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Genexpressionsanalyse erleichtert Therapieentscheid
Brustkrebs: Test für den adjuvanten Behandlungsweg jetzt in der Schweiz
Eine der am schwierigsten zu beantwortenden Fragen in der medizinischen Onkologie ist die Entscheidung über eine adjuvante Chemotherapie bei Patientinnen mit östrogenrezeptorpositivem Mammakarzinom. Genexpressionsanalysen sind hierbei als Entscheidungshilfen in der Diskussion. Mit dem EndoPredict®-Test, der im April 2012 am Luzerner Kantonsspital eingeführt wurde, steht erstmals eine derartige Testplattform für den Routineeinsatz in der Schweiz zur Verfügung.
JOACHIM DIEBOLD UND STEFAN AEBI
Joachim Diebold Stefan Aebi
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Die Bestimmung von Biomarkern, die die Wirkung einer Therapie voraussagen, ist beim Mammakarzinom seit Jahren Standard: Die Expression von Östrogen(ÖR) und Progesteronrezeptoren sowie die Amplifikation (oder Überexpression) von HER2 werden bei der Diagnose jedes Mammakarzinoms gemessen. Mithilfe dieser Biomarker lassen sich die Karzinome in vier grosse Gruppen unterteilen: 1. ÖR+ HER2- (ca. 70%) 2. ÖR- HER2+ (10%) 3. ÖR+ HER2+ (5%) 4. ÖR- HER2-, i.e. «triple negative» (15%). Die Wahl adjuvanter Pharmakotherapien orientiert sich an diesen Faktoren. Die grösste Gruppe stellen somit die hormonrezeptorpositiven, HER2-negativen Karzinome dar. Die Indikation für eine Therapie mit einem SERM (selective estrogen receptor modulator) wie Tamoxifen oder einem Aromatasehemmer ist bei Patientinnen mit solchen Tumoren praktisch immer gegeben. Ob von einer zusätzlichen Chemotherapie ein vermindertes Rezidiv- und Sterberisiko zu erwarten ist, muss von Fall zu Fall entschieden werden. Berücksichtigt werden dabei unter anderem der histologische Grad, der Nodalstatus und das Proliferationsverhalten. Die Proliferationsaktivität der Tumorzellen lässt sich durch den Nachweis des Proliferationsantigens Ki67 mit Immunhistochemie abschätzen. Dies führt zur Unterscheidung von niedrig proliferierenden und hoch proliferierenden ÖR-positiven Tumoren, für die sich in der letzten Zeit im «Onkologie-Jargon» die Bezeichnungen «Luminal A-Typ» und «Luminal B-Typ» einbürgert haben. Der Grenzwert von etwa 15% Ki67positiven Tumorzellen ist dabei methodisch problematisch und relativ arbiträr.
Genexpressionsanalyse zur Abschätzung des Rezidivrisikos
Schon seit zirka zehn Jahren wird daher versucht, über eine Genexpressionsanalyse eine bessere Abschätzung des Rezidivrisikos von Mammakarzinomen zu erreichen. Es sollen so einerseits jene Patientinnen identifiziert werden, die aufgrund eines sehr geringen Rückfallrisikos von einer Chemotherapie kaum einen Nutzen erwarten dürfen, andererseits solche, die besonders von einer Chemotherapie profitieren könnten. Neben bis anhin nicht kommerziell verfügbaren Plattformen (1) existieren zwei Systeme, die im Markt eingeführt sind (2, 3). Aktuelle Leitlinien wie zum Beispiel solche der ESMO befürworten den Einsatz dieser Technologie (4). Im deutschsprachigen Raum haben sich die verfügbaren Tests bisher nicht breit durchsetzen können, da sie entweder Frischgewebe erfordern, was mit einem hohen logistischen Aufwand verbunden ist, oder weil die Analyse ausschliesslich im Ausland durchgeführt wird, was Zeitverzögerungen und hohe Kosten nach sich zieht.
Entwicklung des EndoPredict®-Tests
Als Alternative wurde von dem Unternehmen Sividon Diagnostics in Zusammenarbeit mit akademischen Institutionen in Deutschland und Österreich eine Plattform entwickelt, die auf der Expressionsanalyse von 8 hormonrezeptor- und proliferationsassozierten Genen sowie 3 Kontrollgenen beruht (5). Diese Gene wurden ausgewählt, weil sie nach zahlreichen Schritten der Selektion in einer Kohorte von 964 Patientinnen mit ÖR-positiven, HER2-negativen Mammakarzinomen (Trainingsset) die besten prognostischen
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Aussagen erlaubten und sich zudem robust in Formalin-fixiertem und in Paraffin eingebettetem Tumorgewebe messen lassen. Für den sogenannten EPclinScore werden die Expressionsdaten mit den klinischpathologischen Parametern Tumorgrösse und Nodalstatus kombiniert. Validiert wurde der Score mithilfe von 1702 Tumorproben aus den Studien ABCSG-6 und ABCSG-8. In ABCSG-6, einer Phase-III-Studie, wurde bei postmenopausalen Frauen die Gabe von Tamoxifen allein für 5 Jahre mit Tamoxifen in Kombination mit Aminoglutethimid in den ersten 2 Jahren verglichen (6). In der ABCSG-8-Studie erhielten postmenopausale Frauen der Kontrollgruppe 5 Jahre Tamoxifen, Teilnehmerinnen der experimentellen Gruppe eine Sequenz aus 2 Jahren Tamoxifen und 3 Jahren Anastrozol (7).
