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Im Fokus: Maligne Hauttumoren
Die Systemtherapie des fortgeschrittenen Melanoms
Neue Optionen
Bis zum Jahr 2010 liess sich trotz intensiver Forschung keine Überlebensverlängerung durch eine systemische palliative Behandlung des metastasierten Melanoms erreichen. Umso erfreulicher ist, dass in den letzten zwei Jahren mit drei neuen Substanzklassen ein Überlebensvorteil gezeigt werden konnte.
MARCO DRESSLER
Marco Dressler
Um die Euphorie über die neuen Therapieoptionen nachvollziehen zu können, ist es wichtig, sich die mittleren Überlebenszeiten vor Einsatz der neuen Substanzen von 6 bis 12 Monaten zu vergegenwärtigen (1). Der Artikel soll einen Überblick über aktuelle Therapieoptionen mit Ausblick auf zukünftige Therapien geben.
Patientenselektion für eine systemische Therapie
Vor Einleitung einer systemischen Therapie des fortgeschrittenen Melanoms sollten bestimmte Situationen berücksichtigt werden: ▲ Sind nur Satellitenmetastasen oder subkutane In-
transitmetastasen vorhanden, wird das Melanom dem Stadium IIIB zugeordnet. Werden Lymphknotenmetastasen eines Melanoms bei okkultem Primarius diagnostiziert, entspricht das ebenfalls einem Stadium III (2). ▲ Falls im Stadium IV eine limitierte Fernmetastasierung vorliegt, sollte eine palliative lokale Therapie evaluiert werden (3), zum Beispiel Resektion einer singulären Lungenmetastase (4) nach vorgängiger FDG-PET/CT oder chirurgische oder radiochirurgische Behandlung einer solitären Hirnmetastase. ▲ Fortgeschrittene Melanome sollten in einem interdisziplinären Tumorboard besprochen werden, um die Therapieoptionen neben einer systemischen Therapie zu evaluieren.
ABSTRACT
Systemic therapy for melanoma
The systemic therapy for melanoma has favourably at last been growing more and more complex with the advent of new therapeutic options like CTLA4 antibodies, BRAF inhibitors und MEK inhibitors.
Keywords: melanoma, CTLA4 antibodies, BRAF inhibitors, MEK inhibitors.
Chemotherapie
Obwohl die klassische Chemotherapie und die Zytokinbehandlung trotz vielerlei Varianten und Kombinationen keinen Überlebensvorteil zeigen konnten, ist die Bedeutung dieser Therapien weiterhin, insbesondere bei einem Melanom ohne therapeutisch anzugehende Mutation, gegeben.
Dacarbazin, ein Chemotherapeutikum aus der Gruppe der Alkylanzien, wurde bereits in den frühen Siebzigerjahren für die Therapie des metastasierten Melanoms verwendet. Die Ansprechrate liegt nur bei 5 bis 20%, und komplette Remissionen sind ausgesprochen selten. Für Dacarbazin konnte kein Überlebensvorteil im Vergleich zur «best supportive care» dokumentiert werden, die mediane Ansprechdauer liegt bei 4 bis 6 Monaten (5). An wesentlichen Nebenwirkungen von Dacarbazin sind die Myelo- und Hepatotoxizität sowie Emesis zu beachten. Weiterhin kann eine akute Fotosensitivität und eine Hypotension auftreten. Trotz langjähriger Bemühungen, die Dacarbazinmonotherapie durch Kombination mit anderen Zytostatika oder Zytokinen zu verbessern, liess sich kein signifikanter Überlebensvorteil gegenüber der Monotherapie mit Dacarbazin erreichen. Aus diesem Grund wurde diese Substanz als Referenzbehandlung für die immunologischen und onkogengerichteten Therapien verwendet. Für die Behandlung eines Melanoms mit BRAF-Wildtyp (siehe im Folgenden) im Stadium IV wird eine initiale Dacarbazinmonotherapie in der Schweiz oft als Standard angesehen.
Temozolomid (Temodal®) ist eine peroral verabreichbare Vorstufe des Wirkmetaboliten MTIC (Methyltriazeno-Imidazolcarboxamid) von Dacarbazin. Als Vorteile bei vergleichbarer Wirkung (OS, PFS, RR) sind die Liquorgängigkeit, die etwas bessere Verträglichkeit und die perorale Applikation aufzuführen. Temozolomid ist in der Schweiz nicht für die
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Therapie des malignen Melanoms zugelassen, und es muss eine Kostengutsprache eingeholt werden.
