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Kongressbericht/Neue Therapien
53. Jahrestagung der American Hematological Society (ASH), San Diego/Kalifornien, 10. bis 13. Dezember 2011
Chronische lymphatische Leukämie (CLL) – akute Leukämien (AML/ALL)
Neue Substanzen eröffnen innovative Therapiewege
Die Entwicklung neuer therapeutischer Möglichkeiten bei hämatologischen Neoplasien schreitet rasant voran: Bei der CLL stehen therapeutische Strategien mit Bendamustin und Ofatumumab im Fokus. Daneben eröffnet ein Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitor innovative Möglichkeiten, und mit Obinutuzumab befindet sich ein neuer Anti-CD20-Antikörper in der Erprobung. Bei der ALL fand eine Studie mit dem Antikörper Blinatumumomab viel Beachtung.
CLL: Bendamustin für die Mehrzahl der Patienten gut geeignet
Eine Substanz, die auch auf der ASH-Tagung wiederum vielfach diskutiert wurde, war Bendamustin (Ribomustin®), denn die Bedeutung dieser Substanz in der Therapie maligner Lymphome hat in den letzten Jahren nicht nur in Europa, sondern auch in Amerika stetig zugenommen. Aufgrund des guten Verträglichkeitsprofils – keine Alopezie, geringe Rate an peripheren Neuropathien, kein Einfluss auf die Nierenfunktion – wurde Bendamustin zu Beginn besonders bei älteren und komorbiden Patienten eingesetzt. Neuere Studiendaten, insbesondere in Kombination mit Rituximab, zeigen jedoch, dass Bendamustin-basierte Therapien nicht nur sehr gut verträglich, sondern auch sehr effektiv sind und sich daher bei der Mehrzahl der CLL-Patienten einsetzen lassen. Inzwischen wird Bendamustin in eine Vielzahl von Studienkonzepten eingebunden, und die Substanz wird auch zunehmend als Kombinationspartner für neue Substanzen evaluiert. Im Rahmen des CLL10-Protokolls wird im Head-toHead-Vergleich geprüft, ob durch die Kombination von Bendamustin und Rituximab (B-R) eine vergleichbare Effektivität wie unter FC-R bei verminderter Toxizität erreichbar ist. Diese wichtige Phase-IIIStudie basiert auf den positiven Erfahrungen aus dem CLL2M-Protokoll. In dieser Phase-II-Studie wurde die Kombination B-R bei CLL-Patienten im guten Allgemeinzustand in der Erstlinie eingesetzt (1).
Ferienstimmung an der Pazifikküste in San Diego/Kalifornien beim ASH-Jahrestreffen, dem weltweit grössten Hämatologiekongress.
Die Ansprechrate betrug 88%, das mediane ereignisfreie Überleben war zum Zeitpunkt der letzten, noch nicht endgültigen Veröffentlichung nach 21 Monaten noch nicht erreicht. Damit wurde eine vergleichbare Effektivität wie unter FC-R erzielt. Die finalen Ergebnisse der CLL10Studie werden 2013 erwartet.
