Transkript
Kongressbericht/Neue Therapien
37. Jahreskongress der European Society of Medical Oncology (ESMO), Wien, 28. 9. bis 2. 10. 2012
Knochenschutz mit Denosumab
Neue Standards in Prävention und Behandlung ossärer Metastasen
Der RANK-Ligand-Hemmer Denosumab (XGEVA®) kann das Auftreten skelettbezogener Komplikationen (SRE) im Vergleich zu Bisphosphonaten signifikant reduzieren oder verzögern und die Zeit bis zur Entstehung von Knochenmetastasen verlängern, wie Experten an einem Symposium am ESMO-Jahreskongress zeigten. Sie diskutierten den richtigen Zeitpunkt für den Beginn einer knochenprotektiven Therapie, die Dauer sowie das optimale Management der Behandelten.
Nicht nur der krebstherapiebedingte Knochenverlust kann im Krankheitsverlauf onkologischer Patienten Probleme bereiten, sondern auch Knochenmetastasen, die zu den häufigsten Metastasen bei fortgeschrittenen Krebserkrankungen zählen, erinnerte einleitend Prof. Alison Stopeck, Arizona/USA. Die damit einhergehenden SRE (Frakturen, Bestrahlung und Chirurgie am Knochen sowie Spinalgang-Kompression) haben gravierende Auswirkungen auf Morbidität, Mortalität und die Lebensqualität der Betroffenen. Zudem sind sie Kostentreiber bei den Gesamtkosten in der Krebstherapie. Bislang galten Bisphosphonate wie Zoledronsäure als Standard, um dem Auftreten von SRE vorzubeugen. Im Vergleich dazu kann heute der humane monoklonale Antikörper Denosumab das Auftreten von SRE stärker verzögern und Schmerzen effektiver vorbeugen: Aufgrund der Datenlage hat diese Behandlung Eingang in die Empfehlungen von NCCN,
ESMO, ASCO und EAU gefunden (siehe Abbildung).
Denosumab beim Prostatakarzinom
Bei Patienten mit einem kastrationsresistenten Prostatakarzinom (CRPC) und Knochenmetastasen ist die Wahrscheinlichkeit für ein erstes SRE gross, die mediane Zeit bis dahin beträgt 10,7 Monate (1), so Dr. med. Andrea Tubaro, Rom. Ob der Patient Schmerzen verspürt, ist dabei nicht wegweisend, so der Experte: Unter Patienten mit einem oder mehreren SRE war die Anteil derer mit oder ohne Schmerzen in den Studien gleich hoch.
Schmerzen nicht auschlaggebend Die Zeit bis zum ersten Eintreten eines SRE konnte unter Denosumab unabhängig von Knochenschmerzen oder vorherigen SRE im Vergleich zu Zoledronsäure verlängert werden (1). Bei Fizazi et al. trat das erste SRE bei Patienten mit kastra-
Denosumab in den aktuellen Empfehlungen
Brust Prostata NSCLC Niere Blase
NCCN
2012 2012 2012 2012 2012
ESMO
2012 2010 2012 2012 2011
ASCO
2011
2011
EAU
2012
2010 2012
Enthält: Denosumab
Bisphosphonate
Keine Guidelines oder knochenschützende Therapie nicht erwähnt
Abbildung: Aktuelle Guidelines umfassen Denosumab 120 mg q4W für die Prävention skelett-
bezogener Komplikationen von Knochenmetastasen.
Quelle: nach Stopeck
tionsresistentem Prostatakarzinom median 3,6 Monate später als unter Zoledronsäure auf (p = 0,008; HR 0,82; 95%-KI: 0,71–0,95) (3). Dabei lohnt der Einsatz des RANK-Ligand-Hemmers schon zu einem frühen Zeitpunkt, denn dadurch lässt sich auch bei Patienten mit anfänglich keinen oder milden Schmerzen das Fortschreiten der Schmerzen verzögern, wie der Referent betonte (4).
