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Kongressbericht
ESMO 2014 – Jahreskongress der European Society of Medical Oncology, Madrid, 26. bis 30.9.2014
Metastasiertes Kolorektalkarzinom (mCRC): Anti-EGFR versus Anti-VEGF
Neue Teile für das Erstlinientherapie-Puzzle
Welches ist die optimale Erstlinientherapie beim metastasierten Kolorektalkarzinom? Diese Frage wird seit nunmehr 10 Jahren diskutiert: Vergleichende Head-toHead-Studien haben die Diskussion über die beiden Chemotherapieregime FOLFOX und FOLFIRI in Kombination mit den biologischen Strategien Anti-EGFR versus Anti-VEGF zusätzlich angeheizt. Biomarker sind wichtig und hilfreich, aber die personalisierte Medizin bleibt die Kunst, so das derzeitige Fazit einer Expertenrunde beim ESMO-Kongress in Madrid.
Zum heutigen Therapiestandard beim mCRC gehört die RAS-Mutations-Testung vor Beginn der Erstlinientherapie. Liegt eine RAS-Mutation, also eine KRAS- (Exon 2–4)- oder eine NRAS(Exon 2–4)-Mutation, vor, wird der Patient nicht von einer Anti-EGFR-Therapie profitieren, da RAS-Mutationen den gehemmten EGF-Signalweg downstream aktivieren. Patienten mit RAS-Wildtyp (RAS-wt) können von allen Therapiestrategien profitieren, allerdings scheint sich herauszubilden, dass dieses selektionierte Patientenkollektiv unter Anti-EGFRStrategie häufiger ein verlängertes Gesamtüberlegen (OS) erreicht. In der Proffered Paper Session «AntiEGFR or anti-VEGF in first-line RAS wildtype metastatic CRC patients: Can we define an ‹optimal› treatment strategy?» wurden neue Auswertungen der Studien FIRE-3 (AIO KRK-0306) und CALGB/ SWOG 80405 präsentiert und in einer erweiterten Expertenrunde diskutiert.
FIRE-3-Studie: Ansprechen bei RAS-wt-Population signifikant erhöht
Die FIRE-3-Studie (AIO KRK-0306) untersuchte head-to-head die Therapiestrategien Cetuximab+FOLFIRI versus Bevacizumab+FOLFIRI bei 592 KRAS-(Exon 2)wt-Patienten. 80,2% dieser Patienten konnten erfolgreich auf weitere RAS-Mutationen untersucht werden. Die beiden Populationen waren bezüglich der Wirksamkeitsparameter vergleichbar. Eine neue RAS-Mutation, also eine KRAS(Exon 3+4)- oder eine NRAS-(Exon 2–4)Mutation, wurde bei 15,8% der auswertbaren Patientendaten entdeckt. Mit der
Auswertung der verbleibenden 400 RASwt-Patienten, die wahrscheinlicher von einer EGFR-Hemmung profitieren, war ein vergrösserter Unterschied zwischen den Studienarmen verglichen mit der KRAS-(Exon 2)-Wildtyp-Population zu erwarten. Der primäre Endpunkt der FIRE-3-Studie war eine Verbesserung des Ansprechens, welches innerhalb der ITT-Population allerdings nicht erreicht wurde (66,5% vs. 55,6%; p = 00,16) (1). Ein unabhängiges, zentralisiertes radiologisches Review mit Verblindung der Therapiearme wurde durchgeführt, um das Tumoransprechen nach RECIST 1.1, die frühe Tumorschrumpfung (ETS) und die Tiefe des Ansprechens (DpR) bei RAS-wt-Patienten zu untersuchen (2). Laut finaler Auswertung der RAS-wt-Population ist die Ansprechrate unter AntiEGFR-Strategie mit 72,0% (versus 56,1% unter antiangiogener Therapie) signifikant erhöht (p = 0,003). Eine ETS, definiert als Tumorschrumpfung ≥ 20% in Woche 6, wurde bei 67,5% der Patienten im Cetuximab-Arm und bei 47,9% der Patienten im Bevacizumab-Arm gesehen. Das Erreichen einer ETS war in beiden Studienarmen mit einem signifikant längeren progressionsfreien Überleben (PFS) und einem signifikant längeren OS assoziiert. Auch die Tiefe des Ansprechens, definiert als maximale relative Tumorschrumpfung von Baseline zu Nadir, war mit dem OS signifikant korreliert. Unter Cetuximab+FOLFIRI betrug die mediane DpR 48,9%, unter Bevacizumab+ FOLFIRI 32,3% (p < 0,0001). Das OS war bereits für die ITT-KRAS(Exon 2)-wt-Population im Cetuximab- Arm signifikant um 3,7 Monate verlängert (HR = 0,77; p = 0,017) (1). Bei Auswertung der RAS-wt-Patienten