Transkript
Kongressbericht
Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie, Stuttgart, Herbst 2017
Innovative Therapieansätze in der Onkologie
Was kommt nach der Checkpoint-Blockade?
Die Checkpoint-Blockade hat es mittlerweile in den klinischen Alltag der Onkologie geschafft. Die bisherigen Erfahrungen zeigen: Diejenigen Patienten, die ansprechen, tun dies häufig deutlich und langfristig. Allerdings spricht nur ein Teil tatsächlich an. Was bleibt für jene, die nicht ansprechen? Aktuelle Therapieansätze und -kombinationen, darunter innovative zelluläre Therapien mit CAR-T-Zellen, standen an der Jahrestagung im Zentrum der Diskussionen.
Die Immuntherapie sei bei der diesjährigen Jahrestagung der «Haupttopic», betonte der diesjährige Kongresspräsident Prof. Lothar Kanz aus Tübingen auf der Kongresspressekonferenz: «Die Ergebnisse sind zum Teil sensationell.» Allerdings bestehe nach wie vor das Problem, dass nicht jeder Patient auf die Immuntherapie anspricht und dass eher nur ein kleiner Anteil der Patienten tatsächlich profitiere. Es gebe zunehmend Hinweise, dass das Ansprechen etwas mit der Mutationslast zu tun habe. Je mehr Mutationen bei einem Tumor vorlägen, umso eher lasse sich das durch Mutationen ausgeschaltete Immunsystem – vor allen Dingen durch die Checkpoint-Inhibitoren – wieder stimulieren. Mutationen würden besonders häufig durch Karzinogene ausgelöst, wie zum Beispiel durch Rauchen beim Bronchial- oder Blasenkarzinom, UV-Strahlung beim Melanom und so weiter. Auch bei erblich bedingten Krebserkrankungen, durch welche die DNA-Reparaturmechanismen beeinträchtigt werden, sind Mutationen häufig.
Warum spricht nicht jeder auf Checkpoint-Hemmer an?
Es gebe immer noch ungelöste Probleme, betonte Kanz. So sei weiterhin unklar, warum eigentlich nur ein Teil der Patienten anspricht. Es sei auch nicht bekannt, welches die Gründe sind beziehungsweise welche Resistenzmechanismen dahinter stecken, wenn Patienten zunächst ansprechen und nach einer gewissen Zeit nicht mehr. «Hier brauchen wir einen enormen Einsatz an Forschung, um schnellstmöglich weiterzukommen. Deswegen sehen wir es durchaus kritisch,
wenn derzeit viele gleichartige Antikörper entwickelt werden.» Damit meinte Kanz die neuen Antikörper gegen PD-1 und PD-L1. Diese Tendenz mag aus Sicht der Hersteller verständlich erscheinen, aber es werde die Onkologie nicht wesentlich weiterbringen, so der Kongresspräsident. Es sollte vielmehr erforscht werden, warum die derzeit verfügbaren Immuntherapien jeweils nur bei einem Teil der Behandelten funktionierten, welche Resistenzmechanismen dahintersteckten und wie es zur Entwicklung dieser Resistenzen komme. «Darüber hinaus führen die vielen gleichzeitig laufenden und gleichartigen Studien dazu, dass für wirklich innovative Studien zu wenig Patienten übrig bleiben», gab Kanz zu bedenken. Wichtig wäre nach seiner Einschätzung die Suche nach anderen Checkpoints, die man therapeutisch ins Visier nehmen könnte. Denn es sei heute bekannt, dass es neben dem Checkpoint PD-1 und seinen Liganden PD-L1 und PD-L2 noch zahlreiche andere, ähnliche Interaktionen zwischen den Immun- und den Tumorzellen gibt. Es sei also durchaus denkbar, dass ein bekannter Checkpoint bei einem Malignom wie beispielsweise dem Morbus Hodgkin besonders gut «funktioniere», aber zum Beispiel beim Nierenzellkarzinom besser ein anderer Checkpoint angegangen werden sollte.
Neueste Ansätze und Entwicklungen Derzeit beginnt man, Immuntherapien zu kombinieren. Die Checkpoint-Antikörper werden also nicht mehr allein verabreicht, sondern entweder mit Chemotherapien oder mit zielgerichteten Therapeutika wie den Tyrosinkinase-Hemmern kombiniert. Eine weitere Option, die der-
zeit erforscht wird, ist die Kombination der Checkpoint-Blockade mit Impfstrategien. Es tut sich noch viel mehr, wie Kanz weiter berichtete. Auch die Therapien mit klassischen monoklonalen Antikörper werden immer weiter «verfeinert». So gibt es inzwischen auch Antikörper-Toxin-Konjugate, mit deren Hilfe toxische Substanzen direkt in Krebszellen geschleust werden. Ein Beispiel hierfür ist das Toxin-Antikörper-Konjugat Inotuzumab Ozogamicin (Besponsa®), das seit Juni 2017 in der EU und in der Schweiz zur Behandlung von Patienten mit rezidivierender oder refraktärer B-VorläuferALL zugelassen ist.