Hochrisikopatienten profitieren zusätzlich Ein hoher PSA-Wert und eine kurze Verdoppelungszeit desselben sind mit einem kürzeren knochenmetastasenfreien Intervall assoziiert. Genau um diese Hochrisikopatienten ging es Smith und Kollegen: Bei 1435 Patienten mit CRPC und einem PSA ≥ 8 ng/mL und/oder einer PSA-Verdopplungszeit von 10 Monaten oder weniger untersuchten sie die Zeit bis zum Auftreten der ersten Knochenmetastase oder bis zum Tod anderer Ursache (5). In ihrer Studie wurden Patienten ohne vorherige i.v.-Bisphosphonatgabe eingeschlossen; sie erhielten entweder alle 4 Wochen 120 mg Denosumab oder Plazebo s.c. mit Kalziumund Vitamin-D-Supplementierung. Unter dem RANK-Ligand-Hemmer konnte das knochenmetastasenfreie Intervall signifikant von median 25,2 Monaten unter Plazebo auf 29,5 Monate unter dem Verum verlängert werden (p = 0,028; HR 0,85; 95%-KI: 0,73–0,98). Noch deutlicher fiel der Vorteil der Behandlung mit Denosumab für die Patienten mit einer PSA-Verdopplungszeit von 6 Monaten oder weniger aus: immerhin 59% der Studienpopulation. Ihr Risiko konnte im Vergleich zu Plazebo um 23% gesenkt werden (p = 0,006; HR 0,77; 95%-KI: 0,64–0,93). «Wir haben die Evidenz für den Nutzen einer frühen knochenschützenden Therapie bei CRPC-Patienten mit Knochenmetastasen, noch bevor sich Schmerzen bemerkbar machen. Jüngste Ergebnisse von Smith und Kollegen haben zudem zeigen können, dass Denosumab die Bildung von Knochenmetastasen verhin-
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dern oder zumindest verzögern kann», so Tubaros Fazit.
Denosumab beim Mammakarzinom
Prof. Diana Lüftner, Berlin, erläuterte anschliessend am Beispiel einer Patientin mit Brustkrebs Ziele und Management der knochenschützenden Therapien. «Das Basisrisiko für SRE liegt für Brustkrebspatientinnen mit Knochenmetastasen bei etwas mehr als 1 Ereignis pro Patientenjahr, je nach Kalkulation sogar bei bis zu 3. Dieses Risiko konnten wir durch Zoledronsäure versus Plazebo auf 0,63 reduzieren (6). Ein noch besseres Resultat können wir heute mit Denosumab erreichen», so die Expertin, «der RANK-Ligand-Hemmer kann das Risiko um weitere 22% auf 0,45 reduzieren.» (p = 0,004) (7). Knochenmetastasen sind die häufigsten Ursachen für die Schmerzen bei fortgeschrittenen Krebserkrankungen, sie führen zu funktionellen Einschränkungen und mindern die Lebensqualität erheblich. Unter den Brustkrebspatientinnen beklagen fast alle (85%) Schmerzen verschiedenster Ausprägung, und dabei verwendeten 84% keine Schmerzmittel (8). «Hier ist ein grosser Bedarf, sowohl für Analgetika als auch für antiresorptive Substanzen», so Lüftner. Auch bei den Brustkrebspatientinnen konnte Denosumab im Vergleich zur Zoledronsäure die Zunahme der Schmerzen auf der Skala von «keinem oder mildem Schmerz» zu «moderatem oder schwerem Schmerz» um 119 Tage (p = 0,0024; HR 0,78; 95%-KI: 0,67–0,92) (7) signifikant verzögern und so einen spürbaren Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität leisten (9).
Management der antiresorptiven Therapie
Das richtige Management trägt zur Therapiesicherheit bei – was aber sollte proaktiv überprüft werden? Eine Hypokalzämie als potenzielle Begleiterscheinung antiresorptiver Therapien sollte man «im Hinterkopf» behalten. Die diesbezüglich etwas höhere Rate unter Denosumab versus Zoledronat könnte die höhere Wirksamkeit des RANK-Ligand-Hemmers spiegeln. Die meisten Fälle bleiben asymptomatisch, und bei entsprechendem Monitoring und Pro-
Mehr als nur Knochenschutz?
Erste präklinische Daten belegen antikarzinogene Eigenschaften für einzelne Tumorarten (z.B. Lungenkarzinom, Brustkrebs und Riesenzelltumor) und machen dafür direkte und indirekte Mechanismen verantwortlich. Eine Post-hoc-Subgruppen-Auswertung der SRE-Studie bei soliden Tumoren hat für Lungenkarzinom-Patienten eine Verlängerung des Gesamtüberlebens von 7,7 auf 8,9 Monate unter Denosumab versus Zoledronsäure zeigen können (p = 0,01; HR 0,8; 95%-KI: 0,67–0,95) und in der NSCLC-Subgruppe von 8,1 auf 9,5 Monate (p = 0,0104; HR 0,78; 95%-KI: 0,65–0,94) (14). Um zu beantworten, ob diese Eigenschaften auch therapeutisches Potenzial haben, sind jedoch prospektive Phase-III-Studien erforderlich.
