Transkript
Im Fokus: Prostatakarzinom
PSA und ProstatakrebsFrüherkennung
Ergebnisse der detaillierten Analyse der Datenlage
Die Debatte zur PSA-Früherkennung des Prostatakarzinoms, insbesondere jene des letzten Jahres, wurde weltweit äusserst kontrovers geführt. Einer der wesentlichsten Punkte war die Frage, ob ein Benefit im Überleben nicht durch etliche «Harms» (Risiken, Nebenwirkungen, Überbehandlungen) aufgehoben würde. Detaillierte Analysen zusammen mit neueren Daten sprechen eindeutig für den Benefit der Früherkennung.
MARCO RANDAZZO, MACIEJ KWIATKOWSKI*, FRANZ RECKER
Marco Randazzo
Maciej Kwiatkowski
Franz Recker
Das Prostatakarzinom stellt nach dem Bronchialkarzinom die zweithäufigste Todesursache maligner Genese beim Mann dar. Ingesamt sterben in der Schweiz jährlich 1600 Männer an Prostatakrebs, zirka 5600 erkranken klinisch. Mit der Zunahme der Lebenserwartung des Mannes muss das Prostatakarzinom vermehrt auch unter gesundheitspolitischen Aspekten betrachtet werden, auch im Hinblick auf den Benefit respektive die Harms eines Screenings. In der Diagnostik geht der Weg des aufgeklärten Mannes in Richtung: «Weg von der wiederholten Vorsorge für jeden – hin zur spezifischen Vorsorge für Risikoträger!» PSA stellt einen kostengünstigen Gatekeeper dar, der längere Kontrollintervalle zulässt. Da die PSA-basierten Langzeitdaten stetig mehr Auskunft geben, konnte die Frage der «Lebensqualitäts-adjustiert gewonnenen Lebensjahre» (= Quality Adjusted Life Years, QALYs) bearbeitet werden (1). Zudem gewinnt das PSA an Bedeutung, da es neu als Langzeit-Risikostratifizierer für die Entwicklung eines Karzinoms herangezogen werden kann. Im Einsatz von Risikokalkulatoren hilft es, die Biopsieraten zu reduzieren und Patienten mit Low-gradeTumoren für eine «Active-Surveillance-Strategie» zu qualifizieren.
ABSTRACT
PSA and prostate cancer screening
Individual decision making in men at risk aged 50-70 years for prostate cancer screening is supported by the «quality adjusted life years» (QALY) gained in the ERSPC study. The role of PSA is newly a gate keeper which is able to prolong control intervals at the lower levels. At PSA levels above 3,0 ng/ml the ERSPC Risk Calculator 4 is able to reduce biopsy rate by 33% and the ERSPC Risk Calculator 5 can spare unnecessary treatments by 30–40%.
Keywords: PSA, prostate cancer screening, ERSPC risk calculator
Diskussion um «Harms versus Benefit»
Die Diskussion, ob das PSA-Screening mehr «Harms» als «Benefit» ergibt, wird von der US-Preventive Services Task Force (US-PSTF), der American Cancer Society und vielen anderen Fachgesellschaften kontrovers geführt. Die Haltung der US-PSTF zur Herabstufung der Prostatakrebsvorsorge auf Empfehlung D (= «mehr Harms als Benefit») ist aufgrund des absoluten «PSAScreening-Missbrauchs» in den USA durchaus nachvollziehbar, ABER AUF EUROPA NICHT ÜBERTRAGBAR: Rund die Hälfte der amerikanischen Männer zwischen 70 und 80 Jahren (also nicht im empfohlenen Vorsorgealter 50 bis 70 Jahre!) sowie ein Viertel der Männer über 80 Jahre erhalten mindestens einmal jährlich eine PSA-Bestimmung (4) (Abbildung 1)! Hinzu kommt, dass selbst im hohen Alter 90% der Patienten mit entdeckten Low-risk-Tumoren eine kurative Therapie erhalten (5). Diese Therapien sind zu einem hohen Prozentsatz von Nebenwirkungen begleitet, vor allem vor dem Hintergrund, dass 80% der Chirurgen höchstens zehn Operationen pro Jahr vornehmen (6). Diese Missstände verwischen das Bild des gezielten PSA-Screenings. Zudem beruht die Entscheidung der US-PSTF vornehmlich auf den vorläufigen Ergebnissen der amerikanischen Vorsorgestudie PLCO, die in ihrer ersten Auswertung 2009 keinen Unterschied zwischen Screening- und Kontrollgruppe gefunden hatte (7). Dieser fehlende Unterschied war jedoch darauf zurückzuführen, dass schon 44% der Studienteilnehmer vor Studieneinschluss (selbst die in der Kontrollgruppe) PSA-gescreent waren (3). Die Kontrollgruppe war «kontaminiert», da 56% sich be-
* Maciej Kwiatkowski ist Studienleiter der «European Randomized Study of Screening for Prostate Cancer» (ERSPC), Sektion Schweiz.
