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Kongressbericht/Neue Therapien
37. Jahreskongress der European Society of Medical Oncology (ESMO), Wien, 28. 9. bis 2. 10. 2012
Personalisierte Medizin beim metastasierten Kolonkarzinom
Gezielter Einsatz von Antikörpern verbessert die Chancen
In den letzten Jahren konnten in der Behandlung des metastasierten kolorektalen Karzinoms (mCRC) mit KRAS-Wildtyp erhebliche Fortschritte erzielt werden, nicht zuletzt dank des erfolgreichen Einsatzes von Antikörpern wie Panitumumab (Vectibix®) zusätzlich zu den Chemotherapien. Diese Verbesserung schlägt sich im Gesamtüberleben nieder, das im Mittel auf etwa zwei Jahre verlängert werden konnte. Einen wichtigen Beitrag zur optimalen individuellen Therapieplanung liefert die Bestimmung des KRAS-Status, betonten Experten anlässlich eines Satellitensymposiums der Firma Amgen im Rahmen der 37. ESMO-Jahrestagung.
Dank der Identifizierung krankheitsspezifischer Biomarker sind wir heute in der Lage, unsere Therapien immer besser und individueller auf die Bedürfnisse der Patienten abzustimmen und somit in Zukunft die klinischen Ergebnisse weiter zu verbessern, so Professor Dr. Dirk Arnold, Hamburg, einleitend. «Wir können unsere Interventionen jenen Patienten zukommen lassen, die wahrscheinlich davon profitieren. Die, die nicht profitieren, können wir vor überflüssigen Nebenwirkungen bewahren, und nicht zuletzt können wir so auch Kosten sparen.» Diesen letzten Aspekt belegt eine österreichische Studie (1). Hätte man die Patienten mit einer KRAS Mutation nicht mit einem EGFR-Antikörper behandelt, hätte man pro Patient und Zyklus knapp 780 Euro sparen können. Demgegenüber stehen Kosten von 321 Euro für den Test. Das routinemässige KRAS-Mutationsscreening ist also kosteneffektiv. Mit der richtigen Selektion sind erhebliche Ersparnisse möglich, unterstrich der Experte.
KRAS hat die Therapie des mCRC verändert
Neben der Einführung neuer Zytostatika hat insbesondere die Einführung von Antikörpern in die Therapie des mCRC eine einschneidende Veränderung mit sich gebracht. Zum einen haben sich die Überlebenszeiten von median 12,6 Monaten unter 5FU/LV Bolus im Jahr 2000 auf heute 23,9 Monate unter FOLFOX und Panitumumab (2) beziehungsweise 23,5 Monate unter FOLFIRI/Cetuximab (3) verbessert. Zum anderen ist es mit der
Einführung der EGFR-Antikörper erstmals möglich, einen Biomarker einzusetzen: Mit der Bestimmung des KRAS-Status können bereits im Vorfeld der Behandlung die Patienten identifiziert werden, die nicht von einer EGFR-basierten Therapie profitieren werden, unterstreicht Professor Dr. Marc Peeters, Antwerpen (4, 5). Das KRAS-Onkogen spielt nämlich bei der EGFR-abhängigen intrazellulären Signaltransduktion eine wichtige Rolle, erläuterte der Experte. Liegt der nicht mutierte KRAS-Wildtyp vor, können durch einen EGFR-Antikörper wie zum Beispiel das vollständig humane Panitumumab die Bindung des epidermalen Wachtumsfaktors (EGF) an seinen Rezeptor verhindert und weitere dadurch initiierte Abläufe unterdrückt werden – und so eine Abnahme der Zellproliferation, des Zellüberlebens, der Angiogenese und der metastatischen Tumorausbreitung erreicht werden. Ist das KRAS-Gen hingegen mutiert, wie bei etwa 40 Prozent der Patienten mit einem mCRC, kann es nicht mehr abgeschaltet werden und induziert ein unkontrolliertes Wachstum der Tumorzellen, das auch durch einen EGFR-Antikörper nicht verhindert werden kann. Patienten mit einer KRAS-Mutation, die mit einem EGFR-Antikörper behandelt wurden, hatten sogar ein kürzeres progressionsfreies Überleben (PFS) und Gesamtüberleben (OS) in Kombination mit einer oxaliplatinbasierten Chemotherapie, nicht aber in Kombination mit einer irinotecanbasierten Chemotherapie (7). Diese
Resultate unterstreichen die Bedeutung der Testung hinsichtlich des KRAS-Gens in der klinischen Praxis, so das Fazit des Experten.
