Transkript
Im Fokus: Neue Wege in der Krebsdiagnostik und personalisierten Medizin
Liquid Biopsy in der personalisierten Medizin
Möglichkeiten und Grenzen der blutbasierten molekularen Tumordiagnostik
Die Analyse von genomischen Sequenzvarianten in zirkulierender Tumor-DNA im Blut (Liquid Biopsy) hält in rasantem Tempo Einzug in die molekulare Tumordiagnostik – trotz gewisser Unsicherheiten bezüglich ihrer Interpretation und ihres Stellenwertes. Dieser Artikel gibt einen Überblick über die aktuellen Möglichkeiten, Limitationen und Herausforderungen der blutbasierten molekularen Diagnostik und konzentriert sich auf die Analyse von Sequenzvarianten in zirkulierender Tumor-DNA von soliden Tumoren aus dem peripheren Blut.
KIRSTEN D. MERTZ
SZO 2018; 4: 12–16.
Kirsten D. Mertz
Bei Krebspatienten wird in der Regel eine Gewebeprobe aus dem Tumor (Biopsie) entnommen, um eine histopathologische Diagnose des Tumortyps inklusive Tumorgradierung sowie Tumorstadium zu stellen, und um Material für eine umfassende molekularpathologische Untersuchung des Tumorerbguts zu gewinnen. Damit wird eine optimale, wenn möglich zielgerichtete Therapie im Rahmen der personalisierten Medizin angestrebt.
Was ist Liquid Biopsy?
Seit einigen Jahren kommt zunehmend eine neue Analysemethode mit grossem Potenzial für zukünftige Anwendungen in den Fokus der personalisierten Krebsmedizin – die sogenannte Liquid Biopsy («Flüssigbiopsie»). Aus Sicht der Pathologie ist der Begriff Liquid Biopsy allerdings unzutreffend, da es sich hier um ein rein molekularanalytisches Verfahren handelt und nicht um eine Biopsie im eigentlichen Sinne. Mit diesem Bluttest erhält man idealerweise dieselben
ABSTRACT
Liquid biopsy in personalized management of cancer patients
Liquid biopsy is a non-invasive method to characterize a patient tumor genome from peripheral blood by analysis of circulating tumor DNA (ctDNA). Liquid biopsies have tremendous potential for molecular profiling, prognostication and tumor monitoring. This could lead to significant improvements in the personalized management of cancer patients. The field is now in an exciting transformation period in which ctDNA analysis is starting to be applied clinically, although there is still much to learn about its biology. This review briefly summarizes current technologies and emerging novel concepts that may further advance the field of liquid biopsy.
Keywords: Liquid biopsy, cell free DNA, circulating tumor DNA, precision medicine, predictive molecular testing, personalized therapy.
diagnostischen und prädiktiven Informationen wie mit einer klassischen Gewebebiopsie (1): Tumorzellen geben ihre Erbinformationen in das Blut ab, und diese können auf genomische Veränderungen hin untersucht werden. Diese vom Tumor abgegebenen Nukleinsäuren kommen im Blut nur in kleinsten Mengen vor, weshalb ihr Nachweis erst durch die Entwicklung von hochsensitiven Verfahren wie dem NextGeneration-Sequencing (NGS) möglich wurde. Der Begriff Liquid Biopsy bezeichnet heutzutage in erster Linie die Untersuchung von zellfreien Nukleinsäuren – meist von zirkulierender freier DNA («circulating free DNA», cfDNA) aus dem peripheren Blut (2). Zirkulierende freie DNA, die aus Tumorzellen stammt, wird auch als zirkulierende freie