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Kongressbericht
IASLC – 17th World Congress on Lung Cancer, Wien, Dezember 2016
Fortgeschrittene Bronchialkarzinome
Immuntherapie:Was ist in der Praxis zu beachten?
Die Checkpoint-Inhibitoren sind auch in der Therapie des Lungenkarzinoms im klinischen Alltag angekommen. Ihr Einsatz erfordert allerdings in mehrfacher Hinsicht ein Umdenken. Denn sowohl hinsichtlich des Ansprechens als auch des Nebenwirkungsprofils unterscheiden sich Immuntherapien deutlich sowohl von den zytotoxischen Chemotherapien als auch von den Tyrosinkinase-Inhibitoren.
Tumorzellen schützen sich vor zytotoxischen Antworten des Immunsystems, indem sie die Fähigkeit entwickeln, immunregulatorische Checkpoints zu aktivieren. Die Hemmung dieser Checkpoints hat die therapeutischen Optionen bei mehreren Malignomen deutlich verbessert.
Palette der Therapeutika
Im Falle des nichtkleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC) sind in Europa derzeit ausschliesslich PD-1-Inhibitoren in der Zweitlinientherapie verfügbar. Physiologische Aufgabe des Rezeptors PD-1 ist die Begrenzung der T-Zell-Aktivierung während einer Entzündungsreaktion. Gegenwärtig zugelassen sind Nivolumab (Opdivo®) und Pembrolizumab (Keytruda®), während sich Atezolizumab*, Avelumab und Durvalumab in Phase-III-Studien befinden. Die Zulassung von Nivolumab erfolgte auf Basis der mit identischem Studiendesign durchgeführten Phase-III-Studien Checkmate 057 und Checkmate 017 bei Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Nicht-Plattenepithelkarzinom (Checkmate 057) respektive Plattenepithelkarzinom (Checkmate 017) der Lunge. Nivolumab verbesserte in diesen Studien im Vergleich zu Docetaxel das Gesamtüberleben signifikant (1). Pembrolizumab wurde in der dreiarmigen Studie KEYNOTE 010 in zwei Dosierungen mit Docetaxel verglichen und erwies sich ebenfalls als überlegen im Hinblick auf das Gesamtüberleben (2). Im Rahmen der Studie KEYNOTE 024 konnte für Pembrolizumab beim metastasier-
* Von der FDA bereits zugelassen unter dem Handelsnamen Tecentriq®, Roche. (Anmerkung der Redaktion; hir).
ten NSCLC schliesslich auch in der Erstlinientherapie die Überlegenheit im Vergleich zu einer platinbasierten Chemotherapie gezeigt werden (3). Auf Basis dieser Daten erfolgte Ende 2016 in den USA die Zulassung als Erstlinientherapie für Patienten mit PD-L1-Expression. Mit Atezolizumab ist seit Oktober 2016 in den USA auch ein Antikörper gegen den PD-1-Liganden (PD-L1) zugelassen. Die Zulassung erfolgte auf Basis der Studie OAK, die für Atezolizumab einen signifikanten Überlebensvorteil im Vergleich zu Docetaxel zeigte (4).
Auf der Suche nach Markern für gutes Ansprechen
In der Klinik stellt sich jeweils die Frage, welche Patienten die besten Kandidaten für eine Therapie mit einem PD-1-Inhibitor sind. Diese Entscheidung kann, so Prof. Johan Vansteenkiste von der Katholischen Universität Leuven/Belgien, anhand klinischer, genetischer oder immunologischer Faktoren erfolgen. Selbstverständlich müssen auch Kontraindikationen und Fragen der Verfügbarkeit und der Kostenübernahme berücksichtigt werden. Generell zeigen Studiendaten für die zugelassenen PD-1Inhibitoren im Vergleich zur Chemotherapie besseres Überleben und geringere Nebenwirkungen. Allerdings dürfe, so Vansteenkiste, die Wirksamkeit auch nicht überschätzt werden. Die Ansprechraten liegen nämlich in unselektierten Zweitlinientherapie-Populationen bei 20% (was also bedeutet, dass rund 80% nicht profitieren). Die Auswahl von Patienten mit guten Chancen auf einen Therapieerfolg ist also essenziell. Hohen prädiktiven Wert hat in dieser Hinsicht die Expression des PD-1-Liganden durch den Tumor. So zeigen die Studiendaten zu Pembrolizumab bei Patien-
ten mit der höchsten PD-L1-Expression ein Ansprechen in der Grössenordnung von 50%, während sich unter Patienten mit der niedrigsten PD-L1-Expression weniger als 10% Responder finden (5). Auch Nivolumab habe, so Vansteenkiste, bei Patienten mit geringer PD-L1-Expression im Vergleich zur Chemotherapie keinen Vorteil gebracht. Unklar sei allerdings der klinisch relevante Cut-off für die PD-L1-Expression. Weiter werde die Situation dadurch kompliziert, dass die Expression von PD-L1 im Krankheitsverlauf nicht stabil und die Vergleichbarkeit zwischen den verfügbaren Tests eingeschränkt sei. Ebenfalls von Bedeutung für das Ansprechen auf Immuntherapien sind bekannte Onkogene wie zum Beispiel EGFR-Mutationen, die zum Einsatz der passenden Tyrosinkinase-Inhibitoren prädestinieren. Auch die Histologie hat eine gewisse Bedeutung, wobei das Adenokarzinom etwas besser auf PD-1-Inhibition ansprechen dürfte als das Plattenepithelkarzinom. Dessen ungeachtet, wurde bei Rauchern und ehemaligen Rauchern eine bessere Wirksamkeit der PD-1-Inhibition gefunden. Möglicherweise werde es, so Vansteenkiste, in Zukunft möglich sein, anhand der PD-L1-Expression und anderer Faktoren einen evidenzbasierten Behandlungsalgorithmus zu definieren. Patienten mit hoher PD-L1-Expression wären dann Kandidaten für ein Immuntherapeutikum in Monotherapie, während bei schwächerer Expression Kombinationstherapien zum Einsatz kommen und bei schwacher PD-L1-Expression überhaupt auf die PD-1-Inhibition verzichtet werden könnte.