zeigte sich im Cetuximab-Arm ein um mehr als 8 Monate verlängertes Gesamtüberleben verglichen mit demjenigen im Bevacizumab-Arm (medianes OS: 33,1 vs. 25,0 Monate; HR = 0,70; p = 0,0059). Innerhalb der RAS-mutierten Population wurde kein Unterschied bezüglich des OS zwischen den Studienarmen beobachtet (medianes OS: 20,2 vs. 20,6 Monate; HR = 1,05; p = 0,75). CALGB/SWOG 80405: erste Ergebnisse für die erweiterte RAS-wt-Population Die amerikanische Studie CALGB/ SWOG 80405 (RAS-wt) verglich ebenfalls Cetuximab mit Bevacizumab, und zwar bei 1137 KRAS-(Exon 2)-wt-Patienten, allerdings war der Chemotherapiepartner in diesem Studiendesign nicht vorgegeben. 73% der Patienten erhielten als Chemotherapieregime FOLFOX und 27% FOLFIRI. Der primäre Endpunkt war die Verlängerung des OS. In der ITT-Population konnte allerdings kein Unterschied beim OS zwischen den beiden Therapiearmen festgestellt werden. Median betrug das OS unter Cetuximab+Chemotherapie 29,9 Monate und unter Bevacizumab+Chemotherapie 29,0 Monate (HR = 0,925; p = 0,34) (3). Die Hazard Ratio bei Auswertung der Studienarme nach Chemotherapiepartner gibt Hinweise darauf, dass Bevacizumab+FOLFIRI (HR = 1,2) respektive Cetuximab+FOLFOX (HR = 0,9) günstigere Kombinationspartner waren oder aber dass ein Bias in der Patientenselektion bei Auswahl des Chemotherapiepartners bestand. 55% der eingeschlossenen Patienten konnten in dieser Studie bisher bezüglich des erweiterten RAS-Mutationsstatus ausgewertet werden (4). Es wurden bei 15,3% dieser Patienten neue RAS-Mutationen identifiziert. Innerhalb der RASwt-Population betrug das mediane OS 32,0 Monate im Cetuximab-Arm und 31,2 Monate im Bevacizumab-Arm (HR = 0,9; 38 SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 4/2014 Kongressbericht ESMO 2014 – Jahreskongress der European Society of Medical Oncology, Madrid, 26. bis 30.9.2014 p = 0,40). Es wurde auch bezüglich anderer Wirksamkeitsendpunkte kein Unterschied zwischen den Studienarmen oder zwischen den Patienten mit auswertbarem RAS-Mutationsstatus und der RASwt-Population gesehen. Der Unterschied zwischen den Studienarmen bezüglich der verwendeten Chemotherapie bestätigte die vorherigen Ergebnisse, ohne allerdings statistische Signifikanz zu erreichen: Cetuximab+FOLFOX war Bevacizumab+FOLFOX numerisch überlegen (medianes OS: 32,5 vs. 29,0 Monate; HR = 0,86; p = 0,2). Cetuximab+ FOLFIRI war Bevacizumab+FOLFIRI numerisch unterlegen (medianes OS: 32,0 vs. 35,2 Monate; HR = 1,1; p = 0,7). Fazit der Autoren Alle Patienten mit neu diagnostiziertem mCRC sollten auf RAS-Mutationen getestet werden. Die Erstlinientherapie sollte das Therapieziel widerspiegeln und potenzielle Nebenwirkungen berücksichtigen. Um die Ergebnisse der CALGB-Studie mit denen der FIRE-3-Studie vergleichen zu können, seien weitere Auswertungen, wie die Tumorschrumpfung und der Einsatz von Zweitlinientherapien, abzuwarten, so das Fazit der Autoren. L Ine Schmale Referenzen: 1. Heinemann V et al.: FOLFIRI plus cetuximab versus FOLFIRI plus bevacizumab as first-line treatment for patients with metastatic colorectal cancer (FIRE-3): a randomised, open-label, phase 3 trial. Lancet Oncol 2014; 15: 1065–75. 2. Stintzing S et al.: Independent radiological evaluation of objective response, early tumor shrinkage, and depth of response in FIRE-3 (AIO KRK-0306) in the final RAS evaluable population. ESMO 2014, Proffered Paper Session, Abstr. #LBA11. 3. Venook A et al.: CALGB/SWOG 80405: Phase III trial of FOLFIRI or FOLFOX with bevacizumab or cetuximab for patients with KRAS wild type untreated metastatic adenocarcinoma of the colon or rectum. ASCO 2014, Plenary Session, Abstr. #LBA3. 