Tumor-DNA («circulating free tumor DNA», ctDNA) bezeichnet. Wie viel ctDNA von einem Tumor in das Blut abgegeben wird, hängt vom Tumortyp, der Lokalisation, der Vaskularisierung, der Grösse und der Ausbreitung des Tumors ab (3, 4). Dabei sind die Fragmente der DNA mit durchschnittlich nur 160 Basenpaaren sehr kurz, weshalb man davon ausgeht, dass sie hauptsächlich aus apoptotischen Zellen stammt (5). In ctDNA können somatische tumorspezifische genetische Alterationen wie Punktmutationen, Deletionen und Amplifikationen detektiert werden (6). Die Liquid Biopsy ermöglicht zudem die Detektion zellfreier mitochondrialer TumorRNA (cfmiRNA) und die Detektion von Exosomen (7). Dabei handelt es sich um Vesikel, die unterschiedliche Tumorzellkomponenten wie Nukleinsäuren oder Proteine enthalten können und denen ein immenses Potenzial als neue Biomarker eingeräumt wird (8). Für die molekulare Tumordiagnostik aus dem Blut kommen grundsätzlich auch zirkulierende Tumorzel-
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Tabelle:
Vergleich von Liquid Biopsy und Gewebebiopsie, die sich in der molekularpathologischen Diagnostik ergänzen
Parameter Technik
Biologie Präanalytik Klinische Relevanz
Liquid Biopsy ● Einfache Entnahme ● Geringes Risiko ● Serielle Testung möglich ● Kein morphologisches Korrelat ● Repräsentativität für gesamten Tumor ● Einfache Standardisierbarkeit ● Fehlende Validierung, spezielle Prozessierung ● Repräsentativität bei multiplen Tumorherden ● Keine Aussagekraft, wenn Mutation
nicht nachgewiesen wird
Gewebebiopsie ● Invasives Verfahren ● Höheres Risiko, abhängig vom Entnahmeort ● Serielle Testung schwierig ● Morphologisches Korrelat ● Repräsentativität für einzelne kleine Tumorregion ● Schwierige Standardisierbarkeit ● Validierte Gewebeaufarbeitung und Prozessierung ● Fehlende Repräsentativität bei Tumorheterogenität ● Aussagekraft auch bei fehlendem
Mutationsnachweis
len («circulating tumor cells», CTC) in Betracht (6). Diese kommen aber selbst bei metastasierten Tumorerkrankungen in der Regel nur in sehr geringer Zahl im Blut vor und lassen sich nur schwer anreichern, weshalb sie momentan keinen Stellenwert in der blutbasierten molekularen Diagnostik haben (9). Die aus dem peripheren Blut gewonnene ctDNA wird für die tumorgenetische Diagnostik (Mutationsanalyse) genutzt (6). Hierfür stehen zahlreiche Analysemethoden zur Verfügung, die sich grob unterteilen lassen in solche, mit denen man gezielt eine einzelne oder eine kleine Anzahl von genomischen Varianten untersuchen kann, und solche, welche ein breiteres Spektrum abdecken (10). Zielgerichtete Assays sind sinnvoll für die Detektion von spezifischen bekannten Sequenzvarianten in einem einzelnen Gen oder in einer kleinen definierten Anzahl von Genen. Diese zielgerichteten Assays werden beispielsweise für die Detektion von Mutationen benutzt, die mit dem Ansprechen auf ein Medikament assoziiert sind (z.B. EGFR-Sequenzvarianten bei Patienten mit nicht kleinzelligen Lungenkarzinomen) (11). Im Gegensatz dazu benutzen Assays mit breitem Spektrum NGS-basierte Ansätze, um eine grosse Anzahl von Sequenzvarianten in multiplen Genen (> 50 Gene) zu detektieren. Solche Analysen mit breitem Spektrum werden für verschiedene Tumortypen eingesetzt (12).
