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Kongressbericht/Neue Therapien
54. Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH), Atlanta, 8. bis 11. Dezember 2012
Chronisch-myeloische Leukämie (CML): personalisierte Therapie
Therapeutische Strategien für ein verbessertes Outcome
In der Behandlung der CML besteht das «luxuriöse» Problem, zwischen drei Substanzen auswählen zu können. Mit Imatinib in der Erstlinientherapie bestehen die längsten Erfahrungen, aber gerade für Patienten mit hohem Risiko gemäss NCCN Guidelines kann die Wahl von Dasatinib oder Nilotinib gerechtfertigt sein. Hilfestellung bei der Therapieentscheidung bieten Komorbiditäten, Medikamenteninteraktionen und die Patientensituation.
Experten fassten therapeutische Strategien für die Behandlung der CML im Rahmen des Satellitensymposiums «CML – Evaluating the Evolving Therapeutic Landscape to Improve Outcomes» zusammen.
Therapiedauern problematisch werden könnten. Die mit der Nahrungsaufnahme gekoppelte Einnahme und mögliche Nebenwirkungen, wie Diarrhö, Ödeme und Muskelkrämpfe, sollten bei der Entscheidungsfindung mit bedacht werden.
Die Erstlinientherapie im Fokus der personalisierten Medizin
Die Entscheidungsfindung für die «richtige» Substanz in der Erstlinientherapie der CML-CP solle auf Evidenz durch Studienergebnisse basieren und gleichzeitig die individuelle Situation des Patienten berücksichtigen, erklärte Prof. Jerald P. Radich, University of Washington School of Medicine.
Resistenzen, Nebenwirkungen ... Mit Imatinib gibt es in der Erstlinientherapie der CML-CP die längsten Erfahrungen. Die Ergebnisse der Studie IRIS mit einer Nachbeobachtungszeit von acht Jahren (1, 2) ergaben: Nach acht Jahren verblieben noch 55% der Patienten in der Studie, wovon 86% eine gute molekulare Remission (MMR) zeigten. Das progressionsfreie Überleben (PFS) betrug 81% und das Gesamtüberleben (OS) 85%. Erfahrungen (z.B. des HammersmithHospitals) zeigten allerdings, dass zirka 20% der Patienten unter Imatinib innerhalb von 60 Monaten eine zuvor erreichte majore zytogenetische Remission (MCyR) wieder verlieren (3). Auch wurde von Dr. Radich bemerkt, dass die geringgradigen nicht hämatologischen Toxizitäten zwar in der Kurzzeittherapie akzeptabel sind, aber kumulativ über lange
Gründe für den Wechsel auf TKI der zweiten Generation Weiter wurden am Symposium die Daten der Vergleichsstudien Dasatinib respektive Nilotinib gegen Imatinib in der Erstlinienbehandlung nach 3 Jahren diskutiert. Es wurde bisher kein Unterschied im OS beobachtet, aber in der DASISIONStudie (4, 5) wurde mit Dasatinib (100 mg 1 x tägl./QD) eine signifikant höhere kumulative Rate an MMR (68 vs. 55%, p < 0,0001) und in der ENESTnd-Studie (6) mit Nilotinib (300 mg 2 x tägl./BID) wurde ebenfalls eine signifikant höhere kumula-
