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Kongressbericht
ESMO 2017 – Jahreskongress der European Society for Medical Oncology, Madrid, 8. bis 12. September 2017
Prostata- und Nierenzellkarzinome
Therapieoptimierung durch frühzeitigen Einsatz von Kombinationen
Beim Prostatakarzinom wie auch beim Nierenzellkarzinom ist die Einordnung der neuen Therapien in bestehende Therapiealgorithmen nicht einfach, werden doch häufiger Studien präsentiert, die eine Therapieoptimierung durch den früheren Einsatz bereits etablierter Therapien zeigen können. So wurden auch beim ESMO 2017 Studienergebnisse vorgestellt, die einen Vorteil früher Therapien und Kombinationen belegen.
Prostatakarzinom
Abirateron versus Chemotherapie In der STAMPEDE-Studie wurde die zusätzliche Docetaxel-Gabe zur Standardbehandlung (SOC) sowie die zusätzliche Gabe von Abirateronacetat/Prednison zur SOC bei hormonsensitivem Prostatakarzinom untersucht. In den DocetaxelArm wurden 189 Patienten und in den Abirateron-Arm 377 Patienten über den gleichen Untersuchungszeitraum rekrutiert. Nun wurden diese zwischen 2011 und 2013 zeitgleich erhobenen Daten in den Studienarmen zu Docetaxel + SOC sowie Abirateron + SOC miteinander verglichen: Dabei wurde der möglicherweise vorteilhaftere frühe Einsatz von Abirateronacetat festgestellt (1). Die Studienarme waren bezüglich der Patientencharakteristik gut balanciert: 60% der Patienten waren in der metastasierten Situation, 22% hatten nur Lymphknotenmetastasen, und 17% waren komplett metastasenfrei.
Signifikanter Überlebensvorteil Ein signifikanter Vorteil für Abirateron zeigte sich bezüglich des «PSA-Versagen-freien Überlebens» (HR = 0,51; p < 0,001) und des progressionsfreien Überlebens (HR = 0,65; p = 0,005). Insbesondere M0-Patienten profitierten, und zwar mit einer Hazard Ratio von 0,34 (bzw. 0,42). Bezüglich des MetastasenPFS, der Rate symptomatischer skelettaler Ereignisse und des Gesamtüberlebens (OS) wurden keine Unterschiede gesehen.
Verbesserung der Lebensqualität unter Abirateron Die randomisierte, doppelblinde, plazebokontrollierte Phase-III-Studie LATITUDE zeigte einen klinischen Vorteil für Männer mit neu diagnostiziertem metastasiertem Prostatakarzinom, wenn Abirateronacetat/Prednison zusätzlich zur Androgendeprivationstherapie (ADT) gegeben wurde. Ausserdem berichteten Patienten über eine Verbesserung der Lebensqualität (2). In der LATITUDE-Studie wurde die Lebensqualität durch die Fragebögen BPISF, BFI, FACT-P und EQ-5D-5L erfasst. Mit der zusätzlichen Abirateron-Gabe traten Schmerzen (HR = 0,63; p < 0,0001) und Fatigue (HR = 0,65; p = 0,0001) signifikant weniger auf, und die allgemeine gesundheitsbezogene Lebensqualität (HR = 0,85; p = 0,0322) war signifikant erhöht. Der Gesundheitsstatus respektive der Health-Utility-Score laut EQ-5D-5L war ebenfalls signifikant verbessert.
Radium-223 und AD-gerichtete Therapien im Klinikalltag In der prospektiven, einarmigen Beobachtungsstudie REASSURE wurde die langfristige Sicherheit von Radium-223 mit einer Nachbeobachtung über 7 Jahre bei Verfügbarkeit von effektiven Erstlinientherapien wie Abirateronacetat und Enzalutamid geprüft (3). In der präsentierten Interimsanalyse wurden die Daten von 583 Patienten ausgewertet, die wenigstens eine Radium-223-Injektion erhalten hatten: Abirateron und/oder Enzalutamid waren vor Beginn der Radium-223-Therapie bei
29% der Patienten und zusammen mit Radium-223 bei 26% der Patienten appliziert worden. Etwa ein Drittel der Patienten hatte Docetaxel und/oder Cabazitaxel vor Beginn der Radium-223-Therapie erhalten, unter ihnen 57% der Patienten mit vorangegangenem Abirateron und/ oder Enzalutamid. In der klinischen Routine war Radium-223 mit einem guten Sicherheitsprofil assoziiert. Der Einsatz vor oder zusammen mit Abirateron und/oder Enzalutamid war häufig und ging nicht mit einem Ansteigen der therapieassoziierten Nebenwirkungen einher.
