Transkript
19th Annual Congress of the European Society of Hematology (EHA), Mailand, 12. bis 15. Juni 2014
Chronische myeloische Leukämie (CML)
Interimsanalyse der EURO-SKI-Studie zeigt Kriterien für den kontrollierten Therapieabbruch
Daten zur Inzidenz der CML in Europa je nach Alter und Geschlecht sowie erste Resultate einer Interimsanalyse der EURO-SKI-Studie zum Stopp einer Tyrosinkinasehemmer-(TKI)-Behandlung waren wichtige Themen auf dem diesjährigen Jahreskongress der EHA. Zudem standen neue TKI im Anschluss an die Erstlinientherapie zur Diskussion.
Zur Inzidenz der chronischen myeloischen Leukämie (CML), zum Stadium der Erkrankung zum Zeitpunkt der Diagnose, zur Behandlung und zum Verlauf der Erkrankung liegen bisher nur wenige Daten vor. Im Rahmen der European Treatment and Outcome Study (EUTOS) werden darüber nun Angaben in 27 europäischen Ländern gesammelt. Erste Resultate zur Inzidenz der CML wurden an der diesjährigen EHA-Jahrestagung präsentiert (1).
Inzidenz der CML in Europa
Das populationsbasierte Register hatte es sich zum Ziel gesetzt, alle neu diagnostizierten erwachsenen Patienten mit einer Ph-positiven oder einer BCR-ABLpositiven CML unabhängig vom Erkrankungsstadium in den europäischen Ländern insgesamt oder in definierten Regionen zu dokumentieren. Die Registrierungsperiode umfasste zwischen 12 und 60 Monate und dauerte von Januar 2008 bis Dezember 2012. 2956 Patienten in 20 europäischen Ländern (mit insgesamt über 80 Millionen erwachsenen Einwohnern) wurden registriert. Die geschätzte Rohinzidenz pro 100 000 Personenjahre lag zwischen 0,739 (Grossbritannien) und 1,964 (Finnland). Die Gesamtinzidenz für alle Länder betrug 1,029 mit einem Wert von 0,907 für Frauen und 1,163 für Männer. Die Inzidenz nahm mit zunehmendem Alter zu (20–29 Jahre: 0,421; 30–39 Jahre: 0,634; 40–49 Jahre: 0,978; 50–59 Jahre: 1,348; 60–69 Jahre: 1,529; 70–79 Jahre: 1,794; 80 Jahre und älter 1,738). Nach Meinung der Autoren kann die Inzidenz über alle Länder als robuste Schätzung für die Inzidenz der CML in Europa angesehen werden. Ausserdem liefere die Arbeit solide Schätzungen für die Inzidenz einer CML bei Männern und
Frauen und insbesondere auch für die verschiedenen Altersgruppen. Bei den 18- bis 40-Jährigen liegt die Inzidenz mit 0,498 tief, während sie bei den über 70-Jährigen – die in den meisten prospektiven Studien unterrepräsentiert sind – erwartungsgemäss mit 1,663 sehr viel höher ist.
Erste Interimsanalyse zum kontrollierten Therapieabbruch
Die Verfügbarkeit der Tyrosinkinasehemmer (TKI) hat das Überleben von Patienten mit CML entscheidend verbessert. Mittlerweile besteht die Hoffnung, die Erkrankung heilen zu können. Als ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Heilung wird eine Erhöhung der Rate der Patienten mit einem anhaltend tiefen molekularen Ansprechen (MR4 oder tiefer) nach Therapieabbruch angesehen. In mehreren Studien wurde gezeigt, dass die Behandlung mit einem TKI bei einem substanziellen Anteil der Patienten mit einer tiefen MR sicher und erfolgreich beendet werden kann (2, 3). Am EHA-Kongress wurden zu diesem Thema die Resultate einer Interimsanalyse der CML-Stopp-Studie EURO-SKI (EUROpe Stop tKI) vorgestellt (4). Diese Studie ermöglicht CML-Patienten, die sich seit mindestens 1 Jahr in einer tiefen molekularen Remission (MR4) befinden und die seit mindestens 3 Jahren einen TKI (Imatinib [Glivec®], Dasatinib [Sprycel®] oder Nilotinib [Tasigna®]) einnehmen, einen kontrollierten Abbruch der Therapie unter engmaschiger Beobachtung. Die Ziele der Registerstudie sind es, zu prüfen: L welcher Anteil dieser Patienten ohne
Therapie in dauerhafter Remission bleibt L welche Tiefe der molekularen Remission und
L welche Therapiedauer vor einem Stopp vorteilhaft sein könnte und
L ob es weitere prognostische Faktoren gibt, welche die Erfolgswahrscheinlichkeit eines Therapiestopps vorhersagen könnten.
Das mediane Alter der 200 Patienten war bei Diagnose 53,3 Jahre, die mediane TKI-Therapiedauer betrug 94,8 Monate, und die mediane Dauer der MR4-Remission vor dem Therapiestopp betrug 65,1 Monate. Zum Zeitpunkt der Analyse wurden die Patienten 8 Monate (Bereich 1–21) in der EURO-SKI-Studie beobachtet. Als Ende des Stoppversuchs und Neubeginn der CML-Therapie wurde der Anstieg der PCR über ein gutes molekulares Ansprechen (MMR, BCR-ABL > 0,1%) hinaus definiert. Von den 200 Patienten mussten in der noch recht kurzen Beobachtungszeit 86 (43%) wegen Überschreitung der MMR wieder mit der Therapie beginnen. 77 dieser 86 Patienten überschritten die MMR innerhalb der ersten 6 Monate nach dem Therapiestopp, die restlichen 9 Patienten in den 7 bis 16 Monaten danach. Diese erste Analyse bestätigt, dass das Absetzen der Behandlung im Rahmen einer Studie mit engmaschiger Molekulardiagnostik möglich ist und sich der Verlust einer MMR als Kriterium für die Wiederaufnahme der Behandlung eignet. Die vor dem Behandlungsstopp vorliegende Tiefe der molekularen Remission könnte sich bei der EURO-SKI-Studie als prognostischer Faktor für den Erfolg des Therapieabbruchs entpuppen.
