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Kongressbericht/Neue Therapien
37. Jahreskongress der European Society of Medical Oncology (ESMO), Wien, 28. 9. bis 2. 10. 2012
Fortgeschrittenes Ovarialkarzinom
Optimierte Frontlineoption mit Bevacizumab
Nach mehr als einem Jahrzehnt ist mit Bevacizumab der erste signifikante Fortschritt beim fortgeschrittenen Ovarialkarzinom gelungen (1). Die Strategie in der Frontlinetherapie wurde am Beispiel einer Kasuistik während eines Satellitensymposiums von Roche beim diesjährigen ESMO-Jahreskongress diskutiert.
Wie Prof. Eric Pujade-Lauraine, Paris, einleitend erklärte, sind die therapeutischen Optionen bei fortgeschrittenem Eierstockkrebs begrenzt. Seit der Einführung der Therapie mit Cisplatin/Paclitaxel 1996 konnte die Hazard Ratio für das progressionsfreie Überleben (PFS) in PhaseIII-Studien lange Zeit nicht deutlich verbessert werden, ausser um den Preis einer erhöhten Toxizität. Im Krankheitsverlauf spielt der Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF) eine zentrale Rolle, sodass die VEGF-Hemmung mit Bevacizumab, welches sich bei anderen Tumorentitäten bewährt hat, auch beim Ovarialkarzinom vielversprechend erscheint. Der Beleg für den Nutzen bei dieser Indikation wurde in Studien erbracht, die zur EU Zulassung in der Frontline für Patientinnen mit einem Ovarialkarzinom im FIGO-Stadium IIIb bis IV geführt haben (1, 2).* Das anhaltende Interesse am Konzept zeigen weitere Studien mit Bevacizumab und anderen Angiogenesehemmern, bei denen insgesamt rund 9500 Patientinnen eingeschlossen wurden, so Prof. Pujade-Lauraine.
eine mit Betablocker therapierte Hypertonie ohne relevante Komorbiditäten präsentiert sich mit abdominellem Unwohlsein über mehrere Wochen. Ein CT-Scan des Beckens zeigt einen bereits metastatierten Adnextumor von 7 cm rechts sowie einen Aszites. Das CA 125 ist mit 177 IU/ml erhöht.
Was kann dieser Patientin angeboten werden? Neben der primären Operation mit anschliessender platinbasierter Chemotherapie über 6 Zyklen besteht die Möglichkeit einer primär neoadjuvanten Strategie, so Dr. González-Martín. Bei dieser Patientin fiel die Entscheidung zur primären Operation, der Tumor erwies sich als hochgradig seröses Ovarialkarzinom im FIGO-Stadium IIIC. Auch nach der Operation war eine makroskopisch erkennbare Residualerkrankung vorhanden, mit einer maximalen Tumorgrösse von 15 mm. Der Blutdruck normalisierte sich (108/70 mmHg), auch die Blut- und Urinwerte wurden normal, das CA 125 lag bei 17 IU/ml. Die Wunde verheilte innerhalb von 4 Wochen komplikationslos.
Die Patientin wies ein hohes Rückfallpotenzial auf und war bereit zu einer systemischen Behandlung. Zur Verfügung steht als Frontlinetherapie zum einen die Kombination Carboplatin/Paclitaxel in verschiedenen Regimen i.v. oder intraperitoneal. Die intraperitoneale Gabe sollte Tumoren unter 1 cm Grösse vorbehalten bleiben und ist aufgrund höherer Toxizität für Frauen über 70 nicht zu empfehlen, so González-Martín. Er empfiehlt in diesem Fall die Gabe von Bevacizumab, 15 mg/kg* alle drei Wochen, kombiniert mit Carboplatin/Paclitaxel für 6 Zyklen, danach weiter als Monotherapie.
Klinische Daten stützen Strategie Dieses Vorgehen wird gestützt durch die Phase-III-Daten der Studien GOG-0218 (2) und ICON7 (3), insbesondere in Anbetracht des hohen Risikos der Patientin: In GOG-0218, die 1873 Patientinnen mit einem neu diagnostizierten Ovarialkarzinom im Stadium III oder IV untersuchte, konnte durch die primär kombinierte Gabe und die anschliessende Monotherapie mit Bevacizumab (15 mg/kg/q3w über insgesamt 15 Monate) das PFS signifikant auf median 14,1 Monate (vs. 10,3 Mo. unter alleiniger Chemotherapie und 11,2 Mo. unter Chemotherapie/Bevacizumab ohne weitere Monotherapie) verlängert werden (p < 0,001; Hazard Ratio [HR] 0,717; 95%-KI: 0,63–0,82) (2).
