Transkript
Im Fokus: Targeted & ImmunoTherapies
Moderne Entwicklungen der gezielten Therapien
Grundlagen und wichtige Neuerungen in der Onkologie
Der Artikel stellt eine Zusammenfassung der Grundlagen der zielgerichteten (gezielten) Therapien («targeted therapies») dar. Dazu werden bei drei wichtigen Tumorentitäten – dem Mammakarzinom, dem Bronchuskarzinom und dem Nierenzellkarzinom – die wichtigsten Neuerungen auf dem Gebiet der zielgerichteten Therapie zusammengefasst.
Julia
Landin JULIA LANDIN, SACHA ROTHSCHILD, MARCUS VETTER
SZO 2016; 2: 16–20.
Sacha Rothschild Marcus Vetter
Wenige Bereiche der Medizin unterlagen in den letzten Jahren einem derart grossen Wandel wie die Onkologie. Basierend auf dem besseren Verständnis der Tumorentstehung, des Wachstums und der Metastasierungsprozesse auf genetischer und molekularer Ebene konnten zahlreiche neue Wirkstoffgruppen und Medikamente zur Tumortherapie erforscht und erfolgreich eingesetzt werden. Diese Entwicklung widerspiegelt sich unter anderem in der ansteigenden Zahl von neu zugelassenen onkologischen Medikamenten. Die meisten der in den letzten Jahren im Sektor Hämatologie-Onkologie durch die Swissmedic zugelassenen Medikamente sind zielgerichtet. Tabelle 1 gibt hierzu einen Überblick.
ABSTRACT
Targeted therapies in 2016
Targeted therapies, which include small molecule inhibitors, have significantly changed the treatment of cancer over the past years. These drugs are now a component of therapy for many common malignancies, including breast, lung and renal cell carcinoma. Targeted therapies are generally better tolerated than traditional chemotherapy, but they are as well associated with several adverse effects. In case of progression a re-biopsy of the tumor should be initiated. Recently, molecular analysis may be performed even from cell-free DNA from peripheral blood («liquid biopsy»). Advances in our understanding of the underlying biology of different cancer types have revealed distinct molecular subtypes. A substantial proportion of NSCLC, for example, depends on oncogenic molecular aberrations (so-called «driver mutations») for their malignant phenotype. Personalized therapy encompasses the strategy of matching these subtypes with effective targeted therapies. EGFR mutations and ALK translocation are the most effectively targeted oncogenes in NSCLC.
Keywords: targeted therapies, small molecule inhibitors, liquid biopsy, molecular subtypes.
Verbesserte Therapieoptionen
Herausforderung Nebenwirkungen und Resistenzen Allerdings treten auch unter diesen neuen Medikamenten Nebenwirkungen auf, da sie in der Regel weit weniger spezifisch sind, als wünschenswert wäre. Aufgrund ihrer molekularen Wirkweise und des Vorhandenseins der Zielmoleküle in unterschiedlichen Geweben können sehr vielfältige und auch in der Onkologie bis anhin unbekannte Nebenwirkungen auftreten. Dies wird insbesondere bei sogenannten Multikinase-Inhibitoren deutlich, die oft im Ausmass der Nebenwirkungen mit einer klassischen Chemotherapie vergleichbar sind, auch wenn das Spektrum der Nebenwirkungen sehr unterschiedlich sein kann. Bei vielen onkologischen Erkrankungen hat die Charakterisierung von molekularen Subtypen zu einer Verbesserung der Therapieoptionen und der Prognose der Patienten geführt, auch wenn es unter diesen Therapien nach einer gewissen Zeit zu Resistenzentwicklungen kommt. Hier liegt momentan einer der Hauptschwerpunkte der onkologischen Forschung. Das verbesserte Verständnis des Resistenzmechanismus bei einer Tumorprogression unter der zielgerichteten Therapie kann wiederum helfen, für die nächste Therapielinie eine erneute zielgerichtete Behandlung zu entwickeln. Die häufigsten Resistenzmechanismen erklären sich durch Sekundärmutationen, die beispielsweise zu einer sterischen Konformationsänderung eines Rezeptors führen, oder die Aktivierung von alternativen Signalwegen in den Tumorzellen. Zur Charakterisierung der Resistenzmechanismen ist es notwendig, Patienten zum Zeitpunkt der Tumorprogression nochmals einer Tumorbiopsie zu unterziehen. Neuerdings können molekulare Analysen auch aus zellfreier DNA aus dem peripheren Blut
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durchgeführt werden («liquid biopsy»). Bisherige Untersuchungen zeigen, dass diese Methode zuverlässig ist und möglicherweise das genetische Profil eines Tumors besser repräsentiert als eine Biopsie, da die zellfreie DNA die Tumorheterogenität besser widerspiegelt.