Vorgehen im klinischen Alltag
Bei den meisten Patienten mit einem mCRC wird an erster Stelle eine Chemotherapie mit einer Zweierkombination stehen, entweder Oxaliplatin oder Irinotecan können mit 5-FU kombiniert werden, gefolgt von einer entsprechend anderen Kombination danach. Heute besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass im Verlauf der Therapie ein Antikörper die Chemotherapie ergänzen wird, sei es der VEGF-Hemmer Bevacizumab oder die EGFR-Hemmer Panitumumab oder Cetuximab. Die Behandlungsintensität orientiert sich an der klinischen Situation, liegen potenziell resezierbare Leber- oder Lungenmetastasen vor, ist eine maximale Tumorverkleinerung anzustreben und daher meist von Beginn an eine Kombination mit einem Antikörper indiziert, so Professor Tim Price, Adelaide, Australien. Diese Patienten können von einer Konversionstherapie profitieren: Gelingt im Anschluss an die Therapie eine vollständige Resektion, sind 16 Prozent bei einem Follow-up nach ≥ 5 Jahren geheilt (8). Auch bei einer schnell progredienten Erkrankung mit erheblichen Symptomen und dem Risiko einer schnellen Verschlechterung, bei der die Progression nach Möglichkeit kontrolliert werden soll, ist von Anbeginn an eine Kombination mit einem Antikörper sinnvoll. Liegen nicht resezierbare Metastasen vor, aber der Patient ist beschwerdefrei, oder ein schnelles Fortschreiten ist nicht zu befürchten und es liegen Komorbiditäten vor, möchte man einer weiteren Progression vorbeugen, aber das Ganze möglichst verträglich gestalten und geht daher eher stufenweise vor. Price unterstrich in seiner Zusammenfassung noch einmal die Bedeutung des KRAS-Status als prädiktiv für eine erfolgreiche Behandlung mit einem EGFRAntikörper. Dessen Bestimmung erlaubt
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Kongressbericht/Neue Therapien
37. Jahreskongress der European Society of Medical Oncology (ESMO), Wien, 28. 9. bis 2. 10. 2012
eine möglichst zielgerichtete und kos-
teneffektive Therapie. Es gibt gute Daten
für den Einsatz von Panitumumab zur Be-
handlung von Patienten mit mCRC und
KRAS-Wildtyp (siehe Kasten). Der voll-
ständig humane Antikörper erlaubt eine
14-tägliche Applikation und zeichnet sich
durch eine gute Verträglichkeit aus, er
geht mit weniger Infusionsnebenwirkun-
gen einher, eine Begleitmedikation ist
nicht notwendig.
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Christine Mücke
Quelle: «Personalising Medicine for GI cancers», Satellite Symposium Amgen Oncology, während des 37. ESMO-Kongress, Wien, 28.9.2012.
Referenzen: 1. Königsberg R, et al. Oncology 2011; 81: 359–364. 2. Douillard JY et al. J Clin Oncol 2011; 29(Suppl): 3510(oral). 3. Van Cutsem E, et al. J Clin Oncol 2011; 29: 2011–2019. 4. Peeters M, et al. J Clin Oncol 2010; 28: 4706–4713. 5. Douillard JY, et al. J Clin Oncol 2010; 28: 4697–4705. 6. Bokemeyer C, et al. Ann Oncol 2011; 22: 1535–1546. 7. Peeters M, et al. J Clin Oncol 2010; 28: 4706–4713. 8. Adam R, et al. J Clin Oncol 2009; 27: 1829–1835.
Klinische Studien mit Panitumumab
Bei Patienten mit einem mCRC haben klinische Studien den Einsatz von Panitumumab über das ganze Behandlungsspektrum hinweg untersucht. Den Einsatz in der Erstlinientherapie* unterstützen die Ergebnisse der PRIME-Studie (2), die in Kombination von 6,0 mg/kg Panitumumab und FOLFOX4 alle zwei Wochen eine Verlängerung des progressionsfreien Überlebens von 8,6 auf 10 Monate versus alleiniger FOLFOX4-Gabe gezeigt hat (p = 0,009; HR 0,8; 95%-KI: 0,67–0,95). Peeters et al. (4) konnten in Kombination mit FOLFIRI in der Zweitlinie eine Verbesserung der Ansprechrate erzielen, die mit rund 35 Prozent gut dreimal so hoch wie unter FOLFIRI allein ist und fast so hoch wie unter einer Erstlinientherapie mit alleiniger Chemotherapie. Durch die Zugabe von Panitumumab konnte das PFS von 3,9 Monate unter FOLFIRI allein signifikant auf 5,9 Monate verlängert werden (p = 0,004; HR 0,73). In beiden Studien waren höhergradige Hauttoxizitäten (Grad 2–4) mit einem signifikant besseren PFS und OS korreliert (9, 10). Und last but not least haben Amado et al. die Monotherapie als eine Therapieoption für die Drittlinie aufgezeigt (11). Für den KRAS-Wildtyp waren unter Panitumumab versus bester supportiver Behandlung sowohl die Ansprechrate (17 vs. 0% partielle Remission) als auch das mediane PFS mit 12,3 vs. 7,3 Wochen signifikant verbessert (HR 0,45; 95%-KI: 0,34–0,59).
