Transkript
Im Fokus: Radioonkologische Behandlungsoptionen und -techniken
Interventionelle Radioonkologie
Indikationen und Techniken
Die interstitielle Brachytherapie ist eine effektive Methode zur Verabreichung hoher Strahlendosen bei Patienten mit Malignomen. Im Gegensatz zur perkutanen Implantation von Applikatoren in superfizielle Tumoren oder zur Insertion von Applikatoren in Körperhöhlen zielt die interventionelle minimalinvasive Brachytherapie auf innere Organe. Durch die Platzierung multipler Katheder in die Läsion kann eine wirksame Dosierung unter Aussparung des umgebenden Gewebes erreicht werden.
CHRISTOS KOLOTAS, MARTIN STAUDACHER
SZO 2015; 1: 24–27.
Christos Kolotas Martin Staudacher
Die Integration der Schnittbildverfahren und die Entwicklung von neuen schnellen Planungsprogrammen ermöglichen heute eine präzise Dosierung der Brachytherapie (BT). Durch die CT-, MR- oder Ultraschall-geführten sowie navigierten Implantationen der Brachytherapie-Applikatoren können die zu behandelten Volumina komplikationslos erfasst werden (1).
Neue Techniken der Brachytherapie
Während die BT früher mit Radium durchgeführt wurde, indem die Radiumnadeln manuell in Tumoren implantiert wurden, wird heute das Nachladeverfahren (afterloading) angewandt. Dabei werden zunächst Applikatoren (Kunststoff- oder Metallnadeln, Schläuche) in die gewünschte Position gebracht und fixiert. Erst nach Berechnung eines dreidimensionalen Bestrahlungsplans und Bestimmung der optimalen Aufenthaltspositionen der radioaktiven Quelle werden diese Applikatoren beladen, indem man sie am Afterloading-Gerät anschliesst. Im Tresor des Afterloaders befindet sich das radioaktive Isotop (meistens Iridium), befestigt an der Spitze eines Drahtes, das in die Applikatoren einfährt und sich an den bestimmten Positionen für die vorberechnete Zeit aufhält. Die Bestrahlungdauer beträgt in den meisten Fällen wenige Minuten. Nach der Bestrah-
ABSTRACT
Interventional Radiotherapy
Interstitial brachytherapy is a valuable tool for the delivery of high doses in patients with malignant disease. In contrast to percutaneous implantation of applicators into superficial tumors or insertion of applicators into body cavities interventional minimally invasive application of brachytherapy addresses also the internal organs. By placing multiple catheters in the lesion, a conformal dose can be generated, enabling definitive treatment of the lesion while sparing critical structures.
Keywords: Afterloading, Brachytherapy, 3D treatment planning, head and neck, prostate, breast.
lung zieht sich die Quelle wieder in den Tresor zurück, und der Patient kann den Bestrahlungsraum bis zur nächsten Sitzung verlassen. Die AfterloadingMaschinen stellen keine Strahlenschutzprobleme dar wie die früheren Radiumquellen. Somit eröffneten sich in den letzten Jahrzehnten neue Anwendungsmöglichkeiten der interstitiellen BT, die heute interventionelle Strahlentherapie genannt wird: Die interventionelle Strahlentherapie (Brachytherapie) umfasst die Indikationsstellung, Planung und Durchführung aller interventionellen Behandlungsverfahren in der Radioonkologie. Dem minimalen Risiko einer invasiven Behandlung steht eine Dosisverteilung mit charakteristisch hohen Dosen im Tumor und steilem Dosisabfall in der Peripherie respektive am Normalgewebe gegenüber. Die Dosisverteilung in der interventionellen BT ist ebenbürtig. In vielen Fällen ist diese Methode sogar der Bestrahlung (mit deutlich teureren Therapieverfahren) in der Effektivität überlegen.