Fortgeschrittenes Ovarialkarzinom
Die Bedeutung für die Praxis diskutierte
er zusammen mit Dr. Antonio González-
Martín, Madrid, anhand einer Kasuistik:
ICON7: Vorteil für Patientinnen mit hohem Progressionsrisiko
operierte FIGO III mit Resttumor > 1 cm und FIGO IV: ≈ 30% der Gesamtpopulation (n = 1528)
Gesamtüberleben (OS)
Eine 70-jährige Patientin mit unauffälliger Familienanamnese und bis auf
* Bevacizumab (Avastin®) ist in der Schweiz in Kombination mit Carboplatin und Paclitaxel indiziert für die Therapie nicht vorbehandelter Patientinnen mit Ovarialkarzinom (FIGO Stadium III und IV), bei welchen der Tumor nicht vollständig reseziert werden konnte und welche von einer im Anschluss an die Chemotherapie durchzuführenden weiteren Operation (second look mit interval debulking) nicht potenziell profitieren. Die empfohlene Dosis Avastin® beträgt 7,5 mg/kg Körpergewicht einmal alle 3 Wochen als intravenöse Infusion. Zusätzlich besitzt Bevacizumab in der Schweiz einen Orphan Drug Status für Ovarialkarzinom.
CP (n = 234)
CP + Bev7,5 ¬ Bev7,5 (n = 231)
Zeit (Monate)
Das Update der Interimsanalyse zum Gesamtüberleben in ICON7 zeigt mit 28,8 (CP) versus 36,6 Monaten (CP + Bev) einen signifikanten Vorteil für die Kombination mit Bevacizumab (3). (medianes OS für Gesamtpopulation noch nicht erreicht; finale Ergebnisse werden in 2013 erwartet).
SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 4/2012
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Kongressbericht/Neue Therapien
37. Jahreskongress der European Society of Medical Oncology (ESMO), Wien, 28. 9. bis 2. 10. 2012
ROSiA verspricht weitere Informationen* (4)
In die laufende multinationale einarmige ROSiA-Studie wurden bis Juli 2012 1039 Patientinnen mit Ovarialkarzinom aus 209 Zentren in 35 Ländern aufgenommen. Untersucht wird die Sicherheit der Bevacizumabgabe in Kombination mit Carboplatin/Paclitaxel bis zur Progression beziehungsweise längstens über 36 Zyklen in einer Dosierung von wahlweise 7,5 oder 15 mg/kg/q3w. Bei 94% wurde die höhere Dosierung gewählt. Unter den Patientinnen sind sowohl Hochrisikopatientinnen (24,9%) als auch Patientinnen nach neoadjuvanter Chemotherapie (14%). Die ersten Ergebnisse werden für 2013 erwartet.
OCEANS: Bevacizumab beim platinsensitiven Rezidiv* (6)
Die randomisierte, multizentrische, doppelblinde und plazebokontrollierte Phase-IIIStudie OCEANS untersuchte 484 Frauen mit rezidiviertem, platinempfindlichem Ovarial-, Eileiter- oder Peritonealkarzinom mit maximal einem vorhergehenden Therapieregime. Die Patientinnen erhielten eine Chemotherapie mit Gemcitabin/ Carboplatin (GC) über 6 bis 10 Zyklen und zusätzlich Bevacizumab (15 mg/kg/q3w) oder Plazebo, Letztere als Monotherapie bis zum Progress. Der Anti-VEGF-Antikörper verbesserte signifikant das objektive Ansprechen um 21,1% (57,4% unter GC vs. 78,5% unter der Kombination; p < 0,0001) sowie das PFS von median 8,4 Monaten (GC) auf 12,4 Monate unter der Kombination (HR 0,484; 95%-KI: 0,388–0,605; p < 0,0001). Das Sicherheitsprofil entsprach dem vorheriger Studien. Aufgrund dieser Daten hat Bevacizumab Ende Oktober 2012 die EU-Zulassung zur Behandlung des rezidivierenden Platin-sensitiven Ovarialkarzinoms erhalten (10).
In der Studie In ICON7 erhielten 1528 Patientinnen randomisiert entweder nur eine Chemotherapie mit Carboplatin (AUC 5 oder 6)/Paclitaxel (175 mg/m2) oder die Gabe von Bevacizumab (7,5 mg/kg/q3w) parallel zur gleichen Chemotherapie sowie als Erhaltungstherapie für die folgenden 12 Monate. Die Interimssubgruppenanalyse der Patientinnen mit einem hohen Progressionsrisiko und entweder operiertem FIGO III und Residualtumor > 1 cm oder FIGO IV ergab eine Verlängerung des Gesamtüberlebens von median 28,8 Monaten unter der Chemotherapie versus 36,6 Monate unter der Kom-
bination (p = 0,002, HR 0,64; 95%-KI: 0,48–0,85) (3). Würde eine neoadjuvante Therapie die Entscheidung für eine Therapie mit dem Anti-VEGF-Antikörper beeinflussen? Eine Antwort kann die ROSiA-Studie (4) bringen, die den Einsatz in diesem Setting untersucht, aber noch keine entsprechenden Daten vorweist, so Dr. Gonzales-Martin (siehe Kasten oben).