Nierenzellkarzinom
Sequenztherapien mit bewährten TKI im Vergleich Auch beim metastasierten Nierenzellkarzinom (mRCC) bleibt die Therapiesequenz eine Herausforderung. In der SWITCH-2-Studie wurden die Sequenzen mit den Tyrosinkinasehemmern (TKI) Sorafenib-Pazopanib versus PazopanibSorafenib «head-to-head» gegeneinander verglichen (4). 377 mRCC-Patienten aus Deutschland, Österreich und den Niederlanden erhielten Sorafenib-Pazopanib (So-Pa) oder Pazopanib-Sorafenib (Pa-So). Zur Zeit der Auswertung waren 6% beziehungsweise 11% der Patienten noch unter Erstlinientherapie. 56% respektive 46% zeigten einen Progress und erhielten die geplante Zweitlinientherapie.
Sequenz Pazopanib-Sorafenib vorteilhafter Das mediane gesamte PFS betrug 8,6 (So-Pa) versus 12,9 Monate (Pa-So) (HR = 1,36). Damit wurde der Nachweis einer Nichtunterlegenheit von So-Pa gegenüber Pa-So aber nicht erbracht. Das PFS der Erstlinie war mit 5,6 (Sorafenib zuerst) versus 9,3 Monaten (Pazopanib zuerst) signifikant verschieden (HR = 1,56; p = 0,0017). Das Gesamtüberleben unterschied sich dagegen nicht signifikant zwischen den Studienarmen (medianes
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Kongressbericht
ESMO 2017 – Jahreskongress der European Society for Medical Oncology, Madrid, 8. bis 12. September 2017
Tabelle:
Subgruppenanalyse von Patienten mit Nierenzellkarzinom unter Therapiesequenz Sorafenib-Pazopanib versus Pazopanib-Sorafenib
(mod. nach [5])
Gesamtes PFS
Alter ≤ 65 Alter > 65 MSKCC vorteilhaft MSKCC intermediär Karnofsky-PS 90/100 Karnofsky-PS 70/80 Klarzellige Histologie Nicht klarzellige Histologie
n So-Pa Median in Monaten (95%-KI)
73 9,2 (6,8–13,4) 116 8,5 (7,7–10,2) 95 8,8 (7,6–12,6) 90 8,2 (5,4–10,0) 128 9,5 (7,7–12,7) 61 7,9 (4,4–9,2) 164 8,7 (7,8–11,0) 25 6,9 (3,5–12,0)
n Pa–So Median in Monaten (95%-KI)
76 14,8 (10,8–15,9) 112 11,6 (9,9–16,7) 91 17,0 (15,1–24,9) 89 9,7 (6,0–11,9) 131 15,3 (12,9–17,5) 56 7,4 (4,5–10,7) 158 12,8 (10,8–15,2) 30 14,8 (6,2–31,2)
p-Wert
0,1073 0,0477 0,0013 0,5158 0,0088 0,7606 0,0923 0,0121
OS: 22,7 vs. 28,0 Monate; HR = 1,22; p = 0,2842). Ein Ansprechen auf die Erstlinie zeigten 28,5% (So-Pa) versus 46,3% (PaSo) der Patienten, ein Ansprechen auf die Zweitlinie 19,8% versus 9,1%. In Subgruppenanalysen zeigten Patienten > 65 Jahre, mit vorteilhaftem MSKCC-Score, mit gutem Karnofsky-Index und mit nicht klarzelliger Histologie einen Therapievorteil bezüglich des PFS mit der Pa-SoSequenz (Tabelle).