Anwendungsmöglichkeiten und Potenzial von Liquid Biopsies
Das Verfahren der Liquid Biopsy wird in der Onkologie und der damit verbundenen molekularen Tumordiagnostik zu unterschiedlichen Zwecken eingesetzt. Liquid-Biopsy-Analysen aus dem Blut von Krebspatienten liefern potenziell nützliche Informationen über diagnostische, prädiktive und möglicherweise prognostische Biomarker. Die wichtigsten Einsatzgebiete sind die Identifizierung von therapeutischen Zielstrukturen und von Resistenzmechanismen. Die Überwachung von Krankheitsverläufen (Tumormoni-
toring) ist zwar noch in einem frühen Stadium, entwickelt sich jedoch gerade zu einem vielversprechenden Verfahren in der Nachsorge von Krebspatienten – beispielsweise zur Erfassung des Remissionsstatus und um bei Patienten Rezidive oder Krankheitsprogression frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Noch nicht vollständig validierte Anwendungsmöglichkeiten der Liquid Biopsy umfassen eine Risikoabschätzung für Tumorerkrankung, das Screening von gesunden Individuen zur Früherkennung von Krebs, Differenzialdiagnosen bei bekanntem Malignom, die Bestimmung der Prognose und die Analyse des gesamten Spektrums der Tumorheterogenität (6, 13). Generell sollten ctDNA-Analysen idealerweise im Falle einer klinisch evidenten Krankheitsprogression durchgeführt werden und nicht, solange der Patient noch auf eine zielgerichtete Therapie anspricht. Wenn nämlich ein Tumor auf eine Therapie anspricht, dann sinken in der Regel auch die ctDNA-Konzentrationen im Blut des Patienten, und der Nachweis von ctDNA ist daher deutlich schwieriger.
Prädiktive blutbasierte Mutationsdiagnostik zur Evaluation einer zielgerichteten Therapie («companion diagnostics») Vor dem Einsatz zielgerichteter Therapien ist eine molekulare Mutationsdiagnostik («companion diagnostics») unbedingt zu empfehlen. Eine Analyse mittels Liquid Biopsy bietet sich zu diesem Zweck an, wenn die konventionelle Biopsie oder das zytologische Material aufgrund des geringen Tumorzellgehaltes für eine tumorgenetische Diagnostik nicht ausreicht. Ausserdem kann dieses Verfahren bei schwer zugänglichen Tumorherden oder bei Patienten mit Komorbiditäten, welche eine invasive Probenentnahme verunmöglichen, angewandt werden. Im Krankheitsverlauf und in der Tumorprogression liegen häufig mehrere Tumorherde und Metastasen vor, die genetisch heterogen sein können. Hier hat die Liquid Biopsy den Vorteil, freigesetzte ctDNA aus allen Tumormanifestationen zu erfassen und damit auch
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bei genetischer Heterogenität ein repräsentatives molekulargenetisches Profil des Tumors zu liefern (Tabelle) (14). Die Abschätzung des klinischen Nutzens von ctDNAAnalysen im Vergleich zu konventionellen Biopsien von Tumorgewebe für die umfassende Genotypisierung eines Tumors ist noch nicht abschliessend möglich, da prospektive Daten aus klinischen Studien fehlen. Im Moment ist daher die Routineanwendung von Liquid Biopsies beschränkt auf die Detektion von «epidermal growth factor receptor»-(EGFR-)Mutationen bei Patienten mit nicht kleinzelligen Lungenkarzinomen und von «Kirsten-rat sarcoma»-(KRAS-)Mutationen bei Patienten mit kolorektalen Karzinomen (13, 14). Liquid Biopsies haben einen hohen positiven, aber geringen negativen prädiktiven Wert. So kann der Nachweis einer EGFR-Mutation aus dem Blut als prädiktiver Marker genutzt werden, um das Ansprechen auf eine zielgerichtete Therapie mit Tyrosinkinase-Inhibitoren vorherzusagen, doch bei fehlendem Nachweis einer EGFR-Mutation aus dem Blut sollte unbedingt zusätzlich eine Gewebeprobe untersucht werden. Fälle, in denen eine EGFR-Mutation nicht in der Liquid Biopsy, aber in einer Tumorbiopsie detektiert wird, sind relativ häufig, und deshalb sollte bei fehlendem Mutationsnachweis aus dem Blut unbedingt eine Bestätigung an Tumorgewebe angestrebt werden (3, 15).