Therapieüberwachung
«Bei jeder Bevacizumabgabe sollte der Blutdruck kontrolliert werden, darüber hinaus sollten Sie Ihre Patienten ermutigen, die Werte auch zwischendurch einbis zweimal pro Woche zu messen», empfahl Pujade-Lauraine. Der Urin sollte ebenfalls bei jeder Bevacizumabinfusion untersucht werden, und bei einem auffälligen Streifentest sollte ein 24-StundenUrintest erfolgen.
Nach 10 Monaten fällt bei der Patientin ein erhöhter Blutdruck auf: Bei zwei konsekutiven Messungen liegen die Werte bei 162/103 mm Hg. Auch der Urintest ist auffällig, die Proteinurie bestätigt sich mit 0,9 g im 24-Stunden-Urin. Sollte das die Therapie mit Bevacizumab beeinflussen? Die Antwort des Experten: Nur dann, wenn die Hypertonie nicht in den Griff zu bekommen ist. Im beschriebenen Fall wurden Bevacizumab pausiert und der Kardiologe zugezogen. Nach Ergänzung der antihypertensiven Therapie um einen Kalziumantagonisten und Blutdrucknormalisierung konnte der Anti-VEGF-Antikörper weiter gegeben werden.
CA 125 und Therapiedauer
Solange ein Anstieg des CA 125 unter der Monotherapie mit Bevacizumab nicht mit klinischen Symptomen oder einem Progessionsnachweis im CT einhergeht, kann die Therapie fortgeführt werden, so die einhellige Meinung der Experten. Allerdings raten sie zur weiteren Überwachung des CA 125, zu klinischen und CT-Untersuchungen. Gemäss der Zulassung* wird die Behandlung mit Bevacizumab als Monotherapie im Anschluss an die Kombinationstherapie bis zur Progression oder längstens für 15 Monate empfohlen. Die optimale The-
rapiedauer ist Gegenstand weiterer Untersuchungen (5).
Die Patientin wurde über insgesamt 15 Monate behandelt. Die Symptome blieben kontrolliert, es kam nicht erneut zu einem Aszites. Sie konnte ihre normalen Alltagsaktivitäten wiederaufnehmen. Auch die Blutdruckwerte lagen unter der kombinierten Behandlung mit einem Betablocker und Kalziumantagonisten weiterhin im Normbereich.
Unter adäquater Betreuung der Patien-
ten unter Bevacizumab lässt sich sicher-
stellen, dass das Risiko-Nutzen-Verhältnis
maximiert werden kann. Bevacizumab hat
seine Wirksamkeit in mittlerweile vier
Phase-III-Studien (2, 3, 6, 7) zeigen kön-
nen und wird in mehreren Guidelines (8,
9) entsprechend empfohlen.
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Christine Mücke
Quelle: «Integrating bevacizumab into clinical practice in ovarian cancer». Satellite Symposium Roche, während des 37. ESMO-Kongresses, Wien, 28.9.2012.
Referenten: Eric Pujade-Lauraine und Antonio GonzálezMartín
Interessenlage:
Die Berichterstattung wurde von Roche Phar-
ma (Schweiz) AG finanziell unterstützt.
Referenzen:
1. Bamias A, et al. Angiogenesis: A promising therapeutic target for ovarian cancer. Crit Rev Oncol/Hematol (2012), http://dx.doi.org/10.1016/j.critrevonc.2012.04.002
2. Burger RA et al.: Incorporation of bevacizumab in the primary treatment of ovarian cancer. NEJM 2011; 365 (26): 2473–83.
3. Perren TJ et al.: A phase 3 trial of bevacizumab in ovarian cancer. NEJM 2011; 365(26): 2484–96.
4. Mendiola C et al.: ROSiA: A single-arm study in more than 1000 patients receiving front-line bevacizumab + chemotherapy for ovarian cancer, 978 P, Annals of Oncology 23 (Supplement 9): ix319–ix333, 2012 doi: 10.1093/annonc/mds40.
5. AGO-OVAR17/BOOST, Clinicaltrials.gov: NCT0146 2890.
6. Aghajanian C et al.: OCEANS: A randomized, double-blinded, placebo-controlled phase III trial of chemotherapy with or without bevacizumab (BEV) in patients with platinum-sensitive recurrent epithelial ovarian (EOC), primary peritoneal (PPC), or fallopian tube cancer (FTC). J Clin Oncol 2012; 30: 2039–2045.
7. Pujade-Lauraine E et al. AURELIA: A randomized phase III trial evaluating bevacizumab combined with chemotherapy for platinum-resistant recurrent ovarian cancer. J Clin Oncol 30, 2012 (suppl; abstr LBA5002).
8. AGO Guidelines Deutschland (www.ago-online.de/ de/fuer-mediziner/leitlinien/ovar).
9. AGO Guidelines Österreich (www.ago-manual.at/ inhalt/ii-epitheliales-ovarialkarzinom/27-therapie/#c138).
10. www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/ Summary_of_opinion/human/000582/WC500132867.pdf
38 SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 4/2012