Sequenzen der neuen Therapien Ebenfalls bezüglich neuer Therapieoptionen blieb die optimale Therapiesequenz beim mRCC bisher ungeklärt: Dies betrifft die Effektivität von antiangiogenen Therapien, insbesondere Cabozantinib, nach Anwendung eines CheckpointInhibitors. Eine retrospektive Analyse von 127 mRCC-Patienten, die in der GustaveRoussy-Klinik mit einer Immuntherapie behandelt wurden, bestätigte diese Möglichkeit im Therapiealgorithmus (5). Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 60 Monaten waren noch 35% der Patienten unter Immuntherapie. Von 78 Patienten mit Progress nach Immuntherapie erhielten 28% keine weitere Therapie. 32% der Patienten, die nach
der Immuntherapie eine weitere Therapie erhielten, wurden mit Cabozantinib, 44% mit Axitinib und 24% mit anderen Substanzen behandelt. Patienten mit auf Immuntherapie folgender Therapie zeigten ein Ansprechen in 30% der Fälle, eine mediane Zeit bis Therapieversagen von 9,4 Monaten und ein medianes Gesamtüberleben von 17,5 Monaten. Mit Fokus auf Cabozantinib nach Checkpoint-Inhibition betrug das Ansprechen 41%, die mediane Zeit bis Therapieversagen; das mediane Gesamtüberleben war noch nicht erreicht. Das Nebenwirkungsprofil unter Cabozantinib war akzeptabel. 11% der Patienten brachen die Therapie aufgrund von Nebenwirkungen ab.
Stellenwert von Prognosefaktoren unter Immuntherapie Für das Nierenzellkarzinom wurden verschiedene Risikofaktoren identifiziert, die mit einer schlechten Prognose einhergehen. Inwieweit diese Risikofaktoren auch von negativem prognostischem Wert bei der Behandlung mit Nivolumab sind, wurde in der italienischen Kohorte eines Early-Access-Programms (EAP) untersucht (6). Die Ergebnisse geben Hinweise auf relevante Vorteile der NivolumabTherapie für Patienten, die gemäss tradi-
tioneller Risikoeinschätzung eine schlech-
te Prognose aufweisen. Die Patienten er-
hielten Nivolumab zwischen August 2015
und April 2016. Es wurden im Median 12
Dosen appliziert. Die mediane Nachbe-
obachtungszeit betrug 9,2 Monate.
Von den eingeschlossenen 389 Patienten
wiesen 32 (8%) stabile Hirnmetastasen,
129 (33%) Lebermetastasen und 193
(50%) Knochenmetastasen auf. 51 Patien-
ten (13%) hatten Tumoren mit sarkoma-
toiden Eigenschaften. Eine Krankheits-
kontrolle wurde bei insgesamt 53,0% der
Patienten beobachtet. In den Subgrup-
pen der Patienten mit Hirnmetastasen,
Lebermetastasen, Knochenmetastasen
und sarkomatoiden Anteilen wurden
Krankheitskontrollraten von 53,1%, 45,0%,
47,2% und 41,2% beobachtet. Die 1-Jah-
res-OS-Raten betrugen in den Risikosub-
populationen 66,8%, 62,0%, 58,9% und
53,6%. Insgesamt 4% der Patienten bra-
chen die Nivolumab-Therapie aufgrund
von Nebenwirkungen ab.
L
Ine Schmale
Referenzen: 1. Sydes M et al.: Adding abiraterone acetate plus
prednisolone or docetaxel for patients with high-risk prostate cancer starting long-term androgen deprivation therapy (ADT): directly randomized data from STAMPEDE. ESMO Congress 2017, Vortrag, Abstr. #LBA31_PR. 2. Chi KN et al.: Benefits of abiraterone acetate plus prednisone when added to androgen deprivation therapy in LATITUDE on patient-reported outcomes. ESMO Congress 2017, Vortrag, Abstr. #783O. 3. Harshman LC et al.: First interim results of the radium-223 REASSURE observational study: Analysis of patient characteristics and safety by use of abiraterone and/or enzalutamide. ESMO Congress 2017, Poster, Abstr. #807P. 4. Retz M et al.: Phase III randomized, sequential, open-label study to evaluate the efficacy and safety of sorafenib-pazopanib versus pazopanib-sorafenib in the treatment of metastatic renal cell carcinoma (SWITCH-II). ESMO Congress 2017, Vortrag, Abstr. #845O. 5. Derosa L et al.: Efficacy of cabozantinib after PD1/PD-L1 checkpoint inhibitors in metastatic renal cell carcinoma (mRCC): The Gustave Roussy experience. ESMO Congress 2017, Poster, Abstr. #876. 6. Bracarda S et al.: Negative prognostic factors and resulting clinical outcome in patients with metastatic renal cell carcinoma (mRCC) included in the Italian nivolumab expanded access program (EAP). ESMO Congress 2017, Poster, Abstr. #887P.
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