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Editorial
V or wenigen Wochen (Juli 2014) gab das Bundesamt für Statistik (BfS) die neuen Zahlen zur Krebsinzidenz und -mortalität in der Schweiz für die 5-Jahres-Periode 2007 bis 2011 heraus und meldete dabei: «Unter Berücksichtigung der Alterung der Bevölkerung sind die standardisierten Inzidenzraten zwischen den beiden Zeiträumen (2002–06 und 2007–11, A. d. R.) zurückgegangen.»* Das lässt aufhorchen.
Alterskorrigierte Inzidenz im Visier Wir beobachten, dass Krebserkrankungen insgesamt aufgrund der Altersentwicklung unserer Gesellschaft zunehmen. Krebs, gesamthaft gesehen, ist eine Alterskrankheit mit einem Erkrankungsgipfel um das 65. bis 80. Lebensjahr. Die Beobachtung bestätigt sich mit der Aussage des BfS, dass die absolute Zahl der Neuerkrankungen und der Todesfälle sowohl bei den Frauen als
Geht Krebs tendenziell zurück?
auch bei den Männern zugenommen hat. So weit alles bekannt. Inwieweit hat sich aber die sogenannte alterskorrigierte Inzidenz von Krebs verringert – also die Rate der Neuerkrankungen, die den Faktor zunehmendes Alter der Bevölkerung «neutralisiert»? Rolf Heusser, Direktor des NICER, des National Institute for Cancer, erklärt im Gespräch mit dieser Zeitschrift: «Man fand, dass die Krebsinzidenz, insbesondere bei Männern, in der letzten 5-Jahres-Periode leicht zurückgegangen ist. Insgesamt gehen wir aber von einer stabilen Inzidenzrate bei Krebs aus.» Gründe für diesen Rückgang? Im Auge zu behalten sind Veränderungen bei den häufigsten Krebserkrankungen,
* Krebs insgesamt1: Inzidenz2 und Mortalität nach Sprachgebiet
Rate pro 100’000 Einwohnerinnen, Europastandard 550
Frauen 500
450
400
350
300
250
200
150
100
50
0 2002– 2007– 2002– 2007– 2002– 2007– 2006 2011 2006 2011 2006 2011
Schweiz 3
Deutschschweiz 3
Westschweiz und Tessin
Rate pro 100’000 Einwohner, Europastandard 550
Männer 500
450
400
350
300
250
200
150
100
50
0 2002– 2007– 2002– 2007– 2002– 2007– 2006 2011 2006 2011 2006 2011
Schweiz 3
Deutschschweiz 3
Westschweiz und Tessin
Inzidenz 2
Mortalität
Inzidenz 2
Mortalität
1 Inzidenz ohne nicht-melanotischer Hautkrebs
2 Inzidenz geschätzt aufgrund der Daten der Krebsregister
3 Für die Jahre 2007–2010 bestehen Hinweise auf die Unterregistrierung einiger Krebskrankheiten im deutschsprachigen Raum (siehe Daten und Methoden)
Quelle: BFS: TU, NICER, KKR
© BFS 2014
den Brust-, Prostata- und Darmkarzinomen: Heusser schätzt, dass das vor rund 10 Jahren empfohlene und breit durchgeführte Screening nach Prostatakarzinomen zu einer «künstlichen Erhöhung bei Prostatakrebs» geführt haben könnte. Der sehr langsam wachsende Tumor wäre ohne Screening vielfach nicht aufgefallen, weil er oftmals klinisch nicht relevant geworden wäre. Für Brust- und Darmkrebs mit ihren Screeningprogrammen sei die Aussage nicht übertragbar. Auf der anderen Seite, so betont Heusser, nähmen einige Malignome deutlich zu, darunter Lungenkrebs bei Frauen mit einem ersten Gipfel im Jahr 2002 (wohingegen Lungenkrebs bei Männern zurückgeht). Auch die Rate der Hautmelanome steigt markant, und zwar insbesondere bei Männern in der Schweiz, dem Land mit der höchsten Melanominzidenz in Europa.
Prävention, Früherkennung, neue Therapien Das BfS veröffentlicht eine weitere Aussage: «Auch die standardisierte Sterberate ist seit mehreren Jahren rückläufig.» Dies stimmt optimistisch (trotz der gestiegenen absoluten Zahlen der krebsbedingten Todesfälle), und hier finden wir als Gründe, dass Früherkennungsmassnahmen und neue (sekundärpräventive) Therapien greifen. Warten wir ab, ob die nächste Analyse für die Periode 2012 bis 2016, in der sich das Hier und Heute spiegelt, die weiter sinkende Mortalitätsrate bestätigt. Und ob Präventionsbestrebungen – Tabakprävention mit Aufklärung zu gesundem Lifestyle – vielleicht sogar die Inzidenz spürbar nach unten fahren lassen.
Mit diesem Kongressheft, das jüngste Studienresultate zu neuen Therapieansätzen bei zahlreichen Malignomen resümiert, die vielfach ein verlängertes Überleben ergeben, wünsche ich Ihnen eine anregende Lektüre.
Bärbel Hirrle
SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE KONGRESSAUSGABE SEPTEMBER 2014
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