Indikationen
Die Einsatzmöglichkeiten der interventionellen Strahlentherapie sind noch längst nicht überall erkannt und werden derzeit noch zu wenig genutzt. Das betrifft insbesondere den mit ihr verbundenen Vorteil einer kurzen, lediglich mehrtägigen Behandlungsdauer. Das Indikationsspektrum der interventionellen Radiotherapie wird sukzessiv erweitert: in der primären kombinierten Strahlentherapie, in der komplementären radikalen Therapie, in der intra- respektive perioperativen Stahlentherapie und in der kurzzeitigen Therapie bei palliativem Auftrag (2).
Kopf-Hals-Tumoren Lebensqualität und Schicksal der Patienten mit KopfHals-Tumoren werden entscheidend durch die lokoregionale Kontrolle bestimmt. Die BT wird in den meisten Fällen kombiniert mit einer perkutanen
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Radiochemotherapie als lokale Dosisaufsättigung (boost) eingesetzt. Das bevorzugte Anwendungsgebiet der BT umfasst Karzinome des Zungengrundes, der beweglichen Zunge, des Mundbodens und der Wange sowie die Monotherapie bei Lippenkarzinomen (Tabelle). Auch in ungünstigen Situationen bei lokal fortgeschrittenen Tumoren oder bei Rezidiven nach multimodaler Behandlung werden durch die interstitielle BT eindrückliche Resultate erzielt. Bei der perioperativen BT werden die Applikatoren intraoperativ nach der Tumorresektion im Tumorbett fixiert, und anschliessend (nach 1–3 Tagen) erfolgt die fraktionierte Bestrahlung über 3 bis 5 Tage. Diese Methode gewährleistet die genaue Definition und Erfassung der Risikoregion, dies bei gleichzeitiger Verkleinerung des Bestrahlungsvolumens.
Zervixkarzinom Die simultane Radiochemotherapie in Kombination mit einer «Image-guided»-BT gilt als Goldstandard in den Stadien FIGO II/III und Iva (3). Eine Strahlentherapie des Zervixkarzinoms ohne BT ist als palliative Therapie zu betrachten. Während bei kleinen Zervixkarzinomen die BT mit dem Ring-Stift-Applikator durchführbar ist, darf man bei fortgeschrittenen Tumoren auf eine interstitielle BT nicht verzichten (4). Nur so kann man bei asymmetrischer Tumorausdehnung die Dosis adäquat bei gleichzeitiger Schonung von Blase und Darm applizieren.
Tabelle:
Lokale Kontrolle und Komplikationsraten für die primäre interstitielle Therapie bei Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren (8)
Lokalisation Autor
Nase Ohr
Lippe Wange Mundboden
Mazeron Dubois Mazeron Gerbaulet Gerbaulet Pernot
Mazeron Mobile Zunge
Pernot Mazeron Lefebvre Oropharynx Pernot
Patienten- Komplikationen Lokale
anzahl
Kontrolle
1676 10%
93%
140 70 20%
95% 94%
231 13%
95%
344 81%
207 Grade III–IV: 6,5% T1: 97%, T2: 72%, T3: 51%
117 T1: 93%, T2: 75%
448 166 22% 341 19%
68% 87% 82%
277 Grade I–II: 25% T1: 89%, T2: 86%, Grade III–IV: 2% T3: 69%
Mammakarzinom Nach brusterhaltender Operation des Mammakarzinoms ist eine Radiotherapie in kurativer Zielsetzung obligat. Dazu werden in der Regel Strahlendosen um 50 Gy möglichst homogen perkutan appliziert. Das sogenannte Tumorbett als Ort des nachweislich höchsten Rezidivrisikos kann zusätzlich kleinvolumig mit einer Dosis zwischen 10 und 25 Gy aufgesättigt werden. Technisch stehen dazu zwei Verfahren zur Verfügung: Die interstitielle BT ist dabei besonders bei tief (bzw. thoraxwandnah) gelegenem Risikoareal geeignet, während bei oberflächlicher Lage des Tumorbettes (15 mm oder weniger unter der Haut) eine hochenergetische Elektronenstrahlung vorzuziehen ist. Eine interventionelle postoperative Strahlentherapie des Tumorbettes kann auch als alleinige Therapie (ohne externe Bestrahlung der ganzen Brust) bei Patientinnen mit niedrigem Risikoprofil (TU < 3 cm, Alter > 60 J., negativer Lymphknotenstatus, keine EIC, keine Lymphangiosis) durchgeführt werden (5). Die 10- bis 12-Jahres-Ergebnisse der Langzeituntersuchungen (Phase-II-Studien) der interstitiellen BTPatientinnen mit niedrigem Risikoprofil zeigen die gleiche Effektivität wie die Ergebnisse einer Bestrahlung von aussen, auch wenn die Daten von randomisierten Studien noch fehlen. Über 95% dieser Patien-
Abbildung 1: Alleinige interstitielle Brachytherapie beim Lippenkarzinom: komplette Remission nach 6 Wochen. Abbildung 2: Interventionelle Strahlentherapie nach perkutaner Radiotherapie eines inoperablen Zervixkarzinoms.