Eine Polychemotherapie (z.B. Cisplatin/Dacarbazin +/–Vinblastin, Carboplatin/Paclitaxel) kann in Situationen, in welchen höhere Ansprechraten im Vergleich zu Dacarbazin notwendig sind, evaluiert werden. Es zeigt sich aber kein verbessertes Gesamtüberleben bei deutlich erhöhter Toxizität.
Zytokine (Immun-/ Chemoimmuntherapie)
Seit den frühen Achtzigerjahren wurden die Zytokine Interleukin 2 (IL-2) und Interferon alfa zur Therapie des metastasierten Melanoms untersucht. Eine Monotherapie mit Hochdosis-IL-2 zeigte in einer nicht randomisierten Studie mit 13% Gesamtansprechrate vergleichbare Resultate im Vergleich zu Dacarbazin, wobei hierunter 4% (grösstenteils anhaltende) komplette Remissionen enthalten sind (6). Die sehr nebenwirkungsreiche Biochemotherapie mit Cisplatin/Dacarbazin/Vinblastin/IL-2/Interferon alfa zeigt eine deutliche Verbesserung der Ansprechraten (21% CR, 43% PR), allerdings ebenfalls ohne nachgewiesenen Überlebensvorteil (7, 8).
Neue Therapieoptionen
Das molekularbiologisch klassifizierte Melanom Mit Einführung neuer Therapieoptionen ist eine genetische Charakterisierung des Melanoms vor Einleitung einer Therapie unerlässlich geworden. Die Testung sollte, falls möglich, mit Metastasen des Melanoms erfolgen (3), da diese ein kompakteres und homogeneres Wachstumsmuster aufweisen und dadurch die Fehlerquote der Assays reduziert wird. Ziel ist es, eine aktivierende Mutation in einer Signaltransduktionskette zu identifizieren und dieses aktivierende Glied spezifisch zu beeinflussen. Der Mitogen-Activated-Protein-Kinase-(MAPK-)Signaltransduktionsweg mit den Tyrosinkinasen RAS, RAF, MEK, ERK, MAP reguliert die zelluläre Reaktion auf Wachstumsstimuli (Abbildung). Ungefähr die Hälfte aller Melanome weist eine aktivierende Mutation im Kodon 600 des BRAF-Gens auf. Bei fast 90% handelt es sich um die V600E-Mutation, was bedeutet, dass im BRAF-Protein ein Austausch von Glutaminsäure (E) durch Valin (V) stattfindet. Diese Mutation bewirkt eine verstärkte Kinaseaktivität der SerinThreonin-Kinase BRAF, welche MEK phosphoryliert (pMEK). pMEK wiederum phosphoryliert ERK, was eine Aktivierung des nachgeschalteten Signalweges und somit eine Stimulation der Zellproliferation bewirkt (9). Bei akralen und mukosalen (vor allem Genitalmukosa) Melanomen kommen bei zirka 5 bis 10% c-KitMutationen vor, welche ebenfalls therapeutisch angegangen werden können. Bei 15% der Melanome lässt sich zudem eine proto-onkogen-aktivierende
Abbildung: Vereinfachte Darstellung des MAPK-Signaltransduktionsweges.
Mutation des Proteins NRAS nachweisen, welche mit einem aggressiveren Krankheitsverlauf und gehäuftem Auftreten von Hirnmetastasen assoziiert ist. Erste Resultate zur Behandlung von NRAS-mutierten Melanomen mit MEK163 liegen vor und werden weiter verfolgt. Die Suche nach weiteren proto-onkogenaktivierenden Mutationen und Substanzen, welche diese wiederum therapeutisch inhibieren, findet intensiv statt.