tive Rate an MMR (73% vs. 53%), jeweils im Vergleich zu Imatinib, beobachtet. Dasatinib wird mit oder ohne Nahrung einmal täglich eingenommen, und Nilotinib muss zweimal täglich auf leeren Magen eingenommen werden. Beide Zweitgenerations-TKI können mit unterschiedlichen Medikamenten interagieren und haben jeweils ein eigenes spezifisches Nebenwirkungsprofil, welches individuell gehandhabt werden muss. Es ist eine evidenzbasierte Binsenweisheit, dass eine Substanz nur wirken kann, wenn sie auch eingenommen wird. Compliance-Untersuchungen, wie die Adagio-Studie (7), zeigen allerdings, dass mehr als drei Viertel der Patienten die Medikation nicht entsprechend den Empfehlungen einnehmen. In logischer Konsequenz sollte eine TKI-Therapie gut vertragen werden, denn Intoleranz der Therapie verschlechtert die Compliance und erhöht damit die Möglichkeit der Resistenzbildung. Das frühe Erreichen eines Ansprechens ist assoziiert mit einem besseren Outcome, betonte Radich. In der DASISIONStudie wurde gezeigt, dass unter Dasatinib die Rate früher Remissionen höher ist als unter Imatinib (s. Abbildung): 84% der Patienten unter Dasatinib versus 64% un-
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ter Imatinib hatten nach drei Monaten BCR-ABL-Transskripte ≤ 10%. In beiden Therapiearmen zeigte sich eine Assoziation zwischen 3-Monats-BCR-ABL und 3Jahres-PFS (8). In dieser Auswertung der DASISION-Studie wurde auch gezeigt, dass die Häufigkeit der BCR-ABL-Transskripte nach drei Monaten Therapie eine differenzierte prognostische Aussage bezüglich der kompletten zytogenetischen Remission (CCyR) zulässt. Bei 38% der Patienten mit BCR-ABL-Transskripten > 10% wurde im Dasatinibarm nach zwei Jahren eine CCyR nachgewiesen – dagegen bei 98% der Patienten mit BCR-ABLTransskripten ≤ 10%. Auch eine Hammersmith-Analyse kommt zu ähnlichen Ergebnissen: 211 Patienten mit BCR-ABLTransskripten von ≤ 9,84% hatten eine 8Jahres-Überlebensrate von 93,3% versus 56,9% bei BCR-ABL > 9,84% (9).
Der Umgang mit Resistenzen
Die systematische Beobachtung des therapeutischen Ansprechens ist ein wichtiges Werkzeug der Therapieoptimierung, denn das frühe Ansprechen steht für die Qualität der nachfolgenden Remission und die Stabilisierung der Erkrankung. Durch ein schnelles und tiefes Ansprechen soll die Entwicklung resistenter Klone verhindert werden, vor allem in Hinsicht auf den begrenzten Erfolg der TKI bei der fortgeschrittenen CML. Durch eine anhaltende komplette molekulare Remission kann eventuell bei einigen Patienten die Therapie gestoppt werden, bemerkte Prof. Michael J. Mauro, Oregon Health & Science University. Eine Resistenz ist nicht leicht vorherzusagen, argumentierte Mauro. Es gebe kein validiertes Werkzeug, um die Patienten herauszufinden, welche einer intensivierten Therapie bedürfen. Aber es sei bekannt, dass ein verspätetes Ansprechen die Gefahr eines Krankheitsprogresses erhöhe. Laut MD-Anderson-Analyse erreichten nur 42% der Patienten, die innerhalb von 12 Monaten Imatinibbehandlung keine CCyR hatten, überhaupt eine CCyR mit Imatinib (10). QuintásCardama A. et al. (11) verglichen Patienten, die Dasatinib bei Verlust der majoren zytogenetischen Remission (MCyR) versus Verlust der kompletten hämatologischen Remission CHR (Patienten hatten
nie MCyR erreicht) erhielten, und zeigten einen Unterschied im 2-Jahres-Überleben von 98% versus 86%.