Next-Generation-Sequencing-(NGS)-Technologie und Implikationen Die Einführung der Next-Generation-Sequencing(NGS)-Technologie (auch «massive parallel sequencing» genannt) hat zu einem Durchbruch in der klinischen onkologischen Routine geführt. Im Rahmen von NGS-Verfahren können so mehrere Tausend bis zu Millionen Sequenzierreaktionen gleichzeitig ablaufen, und sie sind dabei noch hochgradig automatisierbar. Theoretisch kann durch die NGS-Technologie das gesamte Genom eines Tumors innert weniger Stunden sequenziert werden, während noch vor wenigen Jahren die Sequenzierung von einzelnen DNA-Abschnitten (in der Regel über sogenannte Sanger-Sequenzierungen) wesentlich mehr Zeit in Anspruch genommen hat. Auch sind die Kosten für die Sequenzanalysen in den letzten Jahren massiv gesunken. An vielen Zentren kommt nur noch die NGS-Technologie zum Einsatz. In den meisten Fällen handelt es sich um eine sogennante «targeted»-Sequenzierung: Dies bedeutet, dass eine definierte Anzahl von häufig mutierten Tumorgenen analysiert wird. Diese neuen Technologien bringen allerdings zahlreiche Herausforderungen mit sich. So wird eine bisher nie erreichte Menge an Daten generiert, wodurch grössere Speicherkapazitäten notwendig sind. Es braucht eine enge Zusammenarbeit zwischen Molekularbiologen, Pathologen, Bioinformatikern und Klinikern, um die Daten zu analysieren und deren Bedeutung für den klinischen Alltag sowie die Wahl der Therapie zu evaluieren. Zudem ist eine Verbindung
Tabelle 1:
Neuzulassungen in der Schweiz im Sektor Hämatologie-Onkologie durch die Swissmedic (jeweils Handelsnamen)
2012 Jakavi Xalkori Inlyta Caprelsa Dacogen Perjeta
2013 Bosulif Erivedge Xeljanz Folotyn Zaltrap Aubagio Stivarga Kadcyla Xtandi
2014 Tafinlar Giotrif Iclusig Mozobil Gazyvaro Imbruvica Imnovid
2015 Odomzo Farydak Cyramza Keytruda Lenvima Opdivo Kyprolis Zydelig Zykadia Cotellic
Definition: gezielte (zielgerichtete) Krebstherapie
Der Begriff der gezielten Krebstherapie (engl. targeted therapy) hat die Onkologie in den letzten Jahren geprägt. Darunter versteht man die Behandlung mit verschiedenen neuartigen Arzneistoffen, die direkt gegen Rezeptoren an der Tumorzelloberfläche oder intrazelluläre Signalwege gerichtet sind. Dazu gehören zum Beispiel gentechnisch hergestellte monoklonale Antikörper oder sogenannte «small molecules» gegen verschiedenste Tyrosinkinasen. Da diese Merkmale auf gesunden Zellen meist weniger oder gar nicht vorkommen, soll die gezielte Krebstherapie spezifischer wirksam und verträglicher sein. Im optimalen Fall gibt es für den Einsatz von zielgerichteten Therapien einen prädiktiven Marker, der eine Voraussage über die Wahrscheinlichkeit des Ansprechens zulässt. Prädiktive Marker können die (Über)expression eines Rezeptors oder Ligands, eine Amplifikation oder eine aktivierende Mutation sein. Im Gegensatz zu prädiktiven Markern, die für die Wahl der Therapie von Bedeutung sind, sagen prognostische Marker etwas über den Verlauf der Erkrankung ohne Korrelation zu einer bestimmten Therapie voraus. Viele zielgerichtete Therapien haben die Prognose derjenigen Patienten, deren Tumor die entsprechende molekulare Signatur trägt, deutlich verbessert.