BRAF-Inhibitoren Vemurafenib (Zelboraf®) Es handelt sich um das bis heute einzige zugelassene Medikament, welches spezifisch mutiertes BRAF inhibiert und welches sich in der Schweiz im klinischen Einsatz befindet. In einer Phase-III-Studie wurden 675 Patienten mit zuvor unbehandeltem BRAF-V600E-mutiertem Melanom im Stadium IV oder nicht resektablem Stadium IIIC im Verhältnis 1:1 randomisiert, um Vemurafenib (960 mg p.o. 2 x/Tag) oder Dacarbazin (1000 mg/m2 i.v. q3w) zu erhalten (11). Koprimäre Endpunkte waren Gesamtüberleben (OS) und progressionsfreies Überleben (PFS). Patienten in der Dacarbazingruppe wurden zum Zeitpunkt des Cross-overs zur Vemurafenibbehandlung bei Progression nicht mehr für die Analyse des Gesamtüberlebens berücksichtigt. Das mediane Gesamtüberleben betrug unter Vemurafenib 13,6 Monate und unter Dacarbazin 9,7 Monate (p < 0,001). Das PFS unterschied sich mit 6,9 Monaten (vs. 1,3 Monate) signifikant (p < 0,001). Die Gesamtansprechrate (ORR) betrug für Vemurafenib 57% (6% CR) vesus 9% für Dacarbazin (11). In einer nicht randomisierten Phase-II-Studie zeigten sich vergleichbare Ansprechraten bei mit mindestens einer systemischen Therapie vorbehandelten Patienten.
Hinweise zur Behandlung mit Vemurafenib Falls ein Ansprechen vorliegt, äussert sich dieses häufig innerhalb von etwa zwei Wochen, was bei
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hoch symptomatischen Patienten eine rasche Linderung der Beschwerden bedeutet. Vemurafenib zeigt Aktivität bei Hirnmetasen. An wesentlichen Nebenwirkungen sind vor allem die kutanen wichtig, da unter BRAF-Inhibition sekundäre Neoplasien entstehen können. Nachgewiesen sind Plattenepithelkarzinome/Keratoakanthome (21%), aktinische Keratosen (17%), Papilloma der Haut (30%) und eine Fotosensitivitätsreaktion in knapp 50% der Fälle. Häufig sind zudem mit knapp 50% Erythem, Exanthem, Arthralgien sowie Nausea und Erbrechen. Des Weiteren wurden expositionsabhängige QTc-Zeit-Verlängerungen im EKG gemessen. Alle Patienten sollten vor Behandlungsbeginn dermatologisch untersucht und während der Behandlung routinemässig beobachtet werden (z.B. alle 6 bis 12 Wochen). Die sekundären Hautneoplasien treten vor allem in den ersten Wochen der Behandlung auf. Jegliche verdächtige Hautläsion sollte exzidiert und histologisch untersucht werden. Des Weiteren sollte unter Vemurafenib ein konsequenter Sonnenschutz (UV-A/-B, Creme und Lippenstift, Kleidung) erfolgen und die QTc-Zeit im EKG kontrolliert werden. Voraussetzung für eine Kostenübernahme (unabhängig davon, ob Vorbehandlungen stattgefunden haben oder nicht) sind der Nachweis einer BRAF-V600Mutation sowie eine vorgängige Kostengutsprache.
Dabrafenib Dabrafenib ist ein noch nicht zugelassener BRAF-Inhibitor, welcher in einer 3:1 randomisierten Phase-IIIStudie (n = 250) im Vergleich zu Dacarbazin bei BRAF-V600-mutiertem Melanom untersucht wurde. Es zeigte sich ein PFS von 5,1 Monaten unter Dabrafenib (vs. 2,7 Monate unter Dacarbazin) bei einer Gesamtansprechrate von 53% unter Dabrafenib (19% unter Dacarbazin). Daten für das Gesamtüberleben liegen noch nicht vor. Interessanterweise zeigten sich im Vergleich zu Vemurafenib weniger Plattenepithelkarzinome/Keratoakanthome (6%) (12).