CLL: Ofatumumab in vielversprechender Kombination
Im klinischen Alltag bereitet die Gruppe der therapierefraktären CLL-Patienten allergrösste Probleme, da es bis anhin kaum Optionen gibt, die in dieser Situation eingesetzt werden können. Normalerweise ist Fludarabin (in verschiedenen Kombinationen) die Grundlage der Therapie. Werden die Patienten jedoch refraktär gegen Fludarabin, so ist selbst bei intensivster Chemotherapie nur ein Ansprechen unter 10 Prozent sowie ein Ge-
samtüberleben unter 12 Monaten zu erzielen. Innerhalb der refraktären CLL gibt es noch zwei definierte Subgruppen, die eine besonders schlechte Prognose aufweisen. Dies ist zum einen die Gruppe der Patienten mit Fludarabin-refraktärer CLL mit «bulky disease» (Lymphknoten > 5 cm) sowie zum andern die Gruppe der «doppelt refraktären» Patienten, also die Patienten, die weder auf Fludarabin noch auf Alemtuzumab ansprechen. Für diese Patienten konnte mit Ofatumumab (Arzerra®) eine Substanz gefunden werden, die auch in dieser späten Therapiesituation noch zu einem Ansprechen führt. Die Entwicklung zu Ofatumumab geht weiter: Eine aktuelle Studie untersuchte die Kombination von Ofatumumab mit Lenalidomid (Revlimid®) an 36 Patienten mit Rezidiv einer CLL nach einer FCR-Therapie (2). Von diesen waren 12 Patienten Fludarabin-refraktär. Die Patienten erhielten Ofatumumab für vier Wochen (300 mg Woche 1; 1000 mg Woche 2 bis 4) und danach monatlich bis zu 2 Jahren. Lenalidomid wurde initial mit 10 mg über einen Zeitraum von 24 Monaten (MDT 5 mg, Bereich 2,5–10 mg) verabreicht. 5 Patienten erreichten eine komplette und 17 Patienten eine partielle Remission. Die Gesamtansprechrate (ORR) lag bei 65%. An Nebenwirkungen vom Grad 3 und 4 wurden erwartungsgemäss Neutropenien (44%), Thrombozytopenien und Anämien (3%) beobachtet. Insgesamt erwies sich die Therapie als verträglich. Die Autoren der Studie schätzten die Kombination aus Ofatumumab und Lenalidomid als eine vielversprechende Therapieoption sowohl bei rezidivierten als auch bei Fludarabinrefraktären Patienten ein. Zudem wiesen sie darauf hin, dass immer noch Patienten aus dieser Studie unter Therapie sind.
Ofatumumab und Bendamustin kombiniert Als besonders interessant wurde auch die Kombination Ofatumumab und Bendamustin eingeschätzt. Dazu wurde eine Studie präsentiert (3), die diese Kombina-
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tion bei 49 bisher unbehandelten Patienten mit einem indolenten NHL untersuchte. Das Gesamtansprechen betrug 98%, und bei 60% der Erkrankten kam es zu einer kompletten Response. Aufgrund der ermutigenden Ergebnisse diese Phase-IIStudie soll die Kombination – auch in anderen Entitäten wie der CLL – weiter untersucht werden.
CLL: BTK-Inhibitor für einen künftigen Paradigmawechsel?
Der amerikanische Pädiater Ogden Bruton war Namensgeber für das Bruton-Syndrom, einen genetisch bedingten Immundefekt, der durch Mutationen im BrutonTyrosinkinase-(BTK-)Gen ausgelöst wird, welches eine zentrale Rolle in der Differenzierung von B-Zellen spielt. Bruton ahnte damals nicht, welche Vorarbeit er damit für die Therapie der CLL leistete: Beim ASH-Jahrestreffen wurde eine ermutigende Studie vorgestellt, die die Wirkung des BTK-Inhibitors PCI-32765 bei der CLL untersuchte. Diese orale Substanz inhibiert die BTK irreversibel, induziert damit Apoptose und hemmt die zelluläre Migration und Adhäsion von malignen B-Zellen. Eine vorgestellte Phase-II-Studie (4) zu dieser Therapie schloss 61 Patienten mit rezidiviertem/therapierefraktärem CLL/ kleinzelligem lymphozytärem Lymphom (SLL) ein: Davon erhielten 27 Patienten PCI-32765 in einer Dosis von 420 mg/Tag und 34 Patienten die Substanz in einer Dosis von 840 mg/Tag. Das mediane Followup betrug für die 420-mg-Gruppe 10,2 Monate und für die 840-mg-Gruppe 6,5 Monate. Alle Patienten hatten bereits mehrere Vortherapien erhalten. Daneben wiesen 72% der Studienteilnehmer mindestens einen molekularen Risikomarker auf: 31% waren del(17p)-, 33% del(11q)sowie 57% IgVH- unmutiert.
