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EHA 2016 – 21st Congress of European Hematology Association, Kopenhagen, 9. bis 12. Juni 2016
Akute Leukämien/ALL, AML
Immuntherapie und Antikörper-Wirkstoffkonjugate als neue Hoffnungsträger
News zur Therapie der rezidivierten/refraktären ALL: Mit dem neuen Antikörperkonstrukt Blinatumomab konnte ein median fast verdoppeltes Überleben erreicht werden gegenüber der Standardchemotherapie. Spannendes in der Grundlagenforschung und in frühen klinischen Studien auch bei AML: Antikörper-Wirkstoffkonjugate und «Killer-Antikörper» sind vielversprechend.
Zu akuten lymphatischen Leukämien (ALL) wurden verschiedene Neuheiten vorgestellt. Prof. Max Topp, Würzburg/D, erinnerte in der Einleitung zu seiner Präsentation daran, dass bei erwachsenen ALL-Patienten in 90% der Fälle mit einer intensiven Chemotherapie eine Krankheitskontrolle erreicht werden kann. «Lediglich die Hälfte dieser Responder ist aber auch geheilt», gab er zu bedenken. Der Verlauf von Patienten mit einem Rezidiv oder einer refraktären Erkrankung (r/r ALL) nach Chemotherapie sei nach wie vor schlecht, trotz weiterer Chemotherapie und/oder einer allogenen Stammzelltransplantation. «Eine Immuntherapie, beispielsweise mit Blinatumomab, stellt hier eine vielversprechende Behandlungsoption dar.»
ALL: Blinatumomab – ein BiTE-Antikörperkonstrukt
Blinatumomab (Blincyto®) ist ein bispezifisches T-Zell-Engager-(BiTE®)-Antikörperkonstrukt. Dieses bindet gezielt an CD19, das auf der Oberfläche von Zellen der B-Linie exprimiert wird, und an CD3, das auf der Oberfläche von T-Zellen exprimiert wird. In einer einarmigen PhaseII-Studie konnte bei 43% der Patienten mit r/r ALL nach zwei Zyklen Blinatumomab ein Ansprechen (komplettes Ansprechen [CR] oder ein CR mit partieller Erholung der peripheren Zellzahl [CRh]) festgestellt werden (1).
TOWER-Studie: median verdoppeltes OS In Kopenhagen stellte Prof. Topp die Phase-III-Studie TOWER vor (2). In dieser Studie wurde bei r/r ALL-Patienten die Behandlung mit Blinatumomab mit einer
Standardchemotherapie (SOC) verglichen. Der primäre Endpunkt war das Gesamtüberleben (OS). Über 400 Patienten wurden 2:1 zu Blinatumomab oder SOC randomisiert. Die Studie wurde nach der geplanten Interimsanalyse frühzeitig gestoppt, da mit Blinatumomab behandelte Patienten ein nahezu doppelt so langes medianes OS aufwiesen wie die Vergleichsgruppe (Abbildung). «Der Vorteil war dabei in allen Patientensubgruppen zu finden, auch bei Patienten mit einem Rezidiv nach ASCT und/oder solchen, die bereits mehrere verschiedene Chemotherapien erhalten hatten», ergänzte Topp. Die Nebenwirkungsraten waren in beiden Gruppen vergleichbar. Der Referent schlussfolgerte aus der Studie: «Blinatumomab stellt die erste immuntherapeutische Substanz dar, die das Überleben rezidivierter ALL-Patienten im Vergleich zu einer Chemotherapie zu verlängern vermochte.» Als Poster präsentierte Topp zudem Daten einer kombinierten Analyse zu einer Blinatumomab-Re-Therapie von r/r ALLPatienten, bei denen es nach einem Ansprechen auf Blinatumomab zu einem Rezidiv gekommen war (3). Insgesamt wurden 11 Patienten ein zweites Mal mit dem Antikörperkonstrukt behandelt. Nach einer medianen Behandlungsdauer von 28 Tagen konnte bei 36% der Patienten eine hämatologische Remission festgestellt werden. Die Nebenwirkungsraten stimmten mit den bisherigen Erfahrungen zu Blinatumomab überein. Damit scheint bei einigen r/r ALL-Patienten, die schon einmal auf Blinatumomab angesprochen haben, ein erneutes Ansprechen nach einem Rezidiv möglich zu sein.