Progression nicht mit «Pseudoprogression» verwechseln
Besonderheiten der Immuntherapien gilt es auch im Verlauf der Therapie zu beachten. So fällt im Vergleich zur Chemotherapie eine andere Dynamik des Ansprechens auf. Diese ist nicht nur langsamer, sondern unter Umständen auch paradox: Ein Weiterwachsen des Tumors
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ist nicht immer gleichbedeutend mit Therapieversagen, sondern kann einer späteren (unter Umständen sogar kompletten) Remission vorausgehen. Dieses scheinbare Tumorwachstum ist, so Dr. Naiyer Rizvi, Columbia University Medical Center/New York, die Folge einer massiven Einwanderung von Immunzellen in den Tumor, die zu einer Volumenzunahme ohne Proliferation der Tumorzellen führen kann. Eine Unterscheidung zwischen Tumor- und Immunzellen ist, so Rizvi, mittels Bildgebung nicht möglich. In einem derartigen Setting ist eine Bewertung des Tumors nach den WHOoder RECIST-Kriterien nicht sinnvoll. Allerdings hilft die Klinik: Wenn es beispielsweise trotz Vergrösserung des Tumors zu einer Abnahme von Schmerzen und/oder zu einem Rückgang von Tumormarkern kommt, spricht dies dafür, dass es sich um keine echte, sondern um eine «Pseudoprogression» handelt. Aus diesem Grund wurden neue Kriterien zur Bewertung onkologischer Patienten unter Behandlung mit Immuntherapie (irRC – Immune-related Response Criteria) eingeführt. Rizvi ergänzte: «Einer der wesentlichen Unterschiede besteht darin, dass bei den ersten Kontrollen selbst das Auftreten neuer Läsionen nach irRC nicht als Zeichen von Progression gewertet werden muss.» Allerdings zeigen Studiendaten zum Melanom, dass eine «Pseudoprogression» zwar kein Therapieversagen bedeutet, langfristig jedoch kein so gutes Outcome verspricht wie ein rasches Ansprechen nach RECIST-Kriterien. Alles in allem dürften die RECIST-Kriterien den Benefit einer Immuntherapie um rund 15% unterschätzen (6). Zudem kann eine solch beschriebene «Pseudoprogression» auch verzögert auftreten, was die Verlaufsbeobachtung weiter erschwert. Falls es in einem isolierten Areal zur Progression kommt, schlägt Rizvi eine Biopsie zwecks Unterscheidung von Progression und «Pseudoprogression» vor, zumal Patienten mit einer einzelnen progredierenden Läsion von einer Resektion oder Bestrahlung profitieren können. Offen ist noch die Frage der Therapiedauer. Beim Lungenkarzinom fehlen dafür die Daten. Beim Melanom wurden jedoch langfristig stabile, komplette Re-
missionen beobachtet, und es besteht die Hoffnung, dass bei diesen Patienten die Immuntherapie auch wieder abgesetzt werden kann. Dies wurde nach aktuellem Stand bei mehr als 60 Melanompatienten versucht. Publizierte Daten werden mit Spannung erwartet.
