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20th Annual Congress of the European Society of Hematology (EHA), Wien, 11. bis 14. Juni 2015
Chronische myeloische Leukämie (CML)
Tyrosinkinasehemmer in der täglichen Erst- und Zweitlinientherapie
Erstmals wurde eine Analyse von Daten eines europäischen Patientenregisters zur Behandlung der CML in der täglichen Praxis präsentiert. Sie zeigte, dass die meisten
benden Patienten beträgt mittlerweile 29 Monate», so Hoffmann. Bei 104 Patienten kam es zu einem Progress in die
Patienten in der chronischen Phase diagnostiziert werden und dass Imatinib am
akute Phase oder Blastenkrise, 58 dieser
häufigsten als Erstlinientherapie eingesetzt wird. Studienupdates mit TKI der neueren Generation zeigten zudem interessante Resultate.
Patienten verstarben später. 129 Patienten verstarben ohne vorherige Progression. Das progressionsfreie Überleben
(PFS) lag nach 12 Monaten bei 95%, nach
24 Monaten bei 92%. Das Gesamtüber-
Seit Einführung der Tyrosinkinasehem- bei 93% 100 mg) und 3% mit einer Hy- leben (OS) betrug 97% nach 12 und 94%
mer (TKI) in die Behandlung der chroni- droxyurea-basierten Therapie. «53% der nach 24 Monaten.
schen myeloischen Leukämie (CML) hat Zweitgenerationen-TKI wurden im Rah- Dr. Hoffmann fasste diese erste Daten-
sich das Überleben dieser Patienten men von klinischen Studien verschrie- analyse bei der unselektionierten Patien-
deutlich verbessert. Relativ wenig ist ben», führte die Referentin weiter aus. tenpopulation zusammen: «Imatinib
jedoch darüber bekannt, ob die in Stu- Patienten mit komplexen zytogeneti- stellt die erste Wahl in der Behandlung
dien beobachteten bemerkenswerten schen Anomalien in den Ph+-Zellen er- der CML dar, während Zweitgeneratio-
Behandlungsfortschritte auch tatsächlich hielten häufiger Zweitgenerationen-TKI nen-TKI nicht sehr häufig einsetzt wer-
Eingang in die tägliche Praxis gefunden als solche ohne (26% vs. 17%).
den. Die von uns ermittelten PFS-, OS-
haben. «Daher wollten wir untersuchen, Die mediane Zeit bis zum ersten kom- und CCyR-Raten liegen etwas tiefer als
ob alle CML-Patienten in Einklang mit pletten zytogenetischen Ansprechen in den klinischen Studien, sind jedoch
den aktuellen Richtlinien behandelt wer- (CCyR) betrug 10 Monate. Nach 18 Mo- immer noch vergleichbar hoch.»
den und ob die in der Praxis erreichten Resultate gleich gut sind wie die der Studien», meinte Dr. med. Verena Hoff-
naten hatten 77% eine CCyR erreicht. Wurde Dasatinib oder Nilotinib als Erstlinientherapie eingesetzt, erreichten die
Finale Analyse der ENEST1stStudie mit Nilotinib
mann, München.
Patienten eine CCyR signifikant früher als Prof. Dr. med. Andreas Hochhaus, Jena/
Internetbasiertes europäisches Patientenregister
mit Imatinib (6 vs. 10 Monate, p < 0,0001). Deutschland, präsentierte die Endanaly«Die mediane Beobachtungszeit der le- se der ENEST1st-Studie zur Wirksamkeit Das European LeukemiaNET (ELN) hat in Zusammenarbeit mit Novartis ein inter- netbasiertes Patientenregister aufge- baut, in dem zwischen 2008 und 2012 al- le neu diagnostizierten CML-Patienten in 20 europäischen Ländern respektive vor- bestimmten Regionen erfasst werden sollten (1). «Damit liess sich ein Gebiet von insgesamt 92,5 Millionen Einwoh- nern abdecken», betonte Dr. Hoffmann. «Eingeschlossen wurden schliesslich 2904 CML-Patienten.» Bei 94% der Patienten wurde die Erkran- kung in der chronischen Phase diagnosti- ziert. Das mediane Alter lag bei 56 Jah- ren, in 57% der Fälle waren Männer be- troffen. Als Erstlinientherapie kam bei 80% der Patienten Imatinib (Glivec®) zum Einsatz. Die Anfangsdosierung betrug in 95% der Fälle 400 mg. 14% der Patienten wurden mit Nilotinib (Tasigna®) behandelt (Anfangsdosis bei 92% 600 mg), 3% mit Dasatinib (Sprycel®) (Anfangsdosis Abbildung: Finale Resultate der ENEST1st-Studie mit Nilotinib: Kumulative Rate einer MMR (BCR-ABLIS < 0,1%), MR4 und MR4,5 (BCR-ABLIS ≤ 0,0032% oder nicht mehr nachweisbare BCR-ABL in cDNA mit ≥ 32 000 ABL-Transkripten) (2). 