Transkript
Im Fokus: Prostatakarzinom
Lokale palliative Therapieoptionen bei Prostatakarzinom
Interdisziplinäres Vorgehen bei Schmerzen, infravesikaler Obstruktion, Blutung und therapiebedingten Nebenwirkungen
Viele Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom entwickeln im Laufe ihrer Erkrankung lokale Beschwerden wie Schmerzen, Obstruktion der Harnwege und/oder des Darms sowie Blutungen. Je nach Symptom gibt es unterschiedliche strahlentherapeutische sowie chirurgische palliative Massnahmen.
KARIN SCHALLEGGER, STEFAN PREUSSER, PAUL MARTIN PUTORA
Karin Schallegger
Stefan Preusser
Paul Martin Putora
Das Prostatakarzinom ist in westlichen Industrieländern die häufigste Tumorerkrankung (29%) und die zweithäufigste tumorbedingte Todesursache (9%) bei Männern. Das mittlere Alter bei Diagnosestellung liegt zwischen 70 und 75 Jahren. Aufgrund des PSA-Screenings konnte in den letzten Jahrzehnten ein prägnanter Anstieg der Inzidenz von 2% pro Jahr beobachtet werden (1).
Allgemeine Überlegungen vor Therapiebeginn
Lokale palliative Therapien zielen sowohl auf das lokale als auch auf das systemisch fortgeschrittene Prostatakarzinom. Symptome entstehen hierbei durch die enge Nachbarschaft der Prostata zur Harnblase und zum Rektum. Bei Tumorprogression kann es durch Druck auf oder Infiltration in das Rektum zu Defäkationsstörungen bis hin zur Perforation mit Fistelbildung kommen. Eine Infiltration in die Harnblase kann zu unterschiedlichen Symptomen wie ständigem Harndrang, Dysurie, Pollakisurie, Makrohämaturie mit Blasentamponade, Inkontinenz oder Harnverhalt führen. Wachstum in beide Nachbarorgane kann mit Schmerzen verbunden sein. Schmerzen können in unterschiedlichen Stadien der Erkrankung auftreten und betreffen bis zu 90% der
ABSTRACT
Local palliative treatment options in prostate carcinoma
During the course of their disease, many prostate cancer patients develop local symptoms including pain, bleeding, urinary or faecal obstructive symptoms. Several surgical or radiotherapeutic palliative treatment methods are available to improve these symptoms. Palliative radiotherapy usually is well tolerated and can improve symptoms. Surgical options (i.e. transurethral resection) should also be considered. In order to provide each patient with the best treatment options, interdisciplinary cooperation should be the focus of attention.
Keywords: prostate cancer, local symptoms, interdisciplinary cooperation
Patienten in der späten Phase der Erkrankung (2). Die Wahl der Therapie orientiert sich vor allem an der Optimierung der Lebensqualität sowie an der verbleibenden Lebenserwartung unter Berücksichtigung der Komorbiditäten und der Nebenwirkungen der Therapie.
Schmerzen
Radiotherapie Das Ziel einer lokalen Schmerzbestrahlung ist es, durch die Tumorverkleinerung eine Schmerzreduktion respektive Schmerzfreiheit zu erreichen. Das Radiotherapiekonzept wird abhängig von Tumorgrösse und Infiltration (Rektum, Blase) festgelegt. Bei Tumorinfiltration in Blase oder Darm muss das Risiko für Fistelbildung berücksichtigt werden. Durch die Wahl kleinerer Einzeldosen kann versucht werden, dieses Risiko durch ein langsameres Ansprechen zu reduzieren. Typischerweise werden Behandlungsschemata von mehreren Wochen eingesetzt. In der Regel ist durch eine höhere Gesamtdosis ein stärkerer Effekt zu erwarten. Aufgrund des dadurch erhöhten Risikos für Nebenwirkungen sollte abhängig von Allgemeinzustand und Lebenserwartung in Hinblick auf Spätnebenwirkungen das Therapiekonzept gewählt werden. Zu Beginn der Radiotherapie kann es aufgrund einer Schwellung zu einer Schmerzverstärkung für einige Tage kommen, weshalb auch eine Erhöhung der Analgesie erforderlich sein kann. Bei einer Vielzahl der Patienten zeigt sich einige Tage nach Beginn der Therapie schon eine Schmerzreduktion. Der Therapieerfolg kann in der Regel erst ungefähr 2 bis 3 Wochen nach Ende der Strahlentherapie beurteilt werden.
