Transkript
EDITORIAL
Im Fokus: Prostatakarzinom
W ahrscheinlich gibt es kaum eine Tumorentität, über die in den letzten Jahren derart lebhaft diskutiert worden ist wie über das Prostatakarzinom und seine Früherkennung. Die engagiert geführte Auseinandersetzung ist für die vertiefte Analyse der Datenlage vermutlich sogar ausgesprochen fruchtbar gewesen: Allein in diesem Jahr sind wesentliche Publikationen über die Langzeitergebnisse der Früherkennung erschienen – und sie haben «Licht am Ende des Tunnels» gebracht.
Gatekeeper PSA und neue Risikokalkulatoren In der Augustausgabe des «New England Journal of Medicine» wird die diskutierte Konfrontation «Harms versus Benefit» des Screenings in der European Scree-
Gezieltere Vorsorge für Risikoträger – bis zum multidisziplinären Management
ning Study of Prostate Cancer (ERSPC) angegangen: Hier wurde erstmals eine einheitliche Messskala – die QALY – verwendet, welche den Benefit des Screenings dokumentiert. Demnach hängt das Ausmass des Nutzens einerseits von den Präferenzen des Patienten (z.B. Bedeutung der Potenz), andererseits von der Qualität der Therapie ab. Beim Mann im Risikoalter gilt also die individuelle Entscheidung zur Prostatavorsorge nach ausführlicher Information (inklusive über die Therapienebenwirkungen) als Empfehlung. Als Gatekeeper und Ausschlusskriterium für das Vorliegen eines Karzinoms erlangt das PSA neue Bedeutung. Die Schweizer Langzeitdaten für eine Karzinomentwicklung nach 12 Jahren in verschiedenen niedrigen PSA-Bereichen zeigen, dass die Kontrollintervalle bei Werten unter 1,0 ng/ml respektive von 1 bis 1,9 ng/ml deutlich über Jahre hinaus verlängert werden können. Es heisst: «Weg von der wiederholten jährlichen Vorsorge für jeden – hin zur Vorsorge für Risikoträger.» Zudem: Findet sich in der Abklärung die Diagnose eines organbegrenzten Prostatakarzinoms, muss nicht in jedem Fall behandelt werden. Neue Risikokalkulatoren (ERSPC) erlauben in bis zu einem Drittel der Fälle eine kontrollierte Beobachtung (Active Surveillance) und helfen, die heutige Übertherapie bei etwa der Hälfte der Betroffenen zu reduzieren.
Molekularbiologie für eine exakte Diagnostik und ... Wesentliche Hilfestellungen zum Therapieentscheid sind neben Alter und Komorbidität jetzt die Morphologie und die Molekularbiologie. Diese ermöglichen über ein breites Arsenal immunhistochemischer und molekularbiologischer Parameter eine verbesserte Diagnosestellung und bilden am besten die Heterogenität des Tumors ab. Die neuere Entwicklung von gross angelegten Sequenzierungen von Krebsgenomen sowie epigenetischen Untersuchungen könnte ein weiterer Schritt zur Individualisierung der Therapie sein.
... ein neues Arsenal an Therapieoptionen Schliesslich sind die systemischen therapeutischen Entwicklungen der letzten 2 bis 3 Jahre sehr vielversprechend geworden. In der supportiven Therapie des Prostatakarzinoms findet Denosumab bei Skelettmetastasen zur Verhinderung von Komplikationen Anwendung. Beim kastrationsrefraktären Karzinom gewinnt die hormonelle Zweittherapie mit Abirateron zunehmend an Bedeutung. Das Bouquet an neuen therapeutischen Möglichkeiten wird sich vermutlich durch Cabazitaxel und auch durch die Immuntherapie noch erweitern lassen. Das Prostatakarzinom gewinnt zunehmend an gesundheitspolitischer Bedeutung, denn es tut sich gerade ein grosses, multidisziplinäres Feld auf: Dieses bezieht sich einerseits auf das neue Verständnis der Heterogenität der Tumorentität, andererseits auf die Individualisierung des therapeutischen Prozedere. Dazu gehören, wenn auch in dieser Ausgabe nicht berücksichtigt, die bildgebenden Verfahren. Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre.
Prof. Dr. med. Franz Recker Chefarzt Urologische Klinik, Kantonsspital Aarau
SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 3/2012
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