Transkript
Kongressbericht
ESMO 2017 – Jahreskongress der European Society for Medical Oncology, Madrid, 8. bis 12. September 2017
Nichtkleinzelliges Lungenkarzinom (NSCLC)
Praxisverändernde Ergebnisse für die Behandlung des fortgeschrittenen Bronchialkarzinoms
Das Motto des diesjährigen Jahreskongresses der ESMO lautete: «Integrating science into oncology for a better patient outcome». Für die Behandlung des fortgeschrittenen Bronchialkarzinoms könnte es treffender kaum sein, wurden doch wichtige Studienergebnisse präsentiert, die gerade die alltägliche Praxis zum Nutzen der Patienten ändern werden.
EGFR-gerichtete Therapie mit Osimertinib ist neuer Erstlinienstandard
Die EGFR-gerichtete Therapie ist die empfohlene Erstlinientherapie bei Patienten mit EGFR-mutiertem, fortgeschrittenem NSCLC. Mehr als 50% dieser Patienten entwickeln allerdings eine EGFRT790M-vermittelte Resistenz. Osimertinib (Tagrisso®) ist ein ZNS-aktiver EGFRTyrosinkinaseinhibitor (TKI) der dritten Generation, der selektiv sowohl EGFRMutationen als auch T790M-ResistenzMutationen blockiert.
FLAURA-Studie: PFS fast verdoppelt In der randomisierten, doppelblinden Phase-III-Studie FLAURA wurde Osimertinib in der ersten Therapielinie gegen die Standardbehandlungen Gefitinib oder Erlotinib geprüft (1). Primärer Studienendpunkt war das progressionsfreie Überleben (PFS) entsprechend der Auswertung der Prüfärzte. Die Studie erreichte ihren primären Endpunkt: Das mediane PFS betrug 18,9 Monate unter Osimertinib versus 10,2 Monate unter Standardtherapie (HR = 0,46; 95%-KI: 0,37–0,57; p < 0,0001). In Subgruppenanalysen erwies sich der Nutzen der Osimertinib-Therapie als konsistent über alle untersuchte Subgruppen. Patienten mit Hirnmetastasen profitierten mit einem medianen PFS von 15,2 (vs. 9,6) Monaten (HR = 0,47) im gleichen Mass wie Patienten ohne Hirnmetastasen bei Studienbeginn (19,1 vs. 10,9 Monate; HR = 0,46). Ein Ansprechen wurde bei 80% der Patienten unter Osimertinib und 76% unter einer der Standardtherapien beobachtet. Die Dauer des Ansprechens
betrug 17,2 versus 8,5 Monate. Vorläufige Ergebnisse zum Gesamtüberleben zeigen eine signifikante Reduktion des Sterberisikos um 37%. Das Sicherheitsprofil von Osimertinib war vergleichbar mit jenem der Kontrollmedikationen. Insgesamt wurden unter Osimertinib weniger Grad-3/4-Nebenwirkungen (18% vs. 28%) und eine geringere Therapieabbruchrate (13% vs. 18%) als im Kontrollarm beobachtet. Die Autoren schlussfolgern, dass Osimertinib neuer Therapiestandard bei EGFR-mutiertem fortgeschrittenem NSCLC in der Erstlinie ist.
Alectinib wirkt effektiv auch gegen Hirnmetastasierung
30% der Patienten mit ALK-positivem NSCLC präsentieren sich bei Diagnosestellung bereits mit Hirnmetastasierung, und bis zu 50% der Patienten, die unter Crizotinib einen Progress erleiden, weisen Hirnmetastasen auf. Die ALEX-Studie verglich Alectinib (Alecensa®) versus Crizotinib in der Erstlinientherapie ALK-positiver NSCLC-Patienten und zeigte für Alectinib eine 53%ige Reduktion des Risikos, ein Krankheitsfortschreiten zu erleiden.