Steigende Ansprechraten, fehlende Myelosuppression Das objektive Ansprechen (ORR) nach IWCLL-Kriterien lag bei den Patienten unter 420 mg PCI-32765 nach 10,2 Monaten Follow-up bei 70%. Unter 840 mg PCI32765 betrug das ORR nach 6,5 Monaten 44%. Das Ansprechen scheint sich im Laufe der Therapiezeit noch einmal deutlich zu erhöhen. Besonders bemerkenswert
war ausserdem, dass die Therapie gut verträglich war (mit meist Grad-1- und -2-Nebenwirkungen – Diarrhö, Fatigue, Übelkeit und Ekchymosen). Unerwünschte Ereignisse vom Grad 3 und höher in Verbindung mit der Studiensubstanz wurden bei 21% der Studienteilnehmer beschrieben. Auf die Tatsache, dass eine sehr wichtige Nebenwirkung, die die meisten bei CLL eingesetzten Substanzen aufweisen, unter der Studienmedikation «fehlt», ging die Studienautorin Prof. Susan O’Brien, Houston, explizit ein: «PCI-32765 ist nicht myelosuppressiv. Die ansteigende Effektivität und die fehlende hämatologische Toxizität könnten letztlich zu einem Paradigmenwechsel bei der CLL führen.» Dazu müsste allerdings die Phase-III-Studie, die jetzt gestartet wurde, positiv ausgehen.
NHL: Wird Rituximab von Obinutuzumab überholt?
Rituximab gilt als Klassiker in der Therapie der CLL: Die Substanz ist inzwischen in Kombination mit jeder Chemotherapie in allen Therapielinien zugelassen. Nun ist ein neuer Antikörper so weit in seiner Entwicklung, dass er das «Nummernstadium» überwunden und mit Obinutuzumab einen Namen bekommen hat. Für diesen durch «Glykoengineering» modifizierten humanisierten monoklonalen Anti-CD20-Antikörper wurden erste Resultate der GAUSS-Studie vorgestellt (5) – der erste direkte Vergleich von Obinutuzumab und Rituximab bei Patienten mit rezidiviertem indolentem Non-Hodgkin-Lymphom (NHL). In 4 Dosen als Induktion und im Anschluss über 2 Jahre alle 2 Monate als Erhaltungstherapie verabreicht, war Obinutuzumab beim primären Endpunkt, der Ansprechrate nach Ende der Induktionstherapie, mit 44,6% gegenüber Rituximab mit 26,7% signifikant überlegen (p = 0,01). Die Infektionsrate unter der neuen Substanz war zwar etwas höher als unter Rituximab, führte aber letztlich nicht zu mehr Therapieabbrüchen. Eine weitere Phase-I-Studie (GAUDI) untersuchte die Wirksamkeit und Sicherheit von Obinutuzumab mit einer Chemotherapie aus FC oder CHOP bei rezidivierten/refraktären follikulären Lymphomen. Auch in dieser Untersuchung konnte Obinutuzumab effektiv überzeugen: Die Ansprechraten lagen bei
über 90% (6). «Dabei handelte es sich fast bei der Hälfte um komplette Remissionen», ergänzte der Studienleiter John Radford, Manchester. Weitere Phase-III-Studien mit Obinutuzumab sind geplant: So werden in der GALLIUM-Studie indolente NHL mit Obinutuzumab und CHOP, CVP oder Bendamustin, in der GOYA-Studie diffus grosszellige B-Zell-Lymphome mit Obinutuzumab und CHOP behandelt. Vergleichsregime wird in beiden Studien das R-CHOPSchema sein.
ALL: Blinatumomab mit hoher Rate an Komplettremissionen
Das Verbleiben von minimalen Leukämierestzellen (MRD) stellt bei der ALL einen deutlichen Risikofaktor für das weitere Voranschreiten der Erkrankung dar. Dagegen richtet sich mit der Substanz Blinatumomab der erste Vertreter einer neuen Antikörperklasse, welcher die Aktivität der T-Zellen in Richtung einer selektiven Lyse von Tumorzellen lenkt. Zu diesem bispezifischen EinzelkettenAntikörper, der am CD19-Antigen ansetzt, wurde eine Phase-II-Studie vorgestellt, die den Antikörper bei Patienten mit MRDpositiver B-Linien-ALL untersuchte (7). 25 erwachsene Patienten mit MRD-Persistenz oder Rezidiv nach der Induktionsoder Konsolidierungstherapie wurden eingeschlossen. 68% dieser Patienten zeigten ein Ansprechen auf die Therapie. Blinatumomab wurde in Form einer kontinuierlichen vierwöchigen intravenösen Infusion in Dosen von 5 oder 15 µg/m2/24h verabreicht. Danach erfolgten 2 Wochen Therapiepause. Insgesamt wurden bis zu 5 Zyklen verabreicht. Von den 12 Patienten, die die gesamte Dosis über den angestrebten Zeitraum erhielten, zeigten 75% eine komplette Response. Bei allen Patienten mit einem Ansprechen liessen sich keine residuellen Zellen mehr detektieren. Nach einem medianen Follow-up von 9,7 Monaten wurde das mediane Gesamtüberleben noch nicht erreicht. Die mediane Dauer des Ansprechens betrug 7,1 Monate. «In dieser Studie hat Blinatumomab den Behandlungserfolg bei refraktären Patienten wesentlich erhöht», sagte der Studienleiter Prof. Max Topp, Würzburg. Die Therapie erwies sich zudem als gut verträglich. Auf der Basis die-
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ser Daten wurde bereits im November 2011 eine weltweite Phase-II-Studie gestartet.
