palette an onkologischen Systemtherapien sowie Supportivtherapien eine durchaus komfortable Situation hinsichtlich Diagnostik, Therapie und Nachsorge respektive Sekundärprävention maligner Erkrankungen haben, ist dies in grossen Teilen der Welt nicht der Fall. Die in Äthiopien tätigen medizinischen Onkologen als Beispiel sind aber sowohl medizinisch-onkologisch als auch radioonkologisch klinisch tätig.
Krebs in Ländern mit gering ausgeprägter Gesundheitsversorgung Weltweit sind im Jahr 2018 knapp über 18 Millionen Menschen an einem malignen Tumor erkrankt, und man rechnet mit über 9 Millionen tumorbedingten Toten (1). Mit der zunehmenden durchschnittlichen Lebenserwartung in den westlichen Ländern, aber auch mit dem wirtschaftlichen
Aufschwung und einer wachsenden Lebenserwartung in afrikanischen Schwellenländern kommt es weltweit zu einer deutlichen Zunahme neu diagnostizierter Malignome. Vor allem Schwellenländer und Länder mit einer gering ausgeprägten Gesundheitsversorgung für Krebspatienten sind vor erhebliche Herausforderungen gestellt, wenn es darum geht, ihre Bevölkerung gegenwärtig und künftig adäquat onkologisch versorgen zu können (vgl. hierzu Abbildung 1 und 2).
Beispiel Äthiopien Äthiopien liegt im Nordosten Afrikas, grenzt an den Sudan, an Eritrea, den Südsudan, Kenia, Dschibuti sowie Somalia und zählt zu den bevölkerungsreichsten Ländern der Welt (knapp über 107 Millionen Menschen). Wirtschaftlich wies Äthiopien im Jahr 2015 mit knapp über 10 Prozent das höchste Wirtschaftswachstum der Welt auf und war das einzige Land mit einem zweitstelligen Wirtschaftswachstum
(2, 3), auch wenn politische Umwälzungen, soziale Unsicherheiten und Unruhen bis heute erhebliche Probleme im Lebensalltag bereiten. Die unten besprochene Region Amhara mit der Stadt Gondar ist eine von neun Landesregionen. Durch die steigende Lebenserwartung erhöht sich auch die Zahl der Fälle neu diagnostizierter Krebserkrankungen. Jährlich werden im Land rund 67 000 neue Krebsfälle diagnostiziert, die Anzahl der jährlichen tumorbedingten Todesfälle liegt bei 47 954 (2). Die in Äthiopien am häufigsten auftretenden Tumorentitäten sind (nach heutigen, limitierten Daten) Brustkrebs (22,6%), Zervixkarzinom (9,3%), kolorektale Karzinome (7%), Leukämien (6,6%) und NonHodgkin-Lymphome (5,1%). Bei den Männern sind Leukämien (Anteil der Krebserkrankungen bei Männern: 10,7%), kolorektale Karzinome (10,4%) und NonHodgkin-Lymphome (9,7%) die häufigsten Malignome (3).
Abbildung 1: Zusätzlich benötigte Radiotherapieeinrichtungen in Afrika, Südosteuropa, Südasien und Mittel- und Südamerika bis 2020 (adaptiert nach [6]).
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Abbildung 2: Anzahl der Menschen pro Radiotherapieeinrichtung in der Welt (adaptiert nach [5]).
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Herausforderungen und Ziele in der Krebsmedizin in Äthiopien Das Ungleichgewicht zwischen einerseits dem Bedarf an medizinisch onkologischen Therapieoptionen, radioonkologischen Behandlungseinheiten (somit der Anzahl an Linearbeschleunigern) und andererseits dem Mangel an (radio-) onkologischer Expertise stellt eine sehr grosse Herausforderung für die Medizin und das Gesundheitssystem in Äthiopien dar: Benötigt werden zahlreiche radiotherapeutische Einrichtungen, vor allem eine grosse Anzahl von dezentral installierten Linearbeschleunigern, damit eine ausreichende und flächendeckende onkologische Versorgung der Krebspatienten gewährleistet werden kann. Zudem braucht es ein nachhaltiges, kontinuierliches Aus- und Fortbildungsprogramm für die radioonkologisch tätigen medizinischen Onkologen zu Techniken und Therapiekonzepten im klinischen Alltag. Ziel muss es sein, die klaffende Lücke zwischen der derzeitigen zweidimensionalen, simulationsgeplanten Radiotherapie und einer modernen hochkonformalen Radiotherapie zu schliessen und eine solide, qualitativ hochstehende medizinisch-onkologi-
sche und radioonkologische Versorgung der äthiopischen Bevölkerung sicherzustellen.