* Panitumumab (Vectibix®) ist in der Schweiz zugelassen zur Behandlung von Patienten mit EGFR-exprimierendem, metastasierendem, kolorektalen Karzinom (mCRC) mit KRAS-Wildtyp in der Second-Line-Therapie in Kombination mit einer irinotecanhaltigen Chemotherapie oder als Monotherapie nach Versagen der fluoropyrimidin-, oxaliplatin- und irinotecanhaltigen Chemotherapie.
9. Douillard JY et al. WCGIC 2010, poster and oral presentation, O-0023.
10. Peeters M et al. WCGIC 2010, poster and oral presentation, O-0015.
11. Amado RG, et al. J Clin Oncol 2008; 26:1626–1634.
Interessenlage: Die Berichterstattung wurde von Amgen Schweiz finanziell unterstützt.
Interview mit Frau Professor Viviane Hess, Leitende Ärztin Onkologie, Leiterin Klinische Forschung Onkologie (CCRC), Universitätsspital Basel
Stellenwert der EGFR-Hemmung bei der Behandlung des mCRC
Inwiefern hat der Einsatz von EGFRHemmern die Therapie des mCRC verändert? Prof. Viviane Hess: Wir sind froh, dass wir die Targeted Therapies haben. Ein Grossteil der Fortschritte der letzten Jahre ist darauf zurückzuführen. Neben den neuen Chemotherapeutika ermöglichen die Angiogenese- und die EGFR-Hemmer den Patienten ein besseres Überleben – sowohl das progressionsfreie Überleben als auch das Gesamtüberleben konnten verlängert werden.
Wann kommen heute zur Behandlung des mCRC EGFR-Hemmer zum Einsatz? Wir müssen uns bei unseren Entscheidungen auf Studien und Zulassungen beziehen, nicht immer ist aber dadurch für alle Situationen die beste Entscheidung klar definiert. Eine grobe Orientierung erfolgt aufgrund von Allgemeinzustand, Alter und Komorbiditäten; die meisten Patienten werden heute bereits in der Erstlinie eine Kombinationstherapie erhalten. Aufgrund des Überlebensvorteils geben wir in der metastasierten Situation in der Re-
gel einen Antikörper dazu. Das heisst wir könnten zusammen mit Irinotecan (FOLFIRI) entweder Bevacizumab oder einen EGFR-Hemmer einsetzen. Wenn wir denken, dass noch eine Operation infrage kommt, bevorzugen wir bei Patienten mit KRAS-Wildtyp von Anfang an einen EGFR-Hemmer, unter Umständen sogar mit einer Dreierkombination. In der Second Line müssten wir dann die Chemotherapie wechseln und könnten mit Oxaliplatin dann Bevacizumab oder Cetuximab einsetzen. Je nach Patientenpräferenz oder Unverträglichkeiten kann aber in der Erstlinie die Behandlung auch mit FOLFOX beginnen, und dann haben wir mit Panitumumab und FOLFIRI eine gute Option in der Second Line. Dass Panitumumab nur für die Second Line mit
Quelle: Universitätsspital Basel, Foto & Print Center
FOLFIRI zugelassen ist, schränkt uns etwas ein. Gerne geben wir Irinotecan bereits in der Erstlinie, da wir für die Kombination mit Antikörpern hier die besten Daten haben.
Wann ist eine Monotherapie mit einem EGFR-Hemmer indiziert? In der dritten Linie gibt es für beide EGFR-Hemmer gute Daten für eine Monotherapie, die Ansprechraten liegen bei 10 bis 15 Prozent und wir haben einen Überlebensvorteil gegenüber best supportive Care bei guter Verträglichkeit.
Welche eigenen klinischen Erfahrungen haben Sie mit Panitumumab gemacht? Wir haben nach Cetuximab heute mit Panitumumab eine Erweiterung des Spektrums. Und gute Gründe, es einzusetzen, ob als erste Wahl oder für einen Wechsel bei Patienten, bei denen wir Angst vor einer Allergie haben oder die bereits eine allergische Reaktion gezeigt haben. Es ist schön, dass wir heute mehr Spielraum haben, um auf die Patientenbedürfnisse einzugehen.
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