30 SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 3 – KONGRESSAUSGABE SEPTEMBER 2015 20th Annual Congress of the European Society of Hematology (EHA), Wien, 11. bis 14. Juni 2015 und Sicherheit einer Erstlinientherapie mit Nilotinib (Tasigna®) (300 mg 2-mal täglich) bei Patienten mit CML in der chronischen Phase (CML-CP) (2). In dieser Studie fand die Überwachung des molekularen Ansprechens (MR) in 13 standardisierten Laboratorien von EUTOS (European Treatment and Outcome Study) statt. Die finale Analyse wurde durchgeführt, nachdem alle Patienten während mindestens 24 Monaten behandelt worden waren oder die Therapie zuvor abgebrochen hatten. Die Intent-to-Treat-/Sicherheitspopulation umfasst 1098 Patienten aus 26 europäischen Ländern. 881 Patienten schlossen eine 24-monatige Behandlung ab. «Die Erstlinienbehandlung mit Nilotinib führte rasch zu hohen Ansprechraten», so Prof. Hochhaus. Nach 24 Monaten hatte gut die Hälfte der Patienten eine MR4 erreicht (BCR-ABLIS ≤ 0,01% oder nicht mehr nachweisbare BCR-ABL in cDNA mit ≥ 10 000 ABL-Transkripten) (Abbildung). Wie bereits die Studie ENESTnd gezeigt hatte, erwies sich auch in ENEST1st das Erreichen einer BCR-ABLIS < 10% nach 3 Therapiemonaten als prädiktiv für das zukünftige Erreichen eines tiefen molekularen Ansprechens (3). So erreichte kein Patient mit einer BCR-ABLIS > 10% nach 3 Monaten eine MR (4). Das geschätzte OS nach 24 Monaten betrug 98,8%. Die Raten beobachteter Nebenwirkungen in ENEST1st waren im grossen Ganzen mit denjenigen der bisherigen Studien vergleichbar. Von besonderem Interesse waren Flüssigkeitsretentionen (periphere Ödeme, Pleura-, Perikardergüsse). Diese traten bei 11,8% der Patienten auf (alle Grade). Ereignisse vom Grad 3 und 4 wurden bei 0,8% der Patienten registriert. Von ischämischen kardiovaskulären Ereignissen waren 6% betroffen (alle Grade). Ereignisse vom Grad 3 und 4 kamen bei 3,5% der Patienten vor. Abschliessend verglich Prof. Hochhaus die Ergebnisse von ENEST1st mit denjenigen von ENESTnd und meinte dazu: «Die in ENEST1st beobachteten höheren Raten eines molekularen Ansprechens und die tiefere Frequenz an Nebenwirkungen könnten – verglichen mit dem Arm unter 300 mg Nilotinib zweimal täglich in ENESTnd – auf Verbesserungen im
Management von Nilotinib-behandelten Patienten zurückzuführen sein. Dazu zählt auch die Einführung der Dosierung von 450 mg pro Tag für Patienten in ENEST1st mit rezidivierenden Nebenwirkungen.» Insgesamt unterstützten die Resultate dieser Studie den Einsatz von Nilotinib als Erstlinientherapieoption bei CML-CP, schloss er.
Zwei-Jahres-Follow-up von SPIRIT 2 mit Dasatinib
Prof. Dr. med. Stephen O’Brien, Newcastle/Grossbritannien, stellte die Resultate des 2-Jahres-Follow-ups von SPIRIT-2 vor, der grössten randomisierten Studie zum Vergleich von 400 mg/ Tag Imatinib mit 100 mg/Tag Dasatinib (Sprycel®) (4). Zwischen August 2008 und März 2013 wurden in Grossbritannien insgesamt 812 Patienten rekrutiert und 1:1 in die beiden Behandlungsarme randomisiert. «Das mediane Follow-up liegt derzeit bei 3,5 Jahren. Für alle Patienten sind Daten über ein Follow-up von 2 Jahren verfügbar», präzisierte Prof. O’Brien. Beide Behandlungen erwiesen sich als generell gut verträglich. Unter Imatinib traten häufiger gastrointestinale Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall auf als unter Dasatinib. Bei dem Zweitgenerationen-TKI lag dagegen die Rate an Pleuraergüssen deutlich höher als unter Imatinib (24,1% vs. 1,2%; Anzahl Patienten in beiden Armen je 406). «Hinsichtlich der Häufigkeit kardiovaskulärer Ereignisse zeigte sich kein Unterschied», ergänzte O’Brien. Signifikant mehr Patienten unter Dasatinib als unter Imatinib erreichten nach 2 Jahren eine MR3 (BCRABL1/ABL1IS < 0,1%): 57,5% vs. 46%; p < 0,001. Insgesamt 95,3% der eingeschlossenen Patienten sind weiterhin am Leben. Es zeigten sich bisher keine Unterschiede im PFS und OS. «Das ereignisfreie Überleben nach 5 Jahren, der primäre Endpunkt der Studie, wird im März 2018 evaluierbar sein», beendete Prof. O’Brien seine Ausführungen.
