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19th Annual Congress of the European Society of Hematology (EHA), Mailand, 12. bis 15. Juni 2014
Follikuläres Lymphom
Möglichkeiten der chemotherapiefreien Behandlung
Verschiedene chemotherapiefreie Behandlungsoptionen für Patienten mit einem follikulären Lymphom – insbesondere für relapsierte/refraktäre Erkrankungen – werden derzeit in Studien untersucht. Vielversprechend erscheinen dabei nicht nur neue Antikörper oder PD-1- respektive Kinaseinhibitoren, sondern auch die Kombination des Anti-CD20-Antikörpers Rituximab mit dem Immunmodulator Lenalidomid.
Das follikuläre Lymphom (FL) macht etwa 25% aller Fälle eines Non-Hodgkin-Lymphoms aus. Prof. Dr. med. Gilles Salles, Lyon/Frankreich, referierte beim diesjährigen EHA-Jahreskongress über die «Ära der chemotherapiefreien Behandlung» des FL. «Bevor ich mich den neuen Möglichkeiten zuwende, möchte ich aber auf eine Optimierung der Rituximab-Monotherapie eingehen, da es sich bei dem Antikörper eigentlich um die erste chemotherapiefreie Option handelt, die wir zur Verfügung hatten», meinte er zu Beginn. Nach wie vor seien nämlich auch in diesem Bereich noch einige Fragen offen.
Einsatz von Rituximab optimieren
Zu den noch offenen Fragen gehört, ob Rituximab (MabThera®) derzeit in der optimalen Dosierung eingesetzt wird. «Wir verwenden nach wie vor die Standarddosis von 375 mg/m2», so Prof. Salles. Unter Verwendung eines PharmakokinetikPharmakodynamik-Modells lieferten Ternant und Kollegen jedoch Hinweise darauf, dass der Einsatz von 1500 mg/m2 Rituximab – sowohl während der Induktions- als auch der Erhaltungstherapie – einen Vorteil bringen könnte (1). «Ausserdem fragt sich, ob wir das von uns verwendete Rituximab-Protokoll und die Behandlungsdauer noch optimieren könnten.» Die SAKK 35/98-Studie ging dieser Frage nach und zeigte, dass 4 zusätzliche Rituximab-Dosen im Abstand von 8 Wochen – nach einer Standardbehandlung mit 375 mg/m2 Rituximab pro Woche x 4 – das ereignisfreie Überleben und die Dauer des Ansprechens signifikant verlängerten (2). Wie ein Follow-up nach 9½ Jahren zeigte, wies eine beträchtliche Anzahl dieser Patienten zu-
dem eine Langzeitremission auf (3). Es profitierten dabei vor allem die bisher unbehandelten Patienten und solche, die auf eine Rituximab-Induktionstherapie angesprochen hatten. Ardeshna und Kollegen zeigten in einer vor Kurzem publizierten Arbeit, dass eine Rituximab-Monotherapie im Vergleich zur Strategie «Watch-and-Wait» bei Patienten mit einem fortgeschrittenen, asymptomatischen follikulären Lymphom ohne Bulk die Zeit bis zu einer Chemo- oder Radiotherapie zu verlängern vermochte (4), denn: «Auch das Hinauszögern einer Chemotherapie könnte man als chemotherapiefreie Behandlung ansehen», meinte Salles.
