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KONGRESSBERICHT
ASCO 2018 – Annual Meeting of the American Society of Clinical Oncology, Chicago, 1. bis 5. Juni 2018
Urogenitalkarzinome
Paradigmenwechsel beim fortgeschrittenen Nierenzellkarzinom
Eine zytoreduktive Nephrektomie gehört seit rund 20 Jahren zum Standard in der Behandlung des metastasierten Nierenzellkarzinoms (mRCC). Mit der französischen CARMENA-Studie konnte nun gezeigt werden, dass der Verzicht auf die Nephrektomie der wirksamen zielgerichteten Therapie wie mit Sunitinib (Sutent®) nicht unterlegen ist. Ein weiterer Schwerpunkt waren neue Daten zur Immuntherapie, die einen Shift des Therapiestandards in der Erstlinientherapie ankündigen.
Zytoreduktive Nephrektomie nicht unbedingt erforderlich
Die mit Spannung erwartete Studie galt als ein Highlight zum mRCC beim diesjährigen ASCO-Jahreskongress. Die Empfehlung zur Nephrektomie vor Beginn einer medikamentösen Behandlung des mRCC beruht vorwiegend auf Daten aus der Interferon-Ära der mRCCTherapie. Vor dem Hintergrund der grossen Erfolge mit zielgerichteten Therapien wie Sunitinib (Sutent®), Pazopanib (Votrient®) oder Bevacizumab (Avastin®) sowie der potenziellen Risiken und Komplikationen der Operation stellte sich seit längerem die Frage, ob eine Nephrektomie in der Ära der zielgerichteten Therapie tatsächlich noch zu einem Überlebensvorteil führt. Dies überprüfte die in Frankreich, Grossbritannien, Norwegen und Schweden durchgeführte CARMENAStudie, deren Ergebnisse Arnaud Mejean aus Paris als «Late Breaker» in der Plenary-Session präsentierte (1). In dieser Phase-III-Studie wurden 450 (von 576 geplanten) Patienten entweder I zu Nephrektomie und 3 bis 6 Wochen
danach Sunitinib (Nephrektomie-Arm, n = 226,) oder I zu Sunitinib allein (Sunitinib-Arm, n = 224) randomisiert. Das Ziel war eine Nichtunterlegenheit für den Sunitinib-Arm zu zeigen. Einschlusskriterien waren unter anderem ein ECOG-Status 0 oder 1, keine symptomatischen Hirnmetastasen, zudem mussten die Patienten sowohl für Sunitinib als auch für die Operation geeignet sein.
Klinischer Nutzen bei der Zwischen- und der Endanalyse im Sunitinib-Arm
In der geplanten Zwischenanalyse mit einem Follow-up von median 50,9 Monaten und 326 aufgetretenen Todesfällen konnte die Nichtunterlegenheit für den Sunitinib-Arm gezeigt werden, weil das Konfidenzintervall die vordefinierte obere HR-Grenze für Nichtunterlegenheit von 1,20 nicht überschritten hatte. Dies galt sowohl für die ITT-Population (medianes OS: 18,4 vs. 13,9 Monate; HR: 0,89; 95%-KI: 0,71–1,10) als auch für die Subgruppen mit intermediärer (23,4 vs. 19,0 Monate; HR: 0,92; 95%-KI: 0,6–1,24) und schlechter Prognose (13,3 vs. 10,2 Monate; HR: 0,86; 95%-KI: 0,62–1,17). Die Studie wurde aufgrund der eindeutigen Ergebnisse der Zwischenanalyse frühzeitig beendet. Die Zwischenanalyse wurde daraufhin als Endanalyse durchgeführt. In den sekundären Endpunkten progressionsfreies Überleben (medianes PFS: 8,3 vs. 7,2 Monate) und klinische Benefitrate für > 12 Wochen (47,9 vs. 36,6%) erwies sich der Sunitinib-Arm als überlegen. Bei der Interpretation der Daten ist jedoch zu beachten, dass der Anteil Patienten mit ungünstiger Prognose, die ohnehin weniger von der Operation profitieren, relativ hoch war (44,4% im Nephrektomie-Arm, 41,5% im SunitinibArm) und die nach Intention-to-treatPrinzip zugeteilte Therapie in beiden Armen nicht immer erfolgte. So erhielten 40 Patienten im Nephrektomie-Arm wegen einer raschen Progression kein Sunitinib, und bei relativ vielen Patienten im Sunitinib-Arm erfolgte eine sekundäre Nephrektomie (n = 38). Das Fazit des Studienleiters lautete, dass bei Notwendigkeit einer medikamentö-
sen Behandlung eine zytoreduktive Nephrektomie nicht mehr länger als Therapiestandard beim mRCC angesehen werden sollte. Wie sehr diese Ergebnisse nun tatsächlich praxisverändernd sind, wird sicherlich in den nächsten Monaten rege diskutiert werden. Eine besonders sorgfältige Patientenselektion für die Nephrektomie wird künftig aber noch wichtiger und entscheidend sein. Schliesslich stellt sich die weitergehende Frage, ob diese Ergebnisse auch auf andere Formen der systemischen Therapie übertragen werden können.
