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Im Fokus: Urologische Tumoren
Das Harnblasenkarzinom aus Sicht des Urologen
Heutige Optionen in Diagnostik und Therapie
Das Blasenkarzinom umfasst wenig aggressive, aber lokal häufig rezidivierende, und aggressive, potenziell metastasierende Tumore, die sich in Therapie, Prognose und Nachsorge fundamental unterscheiden. Die folgende Übersicht soll diesen Aspekten Rechnung tragen.
NIKLAS PELZER, HANSJÖRG DANUSER
SZO 2013; 3: 15–18.
Niklas Pelzer Hansjörg Danuser
Das Blasenkarzinom ist in der Schweiz mit 3,5% aller karzinombedingten Todesfälle beim Mann und 2,2% bei der Frau ein relativ seltenes Karzinom. Die Inzidenz beträgt rund 15 Fälle/100 000 Einwohner/Jahr. Männer sind dreimal häufiger betroffen als Frauen. Die krebsspezifische Mortalität beim Blasenkarzinom liegt bei Frauen bei 32% und bei Männern bei 22% (1).
Risikofaktoren
Faktoren, die die Entstehung eines Blasenkarzinoms begünstigen, sind: L Nikotinabusus (4-fach erhöhtes Risiko) L aromatische Amine, welche in verschiedenen In-
dustrien vorkommen L Zustand nach Bestrahlung im kleinen Becken
(2- bis 4-fach erhöhtes Risiko) L Zustand nach Chemotherapie mit Cyclophosph-
amiden (9-fach erhöhtes Risiko). Darüber hinaus begünstigen die chronische Zystitis, beispielsweise beim Dauerkatheterträger, und die Bilharziose die Entstehung eines Plattenepithelkarzinoms der Blase. Entscheidend für die Therapie und Prognose des Harnblasenkarzinoms ist neben der Invasivität die Unterscheidung in:
ABSTRACT
Urothelial carcinoma of the bladder
Relevant for the right therapy of urothelial carcinoma of the bladder is besides invasivity the differentiation in low grade and high grade tumors. The main diagnostic instruments in finding carcinoma of the bladder is still the combination of cystoscopy with exfoliative urine cytology. Newer cystoscopes improve imaging and management of non muscle- invasive urothelial carcinoma, while radical surgery with intention to cure is still the main treatment in invasive urothelial cancer of the bladder.
Keywords: urothelial cancer of the bladder, muscle-invasive, non muscle-invasive.
L die häufig lokal rezidivierenden, nicht invasiven, genetisch stabileren Low-Grade-Tumoren und
L die aggressiveren, genetisch instabileren und potenziell invasiv fortschreitenden und somit auch metastasierenden High-Grade-Urothelkarzinome.
Patienten mit High-Grade-Karzinomen müssen daher möglichst früh einer Diagnose und definitiven Therapie zugeführt werden.
Histologie und Grading
Über 90% der Blasentumoren sind Urothelkarzinome, weniger als 10% sind Plattenepithelkarzinome oder (noch seltener) Adenokarzinome. Eine Sonderform ist das Urachuskarzinom. In westlichen Ländern ist das Plattenepithelkarzinom eine Rarität. In Ländern, in denen die Bilharziose endemisch ist, kommt das Plattenepithelkarzinom dagegen häufiger vor. Lokal unterscheidet man bei den Urothelkarzinomen das Carcinoma in situ (CIS), Ta- und T1- bis T4-Tumoren. Im Grading, dem Differenzierungsgrad, unterscheidet man per WHO-Definition von 2004 LowGrade- (früher G1-, G2-Tumoren) und High-GradeKarzinome (früher G3-Tumoren, CIS). Zirka 55% sind Low-Grade-Tumore und 45% High-Grade-Karzinome. Etwa die Hälfte der High-Grade-Karzinome ist bei Diagnosestellung muskelinvasiv, das heisst, sie entsprechen einem Stadium ≥ T2. Die anderen 50% setzen sich aus Ta-, T1-Karzinomen und dem Carcinoma in situ (CIS) zusammen. Therapeutisch und prognostisch unterscheiden sich die Low-Grade-Tumoren ganz wesentlich von den High-Grade-Karzinomen. Letztere wachsen meist invasiv, erfordern eine aggressivere Behandlung und metastasieren, wenn sie nicht zeitgerecht behandelt werden.