CAR-T-Zellen machen Tumorzellen für das Immunsystem sichtbar
Als «sensationell» bezeichnete Kanz den Ansatz mit den CAR-T-Zellen (CAR = Chimärer Antigen-Rezeptor), die derzeit bei einigen wenigen Erkrankungen «hervorrragende» Resultate liefern. Mit der CAR-T-Technologie sei es möglich geworden, auf T-Lymphozyten von Patienten chimäre Antigenrezeptoren zu exprimieren, die spezifische Zellstrukturen auf der Oberfläche von malignen Zellen erkennen können. Diese Erkennung erfolgt unter Umgehung des T-Zell-Rezeptors sowie unabhängig vom HLA-Typ, und sie führt nach Reaktion mit den Tumorzellen zu einer hochpotenten, typischen T-ZellAntwort. Das Verfahren zur Herstellung dieser CAR-T-Zellen ist allerdings sehr komplex: Zunächst werden dem Krebspatienten T-Lymphozyten aus dem Blut entnommen, und in vitro wird gentechnisch ein chimärer Antigenrezeptor in die Zellen eingeführt. Diese veränderten T-Lymphozyten sind die sogenannten CAR-TZellen, die dem Patienten anschliessend rückinfundiert werden. Die so veränderten chimären T-Zellen sind in der Lage, spezifische Antigene auf den Krebszellen zu erkennen, mit diesen zu interagieren und eine charakteristische T-Zell-Immunantwort auszulösen, durch welche die Krebszellen zerstört werden.
SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 5/2017
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Kongressbericht
Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie, Stuttgart, Herbst 2017
Ein Beispiel für die Anwendung dieser neuen Therapieform ist die akute lymphatische B-Zellen-Leukämie (ALL). Hierbei binden die CAR-T-Zellen (in diesem Fall mit der Spezifikation «CTL19») an das CD19-Antigen der Krebszellen. In einer offenen Phase-II-Studie wurde damit bei 40 von 63 pädiatrischen Patienten mit rezidivierter oder therapierefraktärer ALL eine komplette Remission erzielt. Derzeit wird noch daran gearbeitet, die zum Teil erhebliche Toxizität der CAR-TZell-Therapie zu reduzieren. Ausserdem versucht man, bei den CAR-T-Zellen Konstrukte mit neuen Zielstrukturen zu entwerfen, die dann auch bei anderen Tumoren eingesetzt werden können.
Fazit
«Die Zeiten sind wirklich aufregend», so das Fazit von Kanz. Neue Ansätze hätten sich in ersten klinischen Studien und bei ersten Indikationen als sehr effektiv erwiesen. Offen bleibt die Frage, warum immer noch relativ wenig Patienten von den Immuntherapien profitieren. Zudem gibt es weitere Herausforderungen, wie Kanz betonte: «Wir werden uns dringend mit Fragen der Finanzierbarkeit insbesondere von Kombinationstherapien auseinandersetzen müssen.» Darüber hinaus werde es auch wichtig sein, den zügigen Transfer von wissenschaftlichen
Ist der Zugang zu neuen Krebstherapien gewährleistet?
Zeit ist gerade in der onkologischen Therapie ein wichtiger Faktor. Für viele Patienten kann ein rascher Zugang zu einer wirksamen Therapie über Leben oder Tod entscheiden. Prof. Markus Borner, Ko-Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Medizinische Onkologie (SGMO), machte deutlich, vor welchen Herausforderungen die Hämatologen und Onkologen in der Schweiz hinsichtlich der Sicherstellung eines Zugangs zu neuen Arzneimitteln stehen: «Zurzeit erhalten die Patientinnen und Patienten in unseren reichen Ländern noch die besten Arzneimittel, unabhängig von ihren finanziellen Möglichkeiten. Limitierend ist derzeit einzig der Status der Medikamente in puncto Registrierung für die jeweilige Tumorsituation.»
Onkologika im Off-Iabel-Gebrauch immer mit den Kassen verhandeln? Darüber hinaus werde – ähnlich wie in Deutschland – auch in der Schweiz ein nicht unerheblicher Teil der Onkologika off-label eingesetzt. Die Besonderheit in der Schweiz ist der vom Gesetzgeber für diese Fälle vorgesehene Vertrauensarzt der jeweiligen Krankenkasse, der die Entscheidung bezüglich der Kostenübernahme treffen soll. Dieser muss anhand der sogenannten WZW-Kriterien (Wirksamkeit, Zweckmässigkeit, Wirtschaftlichkeit) die Entscheidung für oder gegen eine Kostenübernahme treffen. «Diese Situation ist unbefriedigend, denn in vielen Fällen fehlt die solide Grundlage für eine solche Entscheidung», bemängelte Borner. Dies führe zu zeitaufwändigen Diskussionen zwischen behandelndem Onkologen und Kassenarzt. Neu in der Schweiz ist zudem, dass die hierfür vergütete Zeit beschränkt wird. Das lasse die Behandlung von Krebspatienten zum kaum bezahlten «Hobby» werden. Eine Therapie mit einem innovativen Medikament sei daher vor der Registrierung und Zulassung für die entsprechende Indikation häufig nur im Rahmen von klinischen Studien möglich.
Erkenntnissen in den klinischen Behandlungsalltag zu gewährleisten. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels müsse hier eine qualitativ hochwertige medikamentöse Tumortherapie für ein zunehmend älter werdendes Patientenkollektiv sichergestellt werden. L
Quelle: Pressekonferenz am 30.9.2017 anlässlich der Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie. Stuttgart, 29. September bis 3. Oktober 2017.
Adela Žatecky
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