MEK-Inhibitoren Trametinib (GSK1120212) ist ein noch nicht zugelassener, oraler, selektiver Inhibitor von MEK 1 und MEK 2. MEK1/2 werden von BRAF mit V600-Mutation verstärkt phosporyliert und damit konstitutiv aktiviert. Trametinib ist damit eine weitere Möglichkeit, die MAPK-Signalkaskade bei Melanom mit BRAF-V600Mutationen zu unterbrechen. In eine Phase-III-Studie wurden 322 Patienten mit Melanom mit BRAF-V600-Mutation im Stadium IV oder nicht resektablem Tumor im Stadium IIIC im Verhältnis 2:1 in den experimentellen Behandlungsarm mit Trametinib 2 mg 1 x/Tag p.o. oder in den Kontrollarm mit entweder Dacarbazin (1000 mg/m2 i.v. q3w) oder Paclitaxel (175 mg/m2 i.v. q3w) randomisiert (13). Der primäre Endpunkt, das PFS, betrug im
Trametinibarm 4,8 Monate (Vergleich Chemotherapiearm: 1,5 Monate) (p < 0,001). Die Daten zum sekundären Endpunkt Gesamtüberleben liegen noch nicht abschliessend vor. Zum jetzigen Zeitpunkt liegt eine signifikante Verbesserung der 6-Monate-Überlebensrate für Trametinib von 81% (vs. 67%) vor. Die Gesamtansprechrate für Trametinib lag bei 22% (davon 2% CR) und für den Chemotherapiearm bei 8% (davon 0% CR). Beim Nebenwirkungsspektrum von Trametinib fällt vor allem auf, dass keine sekundären Plattenepithelkarzinome oder andere proliferative Hauterkrankungen auftraten.
Kombination von BRAF-Inhibitor und MEK-Inhibitor Am ESMO-Jahreskongress 2012 in Wien wurden sehr interessante Daten zur Kombination von sowohl Dabrafenib als auch Vemurafenib mit einem MEK-Inhibitor bei BRAF-V600-Mutation präsentiert. So wurden in einer kombinierten Phase-I- und -II-Studie jeweils 54 Patienten randomisiert und die Dabrafenibmonotherapie (150 mg 2 x/Tag p.o.) mit der Kombination von 1 mg/Tag Trametinib oder 2 mg/Tag Trametinib verglichen. Die Kombination mit 2 mg Trametinib zeigte im Vergleich zur Dabrafenibmonotherapie ein signifikant verlängertes PFS von 9,4 Monaten (vs. 5,8 Monate) (p < 0,001) und eine verbesserte Gesamtansprechrate von 76% (davon 9% CR) versus 58% (davon 4% CR) (14). Bei der Kombinationstherapie traten vermehrt gastrointestinale Nebenwirkungen sowie bei fast 70% der Patienten Fieberschübe auf. Die kutanen Nebenwirkungen inklusive der sekundären Plattenepithelkarzinome waren jedoch vermindert (statistisch knapp nicht signifikant). Die Phase-IB-Studie BRIM7 testete die Kombination von Vemurafenib mit dem MEK-Inhibitor GDC-0973 bei Patienten mit BRAF-V600-mutiertem Melanom (15). Zum Teil waren die Patienten bereits mit Vemurafenib vorbehandelt und progredient gewesen. In der Kombination liess sich teilweise ein erneutes Ansprechen erreichen, und das Neuauftreten von Plattenepithelkarzinomen wurde deutlich vermindert (1,4%). Aufgrund der vielversprechenden Ergebnisse sind jeweils Phase-III-Studien geplant.
Imatinib (Glivec®) In akralen und mukosalen Melanomen lassen sich in 5 bis 10% der Fälle c-Kit-Mutationen nachweisen. In einer nicht randomisierten Phase-II-Studie wurden 43 Patienten mit einer c-Kit-Mutation oder erhöhter Kopienzahl des c-Kit-Gens mit 400 mg Imatinib behandelt. Der primäre Endpunkt, das PFS, betrug 3,5 Monate, 23% der Patienten zeigten eine partielle Remission und 30% eine «stable disease» (SD) (16). Diese Daten sind im Vergleich zu den Ergebnissen der Behandlung von BRAF-V600-mutierten Melanomen enttäuschend, aber im Vergleich zu den Che-
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Tabelle 1:
Nebenwirkungen von Ipilimumab
Toxizität von Ipilimumab
Haut (Erythem, Exanthem, Pruritus etc.) Gastrointestinal (Diarrhö, Kolitis) Endokrin (Hypophysitis, Nebenniereninsuffizienz, Thyreoiditis) Hepatitis, Leberfunktionsstörungen Neuropathien (motorische/sensorische Polyneuropathie, Guillain-Barré Syndrom)
Zeitraum nach Therapiebeginn Woche 3 bis 10 Woche 5 bis 10 Ab Woche 6 Woche 6 bis 15 –
Für weitere Informationen bezüglich Behandlungsempfehlungen siehe (20).