Liquid Biopsy in der molekularen Diagnostik in der Resistenzsituation Ein interessantes und vielversprechendes Anwendungsfeld für die Liquid Biopsy liegt in der Detektion neu auftretender Resistenzmutationen bei Tumorprogression nach einer Therapie, um die weitere Behandlung anzupassen. Die Liquid Biopsy spielt eine bedeutende Rolle bei der Suche nach einer p.T790MResistenzmutation im EGFR-Gen unter zielgerichteter Therapie von nicht kleinzelligen Lungenkarzinomen (11, 16). Die molekulare Zusatzuntersuchung zum Nachweis dieser p.T790M-EGFR-Resistenzmutation kann schnell und zuverlässig an ctDNA aus dem Blutplasma durchgeführt werden (15). Allerdings liegt die Sensitivität dieser Methode nur bei etwa 60 bis 70%, sodass auch in dieser Situation bei fehlendem Nachweis einer EGFR-Resistenzmutation eine Rebiopsie respektive Gewinnung von zytologischem Material aus einem progressiven Tumorherd angestrebt werden muss.
Molekulares Tumormonitoring Die Liquid Biopsy könnte nicht nur die molekulare Diagnostik von prädiktiven Biomarkern, sondern auch die Überwachung des Krankheitsverlaufes verändern. Für das Monitoring und die Therapiewahl relevant ist die Untersuchung von Genen, die bereits
mithilfe der klassischen Analyse von Tumorgewebe als bedeutsam identifiziert wurden – beispielsweise Treibermutationen in den Genen EGFR, KRAS oder BRAF. Sind durch vorangegangene molekularpathologische Untersuchungen des Primärtumors tumorspezifische Mutationen bekannt, kann die Liquid Biopsy in der Rezidivdiagnostik eingesetzt werden, beispielsweise bei unklaren Befunden in der Bildgebung. Das Tumormonitoring mittels Liquid Biopsy ist besonders interessant, weil es Rezidive einerseits sehr früh erkennen kann, andererseits kann dadurch auch ein gegebenenfalls verändertes molekulargenetisches Profil des Rezidivtumors entschlüsselt werden (14). Werden Resistenzmutationen unter Therapie nachgewiesen, kann durch einen Wechsel der zielgerichteten Therapie die Prognose des Patienten verbessert werden. Beispiele für den Einsatz der Liquid Biopsy beim Monitoring sind die Therapiekontrolle bei Brustkrebspatientinnen und bei Lungenkrebspatienten (3). Für diese Tumorentitäten konnte gezeigt werden, dass der Anstieg einer bekannten Treibermutation im Blut mit einem Rückfall einhergeht. Der Einsatz von Liquid Biopsies ermöglicht also eine Therapieüberwachung in Echtzeit (17). Die klinische Relevanz der Liquid Biopsy in diesem Kontext ist allerdings noch zu wenig gesichert, um einen breiten Einsatz in der Routinediagnostik zu rechtfertigen (12).
Liquid Biopsy als prognostischer Parameter Tumoren, die bereits in niedrigem Tumorstadium (UICC I, II) ctDNA in das periphere Blut abgeben, haben eine schlechtere Prognose als solche, bei denen keine ctDNA im Blut detektierbar ist (3). Daher könnte die Liquid Biopsy in Zukunft bei der Unterscheidung von ctDNA-positiven und ctDNA-negativen Tumoren zunehmend auch eine prognostische Rolle spielen. Ein solches molekulares Staging könnte die Entscheidung für oder gegen eine adjuvante Therapie beeinflussen. Inwieweit dieses Konzept für eine Anwendung in der onkologischen Routine tauglich ist, bleibt abzuwarten; erforderlich sind weitere klinische Studien (12).
Vorteile der Liquid Biopsy
Der wichtigste Vorteil der Liquid Biopsy liegt auf der Hand: Anstelle einer invasiven Probenentnahme genügt eine Blutprobe zur Mutationsanalyse eines Tumors (Tabelle). Im Vergleich zu einer klassischen Gewebsbiopsie sind Liquid Biopsies deutlich einfacher zu gewinnen und daher mit einem geringeren Risiko und einer geringeren Belastung für den Patienten verbunden, vor allem, wenn im Rahmen einer Verlaufskontrolle Gewebeproben in regelässigen Abständen untersucht werden müssen. Das Verfahren kommt damit insbesondere auch für Krebsarten infrage, bei denen eine Nadelbiopsie riskant ist, beispielsweise bei Lungentumoren.