Nebenwirkungen: Autoimmunität als neue Herausforderung
Auch hinsichtlich des Nebenwirkungsspektrums weisen Checkpoint-Inhibitoren zahlreiche Besonderheiten auf. Dr. med. Alexander Spira, Virginia/USA, weist in diesem Zusammenhang auf ein bekanntes Phänomen hin: Die Patienten in den klinischen Studien befinden sich in der Regel in einem besseren Allgemeinzustand als viele multimorbide Karzinompatienten im klinischen Alltag. Dies könne im Fall der Immuntherapien nicht zuletzt auch das Erkennen von unerwünschten Ereignissen erschweren. Da diese Medikamente in der Regel gut vertragen würden, bestünde auch die Gefahr einer gewissen Leichtsinnigkeit beim Auftreten unklarer Beschwerden. Die Lage wird dadurch kompliziert, dass Nebenwirkungen onkologischer Immuntherapien in allen Organsystemen auftreten können. Sie entstehen in der Regel als Folge von Inflammation infolge von Autoimmunreaktionen. An diese, in der Onkologie ungewöhnlichen Toxizitäten muss, ungeachtet ihrer relativen Seltenheit, gedacht werden, da die Konsequenzen schwerwiegend sein können. Neben frühen Toxizitäten, die meist die Haut, den Gastrointestinaltrakt oder die Leber betreffen und häufig nach wenigen Wochen wieder vergehen, können als späte Toxizitäten gefährliche pulmonale, endokrine oder renale Nebenwirkungen hinzukommen. Selten, aber potenziell lebensbedrohlich sind Pneumonitis und Kolitis. Eine immunvermittelte endokrine Dysfunktion, beispielsweise infolge einer Adrenalitis, äussert sich in wenig spezifischen Symptomen und kann zu einer echten diagnostischen Herausforderung werden. Spira betont, dass im Hinblick auf diese ungewöhnlichen Autoimmunreaktionen eine gründliche Schulung des gesamten onkologischen Personals vom Facharzt bis zur Krankenpflege erfolgen müsse, da die
möglichen Beschwerden bislang auf onkologischen Stationen und noch mehr im niedergelassenen Bereich schlicht nicht gesehen worden seien. Nur mit intensiver Fortbildung sei es möglich, Nebenwirkungen der Therapie von den Effekten einer Tumorprogression unterscheiden zu lernen und im Ernstfall schnell und richtig zu reagieren. Auch die Zusammenarbeit mit anderen Fächern wie zum Beispiel der Endokrinologie ist ebenso unverzichtbar wie ein kontinuierliches Monitoring der Patienten.
Management Das Management von Autoimmun-Nebenwirkungen richtet sich nach deren Schweregrad. Eine Dosisanpassung versprach bisher keinen Erfolg (bzw. es fehlen dazu präzise Daten). Bei Grad 1, also beispielsweise einem leichten Hautausschlag, kann unter weiterlaufender Therapie eine symptomatische Behandlung versucht werden. Ab Grad 2 werden das Absetzen des Checkpoint-Inhibitors sowie eine Behandlung mit oralen Kortikosteroiden über einen Monat mit anschliessendem langsamem Ausschleichen empfohlen. Bei Grad 3 und 4 ist in der Regel die intravenöse Gabe von Kortikosteroiden, auch in hohen Dosierungen, erforderlich. Auch der Einsatz von nichtsteroidalen Immunsuppressiva kann notwendig werden. Ob und bei welchen Patienten die Immuntherapie wieder begonnen werden kann, ist unklar. Spira ergänzte: «Als Faustregel kann man sagen, dass der Checkpoint-Inhibitor dauerhaft abgesetzt werden soll, wenn eine Nebenwirkung den Einsatz von Steroiden und eine Hospitalisierung erforderlich macht.» L
Reno Barth
Quelle: «Selection and Monitoring of Patients for Immune Checkpoint Inhibitors», Session im Rahmen des IASLC, 17th World Conference on Lung Cancer, am 6. Dezember 2016 in Wien.
Referenzen: 1. Brahmer J, et al.: Nivolumab versus docetaxel in ad-
vanced squamous-cell non-small-cell lung cancer. N Engl J Med 2015; 373: 123–135. 2. Herbst RS et al.: Pembrolizumab versus docetaxel for previously treated, PD-L1-positive, advanced non-small-cell lung cancer (KEYNOTE-010): a randomised controlled trial. Lancet. 2016; 387(10027): 1540–1550.
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IASLC – 17th World Congress on Lung Cancer, Wien, Dezember 2016 3. Reck M et al.: Pembrolizumab versus Chemotherapy
for PD-L1-Positive Non-Small-Cell Lung Cancer. N Engl J Med 2016; 375(19): 1823–1833. 4. Rittmeyer A et al.: Atezolizumab versus docetaxel in patients with previously treated non-small-cell lung cancer (OAK): a phase 3, open-label, multicentre randomised controlled trial. Lancet 2016, Dec 12. pii: S0140-6736(16)32517-X. [Epub ahead of print]. 5. Garon EB et al.: Pembrolizumab for the treatment of non-small-cell lung cancer. N Engl J Med 2015; 372(21): 2018–2028. 6. Hodi FS et al.: Evaluation of Immune-Related Response Criteria and RECIST v1.1 in Patients With Advanced Melanoma Treated With Pembrolizumab. J Clin Oncol 2016; 34(13): 1510–1517.
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