phylaxe sollte eine Hypokalzämie unter Denosumab trotz vereinzelter schwerer Fälle für die Mehrheit der Patienten kein Problem darstellen, so die Expertin. «Eine vor Behandlungsbeginn bekannte Hypokalzämie muss korrigiert werden. Ausser bei Hyperkalzämie sollte mit dem Start der Therapie gleichzeitig die orale Supplementierung von mindestens 500 mg Kalzium und 400 IE Vitamin D erfolgen.» Bei Patienten mit einer Kreatininclearance unter 30 ml/min oder Dialyse muss das Kalzium besonders sorgfältig überwacht und bei Bedarf zusätzlich zugeführt werden. Zu Kiefernekrosen kommt es unter Zoledronat und Denosumab in vergleichbar tiefer Zahl (10), in der Regel reichen eine konservative Behandlung oder kleinere Eingriffe aus, um das Problem in den Griff zu bekommen, so Lüftner. Ganz wichtig ist, vorab das Gebiss kontrollieren zu lassen und eventuell notwendige Massnahmen im Vorfeld durchzuführen, da unter der Therapie von zahnärztlichen Eingriffen abgesehen werden sollte. Gleichzeitig ist eine gute Mundhygiene unabdingbar, so die Expertin weiter, und bei Verdacht sind Zahnarzt oder Kieferchirurg zuzuziehen. «Wir schicken alle Patienten vor der Therapie zum Zahnarzt und lassen uns unterschreiben, dass wir sie diesbezüglich informiert haben.»
Kein Monitoring der Nierenfunktion unter Denosumab Eine Beeinträchtigung der Nierenfunktion ist bei Patienten mit einem fortgeschrittenen Karzinom keine Seltenheit. Aber nur unter Zoledronat ist eine Anpassung der Dosierung entsprechend der Kreatininclearance notwendig. Unter Denosumab sind weder Monitoring noch Anpassung der Dosierung erforderlich (11). Die Datenlage zur Dauer der Therapie ist begrenzt, dennoch raten die Guidelines verschiedener Gesellschaften dazu, die
Therapie aufgrund des anhaltenden Risi-
kos für SRE auch jenseits der bisher durch
Daten untermauerten 2 Jahre fortzuset-
zen, so Lüftner (12, 13).
Alles in allem kann Denosumab nicht nur
das Risiko für SRE senken, sondern auch
das Fortschreiten der knochenmetasta-
senbedingten Schmerzen und die Ab-
nahme der Lebensqualität mindern, so
das Fazit der Expertin. «Wir müssen Vit-
amin D und Kalzium supplementieren und
die Patienten hinsichtlich Kiefernekrose
und Hypokalzämie im Auge behalten. Die
optimale Therapiedauer muss noch defi-
niert werden – in Anbetracht dessen, dass
das Risiko für SRE selbst unter optimaler
Therapie nicht auf null sinkt.»
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Christine Mücke
Quelle: «Achieving new standards in bone metastases treatment», Satellite Symposium Amgen Oncology, während des 37. ESMO-Kongresses, Wien, 29.9.2012.
Interessenlage: Die Berichterstattung wurde von Amgen Schweiz finanziell unterstützt.
Referenzen:
1. Saad F, Gleason DM, Murray R, et al., J Natl Cancer Inst 2002; 94: 1458–68.
2. Shore ND, Smith MR, Jievaltas M, et al., J Clin Oncol 2011; 29: 15S: Abstract 4533.
3. Fizazi K, Carducci M, Smith M, et al., Lancet 2011; 377: 813–22.
4. Brown JE, Cleeland CS, Fallowfield LJ, et al., EAU 2011; Abstract 1091.
5. Smith MR, Saad F, Coleman R, et al., Lancet 2012; 379: 39–46.
6. Kohno N, et al., J Clin Oncol 2005; 23: 3314–21.
7. Stopeck AT, Lipton A, Body JJ, et al., J Clin Oncol 2010; 28: 5132–39.
8. Cleeland CS, Patrick DL, Fallowfield L, et al., Cancer Res 2010; 70 (Suppl 2); Abstract P1-13-01.
9. Martin M, Bell R, Bourgeois H, et al., Clin Cancer Res 2012; 18: 4841–49.
10. Saad F, Brown JE, Van Poznak C, et al., Ann Oncol 2012; 23:1341–47.
11. XGEVA Fachinformation 2011.
12. Cardoso F, Fallowfield L, Costa A, et al., Ann Oncol 2011; 22(Suppl 6): vi25–30.
13. Van Poznak CH, Temin S, Yee GC, et al., J Clin Oncol 2011; 29: 1221–27.
14. Scagliotti G, Hirsh V, Siena S, et al., WCLC 2011; Abstract O01.01.
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