Klinische Symptome
Leitsymptom des Blasentumors ist die schmerzlose Makrohämaturie (85%), welche immer durch Zysto-
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skopie, Blasenspülzytologie und IV-Urogramm oder CT abgeklärt werden soll. Weniger häufig präsentieren sich die Blasenkarzinompatienten mit einer Reizblasensymptomatik, die als «rezidivierende oder therapierefraktäre Zystitis» verkannt werden kann und dann dazu führt, dass das Karzinom verzögert diagnostiziert wird. Meist handelt es sich bei einer Reizblasensymptomatik um invasive Karzinome und/oder um ein CIS. Auch eine Obstruktion des oberen Harntraktes durch Infiltration am Ureterostium muss an das erste Symptom eines invasiven Blasenkarzinoms denken lassen.
Diagnostik
Endoskopie Im Zentrum der Blasentumordiagnostik steht nach wie vor die Zystoskopie. Wenn auch immer wieder Sonografie, Computertomografie und MRI zufällig auf Blasentumoren schliessen lassen, müssen diese zystoskopisch verifiziert werden. Ergänzend soll eine zytologische Untersuchung der Blasenspülflüssigkeit erfolgen. Eine Verbesserung der Aussagekraft der konventionellen Zystoskopie wird für die Fluoreszenzzystoskopie beschrieben. In den letzten Jahren wurden Studien (2) publiziert, die folgende Aussagen erlauben: L Durch Fluoreszenzzystoskopie können mehr Bla-
sentumoren entdeckt werden als durch konventionelle Weisslichtzystoskopie (Abbildung). L Die durchschnittliche Sensitivität liegt bei 93% (82–97%) für die Fluoreszenzzystoskopie versus 73% (62–84%) für die Weisslichtzystoskopie. Dieser Vorteil ist insbesondere beim CIS noch offensichtlicher. Zudem wurden in drei prospektiv randomisierten Studien durch Second-Look-TUR nach Fluoreszenzund Weisslicht-TUR signifikant weniger Tumoren in der Fluoreszenzgruppe, nämlich 5 bis 33% versus 25 bis 53%, entdeckt (2). Die Rezidivhäufigkeit innerhalb eines Follow-ups von 2 Jahren war in 3 von 5 Studien mit 28 bis 64% Rezidiven nach Fluoreszenz-TUR versus 40 bis 88% nach Weisslicht-TUR signifikant tiefer. In 2 von 5 Studien ergab sich keine signifikante Differenz. Im Weiteren konnte in zwei Langzeitstudien über 5 und 8 Jahre Follow-up gezeigt werden, dass mehr Patienten ein längeres rezidivfreies Intervall nach Fluoreszenz-TUR als nach Weisslicht-TUR aufweisen (2). Zurzeit zeichnet sich weiter ab, dass die Hexaminolevulinat-Fluoreszenzzystoskopie (HexvixPDD) signifikant die Langzeitergebnisse im Hinblick auf Rezidivfreiheit verbessert. Darüber hinaus ist ein Trend zum besseren Blasenerhalt sichtbar (3).
Tumormarker im Urin Als Alternative zur Urinzytologie können auch Tumormarker (NMP22, ImmunoCyt, Vysis Urovysion Test Kit) im Urin bestimmt werden. Deren Sensitivität ist eher
Abbildung: Fluoreszenz- vs. Weisslichtzystoskopie
besser, die Spezifität eher schlechter als die der Zytologie. Leider sind diese Marker noch erheblich teurer als die Zytologie.
Histologische Diagnosesicherung, Bestimmung von Grading und Tumorstadium Ist der Blasentumor endoskopisch diagnostiziert, muss er durch transurethrale Resektion (TUR-B) entfernt werden, damit die histologische Diagnose, das Grading und das lokale Tumorstadium bestimmt werden können. Bei Low-Grade-Tumoren (i. d. R. TaTumoren) entspricht diese «diagnostische» Resektion gleich der Therapie. Bei vermuteten invasiven, tief infiltrierenden Karzinomen (i. d. R. ≥ T2-Tumoren), die ohnehin mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer Zystektomie weiterbehandelt werden müssen, ist nur so viel Gewebe vom Karzinom und vom infiltrierten Muskelgewebe zu entnehmen, wie für das korrekte, lokale Staging notwendig ist. Eine vollständige Resektion ist in dieser Situation unnötig und erhöht lediglich das Potenzial von Komplikationen.