zu internationalen Studiengruppen wichtig, um sich an klinischen Studien für immer kleiner werdende genetisch determinierte Subgruppen zu beteiligen. In diesem Zusammenhang sei auch auf die Bedeutung von sogenannten «basket trials» hingewiesen, in denen Patienten basierend auf dem genetischen Profil ihres Tumors und unabhängig von der Tumorhistologie eingeschlossen werden. Als erstes Zentrum der Schweiz wurde am Universitätsspital Basel ein molekulares Tumorboard initiiert, bei dem Resultate von NGS-Analysen besprochen und sich daraus ableitende therapeutische Entscheidungen interdisziplinär getroffen werden.
Targeted therapies beim nichtkleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC)
Beim metastasierten Adenokarzinom der Lunge kennen wir zahlreiche molekulare Veränderungen, deren Vorliegen für die Wahl der Therapie entscheidend ist. Deswegen ist es heute zwingend notwendig, dass eine detaillierte Aufarbeitung des Tumormaterials und die Bestimmung des histologischen Subtyps sowie gegebenenfalls eine weitere molekulare Untersuchung bei Diagnosestellung erfolgen (1). Die molekulare Testung sollte heute folgende Marker umfassen: L Mutationsanalyse für EGFR, KRAS, BRAF, HER2 L die Suche einer Translokation von ALK, ROS1 und
RET L Bestimmung der Genkopienzahl (Amplifikation)
von MET (2). Diese Analysen können sequenziell durchgeführt werden, weil das Vorliegen einer molekularen Veränderung weitere Aberrationen weitgehend ausschliesst.
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Aktivierende EGFR-Mutation Bei rund 15% der Patienten in Europa und den USA liegt eine aktivierende Mutation im epidermalen Wachstumsfaktorrezeptor (EGFR; epidermal growth factor receptor) vor; bei Asiaten sind solche Mutationen hingegen in 40 bis 60% der Tumore nachweisbar, und zwar gehäuft bei Nichtrauchern und Frauen (3). Diese Patienten profitieren von einer zielgerichteten Therapie mit einem Tyrosinkinase-Inhibitor (TKI) gegen EGFR (4). Dafür sind in der Schweiz drei orale Präparate (Afatinib, Erlotinib, Gefitinib; Giotrif®, Tarceva®, Iressa®) zugelassen. Die Ansprechrate ist mehr als doppelt so hoch wie unter einer konventionellen Chemotherapie, und das mediane Überleben dieser Patienten liegt bei über zwei Jahren. Zudem zeigt sich eine gute Symptomkontrolle mit einer Verbesserung der Lebensqualität. Im Verlauf der Erkrankung unter einer zielgerichteten Therapie kann es zu neuen molekularen Veränderungen kommen, die wiederum die weitere Therapie beeinflussen. Bei einer Krankheitsprogression unter einer zielgerichteten Therapie sollte daher eine erneute Tumorbiopsie angestrebt werden (5). Bis zu 50% der Patienten mit NSCLC, die positiv auf eine Therapie mit Gefitinib oder Erlotinib ansprechen, entwickeln beispielsweise im Verlauf der Therapie eine sekundäre Resistenz. Diese wird häufig durch eine Substitution von Methionin für Threonin an Codon 790 (T790 M) in Exon 20 bedingt. Diese Patienten können von einer Therapie mit einem Tyrosinkinasehemmer der dritten Generation, wie zum Beispiel Osimertinib (AZD9291), Rociletinib (CO1686) oder HM61713 profitieren. Diese Substanzen sind in der Schweiz noch nicht zugelassen, Osimertinib ist jedoch im Rahmen eines «early access»-Programms verfügbar. In der AURA-II-Studie zeigten sich für Osimertinib Ansprechraten von bis zu 60% bei den bereits mit einem TKI vorbehandelten Patienten bei geringen Nebenwirkungen (6).