% Grad 1–4
43,5 29,0 7,6 3,8 Unter 1
% Grad 3/4
1,5/0 7,6/0 2,3/1,5 0/0 –
Tabelle 2:
Evaluation von Tumoransprechen unter Ipilimumab
irRC (immune related response criteria) CR Keine Tumormanifestation1 PR ≥ 50% Abnahme der Tumorlast1,2, neue Läsionen sind erlaubt SD < 50% Abnahme respektive < 25% Zunahme der Tumorlast, neue Läsionen sind erlaubt PD ≥ 25% Zunahme der Tumorlast verglichen mit dem Zeitpunkt der geringsten Tumorlast1
1 in zwei aufeinanderfolgenden Bildgebungen mit mindestens 4 Wochen Abstand 2 Tumorlast ist definiert als Summe der grössten zwei Durchmesser von Indexläsionen + Summe der grössten zwei Durchmesser von neu auftretenden
messbaren Läsionen.
motherapiedaten oder Daten aus der Behandlung mit Zytokinen durchaus relevant. Die neueren Substanzen Nilotinib (Tasigna®) und Dasatinib (Sprycel®) zeigten in kleinen Studien ebenfalls Aktivität. Imatinib ist für die Therapie des Melanoms mit c-Kit-Mutation/Überexpression in der Schweiz nicht zugelassen.
Immunmodulatoren Die Immuntherapie liefert unabhängig vom BRAFMutationsstatus neue Therapieoptionen.
Ipilimumab (Yervoy®) Nachdem partielle Erfolge mit Zytokinen (s.o.) erzielt werden konnten, erbrachte die Therapie mit dem CTLA4-Antikörper (Cytotoxic T-Lymphocyte Antigen-4) Ipilimumab im Jahr 2010 die erste signifikante Verlängerung des Gesamtüberlebens durch eine palliative Behandlung beim Melanom. Der Wirkungsmechanismus von Ipilimumab ist indirekt und erfolgt über die Verstärkung der T-Zell-vermittelten Immunantwort, da es spezifisch das inhibitorische Signal von CTLA-4 blockiert, was zur T-ZellAktivierung, Proliferation und Lymphozyteninfiltration in Tumore und damit zum Tumorzelltod führt. In einer Phase-III-Studie wurden 676 vorbehandelte Patienten mit Melanom im Stadium IV oder nicht resektablem Stadium III im Verhältnis 3:1:1 in die drei Behandlungsarme Ipilimumab plus gp100 (glycoprotein 100, Peptid-Vakzine), Ipilimumabmonotherapie und gp100 alleine randomisiert. Ipilimumab wurde in der Dosierung 3 mg/kg KG q3w viermal verabreicht.
Falls 6 Monate nach Behandlungsbeginn mindestens ein stabiler Krankheitsverlauf vorlag, konnte bei Progression eine Reinduktionstherapie mit vier weiteren Gaben von Ipilimumab durchgeführt werden. Der primäre Endpunkt, das mediane Gesamtüberleben, betrug in den Behandlungsarmen mit Ipilimumab 10 Monate (vs. 6,4 Monate im gp100-Monotherapiearm) (17). Diese Daten führten zur Zulassung von Ipilimumab in der Schweiz, allerdings nur nach vorangegangener Therapie. Eine weitere doppelblinde, randomisierte Phase-IIIStudie mit nicht vorbehandelten Patienten unter Dacarbazin (850 mg/m2 i.v. q3w) mit/ohne Ipilimumab (10 mg KG q3w) viermal verabreicht, bestätigte ein verbessertes Gesamtüberleben, konnte aber in der Schweiz nicht zur Zulassung in der Ersttherapie und in der gesteigerten Dosierung führen. Bemerkenswert ist, dass Daten aus frühen Phase-I- und -II-Studien mit Patienten, welche von 2002 bis 2005 behandelt worden sind, 5-Jahres-Überlebensraten zwischen 13 und 25% zeigen und darunter 6% bis 17% (insbesondere in Kombination mit IL-2) anhaltende komplette Remissionen sind (18).