Neue Anti-CD20-Antikörper
Aufgrund der positiven Erfahrungen mit Rituximab wurden verschiedene Versuche unternommen, neue Anti-CD20-Antikörper mit einer höheren Aktivität zu entwickeln. «Die neuen Antikörper sollten andere Epitope des CD20-Moleküls als Rituximab erkennen oder zu einer stärkeren Antikörper- oder Komplementvermittelten Zytotoxizität führen», erklärte der Referent. Diese Forschungen mündeten schliesslich in der Entwicklung von Antikörpern wie Obinutuzumab (Gazyva®). In der GAUGUIN-Studie zeigte der Antikörper bei relapsierten/refraktären FL-Patienten eine gute Aktivität (5). Im direkten Vergleich zu Rituximab führte Obinutuzumab in der GAUSS-Studie zwar zu einer leicht besseren Gesamtansprechrate (ORR), das progressionsfreie Überleben (PFS) war jedoch in beiden Behandlungsgruppen vergleichbar (6). Neben der Entwicklung von neuen AntiCD20-Antikörpern wurde in den letzten Jahren auch vermehrt nach Antikörpern gesucht, die an anderen Antigenen der
B-Zelloberfläche – beispielsweise an CD22, CD74 oder CD80 – ansetzen. «In der Monotherapie zeigten diese Antikörper jedoch leider nur begrenzte Aktivität bei relapsierten/refraktären Patienten mit follikulären Lymphomen», so Prof. Salles. «In Kombination mit Rituximab haben der Anti-CD22-Antikörper Epratuzumab und der Anti-CD80-Antikörper Galiximab jedoch gute Ansprechraten gezeigt. Trotzdem geht die Entwicklung auf diesem Gebiet zurzeit nicht so rasch voran wie auf anderen.»
R2 – Rituximab kombiniert mit Lenalidomid
Forschungen haben gezeigt, dass T-Zellen von Patienten mit einem FL eine eingeschränkte Bildung immunologischer Synapsen aufweisen, was einem aktiven, immunsuppressiven Mechanismus gleichkommt (7). Die In-vitro-Behandlung dieser Zellen mit der immunmodulatorisch wirkenden Substanz Lenalidomid (Revlimid®) bewirkte jedoch eine Reparatur dieses Defekts. In klinischen Studien vermochte Lenalidomid beim FL jedoch erst in Kombination mit Rituximab zu überzeugen. So fanden erste kleinere Studien Gesamtansprechraten von 53 respektive 86% (8, 9). In einer Phase-II-Studie erreichte das als R2 bezeichnete Regime (Rituximab 375 mg/m2 i.v. Tag 1, Lenalidomid 20 mg/Tag oral, Tag 1 bis 21; erhöht auf 25 mg/Tag nach 3 Zyklen, falls stabile Erkrankung) in der Erstlinientherapie bei Patienten mit FL (n = 45) eine ORR von 98%; ein komplettes Ansprechen war bei 85% der Patienten zu verzeichnen (10). «Interessanterweise sprachen Patienten mit einer hoher Tumorlast und solche mit Bulk gleich gut auf die kombinierte Behandlung an wie diejenigen mit niedriger Tumorlast und ohne Bulk», ergänzte Prof. Salles. «Zudem war ein Grossteil der Patienten nach dieser Behandlung sowohl PCR- als auch PET-negativ.» Die Behandlung führte jedoch bei 27% der Patienten zu einer Neutropenie vom Grad 3 bis 4, und bei je 9% zu Rash und zu Muskelschmerzen und Fatigue. «Wir haben hier
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also ein chemotherapiefreies Regime mit einer hohen Aktivität, das jedoch auch nicht vollständig frei von Nebenwirkungen ist», kommentierte der Redner. Leonard und Kollegen verglichen bei relapsierten Patienten (≥ 1 Rituximab-haltige Vortherapie) das R2-Regime mit einer Lenalidomid-Monotherapie (11). Unter der Kombination kam es bei 19% der Fälle zu einer Neutropenie Grad 3 und 4 (vs. 16% unter Monotherapie) und bei 14% zu einer Fatigue (vs. 9% unter Lenalidomid). Die ORR war unter der Kombination höher als bei der Lenalidomid-Monotherapie, dies vor allem aufgrund einer deutlich höheren Rate eines kompletten Ansprechens (CR) (Tabelle). In einer Studie der Phase Ib/II (GALEN) wird zurzeit bei relapsierten/refraktären Patienten die Kombination von Lenalidomid mit Obinutuxumab untersucht (12). Zudem wird in der RELEVANCE-Studie bei bisher unbehandelten Patienten mit follikulärem Lymphom das Regime R2, dem eine Rituximab-Erhaltungstherapie folgt, mit einer Rituximab-Chemotherapie, der eine Erhaltungstherapie folgt, verglichen (13).