De-novo-AML: GemtuzumabOzogamicin (GO) plus Standardchemotherapie
Eine andere Substanz erlebt gerade bei der AML eine Renaissance: Im Jahr 2000 war GO für ältere (≥ 60 Jahre) AML-Patienten im ersten Rezidiv von der FDA zugelassen worden; im Jahr 2010 wurde diese Zulassung wieder zurückgezogen. Nun konnte aber in einer Studie nachgewiesen werden, dass dieses Konjugat aus einem Antikörper und dem bakteriellen Toxin Calicheamicin wahrscheinlich bisher nicht in der richtigen Dosis und Indikation eingesetzt wurde (8). Im Rahmen der prospektiven randomisierten Phase-III-Studie der französischen Akuten-Leukämie-Gesellschaft (ALFA) erhielten 278 erwachsene, unbehandelte De-novo-AML-Patienten im Alter von 50 bis 70 Jahren eine Dosis von 3 mg/m2 GO an den Tagen 1, 4 und 7 zusammen mit ei-
ner Chemotherapie (ARA-C plus Daunorubicin) (Arm B). Im Vergleichsarm (Arm A) wurde nur die Chemotherapie allein gegeben. Folgende signifikante Ergebnisse wurden nach einem 2-Jahres-Follow-up erzielt: ▲ Das ereignisfreie Überleben (EFS) war
15,6% im Arm A (vs. 41,4% im Arm B) (p = 0,0018). ▲ Die Dauer des medianen EFS betrug 11,9 Monate (vs. 19,6 Monate). ▲ Das krankheitsfreie Überleben war ebenfalls signifikant besser in der GO-Gruppe (Arm B) (18,1% vs. 48,5%, p = 0,0009). ▲ Für das mediane Überleben (OS) ergab sich ebenfalls ein Vorteil (15,3 vs. 25,4 Monate, p = 0,037). Insgesamt kam es durch die Kombinationstherapie nur zu einer geringgradig erhöhten Toxizität; diese betraf die prolongierte Thrombozytopenie bei 19 Patienten sowie 3 Episoden einer Venenverschlusserkrankung der Leber (VOD). Diese Episoden sollten noch weiter untersucht werden, trotzdem schlussfolgerte
Professor Sylvie Castaigne, Versailles/
Frankreich, bereits: «Die Ergebnisse für
neu diagnostizierte AML-Patienten sind
sehr ermutigend, zumal es bei allen Al-
tersgruppen zu einem Therapieerfolg
kam.»
▲
Bettina Reich
Quellen:
1. Fischer K et al. Blood. ASH Annual Meeting Abstracts 2009 114: Abstract 205.
2. Ferrajolie A. et al. ASH Annual Meeting Abstracts 2011 118: Abstract 1788.
3. Fowler N et al. ASH Annual Meeting Abstracts 2011 118: Abstract 778.
4. O´Brien S, et al. ASH Annual Meeting Abstracts 2011 118: Abstract 983.
5. Sehn L et al. ASH Annual Meeting Abstracts 2011 118: Abstract 269.
6. Radford J et al. ASH Annual Meeting Abstracts 2011 118: Abstract 270.
7. Topp MS, et al. ASH Annual Meeting Abstracts 2011 118: Abstract 252.
8. Castaigne S. et al. ASH Annual Meeting Abstracts 2011 118:, Abstract 6.
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