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Im Fokus: Prostatakarzinom
reits einem PSA-Test unterzogen. Die kürzlich publizierte aktuelle PLCO-Studienanalyse (8) kam folgerichtig zum Schluss, dass lediglich die Frage: «Massenscreening versus intensive Früherkennung in der Hausarztpraxis» angegangen werden konnte. Sigrid Carlsson vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center, New York (2), und Maciej Kwiatkowski (3) haben die Irrtümer («Errors») der US-PSTF in Bezug auf Faktenlage, Interpretation und Statistiken detailliert dargelegt. Insofern bleiben zur Beantwortung der Frage des Nutzens des PSA-Screenings nur die prospektiv randomisierten Studien, das heisst insbesondere die involvierten ERSPC-Studienzentren relevant. Das Update der Studie ERSPC nach elf Jahren ergab eine relative Mortalitätsreduktion von 29% (9) – nach 14 Jahren betrug diese in der Göteborg-Population 56% (10) verbunden mit einem hohen Mass an Überhandlung (s.u.). Die Verlaufsbeobachtungen gehen weiter.
Abbildung 1: PSA-Screening-Missbrauch in den USA: 45 bis 50% der 70- bis 80-jährigen Männer haben mindestens einen PSA-Test pro Jahr.
Karzinominzidenz bezogen auf den initialen PSA-Wert im Verlauf von 8 Jahren
«Qualitäts-adjustierte Lebensjahre» (QALY) als neuer Messfaktor Was bedeuten die aktuellen Daten für die Diskussion «Harms versus Benefit»? (1) Bisher wurden in der Abwägung der Vor- und Nachteile des PSA-Screenings «Äpfel mit Birnen verglichen»: Die «Masseinheiten» der Nebenwirkungen (= Biopsie, erektile Dysfunktion, Überbehandlung etc.) stimmten mit denen des Benefits (= verlängertes Überleben, weniger palliative Therapien) nicht überein (11). In der Augustausgabe 2012 des «New England Journal of Medicine» sind erstmals mithilfe einheitlicher Messmethoden (in der Studie ERSPC) die «Qualitäts-adjustierten Lebensjahre» (QALY) gewonnen durch das PSA-Screening beurteilt worden. Die QALY messen neben der Überlebenszeit auch die Qualität, womit ein Produkt, nämlich Lebensdauer mal Lebensqualität, entsteht. PSA-Tests bei 1000 Männern zwischen 55 und 69 Jahren führten zu einer 28%igen Mortalitätsreduktion (entsprechend 9 Männer), einer 35%igen Reduktion einer palliativen Therapie (entsprechend 14 Männer) und damit zu 73 gewonnenen Lebensjahren. Die «Harms» für 1000 gescreente Männer waren einerseits unnötige PSA-Tests respektive Biopsien (n = 247), andererseits Überdiagnostik und -therapie (in 43%). Zudem wurden hohe Angaben der Inkontinenz (6–16%) und posttherapeutischer Impotenz (83–88%) verwendet. Trotzdem reduzierte dies die 73 gewonnenen QALY nur um 23% auf schliesslich 56 gewonnene QALY (-21 bis 97). Hervorzuheben ist die Spannweite von minus 21 verlorenen Lebensjahren bis hin zu 97 gewonnenen QALY. Sie symbolisiert eindrücklich, dass das Screening ein Verlust oder Gewinn sein kann, auch abhängig von den persönlichen Präferenzen des Mannes bezüglich seines späteren Gesundheitszustands. Der posttherapeutische impotente Patient kann bei aus-
PSA-Intervall Initial n= 3568 (0-1,9 ng/ml)
Tumor-Gleason-Score ≥ 7a (3+4) ≥ 7b
0–0,99 ng/ml 1,0–1,99 ng/ml
Tumore bis vollendetes 4. Beobachtungsjahr 0,026% 0,30%
0% 0,13%
0–0,99 ng/ml 1,0–1,99 ng/ml
Tumore bis vollendetes 8. Beobachtungsjahr 0,53% 1,78%
0,23% 1,10%
Tabelle 1: Entwicklung von Prostatakarzinomen mit relevantem GleasonScore ≥ 7a beziehungsweise ≥ 7b nach 4 bis 8 Jahren, abhängig vom initialen PSA-Wert. Schweizer ERSPC-Studiendaten für 55- bis 69-jährige Männer.