Kriterium frühes Ansprechen Ein viel diskutiertes Thema waren die Resultate, dass ein frühes molekulares Ansprechen prognostisch für den langfristigen Therapieerfolg ist (8). Die NCCNGuidelines (12) haben daher das frühe Ansprechen (nach 3 Monaten) in ihre Empfehlung aufgenommen. Beträgt nach 3 Monaten die BCR-ABL-Transkript-Rate mehr als 10%, so sollten Compliance und Medikamenteninteraktionen überprüft sowie eine Mutationsanalyse durchgeführt werden, um einen Wechsel auf Dasatinib oder Nilotinib respektive bei vorhandenem Spender und Eignung eine hämatopoetische Stammzelltransplantation (HSCT) durchzuführen oder den Patienten in eine klinische Studie einzuschliessen. Eine ABL-Kinase-Mutationsanalyse wird bei Diagnose von Patienten in der AP oder BC empfohlen. Während der Erstlinientherapie (unter Imatinib) ist die Analyse verbindlich im Fall eines Therapieversagens und empfohlen im Fall einer erhöhten BCR-ABL-Last, die zum Verlust der MMR führt, sowie für alle Fälle eines suboptimalen Ansprechens. Während der Zweitlinientherapie (Dasatinib oder Nilotinib) ist die ABL-Kinase-Mutationsanalyse verbindlich bei Therapieversagen nach vorher erreichter Remission und wird zur Baseline empfohlen.
Entscheidungsführende Mutationen
Patienten mit T315I-Mutation sollten laut NCCN-Guidelines (12) einer HSCT zugeführt oder in eine klinische Studie eingeschlossen werden. Für Patienten mit den Mutationen V299L, T315A, F317L/V/I/C sollte eher Nilotinib als Dasatinib eingesetzt werden und umgekehrt für Patienten mit Y253H-, E255K/V- und F359V/C/IMutationen eher Dasatinib als Nilotinib. Noch ist wissenschaftlich umstritten, ob Mutationen durch die TKI selektioniert werden oder durch Therapie neu entstehen. Über den Einsatz der TKI der zweiten Generation in der Erstlinientherapie wissen wir aus der DASISION-Studie, dass bei 10 von 258 Patienten eine Mutation unter Dasatinibtherapie nachgewie-
sen wurde, was vergleichbar war mit dem
Imatinibarm. Bei sieben Fällen handelte
es sich um eine T315I-Mutation. Alle Mu-
tationen im Imatinibarm waren sensitiv
gegenüber Dasatinib (13). Unter Niloti-
nib 300 mg bid wiesen in der ENESTnd-
Studie 10 von 282 Patienten eine Mutati-
on auf; in dieser Studie wurden im Imati-
nibarm doppelt so viele Mutationen unter
Therapie festgestellt. 2 bis 3 dieser Muta-
tionen betrafen T315I in allen Studienar-
men. 13 der 20 Mutationen im Imatini-
barm waren sensitiv gegenüber Nilotinib
(14).
Prof. Jorge Cortes, MD Anderson Cancer
Center, Houston/Texas, verglich Anspre-
chen und Outcome von drei TKI der zwei-
ten Generation nach suboptimalem An-
sprechen oder Resistenz auf Imatinib.
Dasatinib erreichte Remissionen bei 89%
(CHR), 59% (MCyR) und 44% (CCyR) der
Patienten und ein 2-Jahres-PFS von 80%
respektive ein 2-Jahres-OS von 91% (15).
Unter Nilotinib wurden Remissionen bei
56% (MCyR) und 41% (CCyR) der Patien-
ten erreicht mit einem 2-Jahres-PFS von
64% und einem 2-Jahres-OS von 87%
(16). Die Substanz Bosutinib bewirkte Re-
missionen bei 86% (CHR), 54% (MCyR)
und 41% (CCyR) der Patienten sowie ein
2-Jahres-PFS von 79% und ein 2-Jahres-
OS von 92% (17). Das Nebenwirkungs-
spektrum der drei Zweitgenerations-TKI
variiere ebenso wie das Sensitivitätsspek-
trum gegenüber Mutationen, bemerkte
Cortes.
▲
Ine Schmale
Quelle:
«CML – Evaluating the Evolving Therapeutic Landscape to Improve Outcomes», Satellitensymposium, unterstützt von Bristol-Myers Squibb während der 54. Jahrestagung der American Society of Hematology, 7.12.2012.
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Die Berichterstattung wurde von der Firma Bristol-Myers Squibb finanziell unterstützt.
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