Targeted therapies beim lokalisierten und metastasierten Mammakarzinom
Endokrine Therapien Die endokrine Therapie ist die älteste zielgerichtete Therapie beim Mammakarzinom. Bereits im 19. Jahrhundert wusste man, dass eine Ovarektomie bei Patientinnen mit lokal fortgeschrittenem Mammakarzinom wirksam sein kann. 1969 wurde der SERM (selective estrogene receptor modulator) Tamoxifen entdeckt. Die endokrine Therapie ist sowohl in der adjuvanten als auch in der metastasierten Situation ein wichtiger Baustein zur Behandlung des am häufigsten vorkommenden – dem hormonrezeptorpositiven (ER) – Mammakarzinoms und hat zu einer erheblichen Verbesserung der Prognose beigetragen. Zugelassene Medikamente sind Tamoxifen sowie Anastrozol, Letrozol und Exemestan (Arimidex®, Femara®, Aromasin®) aus der Gruppe der Aromatase-Inhibitoren und Fulvestrant (Faslodex®), das im metastasierten Setting eingesetzt werden kann. Allerdings treten im Therapieverlauf häufig Resistenzen gegen die endokrine Therapie auf. Es werden zusätzlich zum ER-Signalweg andere Wachstumssignalwege aktiviert, die zu einer ligandenunabhängigen Stimulation des ER führen. Hier scheint die Überaktivierung der PI3K/AKT/mTOR-Signalkaskade einen wichtigen Mechanismus darzustellen. Teilweise kann diese durch die Hinzugabe des mTOR-Inhibitors Everolimus (Afinitor®) zu der antihormonellen Therapie gehemmt werden (9). Eine neue vielversprechende Therapiestrategie zur Steigerung der Effektivität der endokrinen Therapie sind Inhibitoren der zyklinabhängigen Kinasen CDK 4/6, welche den Zellzyklus regulieren. In der PalomaIII-Studie zeigte der CDK-4/6-Inhibitor Palbociclib in Kombination mit Fulvestrant eine signifikante Verbesserung des progressionsfreien Überlebens (10).
Gentranslokation von ALK Weitere knapp 5% der Patienten mit Adenokarzinom weisen eine Gentranslokation von ALK (anaplastic lymphoma kinase) auf (3). Diese Patienten sprechen auf eine Therapie mit einem ALK-Inhibitor an. Für diese Indikation ist in der Schweiz Crizotinib (Xalkori®) zugelassen (7). Neuere und spezifischere ALKTKI (u.a. Ceritinib, Alectinib, Lorlatinib) wurden nach Vorbehandlung mit Crizotinib oder bei therapienaiven Patienten untersucht. Für weitere molekulare Subgruppen wurden zielgerichtete Therapien in Phase-II-Studien oder Kohortenstudien untersucht und zeigten vergleichbare Ansprechraten wie bei den vorher besprochenen Medikamenten (8).
Anti-HER2-Therapien Bei ungefähr 15 bis 20% der Mammakarzinome liegt eine Gen-Amplifikation und/oder Überexpression von HER2 vor, welche mit einem aggressiveren Krankheitsverlauf assoziiert ist und bis zur Einführung von spezifischen, gegen HER2 gerichteten Substanzen mit einer schlechteren Prognose einherging. Bereits seit 2006 ist Trastuzumab (Herceptin®) für die Behandlung des HER2-positiven Mammakarzinoms zugelassen; das Medikament konnte die Prognose deutlich verbessern. Mit der Einführung des monoklonalen HER2-Antikörpers Pertuzumab (Perjeta®), dem TKI Lapatinib (Tyverb®) und des Antikörperkonjugats Trastuzumab-Emtansin (T-DM1; Kadcyla®) wurden in den letzten Jahren drei neue zielgerichtete Substanzen für das HER2-positive Mammakarzinom entwickelt.