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gem Blutverlust, kurzer Hospitalisationsdauer und niedriger Mortalitätsrate (Abbildung 1). Eine Untersuchung an 58 Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom, mit akutem Harnverhalt (27 Pat., 47%) und/oder einer obstruktiven Miktionsproblematik mit signifikanter Restharnbildung, die eine palliative TUR-P erhielten, zeigte, dass nur in 6 Fällen (10%) eine Reintervention nötig gewesen war (7).
Abbildung 1: Die transurethrale Resektion der Prostata (TURP) ermöglicht eine rasche Verbesserung bei obstruktiven Beschwerden. (Bild ©Terese Winslow)
Palliative (Zysto-)Prostatektomie Im Verlauf der Erkrankung kann es bei lokalem Progress zu medikamentös schwer therapierbaren Schmerzen, interventionspflichtigen Makrohämaturien, subvesikaler Obstruktion oder Passagestörungen durch eine Rektuminfiltration kommen. Eine palliative Prostatektomie mit oder ohne Entfernung der Harnblase und/oder des Rektums sollte bei Versagen von konservativen Therapieoptionen und rasch rezidivierenden Beschwerden in Erwägung gezogen werden (3). Eine retrospektive Erhebung konnte die Wirksamkeit einer pallativen Prostatektomie belegen. Bei 3 von 4 Patienten mit einem fortgeschrittenen Prostatakarzinom konnten lokale Beschwerden, bei geringer peri- und postoperativer Morbidität, dauerhaft reduziert werden (4).
Infravesikale Obstruktion
Bei lokal fortgeschrittenem Karzinom kommt es häufig zu einer tumorbedingten infravesikalen Obstruktion mit Miktionsbeschwerden bis zum Harnverhalt (5). Eine infravesikale Desobstruktion beziehungsweise eine suprapubische oder transurethrale Harnableitung ist hier bei mangelnden systemischen Therapieoptionen indiziert.
Transurethrale Resektion der Prostata (TUR-P) Bei lokal progredientem Prostatakarzinom stellt die palliative TUR-P eine Standardtherapie zur Beseitigung der subvesikalen Obstruktion und zur Wiederherstellung einer physiologischen Miktion dar (6). Die palliative TUR-P ist eine sichere Methode mit gerin-
Suprapubische Zystostomie und transurethraler Dauerkatheter Bei Ablehnung einer Operation durch den Patienten oder bestehender Inoperabilität sollte eine dauerhafte transurethrale oder suprapubische Ableitung in Erwägung gezogen werden. Bei geringerer Invasivität führt die transurethrale Ableitung im Gegensatz zur suprapubischen Ableitung häufig zu urethralen Reizungen. Diese kann, sofern eine Blasenfüllung möglich ist, in Lokalanästhesie unter sonografischer Kontrolle durchgeführt werden. Um Hautirritationen zu vermeiden, empfiehlt sich die Verwendung einer Ballonzystostomie, damit eine Fixation mit einer Hautnaht umgangen wird. Der regelmässige Wechsel von beiden Systemen ist alle 4 bis 6 Wochen nötig. Um eine Schrumpfblase zu vermeiden, sollte der Patient bei beiden Ableitungsformen keine Dauerableitung erhalten und zumindest während des Tages eine regelmässige Blasenentleerung über ein Ventil instruiert werden (5).
Radiotherapie Bei Zunahme von obstruktiven Beschwerden kann eine radiotherapeutische Behandlung in Betracht gezogen werden. Aufgrund einer möglichen Gewebeschwellung kann eine vorübergehende Verschlechterung der Miktion während der Behandlung auftreten, das kann in Einzelfällen eine Intervention erfordern (z.B. Dauerkathetereinlage). Gelegentlich wird eine Dysurie während der Therapie und einige Tage bis Wochen nach Therapieende beobachtet.