AML: neue AntikörperWirkstoffkonjugate und monoklonale Antikörper
Die Behandlung der akuten myeloischen Leukämie (AML) stellt weiterhin eine Herausforderung dar. So ist der Bedarf an neuen wirksamen und verträglichen Therapien, gerade auch für ältere Patienten, nach wie vor gross. Im Fokus der Forschungen standen in den letzten Jahren dabei nicht nur weitere Chemotherapieoptionen, sondern auch neue monoklonale Antikörper und Antikörper-Wirkstoffkonjugate.
Gute Resultate mit Vadastuximab talirin bei älteren Patienten Vor diesem Hintergrund präsentierte Dr. med. Amir Fathi, Boston/USA, die Resultate einer laufenden Phase-I-Studie. In dieser Untersuchung wird Vadastuximab talirin (SGN-CD33A; 33A), ein Anti-CD33Wirkstoff-Konjugat, in vierwöchigen Zyklen in Kombination mit Standardtherapien (Azacitidin oder Decitabin) bei älteren AML-Patienten eingesetzt, die eine intensive Erstlinientherapie abgelehnt haben (4). CD33 wird bei den meisten Patienten mit AML an der Oberfläche der malignen Zellen exprimiert (5). In die Studie konnten bisher 53 Patienten (medianes Alter: 75 Jahre) eingeschlossen werden. Bezüglich Wirksamkeit waren 49 Patienten auswertbar. Dabei wurde bei 73% der Patienten ein komplettes Ansprechen (CR + CRi) festgestellt. «Vergleichen wir das mit historischen Daten zur Monotherapie mit hypomethylierenden Substanzen, so stellt dies ein gutes Resultat dar», erklärte Fathi. Die mediane Zeit bis zur Remission betrug 2 Zyklen. Die Mortalitätsrate nach 30 respektive 60 Tagen war tief und lag bei 2% (bzw. 8%). Die häufigsten Nebenwirkungen (≥ Grad 3) bei 20% oder mehr der Patienten waren febrile Neutropenie, Thrombozytopenie, Anämie und Neutropenie. Zurzeit läuft eine Phase-III-Studie, bei der das Antikörper-Wirkstoffkonjugat kom-
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biniert mit hypomethylierenden Substanzen (HMA) im Vergleich zu HMA-Monotherapie bei älteren Patienten untersucht wird (NCT02785900).
Killer-Antikörper gegen AML entdeckt Einem anderen Aspekt der AML widmeten sich Dr. med. Mette Hazenberg, Amsterdam/NL, und ihr Team. Sie stellten fest, dass bei Patienten, die sich nach einer allogenen Stammzelltransplantation (ASCT) in Remission befinden, einige vom Spender stammende klonale B-ZellLinien Antikörper produzieren können, die spezifisch an AML-Zellen binden (6). «Wir glauben, dass diese Antikörper womöglich zur Behandlung anderer AML-Patienten eingesetzt werden könnten», meinte sie. Als Ziel dieser Antikörper konnten sie in der Folge den U5-snRNP200-Proteinkomplex identifizieren. «Dieser Komplex wird normalerweise im Zytoplasma und im Zellkern exprimiert. Bei AML-Zellen ist er aber auch an der äusseren Zelloberfläche zu finden.» Sie stellten zudem fest, dass entsprechende Antikörper nur bei AML-Patienten nach einer allogenen Transplantation zu finden waren, beispielsweise aber nicht bei Myelompatienten nach ASCT oder bei Gesunden. Wie sich zudem zeigte, erwiesen sich die U5-spezifischen Antikörper als regelrechte «Killer». Hazenberg erklärte dazu: «Sie vermochten nämlich AML-Blasten sowohl in vitro als auch in vivo, in einem Mausmodell, zu töten.» Der Zelltod wird dabei durch einen nicht apoptotischen Prozess, der von einer Destabilisierung des Zytoskeletts abhängig ist, ohne zytotoxische Leukozyten oder Komplement induziert. Der zytotoxische Effekt ist dabei von der Fc-Region des Antikörpers abhängig, so verloren rekombinante U5-snRNP200-Komplex-spezifische Antikörper mit einer defekten Fc-Region ihre Zelltod-induzierende Wirkung. Die Entwicklung eines entsprechenden monoklonalen Antikörpers wird nun mit dem Ziel vorangetrieben, in naher Zukunft entsprechende klinische Studien beim Menschen starten zu können.