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Aufgrund der einfachen Probenentnahme können Liquid Biopsies problemlos seriell durchgeführt werden und erlauben damit eine Verlaufsdokumentation. In der Theorie liefern solche Liquid Biopsies eine komplette Information bezüglich der Tumorlast des Patienten, da mit dieser Methode die gesamte Tumor-DNA untersucht werden kann, welche sich in der Zirkulation des Patienten befindet. Dies ist ein weiterer Vorteil gegenüber der Gewebebiopsie, bei der nur eine einzige Läsion an einer bestimmten anatomischen Lokalisation untersucht wird, die aufgrund der Tumorheterogenität nicht unbedingt repräsentativ ist. Liquid Biopsies und Gewebebiopsien sind im technischen Aufwand vergleichbar, sodass dadurch keine grösseren Kostensteigerungen entstehen dürften.
Herausforderungen und Limitationen der Liquid Biopsy
Die Liquid Biopsy wird in der Routinediagnostik im Moment nur für ausgewählte Fragestellungen eingesetzt, denn noch gibt es bei dem Verfahren einige Unsicherheiten, die einem breiten Einsatz entgegenstehen. Zellfreie zirkulierende Tumor-DNA ist nur in etwa 75% der Patienten mit metastasierten Tumorleiden nachweisbar, mit signifikanten Unterschieden zwischen verschiedenen Tumorentitäten und Tumorstadien. Die Konzentration von ctDNA ist bei Nierenzell-, Prostata- und Schilddrüsenkarzinomen sowie bei Gehirntumoren (aufgrund der Blut-Hirn-Schranke) besonders gering – selbst bei Metastasierung, sodass der Nachweis nicht immer gelingt. Auch bei Patienten mit lokalisiertem Tumorbefall (Stadium I) ist die Detektionsrate von ctDNA deutlich niedriger (3). Ein weiteres Problem bei der Analyse von ctDNA in der molekularpathologischen Routine ist, dass es noch keinen Marker gibt, der ctDNA aus den Tumorzellen von cfDNA aus normalen Zellen zuverlässig unterscheiden kann. Nur der Nachweis einer aus dem Primärtumor bekannten Mutation bietet die Sicherheit, dass die Untersuchung funktioniert hat und das Testergebnis aussagekräftig ist (18). Wird jedoch keine bekannte Mutation in der Liquid Biopsy gefunden, ist im Blut entweder gar keine ctDNA vorhanden, oder die Sensitivität des Analyseverfahrens ist für die Detektion der vorhandenen ctDNA zu gering (19). Problematisch ist in diesem Zusammenhang auch die potenzielle Freisetzung von mutierter DNA aus gutartigen, entzündlich überlagerten Läsionen (z.B. melanozytärer Nävus der Haut, Darmpolyp) (12). Die dritte Limitation ist, dass der Nachweis von ctDNA im Blut keine Rückschlüsse darauf erlaubt, wo sich der Tumor befindet und welches Organ betroffen ist. Dies muss dann ergänzend mittels Bildgebung untersucht werden.
Offene Fragen in der Forschung Der Nachweis von Translokationen (Genfusionen) erfolgt am besten auf mRNA-Ebene aus dem Blut. Zirkulierende freie Tumor-mRNA besteht im Blut allerdings aus sehr kurzen Fragmenten (durchschnittlich 40 Basenpaare), die für den Nachweis von Mutationen ungeeignet sind. Daher wird die Analyse der Tumor-mRNA momentan aus Exosomen vorgenommen (20), doch diese Methode ist noch nicht reif für den Einsatz in der klinischen Routine. All dies zeigt, dass das Verfahren der Liquid Biopsy zwar viele Einsatzmöglichkeiten bietet, aber im Moment noch nicht ausgereift ist und sich weiterhin in der Phase der Erprobung befindet. Aufgrund der methodischen Limitationen werden Liquid Biopsies vermutlich nie die Qualität und die Aussagekraft von Untersuchungen an Tumorgewebe erreichen, sondern diese ergänzen und ihren eigenen Stellenwert in der personalisierten molekularen Diagnostik und Überwachung von Tumorerkrankungen haben. Kritisch zu betrachten ist auch die im Moment noch mangelnde Standardisierung der ctDNA-Isolationsund -Analysetechnologien sowie das Qualitätsmanagement der Probenbearbeitung (Tabelle).