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Abbildung: Zeitverlauf der Zulassungen der HER2-Therapien
Die Zulassung für Pertuzumab in Kombination mit Herceptin und Docetaxel im Jahr 2012 konnte die Prognose des metastasierten oder lokal rezidivierenden, inoperablen HER2-positiven Mammakarzinoms statistisch signifikant und klinisch relevant verbessern (11) (Abbildung). Die Phase-II-Studie NeoSphere untersuchte die Wirksamkeit und Sicherheit einer neoadjuvanten Therapie mit Pertuzumab, Herceptin und Docetaxel beim lokal fortgeschrittenen, inflammatorischen oder frühen HER2-positiven Mammakarzinom. Dabei erhöhte diese Kombination die Rate der pathologischen Komplettremissionen im Vergleich zur konventionellen Therapie mit Trastuzumab plus Docetaxel signifikant (12). Die Studie TRYPHAENA untersuchte die Verträglichkeit und Wirksamkeit von Pertuzumab und Trastuzumab in Kombination mit einer Anthrazyklin- oder Carboplatin-basierten neoadjuvanten Chemotherapie. Unabhängig von der gewählten Chemotherapie führte die Kombination von Pertuzumab und Trastuzumab im neoadjuvanten Therapiekonzept zu hohen Raten pathologischer Komplettremissionen (13). Die CLEOPATRA-Studie untersuchte die Wirksamkeit von Pertuzumab in Kombination mit Trastuzumab und Docetaxel beim fortgeschrittenen Mammakarzinom im Vergleich zu einer Kombinationstherapie aus Trastuzumab und Docetaxel. Hier zeigte sich durch die Hinzugabe von Pertuzumab eine Verbesserung des Overall Survivals um fast 16 Monate (14). Mit Neratinib, einem oralen irreversiblen TKI des HER1, -2- und -4-Rezeptors, gibt es eine ganz neue zielgerichtete Substanz. Chan und Kollegen präsentierten die Ergebnisse der primären Analyse der ExteNET-Studie auf dem letztjährigen San Antonio Breast Cancer Symposium. Bei der ExteNET-Studie handelt sich um eine plazebokontrollierte Phase-IIIStudie, welche die Wirkung von Neratinib nach adjuvanter Chemotherapie mit Trastuzumab beim HER2positiven frühen Mammakarzinom untersuchte (15). Nach zwei Jahren zeigte sich ein signifikanter Vorteil für die mit Neratinib behandelten Gruppe hinsichtlich des krankheitsfreien Überlebens («invasive disease free survival», IDFS). In der Subgruppenanalyse zeigten sich diese Ergebnisse vor allem bei den hor-
monrezeptorpositiven Patientinnen. An Nebenwirkungen traten bei 40% der mit Neratinib behandelten Patientinnen dritt- bis viertgradige Diarrhöen auf, sodass eine Loperamid-Prophylaxe erwogen werden sollte. Hinsichtlich des Gesamtüberlebens wurde kein Unterschied zwischen den beiden Behandlungsarmen beobachtet; aufgrund des bis jetzt kurzen Nachbeobachtungszeitraums müssen hier jedoch Langzeitergebnisse abgewartet werden.
Targeted therapy beim metastasierten Nierenzellkarzinom (mRCC)
Durch den Einsatz moderner zielgerichteter Medikamente hat sich auch beim Nierenzellkarzinom die Prognose erheblich verbessert. Ungeachtet der prognostischen Gruppen ist seit dem Einsatz der modernen zielgerichteten Medikamente das mediane Überleben von 12 auf rund 24 Monate gestiegen (16). Für die moderne zielgerichtete Therapie spielen hier neben anderen vor allem zwei Signalwege eine wichtige Rolle: L der Anti-Angiogenese-Signalweg und L der PI3K/AKT/mTOR-Signalweg. Beide Signalwege können durch zielgerichtete Medikamente gehemmt werden. Mittlerweile sind in der Schweiz mehrere Substanzen für die Behandlung zugelassen, so die VEGF/PDGF-TKI Axitinib (Inlyta®), Pazopanib (Votrient®), Sorafenib (Nexavar®) und Sunitinib (Sutent®). Bevacizumab ist in Kombination mit IFN-alpha zugelassen. Bevacizumab (Avastin®) ist in Kombination mit IFN-alpha zugelassen (17, 18). Zudem sind die mTOR-Inhibitoren Everolimus und Temsirolimus (für Patienten mit ungünstiger Prognose) zugelassen. Tabelle 2 gibt einen Überblick über die wichtigsten Medikamente bei dieser Indikation. Bis anhin spielen die zielgerichteten Medikamente nur beim metastasierten Nierenzellkarzinom eine Rolle. In der adjuvanten Situation konnte der Einsatz von Sorafenib oder Sunitinib in der ECOG-ACRINE2805-Studie keinen Überlebensvorteil zeigen (19). Möglicherweise deutet dieses Resultat darauf hin, dass die Angiogenese bei Rezidiven im Gegensatz zu der metastasierten Situation keine bedeutende Rolle spielt.