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enten zur Therapie des Prostatakarzinoms vorgelegt, die auf realitätsrelevanten prätherapeutischen Risikoparametern aufbaut. Die effektivste Behandlungsform ist die LDR-BT, die allerdings im fortgeschrittenen Mittelrisikostadium und im Hochrisikostadium durch eine externe Strahlenbehandlung (und ggf. sogar durch eine temporäre Hormondeprivation) ergänzt werden muss (7). Die in der Schweiz übliche Ansicht, dass die Radikaloperation der Goldstandard der Prostatakrebsbehandlung sei, wird in keiner Risikokonstellation bestätigt.
Abbildung 3: Interstitielle Brachytherapie beim Mammakarzinom (Boost nach perkutaner Therapie).
A
Palliative Brachytherapie
Eine erneute radiotherapeutische Intervention in vor-
bestrahlten Regionen ist nur dann sinnvoll, wenn eine
adäquate Dosis appliziert werden kann. Diese Vor-
aussetzung erfüllt meistens die interventionelle
Strahlentherapie. Durch die biologische Wirksamkeit
der hohen Einzelfraktionen tritt der palliative Effekt
rasch ein. Für die BT spricht auch die kurze Behand-
lungsdauer von 1 bis 5 Tagen im Vergleich zu einer
mehrwöchigen Behandlung einer Teletherapie.
Ein hämostyptischer Effekt bei lokal fortgeschritte-
nen oder Rezidivtumoren wird bereits nach 1 oder
2 Sitzungen erzielt. Grundsätzlich können lokoregio-
näre Rezidive beziehungsweise Fernmetastasen in
fast jeder anatomischen Lokalisation mit interventio-
neller Strahlentherapie behandelt werden.
L
PD Dr. med. Christos Kolotas (Korrespondenzadresse) Institut für Radiotherapie Hirslanden Klinik Aarau 5001 Aarau E-Mail: christos.kolotas@hirslanden.ch
B
Abbildung 4A: Brachytherapie einer solitären Lungenmetastase bei Urothelkarzinom: Einzeldosis 18 Gy. Abbildung 4B: Thoraxaufnahme – vor und 2 Monate nach der Behandlung: radiologisch komplette Remission.
Dr. rer. nat. Martin Staudacher Institut für Radiotherapie Hirslanden Klinik Aarau 5001 Aarau
Merkpunkte
tinnen erleiden keinen lokalen Tumorrückfall mehr. Bei dieser Methode dauert die Behandlung 4 bis 5 Tage (die perkutane Strahlentherapie 6 Wochen).
Prostatakarzinom Dosimetrische Vergleiche zwischen verschiedenen Radiotherapietechniken zur Bestrahlung des Prostatakarzinoms (Protonen, Kohlenstoffionen, Photonen, HDR- und LDR-BT) zeigen, dass die BT anderen Techniken bezüglich der Strahlenbelastung von Harnblase und Rektum überlegen ist (6). Die Prostate Cancer Results Study Group hat eine Auswertung einer Metaanalyse mit über 52 000 Pati-
L Die interventionelle Strahlentherapie erfasst das
Zielvolumen zuverlässig mit hoher Einzeldosis bei gleichzeitiger Schonung des gesunden Gewebes.