Ponatinib: Resultate von PACE- und EPIC-Studie
Zum oralen TKI Ponatinib (Inclusig®) wurden in Mailand unter anderem Daten der Studie PACE vorgestellt (5). In dieser Phase-II-Studie wurden Patienten mit Ph-positiven Leukämien und einer Resistenz oder auch einer Unverträglichkeit gegenüber Dasatinib oder Nilotinib oder einer T325I-Mutation mit 45 mg Ponatinib täglich behandelt. Die Therapie erwies sich bei den stark vorbehandelten Patien-
24 SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE KONGRESSAUSGABE SEPTEMBER 2014
19th Annual Congress of the European Society of Hematology (EHA), Mailand, 12. bis 15. Juni 2014
ten als sehr aktiv. So erreichten beispielsweise 89% der Patienten mit einer CML in der chronischen Phase (CP-CML) ein gutes zytogenetisches Ansprechen für mindestens 2 Jahre. Das PFS und das OS nach 2 Jahren betrug 67 respektive 86%. Bezüglich Nebenwirkungen wurden insgesamt bei 20% der Patienten Gefässverschlüsse festgestellt (bei 14% schwere). Das Risiko für arterielle thrombotische Ereignisse war bei höherer Dosisintensität, höherem Alter und Vorliegen kardiovaskulärer Risikofaktoren gesteigert. In der internationalen Phase-III-Studie EPIC (= Evaluation of Ponatinib vs. Imatinib in CML) erhielten neu diagnostizierte CP-CML-Patienten entweder täglich 45 mg Ponatinib oder 400 mg Imatinib (6). Die Auswertung der Daten von bisher 267 Patienten bestätigte eine frühe Aktivität von Ponatinib bei CP-CML. Allerdings wurde die Studie vorzeitig abgebrochen, da aufgrund von Sicherheitsbedenken, die im Rahmen der Studie PACE aufgetaucht waren, Dosisreduktionen notwendig wurden. Die Autoren beider Arbeiten weisen darauf hin, dass Ponatinib für vorbehandelte CML-
Patienten weiterhin eine wichtige Option darstellt, da bei diesen Patienten der Bedarf an einer Therapie und ihr Nutzen das potenzielle Risiko überwiegen können.
Bosutinib als Viertlinientherapie wirksam und verträglich
Eine Arbeit aus Spanien untersuchte Bosutinib (Bosulif®) bei stark vorbehandelten CML-Patienten (7). Bei 25 Patienten kam Bosutinib als Viertlinientherapie zum Einsatz (Versagen oder Resistenz gegenüber 3 vorherigen TKI-Therapien). Nach einem medianen Follow-up von 7,23 Monaten zeigte die Behandlung bei resistenten Patienten (n = 12) gute Raten eines kompletten zytogenetischen und eines guten molekularen Ansprechens (25 bzw. 16%). Die Behandlung erwies sich zudem als gut verträglich. Gambacorti-Passerini und Kollegen gingen in ihrer Arbeit anhand der Daten aus zwei laufenden Bosutinib-Studien der Frage der kardialen Sicherheit einer Langzeittherapie mit TKI nach (8). Sie stellten insgesamt eine niedrige Inzidenz behandlungsbedingter kardialer Neben-
wirkungen unter Bosutinib fest, deren In-
zidenz sich nicht signifikant von derjeni-
gen unter Imatinib unterschied.
I
Therese Schwender
Referenzen: 1. Hoffmann V et al.: The EUTOS population based registry – incidences of CML across Europe. EHA 2014; Haematologica 2014, 99(s1): Abstract # P274. 2. Mahon FX et al.: Discontinuation of imatinib in patients with chronic myeloid leukaemia who have maintained complete molecular remission for at least 2 years: the prospective, multicentre Stop Imatinib (STIM) trial. Lancet Oncol 2010; 11: 1029–35. 3. Ross DM et al.: Safety and efficacy of imatinib cessation for CML patients with stable undetectable minimal residual disease: results from the TWISTER study. Blood 2013; 122: 515–22. 4. Saussele S et al.: First interim analysis of a pan-European stop trial using standardized molecular criteria: results of the EURO-SKI trial. EHA 2014; Haematologica 2014, 99(s1): Abstract # LBA2440. 5. le Coutre PD et al.: Ponatinib in patients with Philadelphia chromosome-positive (Ph+) leukemias resistant or intolerant to dasatinib or nilotinib, or with the T315I mutation: longer-term follow-up of the pace trial. EHA 2014; Haematologica 2014, 99(s1): Abstract # P893. 6. Chuah C et al.: EPIC: a phase 3 trial of ponatinib vs imatinib in patients with newly diagnosed chronic myeloid leukemia in chronic phase (CP-CML). EHA 2014; Haematologica 2014, 99(s1): Abstract # S679. 7. García-Gutiérrez V et al.: Clinical experience of bosutinib under compasionate use program in chronic myeloid leukemia patients with resistance or intolerance to imatinib, dasatinib and nilotinib. EHA 2014; Haematologica 2014, 99(s1): Abstract # P902. 8. Gambacorti-Passerini C et al.: Long-term assessment of cardiac toxicity in patients with Ph+ leukemias treated with bosutinib. EHA 2014; Haematologica 2014, 99(s1): Abstract # P903.
SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE KONGRESSAUSGABE SEPTEMBER 2014
25