Hinweise zur Behandlung mit Ipilimumab Besondere Beachtung müssen den immunreaktionsvermittelten Nebenwirkungen von Ipilimumab gewidmet werden (Tabelle 1) (19). Die gebräuchlichen RECIST-Kriterien stossen bei Evaluation des Ansprechens einer Ipilimumabtherapie an ihre Grenzen, da Tumorläsionen nach Ipilimumabbehandlung initial grösser werden können oder sogar neue Läsionen
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auftauchen können und sich trotzdem im Verlauf eine partielle oder sogar eine komplette Remission einstellen kann. Um diesem Umstand zu begegnen, wurden spezielle Kriterien, die «immune-related response criteria» (irRC), propagiert (Tabelle 2) (20).
PD-1- und PD-1L-Antikörper Neben CTLA4 wurde mit PD-1 (programmed death 1) ein weiterer wichtiger Rezeptor auf T-Zellen gefunden, welcher bei Aktivierung eine Immunsuppression zur Folge hat. Der Ligand von PD-1 (PD-1L) kommt auf Stromazellen, aber auch Tumorzellen vor. Der Antikörper BMS-936558 ist gegen den PD-1-Rezeptor auf T-Zellen gerichtet und kann so eine verstärkte T-Zell-vermittelte Immunreaktion bewirken. Analog sind PD-1L-Antikörper in Evaluation. In einer Phase-I-Studie bei einer massiv vorbehandelten Population mit 104 Melanompatienten zeigte sich bei Behandlung mit dem Antikörper BMS936558 bei 28% der Patienten ein Ansprechen (PR+CR). Es gibt Hinweise, dass der Nachweis von überexprimiertem PD-1-Ligand in Melanomgewebe gut mit dem Ansprechen auf PD-1-Antikörper korreliert, was einen prädiktiven Test ermöglichen würde.
Tumorvakzine
Sowohl in der adjuvanten als auch in der palliativen
Situation werden experimentelle Tumorvakzine, zum
Beispiel rekombinantes MAGE-A3 (melanomassozi-
iertes Antigen) oder PRAME (preferentially shared
antigen of melanoma), untersucht, wobei eine An-
wendung ausserhalb von Studien derzeit nicht ab-
sehbar ist.
▲
Dr. med. Marco Dressler OnkoZentrum Luzern Klinik St.Anna 6006 Luzern E-Mail: marco.dressler@hirslanden.ch
Quellen:
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Merkpunkte
Molekulare Diagnostik
▲ Vor systemischer Behandlung eines Melanoms aus-
serhalb von klinischen Studien sollte, vorzugsweise an Metastasengewebe, auf BRAF-V600-Mutation getestet werden.
▲ Bei akralen oder mukosalen Melanomen kann zu-
sätzlich eine c-Kit-Mutation/Überexpression gesucht werden.
Behandlung mit Vemurafenib
▲ Wegen Auftretens sekundärer Plattenepithelkarzi-
nome sind regelmässige Untersuchungen der Haut unabdingbar.
▲ Verdächtige Läsionen müssen biopsiert/exzidiert und
pathologisch untersucht werden.
▲ Konsequenter Sonnenschutz (UV-A/-B, Creme und
Lippenstift, Kleidung) sowie regelmässige EKG-Kontrollen (QTc) sind erforderlich (vgl. Tabelle 1).
Behandlung mit Ipilimumab
▲ siehe Tabelle 1: Nebenwirkungen, Klinik, Auftreten,
Schweregrad.
▲ siehe Tabelle 2: Evaluation des Tumoransprechens.
Therapiesequenz
▲ Für das metastasierte Melanom mit BRAF-Wildtyp
bietet sich ausserhalb von Studien eine initiale Behandlung mit zum Beispiel Dacarbazin an. Bei Nichtansprechen oder sekundärer Progression sollte der Einsatz von Ipilimumab unter Berücksichtigung der potenziellen Nebenwirkungen erwogen werden. Da das Ansprechen auf Ipilimumab häufig verzögert einsetzt, sollte die Lebenserwartung vor Applikation mehr als 12 Wochen betragen.
▲ Liegt eine BRAF-V600-Mutation vor, sollte bei
hoher Tumorlast oder symptomatischem Patienten initial der Einsatz von Vemurafenib erwogen werden – aufgrund der hohen Ansprechrate und des raschen Ansprechens. Der Einsatz von Ipilimumab bietet eine Chance von zirka 15 bis 20% auf eine Langzeitremission über 5 Jahre hinweg und hat daher auch bei dieser Patientengruppe einen hohen Stellenwert.
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