Der Verein BEZA und das Luzerner Fortbildungsprogramm «Radiation Oncology» Der Verein BEZA setzt sich ein für eine Verbesserung von onkologischer Infrastruktur und eine Versorgungsoptimierung der äthiopischen Bevölkerung, darunter für die notwendige Ausbildung der Ärzte. In Luzern wurde das «Continuous Educational Program in Radiation Oncology» (CEPRO) entwickelt, welches die Möglichkeit einer nachhaltigen Kooperation mit dortigen onkologisch tätigen Ärzten bietet. Dabei besteht eine enge Zusammenarbeit der Klinik für Radioonkologie am Universitätsspital Bern mit dem Verein BEZA. Gewünscht wird die Kooperation mit weiteren Radioonkologiezentren der Schweiz und insbesondere die Unterstützung von Herstellern von Linearbeschleunigern. Durch die Integration eines Aus- und Weiterbildungsprogrammes in ein Verkaufspaket würde sichergestellt, dass nicht nur die Technologie, sondern auch der Wissenstransfer im Sinne der Patienten bereitgestellt wird.
Das erste Fellowship Herr Dr. med. Biniyam Tefera aus Äthiopien konnte als erster Teilnehmer eines BEZA-organisierten, insgesamt zwölfmonatigen (zweiteiligen) Ausbildungsaufenthalts im Universitätsspital Bern, Klinik für Radioonkologie, unter Chefarzt Prof. Daniel Aebersold, wie auch im Spital Thun, Onkologiezentrum, unter Chefarzt Dr. med. Daniel Rauch, seine Ausbildung als «Clinical Oncologist» ergänzen und abschliessen. In Zukunft ist beabsichtigt, weitere äthiopische Kollegen sowohl in der medizinischen Onkologie als auch in der Radioonkologie aus- und weiterzubilden. Langfristig wäre ein kontinuierliches Ausbildungsprogramm wünschenswert mit einem Austauschprogramm (Fellowship) in der Schweiz und einer regelmässigen Fortbildung der Ärzte in Äthiopien. (Abbildung).
Dr. med. Daniel Rauch Medizinische Onkologie Spital Thun und Verein BEZA 3600 Thun
Dr. med. Biniyam Tefera University of Gondar/Äthiopien
Dr. med. Timothy D. Collen (Erstautor; Korrespondenzadresse) E-Mail: timothy.collen@luks.ch Radioonkologie Luzerner Kantonsspital 6000 Luzern 16
Der Verein BEZA und die Onkologie in Äthiopien
Während einer Reise nach Äthiopien 2013 besuchte ich erstmals die Stadt Gondar in Äthiopien. Die Stadt, 746 km nordwestlich der Hauptstadt Addis Abeba auf 2150 Meter Höhe gelegen, zählt heute rund 550 000 Einwohner. Die dortige Universität bildet derzeit rund 42 000 Studierende aus. Das Zentrums- und Ausbildungsspital der Universität übernimmt die medizinische Versorgung von rund 8 Millionen Einwohnern. Die medizinische und onkologische Grundversorgung ist als deutlich verbesserungsbedürftig zu beurteilen, mit einem grossen Bedarf an Wissenstransfer, Technologien, Materialien sowie Medikamenten. Onkologische Patienten befinden sich meist bei der ersten Vorstellung in fortgeschrittenen Tumorstadien; Krebs gilt nach neuesten Erhebungen als krankheitsbedingte Todesursache Nummer eins. Am häufigsten sind Frauen mit Zer-
vix- und Mammakarzinomen betroffen. Nach den ersten Einblicken und Kontakten mit äthiopischen Verantwortlichen der Universität haben wir (meine Frau, Freunde und ich) uns entschlossen, in der Schweiz den Verein BEZA zu gründen.
Die mittel- und langfristigen Ziele des Vereins BEZA sind: I die medizinische Grundversorgung
und die massiv unzureichende Krebsversorgung zu verbessern I die Aus- und Weiterbildung von Ärzten und medizinischem Fachpersonal vor Ort zu unterstützen I notwendige medizinische Technologien (Radiotherapie), Medikamente (Chemotherapeutika) und etablierte onkologische Abläufen (Tumorboard) einzuführen I Anreize und Chancen im Beruf des medizinischen Fachpersonals zu schaffen,
Krebszentrum Spital Gondar, Äthiopien. Transport von Patienten und weiteren Menschen.