ALEX-Studie bei ZNS-Metastasen: Progressionsrisiko um 60% reduziert Die Ergebnisse der Phase-III-Studie bezüglich der Hirnmetastasierung wurden beim ESMO 2017 in Madrid vorgestellt (2). Insgesamt wurden bei 122 Patienten (Alectinib: n = 64; Crizotinib: n = 58) zu Studienbeginn Hirnmetastasen festgestellt. Bei 33% respektive 38% lag eine messbare Hirnmetastasierung vor, bei 58% und 62% waren die Patienten noch
nicht bezüglich der ZNS-Metastasen behandelt worden. Patienten mit Hirnmetastasierung bei Studienbeginn profitierten von einer 60%igen Reduzierung des Progressionsrisikos unter der Gabe von Alectinib gegenüber der von Crizotinib. Das mediane PFS war in dieser Patientenkohorte im Alectinib-Arm noch nicht erreicht und betrug 7,4 Monate unter Crizotinib (HR = 0,40; p < 0,0001). Auch Patienten ohne Hirnmetastasierung bei Studienbeginn hatten das mediane PFS im Alectinib-Arm noch nicht erreicht, während es im Crizotinib-Arm 14,8 Monate betrug (HR = 0,51; p = 0,0024). Das intrakranielle Ansprechen war unter Alectinib signifikant gegenüber Crizotinib verbessert, unabhängig von einer vorangegangenen Hirnbestrahlung. Nach 12 Monaten zeigten 4,6% der Alectinib-behandelten Patienten versus 31,3% der Crizotinib-behandelten Patienten Hirnmetastasen bei erstem Progress. Dies deute darauf hin, dass Alectinib eine schützende Wirkung gegen die Entwicklung von Hirnmetastasen habe, so die Autoren der Studie. Die Ergebnisse zur Hirnmetastasierung festigen den Stellenwert von Alectinib als neuem Therapiestandard bei Patienten mit unbehandeltem, fortgeschrittenem ALK-positiven NSCLC.
3-Jahres-Daten bestätigen Wirksamkeit von Nivolumab
Unter immunonkologischer Zweitlinientherapie mit Nivolumab (Opdivo®) wurde bei Patienten mit metastasiertem Lungenkarzinom in den Phase-III-Studien CheckMate-017 und CheckMate-057 eine signifikante Verbesserung aller Wirksamkeitsparameter gegenüber der Chemotherapie mit Docetaxel gezeigt.
CheckMate-017-/-057: mindestens verdoppeltes Langzeitüberleben Aktuell beim ESMO 2017 präsentierte Daten mit einer Nachbeobachtungszeit von mindestens 3 Jahren bestätigen die anhaltende Wirksamkeit (3).
SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 5/2017
25
Kongressbericht
ESMO 2017 – Jahreskongress der European Society for Medical Oncology, Madrid, 8. bis 12. September 2017
In beiden Zulassungsstudien war das Gesamtüberleben der primäre Studienendpunkt. In der CheckMate-057-Studie lebten nach 3 Jahren noch 18% der Patienten im Nivolumab-Arm versus 9% im Docetaxel-Arm (HR = 0,73; 95%-KI: 0,48–0,80) und in der CheckMate-017Studie 16% versus 6% (HR = 0,62; 95%-KI: 0,62–0,88). Von den Patienten des Docetaxel-Arms, die 3 Jahre überlebten, hatte die Mehrheit ebenfalls eine Immuntherapie erhalten, entweder während des Cross-overs zu Nivolumab oder als Therapie nach Beendigung der Studienmedikation (CheckMate-057: 73%; CheckMate-017: 75%). Ein Ansprechen wurde bei 19% und 20% der Patienten in den Nivolumab-Studienarmen sowie 12% und 9% in den Docetaxel-Armen gesehen. Charakteristisch für den Therapieerfolg mit PD-1-Inhibitoren ist die Chance auf ein lang anhaltendes Ansprechen. Bei Patienten mit nicht squamösen Tumoren wurde in der CheckMate-057-Studie eine mediane Dauer des Ansprechens von 17,2 Monaten unter Nivolumab versus 5,6 Monate unter Docetaxel beobachtet. In der CheckMate-017-Studie hatten Patienten mit squamöser Histologie eine Ansprechdauer von 25,2 versus 8,4 Monaten unter Nivolumab respektive Docetaxel. 23% beziehungsweise 26% der Patienten, die unter Nivolumab ein Ansprechen zeigten, sprachen bei der aktuellen Auswertung auch weiterhin auf die Therapie an.
Aktualisierte Daten für Pembrolizumab in der Erstlinientherapie
Eine weitere PD-1-gerichtete Substanz, für die beim ESMO 2017 eine Aktualisierung veröffentlicht wurde, war Pembrolizumab (Keytruda®) in der Kohorte G der Phase-II-Studie KEYNOTE-021 (4). Die randomisierte Studie untersuchte Pembrolizumab plus Chemotherapie versus alleinige Chemotherapie in der Erstlinientherapie des fortgeschrittenen nicht squamösen NSCLC.