serordentlicher Gewichtung dieser Nebenwirkung bilanzmässig relativ mehr an QALY verlieren, als er an Überlebensbenefit gewinnt. Deshalb sind die individuelle Aufklärung und der persönliche Entschluss des Mannes von eminenter Bedeutung (Tabelle 2). Die Schweizer Gesellschaft für Urologie (SGU) hat diesbezüglich Aufklärungsbögen erstellt (www.urologie.ch). Bei familiärer Vorbelastung sollte das Gespräch mit 45, sonst mit 50 Jahren beginnen. Die Vorsorge ist normalerweise beim 70. Lebensjahr, bei sehr gutem Gesundheitszustand beim 75. Lebensjahr beendet.
PSA als Risikostratifizierer
Mithilfe der PSA-Werte ist es jetzt möglich, Risikogruppen für Gesundheitsprogramme bei Männern zu definieren (12). Der PSA-Wert ist ein klarer Vorhersagewert für die langfristige Entwicklung eines aggressiven Prostatakarzinoms. Beispielsweise konnte Lilja (13, 14) retrospektiv zeigen, dass ein einzelner PSAWert, im Alter von 44 bis 50 Jahren gemessen, das Risiko anzeigt, fortgeschrittenen/letalen Prostatakrebs innerhalb von 20 bis 30 Jahren zu entwickeln: Bei 81% der Männer mit fortgeschrittenen Tumoren lag im Alter bis 50 Jahre ein PSA-Wert > 0,63 ng/ml vor. 44%
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Vorsorgeuntersuchung: Individuelle klinische Entscheidung ¬ Gespräch Hausarzt/Urologe – Patient
Zeitpunkt:
▲ Ohne familiäre Anamnese: 50–70 Jahre
▲ Mit familiärer Anamnese: 45–70 Jahre
(Lebenserwartung: 10 Jahre)
Risikohinweis:
▲ Häufigster Tumor (ca. 6–8 %)
▲ Zweithäufigste Todesursache maligner Genese (ca. 4%),
davon 15% im Alter < 65 Jahre
Benefit:
▲ Es müssen 7 bis 8 Männer behandelt werden, um ein
Leben nach 14 Jahren zu retten. Benefit in jüngeren
Jahren und mit längerer Lebenserwartung steigend.
Nebenwirkungen bei: ▲ Operation (E.D. 35–80%, Inkontinenz < 5%,
u.a. operateurabhängig)
▲ Bestrahlung (E.D. 41–80%, irritative Miktion < 10%,
Rektum < 5–8%)
▲ Kontrollierte Beobachtung (psychische Belastung?)