PD-1-Hemmer und Kinase-Inhibitoren
PD-1-Hemmer (= programmed cell death 1) werden zurzeit bei verschiedenen Tumorentitäten untersucht. So hat das MD Anderson Cancer Center in Texas kürzlich seine Resultate zum Einsatz des PD1-Hemmers Pidilizumab in Kombination mit Rituximab bei 32 Patienten mit einem relapsierten FL publiziert (14). Bei 29 Patienten mit auswertbaren Daten zur Therapie betrug die ORR 66% (19 Patienten); eine CR konnte bei 15 Teilnehmenden (52%) festgestellt werden. Die häufigsten Nebenwirkungen vom Grad 1 und 2 wa-
ren Anämie, Fatigue und respiratorische Infektionen. Er traten keine Nebenwirkungen vom Grad 3 bis 4 auf. Ausserdem werden auch einige Kinasehemmer als mögliche chemotherapiefreie Optionen beim FL untersucht. Prof. Salles erklärte in diesem Zusammenhang: «Vermutlich am weitesten fortgeschritten sind hier die Arbeiten mit dem PI3Kδ-Hemmer Idelalisib.» So haben Gopal und Kollegen vor Kurzem die Resultate ihrer Phase-II-Studie zur Idelalisib-Monotherapie bei FL-Patienten veröffentlicht (15). Die Studienteilnehmenden hatten entweder auf Rituximab und eine alkylierende Substanz kein Ansprechen gezeigt oder innerhalb von 6 Monaten nach Therapieende ein Rezidiv erlitten. Die Idelalisib-Therapie führte zu einer ORR von 57%. Es erreichten 6% der Patienten eine CR, bei 50% lag ein partielles Ansprechen und bei 34% eine stabile Erkrankung vor. Die mediane Zeit bis zum Ansprechen war kurz und betrug lediglich 1,9 Monate. Die mediane Dauer des Ansprechens betrug 12,5 Monate. Als häufigste Nebenwirkungen vom Grad 3 oder höher wurden Neutropenie (27%), Erhöhung des Aminotransferasespiegels (13%), Durchfall (13%) und Pneumonie (7%) registriert.
Chemotherapiefreie Behandlung als Standard?
Wird die chemotherapiefreie Behandlung beim FL also bald einmal zum Standard werden? Prof. Salles meinte dazu: «Die Entwicklungen chemotherapiefreier Erstlinienbehandlungen sind erst in den Anfängen. Es empfiehlt sich hier nach wie vor, internationalen Therapieempfehlungen, beispielsweise denjenigen der ESMO oder der NCCN, zu folgen.»
Tabelle:
Ansprechraten und ereignisfreies Überleben für Lenalidomid (L) bzw. Lenalidomid kombiniert mit Rituximab (L+R) (11)
Ansprechraten und ereignisfreies Überleben in der CALGB-50401-Studie Medianes Follow-up 1,7 Jahre (0,1 bis 4,1 Jahre)
Gesamtansprechrate (ORR) Komplettes Ansprechen (CR) Partielles Ansprechen (PR) Medianes ereignisfreies Überleben 2-Jahres-ereignisfreies Überleben
Lenalidomid (L) (n = 45) 51,1% (95%-KI: 35,8–66,3) 13,3% 37,8% 1,2 Jahre 27%
L+ Rituximab® (n = 44) 72,7% (95%-KI: 52,2–85,0) 36,4% 36,4% 2,0 Jahre 44%
Dies bedeute kombinierte Optionen mit
Radiotherapie bei lokalisierter Erkran-
kung, Watch-and-Wait bei niedriger und
Rituximab plus Chemotherapie bei ho-
her Tumorlast. «Bei refraktären/relapsier-
ten Patienten stellen chemotherapiefreie
Optionen eine attraktive Alternative dar,
vor allem da sich viele dieser Patienten
nicht für eine Transplantation eignen. Wir
dürfen jedoch nicht vergessen, dass es
bisher keine formalen Vergleiche dieser
Optionen gibt, dass auch diese Regimes
nicht frei von Nebenwirkungen sind und
dass schliesslich auch die Langzeitwirk-
samkeit und Sicherheit dieser Alternati-
ven noch nicht bekannt ist», schloss Prof.