Lebensqualitätsdaten zur Kombination Atezolizumab/ Bevacizumab versus Sunitinib
Aktuell werden zahlreiche Kombinationen mit Immuntherapeutika in der Erstlinientherapie gegen Sunitinib getestet. So zeigte die im Februar auf dem ASCOGU präsentierte Phase-III-Studie IMmotion151 (2), dass PD-L1-positive Patienten unter der Kombination aus dem PD-L1-Inhibitor Atezolizumab (Tecentriq®) und Bevacizumab signifikant länger progressionsfrei überleben als unter Sunitinib (medianes PFS: 11,2 vs. 7,7 Monate (HR: 0,74; p = 0,02). Dieser Vorteil fand sich in allen Risikogruppen. Gleichzeitig mit der zunehmenden Behandlungsdauer rückt auch die Lebensqualität der Patienten unter Therapie immer mehr in den Vordergrund. So wurden auch in der IMmotion151-Studie Daten zur Lebensqualität systematisch erhoben, die Bernhard Escudier aus Paris, Frankreich, vorstellte (3). In dieser Studie erhielten I 454 Patienten Atezolizumab (1200 mg
i.v. alle 3 Wochen plus Bevacizumab 15 mg/kg i. v. alle 3 Wochen) und I 461 Patienten die Standardtherapie Sunitinib mit 50 mg/Tag im 4/2-Schema (4 Wochen on, 2 Wochen off). Die gesundheitsbezogene Lebensqualität aus Sicht der Patienten wurde mit dem MDASI (MD Anderson Symptom Inventory) und dem FKSI-19 (Functional Assessment of Cancer Therapy-Kidney Symptom Index 19) erhoben. Mit dem
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Tabelle:
Aktualisierte Empfehlungen der European Association of Urology (EAU) zur Behandlung des mRCC (adaptiert nach [7])
Erstlinientherapie
Zweitlinientherapie
Drittlinienthreapie
IMDC günstiges Risiko
Sunitinib oder Nivolumab
Cabozantinib oder Nivolumab
Cabozantinib oder Nivolumab
IMDC intermediäres und
hohes Risiko
Ipilimumab/ Nivolumab
Carbozantinib, Sunitib oder Pazopanib*
Cabozantinib oder VEGF-Hemmer
VEGF-Hemmer oder Nivolumab
Starke Umrandung = starke Empfehlung IMDC = The International Metastatic Renal Cell Carcinoma Database Consortium; VEGF = vascular endothelial growth factor; *Panzopanib nur bei intermediärem Risiko
Cabozantinib oder andere zielgerichtete Therapie
Andere zielgerichtete Therapie oder Nivolumab
MDASI wird die Belastung im Alltag durch die Symptome erfasst, mit dem FKSI-19 die Nebenwirkungen der Behandlung sowie der Einfluss der Erkrankung und der Therapie auf die Lebensqualität. Zu Beginn der Erhebung füllten über 80% der Patienten die Fragebögen aus, und die Rücklaufquote war mit 70% bis zur Woche 57 sehr hoch. Patienten im Atezolizumab/Bevacizumab-Arm berichteten über mildere und stabilere Symptome (Effektgrösse: 0,1–0,5; median 0,3) und eine geringere Beeinträchtigung des Alltags durch die Behandlung (Effektgrösse: 0,1–0,5; median 0,3) und damit über eine bessere gesundheitsbezogene Lebensqualität (Effektgrösse: 0,1–0,6; median 0,4). Auch die Zeit bis zum Eintritt der subjektiven Verschlechterung war unter der Kombination länger als unter Sunitinib (11,3 vs. 4,3 Monate; HR: 0,56). Damit wird der PFS-Vorteil der Kombination zusätzlich durch eine bessere gesundheitsbezogene Lebensqualität unter Therapie gestützt. Die Studie ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie zukünftig in diesen Studien die Lebensqualität gemessen werden wird.