Blutung
Bei lokal fortgeschrittenem Prostatakarzinom mit Infiltration der Harnblase kann es spontan oder nach Manipulation (Dauerkathetereinlage bei Harnverhalt) zur Makrohämaturie kommen, welche bei konservativen Therapiemassnahmen mittels Spülkathetereinlage, lokaler oder systemischer Medikation oder körperlicher Schonung keine Besserung zeigt.
Hämostyptische (blutstillende) Radiotherapie Die Indikation für eine hämostyptische Bestrahlung stellt sich bei rezidivierenden oder diffusen Blutungen. Diffuse Blutungen, die sich wiederholt den lokal operativen Massnahmen entziehen, können durch eine Radiotherapie gut behandelt werden. In Abhängigkeit vom Allgemeinzustand und der Lebenserwar-
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tung des Patienten werden Einzeldosis und Therapiekonzept festgelegt. Normalerweise werden Einzeldosen von 2 bis 3 Gray (Gy)/Tag bis zu einer Gesamtdosis von 30 bis 50 Gy verabreicht (Abbildung 2). Eine retrospektive Studie mit 58 Patienten, welche die Wirksamkeit eines Kurzzeitschemas mit 5 x 4 Gy (Therapiedauer eine Woche) bei lokalen Symptomen untersuchte, zeigte, dass bei 31 Patienten, die als Hauptsymptom eine Hämaturie hatten, eine Besserung bei 81% nach 6 Wochen eintrat (8). In manchen Fällen kann es schon nach einigen Tagen zum Sistieren der Blutung kommen. Bei sinkenden Hämoglobinwerten und/oder akuter Problematik sollte eine chirurgische Therapie vorrangig geprüft werden.
TUR-Blutstillung Eine transurethrale Blutstillung ist indiziert, wenn es trotz Einlage eines Spülkatheters nicht spontan zum Sistieren der Blutung kommt oder sich eine Blasentamponade gebildet hat, welche eine Ausräumung erfordert. Der transurethrale Zugang bietet ein zielgerichtetes Vorgehen mit Lokalisation und Koagulation der Blutungsquelle. Ausgeprägte Gefässzeichnungen mit erhöhter Blutungsneigung können prophylaktisch koaguliert werden.
Nebenwirkungen
Nebenwirkungen der Strahlentherapie Bei palliativen Behandlungen steht die Lebensqualität der Betroffenen im Vordergrund, weswegen mögliche Nebenwirkungen von Therapien berücksichtigt werden müssen. Im Vergleich zu kurativen Dosen ist die Gesamtdosis von palliativen Konzepten in der Regel tiefer, das ermöglicht häufig auch kürzere Behandlungszeiten von wenigen Tagen bis wenigen Wochen. Die strahlentherapiebedingten Nebenwirkungen lassen sich anhand der Normalgewebebelastung relativ gut vorhersagen. Reizungen im Bereich von Blase und Darm sind insbesondere zum Ende einer Radiotherapie sowie in den darauffolgenden Wochen möglich. Eine vorübergehende Schmerzverstärkung kann während einer Behandlung nicht ausgeschlossen werden. Hautreizungen sind bei palliativen Dosiskonzepten meistens nicht therapiebedürftig. Um das Nebenwirkungsrisiko gering zu halten, sollte eine konkomittierende Chemotherapie eher die Ausnahme bilden. Zusätzliche Symptome, die durch eine Bestrahlung auftreten können, sind medikamentös meist gut kontrollierbar. Obwohl die meisten palliativen Radiotherapien gut vertragen werden, ist es wichtig, mit Patienten über die möglichen Nebenwirkungen zu sprechen, um unnötige Ängste unter der Behandlung zu vermeiden.