Bejahung Vorsorge: ▲ PSA (Cave!: nicht bei klinischer Entzündung), DRU;
Gewebeprobe ab PSA ≥ 3,0 ng/ml oder besser
individuell
a) ERSPC-Risk-Calculator 3:
www.prostatecancer-riskcalculator
b) PLCO http://deb.uthscsa.edu/URORiskCalc/
Pages/uroriskcalc.jsp
Tabelle 2: Kernpunkte zur Aufklärung des Mannes im Risikoalter
(15). Der PSA-Wert ist damit prädiktiver als die familiäre Vorgeschichte! Die Schweizer ERSPC-Studiendaten für 55- bis 69Jährige zeigen, dass: 1. Männer in diesem Altersspektrum mit einem PSA-
Wert < 1,0 n/ml innerhalb von 8 Jahren fast kein aggressives Karzinom entwickeln (0,53%) (siehe Tabelle 1). Man könnte dieser Gruppe den PSATest vorsichtigerweise für 6 bis 8 Jahre ersparen. Diese Gruppe entspricht der Hälfte aller Männer im Risikoalter. 2. Männer mit PSA-Werten zwischen 1 und 1,99 entwickeln innerhalb von 4 Jahren nur marginal, zu 0,30%, ein aggressives Karzinom (siehe Tabelle 1). Damit ist es ebenfalls erlaubt, die PSA-Intervalle auf 3 bis 4 Jahre auszudehnen. Dies sind weitere 25% der Risikobevölkerung, denen eine regelmässige PSA-Kontrolle erspart werden kann. 3. Männern mit PSA-Werten zwischen 2 und 3,0 ng/ml sollte bei individuellem Screeningwunsch eine jährliche PSA-Bestimmung im Risikoalter empfohlen werden. Die Schweizer epidemiologischen Daten wurden mittels des PSA-Abbott-AxymAssays erhoben. Diese Schweizer Daten erlauben die Aussage, dass die jährlich wiederholte Früherkennung für jeden nicht mehr zu empfehlen ist. Stattdessen ist ein Gesundheitsprogramm für Risikoträger zu empfehlen, ähnlich wie bei der Kolonoskopie. Der PSA-Wert ist damit ein äusserst informativer und kostengünstiger Risikoparameter (16–18).
Abbildung 2: Der ERSPC-Risikokalkulator mit den Variablen transrektaler Ultraschall, rektale Untersuchung, Prostatavolumen, PSA-Wert und erfolgte unauffällige Biopsien. Ein Cut off kleiner 12,5% erspart den Männern 30% der Biopsien.
aller Krebstoten hatten einen PSA > 1,6 ng/ml. Somit zeigen sich deutlich Risikogruppen, für die eine intensivierte Verlaufsbeobachtung empfohlen werden sollte. Umgekehrt haben Männer im Alter von 60 Jahren mit einem PSA < 1,0 ng/ml nur ein Risiko von 0,2%, im Alter bis zu 85 Jahren an Prostatakarzinom zu sterben
PSA als Parameter in Risikokalkulatoren
PSA-Werte sind in der Lage, relevante Prostatakarzinome in einem Frühstadium zu erfassen. Im Schweizer Arm der Studie ERSPC hatten von 5000 Männern 14,9% einen Wert > 3,0 ng/ml und damit eine Biopsieindikation. Die nur mässige Spezifität bei erhöhtem PSA-Wert ist unbestritten. Bei etwa jedem 4. bis 5. Patient war ein Karzinom nachweisbar, von denen zirka zwei Drittel behandlungswürdig waren. Die aus den Daten der niederländisch-schweizerischen Studie (3, 18) gewonnenen Erkenntnisse haben den Einsatz des PSA weiter spezifiziert und verhindern in Nomogrammen zirka 30% unnötige Biopsien. Der Risikokalkulator 4 zur Biopsieindikation basiert auf digitaler rektaler Palpation, PSA, transrektalem Ultraschall und Prostatavolumen (www.prostatecancerriskcalculator.com) (Abbildung 2). Für Hausärzte ist auch der Risikokalkulator 3 einsetzbar.
Aktive, kontrollierte Beobachtung bei klinisch insignifikanten Karzinomen
Die Übertherapie von klinisch insignifikanten Karzinomen ist ein wesentlich anzugehendes Problem,
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Merkpunkte
PSA: 2–2,99
PSA-Neubestimmung nach 1– Jahr
PSA: 1–1,99
PSA-Neubestimmung erst nach 3 bis 4 Jahren
PSA: 0–0,99
PSA-Neubestimmung erst nach 6 bis 8 Jahren
Abbildung 3: PSA-Pyramide: Basiswerte und vorgeschlagene Kontrollintervalle bei unauffälliger Familienanamnese für Männer zwischen dem 55. und dem 69. Lebensjahr (ERSPC-Studie Schweiz).