Staging Die Suche nach lokoregionären Lymphknotenmetastasen und systemischen Metastasen erfolgt durch CT oder MRI des Abdomens/Beckens, konventionelles Thoraxbild und Skelettszintigrafie. In der Beurteilung von Organmetastasen und Lymphknotenmetastasen werden CT und MRI als gleichwertig betrachtet (4). Es besteht kein Vorteil für die kombinierte FDG-PET/CT gegenüber alleiniger CT für das Lymphknoten-Staging von invasiven Harnblasenkarzinomen (5). Das CT oder MRI (Alternative: Ausscheidungsurografie) muss auch eine suffiziente Beurteilung des oberen Harntrakts erlauben, da gleichzeitig Urothelkarzinome im Ureter respektive Nierenbecken auftreten können. Lokal muss die parakollikuläre Region in der prostatischen Harnröhre, also der Bereich, in dem das Blasenprostatapräparat abgesetzt wird, mittels Biopsien evaluiert werden. Findet sich dort noch Karzinomgewebe, muss die Harnröhre ebenfalls entfernt werden (Urethrektomie), und ein orthotoper Blasenersatz als Urinableitung ist nicht möglich.
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Behandlung
Chirurgische Resektion Low-Grade-Tumore werden mit transurethraler Resektion behandelt. Bei High-Grade-Karzinomen entscheiden Invasionstiefe, Uni-/Multifokalität und gleichzeitiges Vorhandensein eines CIS über die weitere Therapie. Bei einem Stadium TaG3 oder einem unifokalen T1G3-Blasenkarzinom ohne zusätzliches CIS kann 2 bis 6 Wochen nach Erstresektion nachreseziert und bei negativem Nachresektat als Rezidivprophylaxe ein BCG-Instillationszyklus angeschlossen werden. Zeigt das Nachresektat noch Karzinomgewebe, empfiehlt sich die Zystoprostatektomie. Ein isoliertes CIS der Blase (oder in Kombination mit unilokulärem T1-High-Grade-Gewebe mit tumorfreiem Nachresektat) wird mittels BCG-Instillation behandelt, wie unten beschrieben. Liegt primär ein unifokales T1N0M0G3-Karzinom mit zusätzlichem CIS, ein multifokales T1N0M0G3-Karzinom oder ein Karzinomstadium ≥ T2N0M0G3 vor, ist ohne TUR-Nachresektion eine Radikaloperation durch Zystoprostatektomie und pelvine Lymphadenektomie indiziert. Von diesem Schema kann oder muss je nach Alter und Operabilität des Patienten abgewichen werden.
Stellenwert der pelvinen Lymphadenektomie Die pelvine Lymphadenektomie erlaubt ein präziseres Staging. Abhängig von der Anzahl entfernter Lymphknoten liegt die Rate nodalpositiver Patienten im Zystektomiekollektiv zwischen 13 und 28% (7–10). Ob sie einen therapeutischen Nutzen aufweist, ist wissenschaftlich nicht bewiesen, allerdings gibt es Hinweise, die eher für deren Durchführung sprechen. Aktuelle Studien kamen zu folgenden Resultaten: Im Gesamtkollektiv liegt die 5-Jahres-Überlebensrate bei pN0-Karzinomen bei zirka 75% und bei pN+-Karzinomen (Mikrometastasen) nur noch bei 20 bis 30%. Somit ist die Prognose eines zystektomierten und lymphadenektomierten, nodalpositiven Patienten nicht infaust, nur wissen wir nicht, ob dafür die Lymphadenektomie allein verantwortlich ist. Zudem scheint die Anzahl entfernter Lymphknoten das Langzeitüberleben signifikant zu beeinflussen (7, 9). Eine pelvine Lymphadenektomie anlässlich der Zystektomie muss heute empfohlen werden. Der Eingriff dauert etwas länger, die zusätzliche Morbidität ist aber vertretbar.
Harnableitungen Die möglichen Formen der Harnableitungen lassen sich in inkontinente Harnableitungen (Ileum- oder Colon-Conduit, Harnleiterhautfisteln), die mit Stomabeutel zu versorgen sind, und in kontinente Urinableitungen, wie den orthotopen Blasenersatz (bei Erhalt der Harnröhre), den katheterisierbaren Pouch oder die Harnleiterdarmimplantation einteilen (10).