Drei-Jahres-Daten der PACE-Studie mit Ponatinib
Dr. med. Jorge Cortes und Kollegen haben als Poster ein Update der Resultate der PACE-Studie präsentiert (5). Diese Phase-II-Studie untersuchte die Wirksamkeit und Sicherheit von Ponatinib
(Inclusig®) (Startdosis 45 mg/Tag) bei CML-Patienten, die gegenüber Dasatinib/Nilotinib resistent sind, diese TKI nicht vertragen oder eine T315I-Mutation aufweisen. Von den eingeschlossenen 449 Patienten hatten 58% vor Ponatinib bereits mindestens drei TKI erhalten. Aufgrund von Fällen einer arteriellen Verschlusskrankheit (AOE), die während der Studie auftraten, wurde die empfohlene Ponatinibdosierung im Oktober 2013 reduziert. Die in Wien vorgestellten Daten umfassten ein Follow-up von mindestens 3,3 Jahren, wobei der Fokus auf den Patienten mit einer CML-CP lag. Ebenfalls wurde der Einfluss der Dosisreduktion auf den Erhalt des Ansprechens und das Auftreten von AOE untersucht (Follow-up von 16 Monaten). 39% der CML-CP-Patienten erreichten ein mindestens gutes molekulares Ansprechen (MMR). 23% erreichten eine MR4,5. Das Ansprechen erwies sich zudem als dauerhaft. Die Wahrscheinlichkeit von Patienten mit einem guten zytogenetischen Ansprechen (MCyR), dieses nach 3 Jahren weiterhin aufzuweisen, lag bei 83%. Bei 95% der CML-CP-Patienten mit MCyR und 94% derjenigen mit MMR war das Ansprechen auch 16 Monate nach der Dosisreduktion noch erhalten. Die kumulative Inzidenz der AOE stieg im Lauf der Zeit. Die expositionsadjustierte Inzidenz neuer arterieller und venöser Verschlusskrankheiten nahm jedoch mit längerer Therapiedauer ab. Nach der Dosisreduktion kam es bei 7% der Patienten ohne vorheriges AOE zu einem Ereignis. Die Autoren schliessen, dass die Entscheidung zum Einsatz von Ponatinib bei Patienten mit CML auf einem Abwägen von Nutzen und Risiken basieren sollte, insbesondere bei Patienten mit Risikofaktoren für eine Verschlusskrankheit.
Kombination aus PI3KInhibitor und TKI als neuer Ansatz?
Obwohl die TKI die Behandlung der CML revolutioniert haben, kann es durch Punktmutationen zu Resistenzen gegenüber diesen Substanzen kommen. Zudem sind TKI nicht in der Lage, die leukämischen Stammzellen zu eradizieren. Okabe und Kollegen haben daher einen neuen Ansatz untersucht (6). Sie
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behandelten Ph+-leukämische Zellen (einschliesslich TKI-resistenter Zellen und Zellen mit T315I-Mutation) mit der Kombination aus dem PI3K-Inhibitor Copanlisib und einem TKI (Imatinib, Nilotinib oder Ponatinib). Sie stellten dabei fest, dass sich dies bei TKI-resistenten Zellen als starke Strategie erwies und der zytotoxische Effekt der TKI verstärkt werden konnte. Bei Mäusen untersuchten sie zudem den Effekt von Copanlisib plus Ponatinib auf die Bildung von CML-Tumoren. Dazu injizierten sie den Tieren sub-
kutan Ba/F3-T315I-mutierte Zellen. Eine
tägliche Dosis von 20 mg/kg Ponatinib
per os und dreimal pro Woche 6 mg/kg
Copanlisib intraperitoneal, führte im Ver-
gleich zu den Kontrolltieren zu einer
Hemmung des Tumorwachstums und
einem reduzierten Tumorvolumen. Die
Behandlung wurde dabei von den Tieren
gut vertragen.
I
Therese Schwender
Referenzen: 1. Hoffmann V et al. Analysis of treatment and outcome data of 2904 patients from the EUTOS population-based registry. EHA 2015, Abstract S487.
2. Hochhaus A et al. Efficacy and safety of frontline nilotinib in 1089 European patients (pts) with chronic myeloid leukemia in chronic phase (CML-CP): ENEST 1st final analysis. EHA 2015, Abstract S486. 3. Saglio G et al. Nilotinib versus imatinib for newly diagnosed chronic myeloid leukemia. N Engl J Med 2010; 362: 2251–9. 4. O’Brien S et al. SPIRIT 2: an NCRI randomised study comparing dasatinib with imatinib in patients with newlydiagnosed chronic myeloid leukemia-2 year follow up. EHA 2015, Abstract S489. 5. Cortes J et al. Ponatinib efficacy and safety in heavily pretreated leukemia patients: 3-year results of the PACE trial. EHA 2015, Abstract P234. 6. Okabe S et al. Combined effects of PI3K inhibitor, copanlisib with ABL tyrosine kinase inhibitors in Ph-positive leukemia cells. EHA 2015, Abstract PB1728.
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