Pembrolizumab-Monotherapie in der Erstlinie Erfolg versprechend
Seit mehreren Jahren dominieren die Tyrosinkinasehemmer (TKI) Sunitinib und Pazopanib die Erstlinientherapie des mRCC. Mit den positiven Daten zur Im-
munkombination Ipilimumab plus Nivolumab aus dem letzten Jahr (CHECKMATE-214-Studie) sowie Atezolizumab plus Bevacizumab aus diesem Jahr (IMmotion151-Studie) könnte es schon bald eine attraktive Alternative zur TKI-Therapie geben. Interessant waren deshalb die Ergebnisse einer Phase-II-Studie mit Pembrolizumab zur Erstlinien-Monotherapie (4), da diese in der Praxis eine Relevanz bekommen werden. Diese unverblindete einarmige Studie umfasst zwei Kohorten mit fortgeschrittenem RCC – 110 Patienten mit klarzelligen Tumoren und 164 Patienten mit nicht klarzelligen Tumoren. David McDermott aus Boston, USA, stellte die Ergebnisse der erstgenannten Kohorte vor. Obwohl der Follow-up von median 12,1 Monaten noch relativ kurz ist, bestand ein objektives Ansprechen bei 38,2% der Patienten, davon 3 komplette und 39 partielle Remissionen. Im Vergleich dazu lag die Ansprechrate für die Kombination Ipilimumab (Yervoy®) plus Nivolumab (Opdivo®) im ähnlichen Setting mit 42% im ähnlichen Bereich (5). In der Gruppe mit intermediärem und hohem Risiko (62,8 % der Patienten) lag die Ansprechrate mit 42% noch höher und bei PD-L1-positiven Patienten (≥ 1 %) sogar bei 50%. Die Krankheitskontrollrate betrug 59,1%. Die mediane Ansprechdauer war noch nicht erreicht. Damit dürfte die Monotherapie zu einem ähnlich guten Ansprechen führen wie die
Kombinationstherapie, aber mit dem Vorteil von weniger Nebenwirkungen und geringeren Behandlungskosten. Das mediane PFS lag bei 8,7 Monaten. 49 Patienten standen zum Zeitpunkt der Analyse noch unter Pembrolizumab-Therapie. Insgesamt zeigt Pembrolizumab als Erstlinien-Monotherapie bei klarzelligem RCC eine vielversprechende Aktivität. Denkbar wäre für die Zukunft, dass analog wie beim Melanom in der Erstlinie ein PD-L1-Inhibitor eingesetzt, und bei Progress ein CTLA-4-Inhibitor wie Ipilimumab in der Zweitlinie hinzugefügt wird. Diese Strategie wird beim RCC bereits in der rekrutierenden OMNIVOREStudie (NCT03203473) untersucht.
TKI-Therapie nach kompletter Metastasenresektion bringt nichts
Beim metastasierten RCC ist eine radikale Tumor- und Metastasenresektion (R0-Status) Standard und kann durchaus zu Langzeitremissionen führen. Den Nutzen einer «adjuvanten» TKI-Therapie nach einer solchen Operation untersuchte die RESORT-Studie aus Italien, eine Phase-IIStudie, in der Nexavar® als TKI eingesetzt wurde (6). Inkludiert wurden 79 Patienten mit klarzelligem RCC, bei denen eine Nephrektomie und eine komplette Metastasenresektion (< 4 Metastasen) erfolgt war. 32 Patienten erhielten Sorafenib 400 mg 2× täglich, und 36 Patienten wurden lediglich nachkontrolliert.
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Im Ergebnis zeigte sich im rezidivfreien
Überleben (primärer Endpunkt) kein
Vorteil für die TKI-Gabe (median 29 vs.
35 Monate im Kontrollarm). Nach 12 und
24 Monaten waren noch 62 (vs. 74 %) be-
ziehungsweise 52 (vs. 59%) der Patienten
ohne Rezidiv. Somit kann nach komplet-
ter Metastasenresektion derzeit keine
zusätzliche medikamentöse Therapie
empfohlen werden.
I
Referenzen: 1. Mejean Ai L et al.: CARMENA: Cytoreductive nephrectomy followed by sunitinib versus sunitinib alone in metastatic renal cell carcinoma – Results of a phase III noninferiority trial. ASCO 2018, Abstr. LBA3. 2. Motzer RJ et al.: IMmotion151: A Randomized Phase III Study of Atezolizumab Plus Bevacizumab vs Sunitinib in Untreated Metastatic Renal Cell Carcinoma (mRCC). ASCO GU 2018, Abstr. 578. 3. Escudier B et al.: Patient-reported outcomes (PROs) in IMmotion151: Atezolizumab (atezo) + bevacizumab (bev) vs sunitinib (sun) in treatment (tx) naive metastatic renal cell carcinoma (mRCC). ASCO 2018, Abstr. 4511.
4. McDermott DF et al.: Pembrolizumab monotherapy as firstline therapy in advanced clear cell renal cell carcinoma (accRCC): Results from cohort A of KEYNOTE-427. ASCO 2018, Abstr. 4500. 5. Escudier B et al.: Nivolumab Plus Ipilimumab versus Sunitinib in First-Line Treatment for Advanced or Metastatic RCC. ESMO 2017, Abstr. LBA5. 6. Procopio G et al.: A randomized, open label, multicenter phase 2 study, to evaluate the efficacy of sorafenib (So) in patients (pts) with metastatic renal cell carcinoma (mRCC) after a radical resection of the metastases: RESORT trial. ASCO 2018, Abstr. 4502. 7. URL: http://uroweb.org/guideline/renal-cell-carcinoma/
Gerhard Emrich
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