Salles.
I
Therese Schwender
Referenzen: 1. Ternant D et al.: Model-based design of rituximab dosage optimization in follicular non-Hodgkin’s lymphoma. Br J Clin Pharmacol 2012; 73: 597–605. 2. Ghielmini M et al.: Prolonged treatment with rituximab in patients with follicular lymphoma significantly increases event-free survival and response duration compared with the standard weekly x 4 schedule. Blood 2004; 103: 4416–23. 3. Martinelli G et al.: Long-term follow-up of patients with follicular lymphoma receiving single-agent rituximab at two different schedules in trial SAKK 35/98. J Clin Oncol 2010; 28: 4480–84. 4. Ardeshna KM et al.: Rituximab versus a watch-and-wait approach in patients with advanced-stage, asymptomatic, non-bulky follicular lymphoma: an open-label randomised phase 3 trial. Lancet Oncol 2014; 15: 424–35. 5. Salles GA et al.: Obinutuzumab (GA101) in patients with relapsed/refractory indolent non-Hodgkin lymphoma: results from the phase II GAUGUIN study. J Clin Oncol 2013; 31(23): 2920–26. 6. Goy A et al.: Randomized phase II trial comparing Obinutuzumab (GA101) with Rituximab in patients with relapsed CD20+ indolent B-cell non-hodgkin lymphoma: preliminary analysis of the GAUSS study. Haematologica 2012; 97(s1): 322, Abstract 0790. 7. Ramsay AG et al.: Follicular lymphoma cells induce Tcell immunologic synapse dysfunction that can be repaired with lenalidomide: implications for the tumor microenvironment and immunotherapy. Blood 2009 ; 114: 4713–20. 8. Dutia M et al.: Lenalidomide plus Rituximab leads to a high rate of durable responses in patients with relapsed/refractory indolent non-Hodgkin’s lymphoma. Ann Oncol 2011; 22(Suppl 4): Abstract 306. 9. Ahmadi T et al.: Phase II trial of Lenalidomide – Dexamethasone – Rituximab in relapsed or refractory indolent B-cell or mantle cell lymphomas resistant to Rituximab. Blood 2009; 114: Abstract 1700. 10. Fowler N et al.: Lenalidomide plus Rituximab is a highly effective and well-tolerated biologic therapy in untreated indolent B cell non-Hodgkin’s lymphoma. Ann Oncol 2011; 22(Suppl 4): Abstract 137. 11. Leonard J et al.: CALGB 50401: A randomized trial of lenalidomide alone versus lenalidomide plus rituximab in patients with recurrent follicular lymphoma. J Clin Oncol 2012; 30(suppl): Abstract 8000. 12. www.clinicaltrials.gov, NCT01582776 13. www.clinicaltrials.gov, NCT01476787 14. Westin JR et al.: Safety and activity of PD1 blockade by pidilizumab in combination with rituximab in patients with relapsed follicular lymphoma: a single group, open-label, phase 2 trial. Lancet Oncol. 2014; 15(1): 69–77. 15. Gopal AK et al.: PI3K? inhibition by idelalisib in patients with relapsed indolent lymphoma. N Engl J Med. 2014; 370(11): 1008–18.
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