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Unwegsamkeit in weiten Teilen Äthiopiens.
Dr. med. Biniyam Tefera Deressa, Äthiopien, über sein Training in Bern und Thun
«The infrastructures for cancer therapy in Ethiopia, especially the radio-oncology service is at its early stage of development. The first radiotherapy center which was established in 1997 remains the only one. The center is equipped with two Cobalt-60 machines, one of them is out of order. The 2D technique is applied for the treatment planning. The brachytherapy unit was commissioned in 2015 with the goal of optimizing the treatment cervical cancer. I experienced a lot of misdiagnosis and only few options of proper treatment for cancer patients in my professional carreer in Ethiopia. I decided to join oncology and started the residency program in Black Lion Hospital in Addis Abeba since a training program for clinical oncologists started there. According to the agreement between Association BEZA and University of Gondar and with the support of the Department of Clinical Oncology in Black Lion Hospital, I got my first training and experience in Switzerland in 2016 for 3 month and later for longer period about 9 months in 2018 as part of the curriculum of my residency. During my stay, I got knowledge and skills in modern radiotherapy treatment planning, such as 3D, IMRT, VMAT contouring and planning. Before I knew all these techniques only theoretically. I have been working under the supervision and mentorship of the senior radiation oncologists with excellent knowledge and a lot of experience. I was also able to attend the more advan- Daniel Rauch und Biniyam Tefera. ced treatment techniques, such as applications and planning of brachytherapy and intraoperative radiotherapy (IORT). Once per week I worked in the Hospital Thun STSAG, Oncology Center under the mentorship of Dr Daniel Rauch. I learned a lot about the modern management of all kinds of solid and hematological malignancies, the standard chemotherapy preparation, administration and handling.»
um der Abwanderung ins Ausland entgegenzuwirken I die Organisation von regelmässigen Trainings für Ärzte und medizinisches Fachpersonal aus Äthiopien in der Schweiz I Besuche im University of Gondar Hospital und Unterstützung vor Ort durch Fachpersonen aus der Schweiz. In den letzten Jahren bilden Fachpersonen aus der Schweiz (Onkologen, Gastroenterologen, Hausarzt) und Onkologie-Pflegefachpersonen am Universitätsspital Gondar unentgeltlich äthiopische Fachpersonen in mehrwöchigen Trainings weiter. Ebenso ermöglichen wir ihnen Trainings und Weiter-/Fortbildungen in der Schweiz. Die Unterstützungsbemühungen und die Zusammenarbeit des Vereins BEZA mit der Universität Gondar wurden offiziell in einem Memorandum of understanding festgehalten. Darin sind auch die gemeinsamen Ziele und Projekte sowie deren Finanzierung festgehalten. Gemeinsam mit dem Präsidenten der Universität (Dr. Desalegne) und dem Medizinischen Direktor (Dr. Sisay) sind die nächsten Projekte in Planung (Bau einer Radioonkologie und Inbetriebnahme eines neuen Linearbeschleunigers). Diese Kooperation findet im Rahmen der Nationalen Krebsstrategie und des Ausbaus des Cancer Center in Gondar statt. Dr. Biniyam Tefera wird ab Januar 2019 als erster ausgebildeter äthiopischer Arzt in Gondar die neue Unit of Oncology leiten und weiter aufbauen. Wir vom Verein BEZA werden ihn auf diesem Weg fachlich, strukturell, teilweise mit Personal und Material und in der Ausbildung von weiteren Fachkräften unterstützen.
Dr. med. Daniel Rauch Onkologie-Zentrum Thun-Berner Oberland E-Mail: daniel.rauch@spitalstsag.ch
Referenzen: 1. WHO, International Agency for Research on Cancer, Press release 263, 12. September 2018. 2. Globocan September 2018, fact sheet «Ethiopia». 3. The Global Cancer Observatory, Globocan 2018: Ethiopia. 4. www.statista.com: Die 20 Länder mit dem grössten Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Jahr 2018 (gegenüber dem Vorjahr). 5. Samiei, Massoud et al.: Challenges of making radiotherapy accessible in developing countries. Cancer Control 2013: 85. 6. Datta NR et al.: Radiation therapy infrastructure and human resources in low- and middle-income countries: Present status and projections for 2020. Int J Radiation Oncol Biol Phys. 2014; 89(3): 448–457.
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