4. Lenz H et al.: CALGB/SWOG 80405: Phase III trial of Irinotecan/5-FU/leucovorin (FOLFIRI) or Oxaliplatin/5FU/leucovorin (mFOLFOX6) with bevacizumab (BV) or cetuximab (CET) for patients with untreated metastatic adenocarcinoma of the colon or rectum (mCRC): Expanded RAS analyses. ESMO 2014; Proffered Paper Session, Abstr. #501O. Derzeitige Expertenmeinungen zum Entscheid im Erstliniensetting Prof. Dirk Arnold: «Balance wahren» Die individuelle Therapie des Patienten ist – bei aller Wichtigkeit des Biomarkers – immer noch wichtigstes Entscheidungskriterium bei der Wahl der Erstlinientherapie. Für Prof. Dirk Arnold, Klinik für Tumorbiologie, Freiburg im Breisgau/Deutschland, gilt nach wie vor, dass für Patienten mit RAS-Wildtyp zwei Chemotherapieregime und zwei zielgerichtete Strategien mögliche Therapieoptionen bilden. Er argumentierte, dass die FIRE-3-Studie zwar einen Unterschied beim OS zeigen konnte, aber das OS sei nur ein sekundärer Endpunkt gewesen – der primäre Endpunkt sei nicht erreicht worden. Die CALGB-Studie hatte zwar das OS als Endpunkt, aber diese Daten zeigen bisher keinen Unterschied. Es fehlten noch viele Daten, um tatsächlich die klinische Entscheidung zu ändern, sagte Arnold. Vielleicht, so Arnold, sei die Anti-EGFR-Strategie bei Patienten mit RAS-wt-Tumoren vorzuziehen, aber es sei kein «Muss». Es solle die Balance zwischen Patientencharakteristik, Therapieziel und möglichen Nebenwirkungen gewahrt werden – das sei die «onkologische Kunst». Prof. Alberto Sobrero: «Finale Daten zur Bewertung abwarten» Auch Prof. Alberto Sobrero, Genua/Italien, sieht die Datenlage der CALGB- Studie derzeit als zu «dünn» an, um abschliessende Folgerungen zu ziehen. Man müsse sich drei Fragen stellen: Sind die Ergebnisse wahr, sind sie wichtig, und sind sie auch wichtig genug, um eine Therapieentscheidung zu treffen? Die Daten zur Anti-EGFR- versus Plazebotherapie seien bei RAS-wt-Patienten hingegen sehr überzeugend, wie auch die Überlebensverlängerung von 8 Monaten im Head-to-Head-Vergleich. Dennoch müsse auf die kompletten Studienergebnisse der CALGB-Studie gewartet werden, bevor finale Aussagen zur Themawahl getroffen werden könnten. Prof. Andrés Cervantes: «Auch die Tumorschrumpfung im Blick halten» Prof. Andrés Cervantes, Valencia/Spanien, richtete den Blick auf den Bevacizumab-Arm in der CALGB-Studie. Die Daten für die Anti-EGFR-Therapie seien konsistent, und somit müsse der Unterschied vielleicht in der Zweitlinientherapie gesucht werden, dies mit Augenmerk auf eine Cetuximab-haltige Therapie nach Tumorprogress. Auch die Tumorschrumpfung müsse innerhalb der CALGB-Studie untersucht werden. Das würde mehr Evidenz geben, um Therapieentscheidungen mit dem Patienten zu diskutieren. Prof. Fortunato Ciardiello: «Möglichst viele sollen eine Zweit- linie erhalten können» Prof. Fortunato Ciardiello, Neapel/Itali- en, wies darauf hin, dass das Kolorektal- karzinom eine sehr heterogene Erkran- kung ist. Es sollte bei jedem Patienten eine RAS-Testung durchgeführt wer- den, damit die effektivste Therapie ver- abreicht werden kann. Ciardiello hob auch hervor, dass für RAS-wt-Patienten zwei wirksame Therapien bestehen, die aus seiner Sicht in Sequenz gegeben werden müssen. Somit sei ein Ziel, dass möglichst viele Patienten eine zweite Therapielinie erreichten. Die Anti-EGFR- Therapie wäre vor allem vorzuziehen, wenn es das Ziel sei, eine schnelle und effektive Tumorschrumpfung zu errei- chen, zum Beispiel bei hoher Tumorlast, symptomatischer Erkrankung und po- tenzieller Möglichkeit der Lebermeta- stasenreduktion. Personalisierte Medi- zin gehe aber nur in Absprache mit dem Patienten, betonte Ciardiello, und das Ziel sei die optimale Therapie- sequenz. L Ine Schmale Quelle: Proffered Paper Session «Anti-EGFR or anti-VEGF in first-line RAS wild-type metastatic CRC patients: Can we define an ‹optimal› treatment strategy?» ESMO-Jahrestagung 29.9.2014. 40 SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 4/2014