Medianes Gesamtüberleben (95%-KI) Blinatumomab: 7,7 Monate (5,6; 9,6) SOC: 4,0 Monate (2,9; 5,3) stratifiziertes Log-Rank p = 0,012 Hazard Ratio: 0,71 (0,55; 0,93)
Abbildung: TOWER-Studie: Medianes Gesamtüberleben von rezidivierten/refraktären ALL-Patienten, die mit Blinatumomab beziehungsweise Standardchemotherapie behandelt wurden (adaptiert nach [6]).
Präleukämische Klone überleben Chemotherapie
Dr. med. Maja Rothenberg-Thurley, München/D, und ihre Gruppe gingen der Frage auf den Grund, weshalb ältere AML-Patienten ein höheres Rezidivrisiko aufweisen als jüngere (7). Bekannt ist, dass die AML bei einigen Patienten aus einem Klon präleukämischer Stammzellen entsteht. Diese Zellen können sich zwar normal differenzieren, tragen aber somatische Mutationen (z.B. DNMT3A, TET2). «Die Akquisition weiterer Mutationen führt schliesslich zur Transformation in eine overte AML», erklärte die Referentin. «Selbst wenn der AML-Klon durch eine Chemotherapie eradiziert werden konnte, bleibt bei einigen Patienten ein präleukämischer Klon weiterhin nachweisbar. Deshalb haben wir Probenpaare von 107 AML-Patienten untersucht, die zum Zeitpunkt der Diagnose sowie nach einer Chemotherapie, in Remission, gesammelt wurden.» Bei 36% dieser Patienten konnten in der «Remissionsprobe» persistierende Genmutationen (v.a. in den Genen DNMT3A, TET2, ASXL1, SRSF2) nachgewiesen werden. «Dies weist auf ein Überleben einzelner präleukämischer Klone hin», so Rothen-
berg-Thurley. Wie sich zeigte, fanden
sich solch persistierende Mutationen bei
älteren Patienten häufiger. Zudem wie-
sen Patienten mit persistierenden Muta-
tionen ein höheres Risiko für ein Rezidiv
auf als solche ohne. Das rezidivfreie
Überleben und Gesamtüberleben von
Patienten ohne persistierende Mutatio-
nen war signifikant besser.
I
Therese Schwender
Referenzen: 1. Topp MS et al.: A single arm Phase II trials with Blinatumomab has shown that 43% of relapsed or refractory (r/r) ALL patients can achieve disease control. Lancet Oncology 2015, 16: 57–66. 2. Topp MS et al.: Blinatumomab Improved Overall Survival in Patients with Relapsed or Refractory Philadelphia Negative B-Cell Precursor Acute Lymphoblastic Leukemia in a Randomized, Open-Label Phase 3 Study (Tower). Haematologica 2016; 101 (S1): Abstract #S149. 3. Topp MS et al.: Retreatment with Blinatumomab after CD19-Positive Relapse: Experience from 3 Trials in Patients with Relapsed/Refractory B-Precursor Acute Lymphoblastic Leukemia. Haematologica 2016; 101 (S1): Abstract #P165. 4. Fathi A et al.: SGN-CD33A in Combination with Hypomethylating Agents: a Novel, Well-Tolerated Regimen with High Remission Rate in Older Patients with AML. Haematologica 2016; 101 (S1): Abstract #S503. 5. Jilani I et al.: Differences in CD33 intensity between various myeloid neoplasms. Am J Clin Pathol 2002; 118: 560–566. 6. Hazenberg M et al.: Acute Myeloid Leukemia (AML) Patients Cured After Allogeneic Hematopoietic Stem Cell Transplantation Generate Tumor-Specific Cytotoxic Antibodies That Kill Aml Blasts. Haematologica 2016; 101 (S1): Abstract #S124. 7. Rothenberg-Thurley M et al.: Persistence of Driver Mutations During Complete Remission Associates with Shorter Survival and Contributes to the Inferior Outcomes of Elderly Patients with Acute Myeloid Leukemia. Haematologica 2016; 101 (S1): Abstract #S146.
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