Vielversprechende Option für NSCLC-Patienten im Stadium III
Die Immuntherapie könnte laut neuesten Studiendaten, die beim ESMO 2017 präsentiert wurden, auch eine Option für das lokal fortgeschrittene, nicht resektable NSCLC sein. Durvalumab ist ein Checkpoint-Inhibitor, der an PD-L1 bindet und damit die Bindung mit PD-1 und CD80 blockiert. In der doppelblinden, plazebokontrollierten Phase-III-Studie PACIFIC erhielten 703 Patienten mit lokal fortgeschrittenem NSCLC im Stadium III, die nach platinbasierter Chemoradiotherapie keinen Progress zeigten, im Verhältnis 2:1 und randomisiert Durvalumab (10 mg/kg, q2w) für bis zu 12 Monate oder Plazebo. Ko-primäre Studienendpunkte waren das PFS und das Gesamtüberleben (OS). Die Patienten waren median 64 Jahre alt, und 45% waren 65 Jahre alt oder älter. Jeweils etwa die Hälfte der Tumoren war von squamöser beziehungsweise nicht squamöser Histologie. Der PD-L1-Status war im Durvalumab-Arm bei 37% der Patienten unbekannt, bei 39% niedrig und bei 24,2% hoch und im Plazeboarm bei 37% unbekannt, bei 44,3% niedrig und bei 18,6% der Patienten hoch. Das Ansprechen auf die vorangegangene Chemoradiotherapie war zu etwa der Hälfte eine partielle Remission und zur Hälfte eine Stabilisierung der Erkrankung. Die Studienmedikation über 12 Monate komplettierten 42,7% der Patienten im Durvalumab-Arm und 30,1% im Plazeboarm. Der häufigste Grund für den Therapieabbruch war eine Verschlechterung der Erkrankung (31,3% vs. 49,2%), danach folgen Nebenwirkungen (15,4% vs. 9,7%) und die Patientenentscheidung (3,0% vs. 5,1%). Mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 14,5 Monaten betrug das mediane PFS 18,8 versus 5,6 Monate. Nach 12 Monaten waren noch 55,9% (vs. 35,3%) der Patienten ohne Progress, nach 18 Monaten 44,2% (vs. 27,0%). Ein Ansprechen wurde bei 28,4% (vs. 16,0%) gesehen. Eine stabile Erkrankung zeigten 52,6% (vs. 55,9%). Die mediane Zeit bis zum Auftreten von Fernmetastasen oder dem Versterben betrug 23,2 Monate unter Durvalumab (vs. 14,6) (HR = 0,52; p < 0,0001). Es wurden keine neuen Sicherheitssignale gesehen.
Quelle: Paz-Ares L et al.: PACIFIC: A double-blind, placebo-controlled phase III study of durvalumab after chemoradiation therapy (CRT) in patients with stage III, locally advanced, unresectable NSCLC. ESMO 2017; Abstr. #LBA1_PR
KEYNOTE-021 nach 1½ Jahren:
PFS mehr als verdoppelt
Mit einer medianen Nachbeobachtungs-
zeit von nunmehr 18,7 Monaten zeigten
56,7% der Patienten bei zusätzlichem
Pembrolizumab gegenüber 31,7% unter
Pemetrexed plus Carboplatin ein An-
sprechen. Das PFS betrug 19,0 Monate
im Pembrolizumab-Arm versus 8,9 Mo-
nate im «reinen» Chemotherapie-Arm
(HR = 0,54; p = 0,0067). Nach 12 Mona-
ten waren 57% versus 37% der Patienten
beider Studienarme ohne Progress, nach
18 Monaten 52% versus 29%. Das media-
ne Gesamtüberleben war unter Pembro-
lizumab noch nicht erreicht und betrug
im Chemotherapie-Arm 20,9 Monate
(HR = 0,59; p = 0,03). Nach 12 Monaten
lebten 77% (vs. 69%), nach 18 Monaten
70% (vs. 56%) der Patienten unter Pem-
brolizumab plus Chemotherapie versus
alleinige Chemotherapie. Das Sicher-
heitsprofil der Kombinationstherapie war
weiterhin handhabbar.
L
Quelle: Jahreskongress der European Society for Clinical Oncology (ESMO), 8.–12. September 2017, Madrid.
Referenzen: 1. Ramalingam SS et al.: Osimertinib vs standard of care
(SoC) EGFR-TKI as first-line therapy in patients (pts) with EGFRm advanced NSCLC: FLAURA. ESMO 2017; Vortrag; Abstr. #LBA2_PR. 2. Gagdeel S et al.: Alectinib vs crizotinib in treatmentnaïve ALK+ NSCLC: CNS efficacy results from the ALEX study. ESMO 2017; Vortrag; Abstr. #1298O_PR. 3. Felip Font E et al.: Three-year follow-up from CheckMate 017/057: Nivolumab versus docetaxel in patients with previously treated advanced non-small cell lung cancer (NSCLC). ESMO 2017; Poster; Abstr. #1301PD. 4. Borghaei H et al.: Updated results from KEYNOTE021 cohort G: A randomized, phase 2 study of pemetrexed and carboplatin (PC) with or without pembrolizumab (pembro) as first-line therapy for advanced nonsquamous NSCLC. ESMO 2017; Vortrag; Abstr. #LBA49.
Ine Schmale
26 SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 5/2017