Zusammenfassung und Ausblick
Krebs ist eine komplexe, heterogene und dynamische Erkrankung, die durch genetische und Umweltfaktoren beeinflusst wird. Die Entwicklung einfacher, zuverlässiger und robuster nicht invasiver Methoden zum molekulargenetischen Nachweis von Tumorprofilen oder therapeutischen Zielstrukturen in Form von sogenannten Liquid Biopsies ist ein entscheidender Schritt, um den Anforderungen der personalisierten Medizin gerecht zu werden. Die momentane Datenlage weist auf das grosse Potenzial der Liquid Biopsy in der molekularen Tumordiagnostik hin, etwa für die Einteilung von Krebspatienten in Behandlungsgruppen («companion diagnostics»). Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, die Liquid Biopsy als Surrogatmethode bei der Überwachung von Krankheitsverläufen und des Therapieansprechens in Echtzeit (Tumormonitoring) einzusetzen. Die einfache und häufige Entnahme von Liquid Biopsies bietet gegenüber klassischen Gewebebiopsien viele Vorteile. Insbesondere können dadurch Tumorrezidive und Krankheitsprogression frühzeitig erkannt und die Therapie rasch angepasst werden. Eine weitere, in der Routine noch ungenutzte Einsatzmöglichkeit der Liquid Biopsy liegt in der Früherkennung und prädiagnostischen Abschätzung des Risikos von Krebserkrankungen («Screening»). Liquid Biopsy und klassische Gewebebiopsie ergänzen sich in der molekularen Analyse von Tumoren. In Zukunft könnte das Verfahren der Liquid Biopsy die klassischen Gewebebiopsien möglicherweise sogar teilweise ersetzen. Im Moment ist dieses Verfahren
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für den breiten Einsatz in der Routinediagnostik aber
noch nicht weit genug entwickelt. Insbesondere die
klinische Translation der Befunde stellt grosse Her-
ausforderungen für den klinischen Routineeinsatz
dar. Es ist allerdings zu erwarten, dass das zuneh-
mende Verständnis der biologischen Grundlagen
von ctDNA und anderen vielversprechenden Biomar-
kern im peripheren Blut und neue Analysemethoden
die Liquid Biopsy im klinischen Alltag fest etablieren
werden, wodurch sich das Management von Krebs-
patienten entscheidend verbessern wird.
I
PD Dr. med. Kirsten D. Mertz Institut für Pathologie Liestal Kantonsspital Baselland 4410 Liestal E-Mail: kirsten.mertz@ksbl.ch
Interessenkonflikte: keine.
Merkpunkte
I Liquid Biopsy bezeichnet die molekulargenetische Analyse von zirkulierender TumorDNA (ctDNA) aus dem peripheren Blut zur Diagnose, Bestimmung prädiktiver Marker (companion diagnostics) und möglicherweise zur Verlaufskontrolle von Tumorerkrankungen.
I Weitere Anwendungsmöglichkeiten umfassen die Früherkennung von Krebs (Screening) sowie die nicht invasive Verfolgung der Tumorlast mit eventuellem Monitoring von Mutationen.
I Liquid Biopsy und klassische Gewebebiopsie ergänzen sich bei der Untersuchung molekulargenetischer Veränderungen in Tumoren.
I Liquid Biopsies haben einen hohen positiven prädiktiven Wert: Bei Nachweis einer Mutation haben sie eine ähnlich hohe Aussagekraft wie eine Gewebebiopsie.
I Liquid Biopsies haben einen geringen negativen prädiktiven Wert: Bei fehlendem Nachweis einer Mutation (Wildtyp) sind sie nicht interpretierbar.
I Problematisch sind die noch unverstandenen biologischen Grundlagen von ctDNA, zum Beispiel deren Stabilität oder die enorme Variabilität der ctDNA-Konzentrationen bei unterschiedlichen Tumorentitäten und Tumorstadien.
I Aus diesen Gründen sind die derzeit angewandten Liquid-Biopsy-Technologien noch kaum standardisiert und daher bis jetzt noch nicht geeignet für einen flächendeckenden Einsatz in der Routinediagnostik.
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