zumal die Nebenwirkungen der Therapien die Lebensqualität einschränken können (erektile, gastrointestinale Dysfunktionen, Inkontinenz). Innerhalb der ERSPC-Studie mit der aktiven Aufforderung zum Screening lag die Überdiagnostik bei 54%. Diesen betroffenen Männern eine Therapie ersparen zu können, ist Aufgabe der sogenannten «Active-Surveillance-Strategie», der kontrollierten Beobachtung. Findet sich ein Karzinom in der Biopsie, so entscheiden Nomogramme mit histologischen, laborchemischen und volumetrischen Angaben über die Notwendigkeit einer Therapie. Auch hier ist eine Reduktion der Behandlungen durch «Active Surveillance» möglich (bis zu 25 bis 40%). Der ERSPC-RisikoIndikator 5 gibt hierzu wichtige Entscheidungshilfen (siehe oben) (18, 19). Die Schweizerische Gesellschaft für Urologie hat zu deren Erfassung im letzten Jahr eine Datenbank für Active-Surveillance-Patienten ins Leben gerufen (SIPCAS). Die Active Surveillance vollzieht sich mittels PSA-Kontrollen (20). Den übrigen Männern bleiben auf diesem Wege aber die Nebenwirkungen einer Radikaloperation oder einer Strahlentherapie erspart. Die psychologische Belastung der Active-Surveillance-Patienten und ihrer Partnerinnen ist in den Händen erfahrener Urologen als vertretbar anzusehen (21). Active Surveillance stellt sich als eine sichere Verlaufsbeobachtungsform und insbesondere stressarme Überwachungsstrategie für Männer mit insignifikantem Prostatakarzinom dar.
Zusammenfassung
Die zunehmenden PSA-Langzeitdaten und die sehr eingehende Studienanalyse dokumentieren in der Kontroverse «Harms versus Benefit» des Prostatakarzinom-Screenings einen deutlichen Vorteil des PSAScreenings im Verlauf über 10 Jahre. Vorsorge bleibt aber die individuelle Entscheidung des aufgeklärten
PSA-Prostatavorsorge aktuell
▲ Für eine sinnvolle Prostatavorsorge ist eine aus-
führliche Information, eine zur Vorsorgeuntersuchung positive Einstellung und eine Lebenserwartung von über 10 Jahren des Mannes erforderlich.
▲ PSA als Risikostratifizierer: Aufgrund der 12-jähri-
gen Schweizer Studienresultate der European Randomized Study of Screening for Prostate Cancer (ERSPC) kann das PSA neu als Risikostratifizierer verwendet werden.
▲ Eine Folge-PSA-Bestimmung ist demnach notwen-
dig bei: 1. Männern ohne familiäre Disposition mit einem
Wert < 1,0 ng/ml: 6 bis 8 Jahre nach der Erstbestimmung 2. Werten zwischen 1,0 und 1,99 ng/ml: 3 bis 4 Jahre nach der Erstbestimmung 3. Werten zwischen 2 und 3 ng/ml und im Risikoalter: jährlich.
▲ Bei pathologischer PSA-Konstellation > 3,0 ng/ml
können mithilfe des prospektiv validierten ERSPC-Risikokalkulators unnötige Biopsien vermieden werden.
▲ Im Falle einer positiven Biopsie sind zirka ein Drittel
der Karzinome klinisch als insignifikant zu betrachten. Auch hier helfen ERSPC-Kalkulkatoren, diese «überdiagnostizierten» Tumore unbehandelt einer aktiven Beobachtung (mit Einschreiten in kurativer Intention bei Tumorprogression) zu unterziehen (Active Surveillance).
Mannes. Sie ist bei familiärer Belastung ab 45., sonst ab 50. Lebensjahr zu thematisieren. Risiken, diagnostische und therapeutische Prozedere inklusive Nebenwirkungen einer Behandlung sind zu besprechen. Die PSA-Langzeitbeobachtungen qualifizieren PSA neu als Gatekeeper im Sinne: Weg von der jährlich wiederholten Vorsorge für jeden – hin zur spezifischen Vorsorge für Risikoträger! Der PSA-Wert ist ein Risikostratifizierer, durch den die Kontrollintervalle auf 6 bis 8 Jahre verlängert werden können (Abbildung 3), wenn bei unauffälliger Familienanamnese der initiale PSA-Wert < 1 ng/ml (= 50% aller Männer im Risikoalter), auf 3 bis 4 Jahre, wenn der Basiswert 1–1,9 ng/ml beträgt. Ausserdem bieten Kalkulatoren gute Hilfestellungen bei der Entscheidung zur Biopsieindikation und Therapienotwendigkeit. ▲
Dr. med. Marco Randazzo (Korrespondenzadresse) E-Mail: marco.randazzo@ksa.ch
Dr. med. Maciej Kwiatkowski
Prof. Dr. med. Franz Recker Urologische Klinik und Prostatazentrum Kantonsspital Aarau 5001 Aarau
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