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Tabelle 2:
Verschiedene «targeted therapies» für das metastasierte Nierenzellkarzinom
Therapie
Vergleich n
ORR mPFS mOS Literatur
(Substanzen)
(Monate) (Monate) (s. Quellen)
Sunitinib
INF-alpha 750 24% 9,5
29,3 20
Sorafenib
Plazebo 903 10% 5,5
19,3 21
Pazopanib Sunitinib 1110 31% 8,4
28,4 22
Axitinib
Sorafenib 288 32% 10,1
-
23
Temserolimus INF-alpha 8,6 8,6% 3,8
10,9 24
die in den letzten Jahren in der Onkologie Einzug gehalten haben. Durch verbesserte molekulare Profile von Tumoren und das bessere Verständnis der Tumorzellumgebung sowie der Interaktion mit dem Immunsystem werden weitere neue Therapieoptionen entwickelt werden, die die therapeutische Landschaft in der Onkologie wiederum verändern. Dies bedeutet aber auch, dass die Komplexität der Behandlung immer grösser wird und vermeintlich häufige Erkrankungen wie das Bronchialkarzinom oder das Mammakarzinom in kleine Subentitäten, abhängig von ihrem molekularen Profil, aufgeteilt und entsprechend unterschiedlich behandelt werden. L
Zusammenfassung
Die oben dargelegten Neuerungen in der Onkologie und die hier kurz präsentierten Substanzen stellen nur eine Auswahl der neuen Therapieoptionen dar,
Dr. med. Julia Landin (Korrespondenzadresse) E-Mail: julia.landin@usb.ch
Dr. phil. Dr. med. Sacha Rothschild
Merkpunkte
L Der Begriff der gezielten Krebstherapie (engl. «tar-
geted therapy») hat die Onkologie in den letzten Jahren geprägt und die Prognose derjenigen Patienten, deren Tumor die entsprechende molekulare Signatur trägt, deutlich verbessert.
L Unter diesen Therapien kommt es nach einer ge-
wissen Zeit zu Resistenzentwicklungen. Hier ist es notwendig, Patienten zum Zeitpunkt der Tumorprogression nochmals einer Tumorbiopsie zu unterziehen. Neuerdings können molekulare Analysen auch mit zellfreier DNA aus dem peripheren Blut durchgeführt werden («liquid biopsy»).
L Die Einführung der Next-Generation-Sequencing-
(NGS)-Technologie (auch «massive parallel sequencing» genannt) hat für einen Durchbruch in der klinischen onkologischen Routine gesorgt.
L Die gezielte Krebstherapie hat im klinischen Alltag
vor allem beim Lungenkarzinom, Mammakarzinom, Nierenzellkarzinom und malignen Melanom Einzug gehalten.
Dr. med. Marcus Vetter
Medizinische Onkologie Universitätsspital Basel 4031 Basel
Interessenkonflikte: Dr. Vetter: Advisor: Roche, Amgen, AstraZeneca, Eisai, Novartis. Referentenhonorare: Roche.
Dr. Rothschild: Advisor für Astellas, AstraZeneca, Bayer, BMS, Boehringer-Ingelheim, Eisai, Eli-Lilly, Merck, MSD, Novartis, Pfizer, Roche und SanofiAventis. Referentenhonorare: Astellas, Bayer, BMS, Boehringer-Ingelheim, Eisai, Merck, MSD, Novartis und Roche. Forschungsgelder: Boehringer-Ingelheim, BMS, Merck, SanofiAventis.
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