Nebenwirkungen der Operation Jede Operation birgt ein allgemeines Risiko für Infektionen, Blutungen und Thrombosen. Bei einer
Abbildung 2: Strahlentherapieplan zur Blutstillung: 20 Gy werden in 5 Sitzungen appliziert. Im Bild sind 3 Felder zu sehen, rot ist der Bereich mit 20 Gy, grün ist der mit 10 Gy. Die rechte Hüfte wird wegen Metall (TEP) umgangen. Die rote Linie markiert das Zielvolumen (inkl. Sicherheitssaum), blau ist die Blase und braun das Rektum dargestellt.
Operation kann es zu Nerven- oder Gewebeverletzungen kommen. Aufgrund einer möglichen Multimorbidität der Patienten sollte eine medizinische oder anästhesiologische Abklärung zur Operabilität erfolgen (9).
Zusammenfassung
Bei palliativen Therapiekonzepten sollte die Lebens-
qualität des Patienten immer im Vordergrund stehen.
Hierbei ist die strenge Abwägung der erhofften Wir-
kung und der zu erwartenden Nebenwirkung einer
Therapie zentral. Die Beschwerden eines lokal fort-
schreitenden Prostatakarzinoms können vielfältig
sein, und oft ist eine lokale Therapie indiziert. Für die
meisten Beschwerden sind jeweils operative sowie
strahlentherapeutische Optionen unter Berücksichti-
gung der Interessen des Patienten zu prüfen. Eine
effektive Therapiewahl wird am besten durch inter-
disziplinäre Zusammenarbeit ermöglicht.
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Dr. med. Karin Schallegger (Korrespondenzadresse) Klinik für Radio-Onkologie Kantonsspital St. Gallen 9007 St. Gallen E-Mail: karin.schallegger@kssg.ch
Dr. med. Stefan Preusser Klinik für Urologie Kantonsspital St. Gallen
Dr. med. Paul Martin Putora Klinik für Radio-Onkologie Kantonsspital St. Gallen
Quellen:
1. Siegel R, Naishadham D, Jemal A: Cancer statistics, 2012. CA Cancer J Clin 2012; 62(1): 10–29 .
2. Bader P, Echtle D, Fonteyne V, et al.: Prostate cancer pain management: EAU guidelines on pain management. World J Urol.; epub Febr. 2012.
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Merkpunkte
▲ Die interdisziplinäre Zusammenarbeit kann helfen,
die optimale Therapie für den Patienten zu bestimmen.
▲ Trotz effektiver lokaler Therapiemassnahmen soll-
ten auch systemische Therapieoptionen geprüft werden.
▲ Die Dauer und Intensität einer Behandlung sollten
der individuellen Situation angepasst werden.
▲ Patienten sollten über die zu erwartenden Neben-
wirkungen ausführlich informiert werden; damit lassen sich unnötige Sorgen während der Therapie vermeiden.
3. Pfister D, Porres D, Epplen R, et al.: Palliative radical (cysto)prostatectomy in locally advanced castration-resistant prostate cancer. Urologe A. 2011; 50(9): 1101–05.
4. Leibovici D, Kamat AM, Pettaway CA, et al.: Cystoprostatectomy for effective palliation of symptomatic bladder invasion by prostate cancer. J Urol. 2005; 174(6): 2186–90.
5. Preusser S, Putora PM, Plasswilm L, Schmid HP.: Castration-resistant prostate cancer: surgical and radio-oncological therapeutic options. Urologe A 2012; 51(1): 27–31 .
6. Crain DS, Amling CL, Kane CJ.: Palliative transurethral prostate resection for bladder outlet obstruction in patients with locally advanced prostate cancer. J Urol 2004; 171: 668–71.
7. Heidenreich A, Ohlmann CH, Ozgür E, et al.: Optimizing treatment of advanced urologic malignancies. Urologe A 2007; 46(9): 1278–84.
8. Din OS, Ohlmann CH, Ozgür E.: Palliative prostate radiotherapy for symptomatic advanced prostate cancer. Radiotherapy and Oncology 2009; 93: 192–96.
9. Heidenreich D, Pfister D, Porres R, Epplen T, von Erps A.: Palliative radikale (Zysto-)Prostatekomie bei lokal fortgeschrittenem kastrationsresistenten Prostatakarzinom. Urologe 2011; 50: 1101–05.
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