L Durch die Platzierung von Applikatoren in Tumoren
respektive im Tumorbett wird die Strahlendosis durch das Radionuklid verabreicht.
L Die Implantantion erfolgt unter CT-, MRI- oder Ultra-
schallkontrolle, aber auch intraoperativ.
L Das Indikationsspektrum der interventionellen
Radiotherapie wird sukzessiv erweitert: in der primären, kombinierten Strahlentherapie, in der komplementären radikalen Therapie, in der intra- beziehungsweise perioperativen Stahlentherapie, in der kurzzeitigen Therapie bei palliativem Auftrag.
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Quellen: 1. Kolotas C, Baltas D, Zamboglou N.: CT-based brachytherapy. Strahlenther Onkol 1999, 175(9): 419–27. 2. Isaak B, Kolotas C, Greiner RH.: Radio-Onkologie: Die interstitielle Brachytherapie als interventionelle Radiotherapie. Schweiz Med Forum 2006; 6(01): 38–39. 3. Pötter R, Georg P, Dimopoulos JA et al.: Clinical outcome of protocol based image (MRI) guided adaptive brachytherapy combined with 3D conformal radiotherapy with or without chemotherapy in patients with locally advanced cervical cancer. Radiother Oncol 2011; 100(1): 116–23. 4. Tanderup K, Eifel PJ, Yashar CM et al.: Curative Radiation Therapy for Locally Advanced Cervical Cancer: Brachytherapy Is NOT Optional. IJROB 2014; 88(3): 537–39. 5. Nitsche M, Collen T, Gruber G.: Akzelerierte, partielle Radiotherapie der Mamma (APBI). Rationale, Technik und Perspektiven. Schweiz Zeitschr Onkologie 2009; 5: 12–15. 6. Georg D, Hopfgartner J, Gora J et al.: Dosimetric considerations to determine the optional technique for localized prostate cancer among external photon, proton, or carbon-ion therapy and HDR or LDR brachytherapy. Int J Radiat Oncol Biol Phys 2014; 88: 715–22. 7. Grimm P et al.: Comparative analysis of prostate specific antigen free survival outcomes for patients with low, intermediate and high risk prostate cancer treatment by radical therapy. Results from the Prostate Cancer Results Study Group. BJU Int 2012; 109 (suppl 1): 22–9. 8. Kolotas C, Zamboglou N.: Role of interstitial brachytherapy in the treatment of malignant disease. Onkologie 2001; 24: 222–28.
Abbildung 5A: Interstitielle Brachytherapie bei sakralem Rezidiv eines vorbestrahlten Patienten mit Rektumkarzinom: 3-D-Planung. Einzeldosis 10 Gy.
Abbildung 5B:
Schmerzerfassungbogen des gleichen Patienten über einen Zeitraum von 2 Wochen: Schmerzlinderung (von Score 10 auf 3) und gleichzeitiges Absetzen des Morphiums als Reserve 4 Tage nach der zweiten Behandlung
Alter Datum
10
9 8 7 6 5 4 3 2 1
0
28.11.07 29.11.
Brachy
73 J. 30.11. 1.12. 2.12.
3.12.
4.12.
Rez. Rektumkarzinom
5.12. 6.12. 7.12. 8.12.
Brachy
9.12. 10.12. 11.12.
12.12. Kontrolle
Patient
fühlt sich
Mittel Mittel Mittel Mittel Mittel – Gut Gut Gut Gut gut
Fentanyl Alle 72St – – – – – – – – – – – – – –
Pfl. 100 ug
Sortis Tbl. 1-0-0 – – – – – – – – – – – – – –
20 mg
Lyrica Tbl. 0-0-1 – – – – – – – – – – – – – –
75 mg
Dafalgan 1-1-1-1 – – – – – – – – – – – – – –
Btbl. 1 g
Reserve-Me-
dikamente
Morphin 3x 2x 3x 3x 3x 3x 3x 4x 3x 4x 3x 0 0 0 0
Trpf. 2%
20 bei SZ
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