Eine restriktive Patientenselektion ist eines der Hauptkriterien für gute Resultate der kontinenten Harnableitungen. Nach 30 Jahren Erfahrung mit der Ersatzblasenchirurgie sind die Gefahren und Problembereiche bekannt (10, 11). Subjektiv zeigen Patienten mit Ileum conduit und solche mit orthotopem Blasenersatz vergleichbare Zufriedenheit. Hingegen zeigen sich Vorteile der orthotopen Ersatzblase und des kontinenten Reservoirs gegenüber dem Ileum conduit in Bezug auf Bakterienbesiedelung des oberen Harntraktes. Diese beträgt beim orthotopen Blasenersatz nach Studer etwa 5%, während das Ileum conduit obligat bakterienbesiedelt ist (10, 12). Infektiöse Komplikationen bei der Ersatzblase sind sehr selten. Der obere Harntrakt ist besser geschützt als beim Ileum conduit, die Langzeitresultate diesbezüglich sind sehr gut (13). Bei ilealer Ersatzblase und katheterisierbarem Pouch kann eine metabolische, hyperchlorämische Azidose auftreten. Zur Vermeidung einer Azidose ist eine Flüssigkeitszufuhr von mindestens 2,5 Liter/24 Stunden zu empfehlen. Therapeutisch kann Natriumbikarbonat eingesetzt, bei akuter Entgleisung muss passager ein Dauerkatheter eingelegt werden. Im Langzeitverlauf ist die Azidose kaum je ein Problem.
Rezidivprophylaxe/Instillationsbehandlung Seit Jahrzehnten werden Instillationstherapien zur Rezidivprophylaxe von oberflächlichen Blasentumoren verwendet. Nach TUR von Low-Risk-Tumoren soll ein Chemotherapeutikum, beispielsweise Mitomycin C 40 mg, innerhalb von 6 Stunden nach TUR der Blase instilliert werden, da es die Rezidivrate signifikant, bei unifokalen Blasentumoren um zirka 12% und bei multifokalen Blasentumoren um zirka 20%, senkt (15). Instillationszyklen bringen im Vergleich mit der einmaligen Instillation postoperativ bei Low-Risk-Tumoren keinen Vorteil (16). Neueste Daten zeigen für die EMDAgestützte Mitomycin-Instillation direkt präoperativ einen Vorteil im Rezidivverhalten (17). Bei High-Risk-Tumoren (Ta, T1 High Grade oder CIS) wird die Instillation mit BCG 1 x pro Woche als sechswöchiger Instillationszyklus vom Urologen durchgeführt. Inwieweit eine Erhaltungstherapie tatsächlich signifikant bessere Resultate ergibt, kann heute nicht abschliessend beurteilt werden (16). Tritt nach BCGInstillationstherapie ein Rezidiv auf, soll die Zystektomie durchgeführt werden (18).
Nachsorge
Das Intervall der Nachsorge richtet sich nach dem Grading des behandelten Tumors. Bei Low-GradeTumoren ist eine sechsmonatige Kontrolle mit Zystoskopie und Spülzytologie während 2 Jahren notwendig, anschliessend in jährlichen Abständen bis
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5 Jahre nach der letzten Resektion. Eine radiologi-
sche Kontrolle des oberen Harntraktes ist nur bei der
Erstbehandlung und beim Auftreten von Rezidiven
sinnvoll.
High-Grade-Karzinome sollen im 1. Jahr mittels Zysto-
skopie und Zytologie dreimonatlich, im 2. Jahr halb-
jährlich und später einmal jährlich bis mindestens
5 Jahre nach der letzten Resektion nachkontrolliert
werden.
Nach Zystektomie sind die Nachsorgeempfehlungen
uneinheitlich. Kommt es zum Progress, tritt dieser
mehrheitlich binnen 2 Jahren auf. Man befindet sich
dann in einer palliativen Situation, und eine Thera-
pie (Radio- oder Chemotherapie oder beides) sollte
spätestens beim Auftreten von Symptomen erfol-
gen. Eine Nachkontrolle mit Thoraxröntgen und
Abdomen/Becken-CT ist frühestens nach 6 Mona-
ten sinnvoll oder aber bei klinischem Verdacht auf
Progress.
L
Dr. med. Niklas Pelzer E-Mail: niklas.pelzer@luks.ch
und
Prof. Dr. med. Hansjörg Danuser E-Mail: hansjoerg.danuser@luks.ch
Klinik für Urologie Luzerner Kantonsspital 6000 Luzern
Merkpunkte
L Das klinische Leitsymptom, die schmerzlose
Makrohämaturie, muss zwingend zystoskopisch/ zytologisch und durch Bildgebung des oberen Harntraktes abgeklärt werden.
L Der Nikotinabusus ist bei Weitem der wichtigste Ri-
sikofaktor für das Auftreten eines Urothelkarzinoms.
L Das Urothelkarzinom muss in die genetisch stabilen,
häufig rezidivierenden und selten progredienten Low-Grade-Tumore und in die aggressiveren und metastasierenden High-Grade-Karzinome eingeteilt werden. Plattenepithel- und Adenokarzinom der Harnblase sind selten.
L Chirurgische Therapieansätze verfolgen eine kura-
tive Intention. Chemo- und Radiotherapie finden in der Palliation Einsatz.
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