wäre. Der Vorteil, nicht auf grosse Mengen von tiefgefrorenem Gewebe angewiesen zu sein, unterscheidet den Test zudem positiv von anderen Verfahren wie zum Beispiel der Bestimmung von uPA/PAI1. Grundsätzlich kann diese neue Genexpressionsanalyse von Pathologie-Instituten angeboten werden,
Aussagewerte In der Trainingsphase wurde ein EPclin-Score-Wert von 3,3 definiert, der Low-risk- und High-risk-Fälle trennt. In der Validierungskohorte zeigte sich anschliessend, dass «EPclin-low-risk-Patientinnen» mit einer Wahrscheinlichkeit von 4% (95%-Vertrauensintervall 2–5%) Fernmetastasen in einem Zeitraum von 10 Jahren entwickeln, die Vergleichszahlen für «EPclin-high-risk-Patientinnen» liegen bei 22% (ABCSG-8) respektive 28% (ABCSG-6). Es konnte zudem nachgewiesen werden, dass der EPclin-Score die Zuverlässigkeit der Prognose des Krankheitsverlaufs über die etablierten klinisch-pathologischen Parameter (Nodalstatus, Tumorgrösse, Grading, Ki67) und «Adjuvant!Online» hinaus signifikant verbessert. Auf der Basis der ABCSG-6- und ABCSG-8-Studien lässt sich abschätzen, in welchem Ausmass die Gruppe der Low-risk-Fälle durch den Einsatz des EPclin-Score vergrössert wird: Wenn man nur die genannten klinisch-pathologischen Parameter zurate zieht, kann 15% der Studienteilnehmerinnen ein geringes Risiko für die Entwicklung von Metastasen zugeordnet werden. Unter Berücksichtigung des EPclin-Score wächst diese Zahl auf 64%. Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass wahrscheinlich bei etwa zwei Dritteln der postmenopausalen Patientinnen mit östrogenrezeptorpositivem, HER2-negativem Mammakarzinom auf die Chemotherapie verzichtet werden kann, weil der absolute Nutzen nicht gross sein kann.
Durchführung des Tests
Der EndoPredict®-Test kann an routinemässig Formalin-fixiertem und in Paraffin eingebettetem Tumorgewebe durchgeführt werden. Kleinste Gewebemengen sind ausreichend. So ist die Analyse im Prinzip auch an Biopsien durchführbar. Dies wird jedoch in der Regel unnötig sein, weil für eine präoperative (neoadjuvante) Therapie der Wert des Tests zur Voraussage der Therapiewirkung erst zu etablieren
Abbildung: EndoPredict®-Befundbericht mit Darstellung des EPclin-Scores
die über die notwendige technische Ausstattung und molekularpathologische Expertise verfügen. Im Pathologischen Institut des Luzerner Kantonsspitals ist sie seit April 2012 etabliert. Der EndoPredict®-Test lässt sich im Unterschied zu anderen kommerziellen Genexpressionstests im Schweizer Gebührensystem abbilden und somit auch abrechnen. Mit dem Ergebnis ist – wie bei anderen molekularpathologischen Tests – innerhalb von fünf Arbeitstagen zu rechnen. Selbstverständlich führt die Luzerner Pathologie die Analyse auch für Patientinnen durch, die nicht vom
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Kantonsspital betreut werden. Bei entsprechendem Interesse sollte der zuständige Onkologe Kontakt mit der involvierten Pathologie aufnehmen, damit ein Paraffinblock mit Tumorgewebe nach Luzern weitergeleitet wird.
Fazit
Eine der Fragen, die am häufigsten kontrovers im in-
terdisziplinären Tumorboard diskutiert wird, wird
künftig auf etwas besserer Datenbasis entschieden
werden. Voraussichtlich kann zwei Drittel aller post-
menopausalen Patientinnen mit operablen hormon-
rezeptorpositiven und HER2-negativen Mamma-
karzinomen die adjuvante Chemotherapie erspart
werden.
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Prof. Dr. med. Joachim Diebold Chefarzt Pathologisches Institut Luzerner Kantonsspital 6000 Luzern 16 E-Mail: joachim.diebold@luks.ch
Prof. Dr. med. Stefan Aebi Chefarzt Medizinische Onkologie Luzerner Kantonsspital 6000 Luzern 16 E-Mail: stefan.aebi@luks.ch
Interessenkonflikte: Beide Autoren geben keine Interessenkonflikte an.
Quellen:
1. Moor AE, Guevara C, Altermatt HJ, Warth R, Jaggi R, Aebi S.: PRO_10 – a new tissue-based prognostic multigene marker in patients with early estrogen receptor-positive breast cancer. Pathobiology. 2011; 78: 140–48.
2. Rutgers E, Piccart-Gebhart MJ, et al.: The EORTC 10041/BIG 03-04 MINDACT trial is feasible: results of the pilot phase. Eur J Cancer. 2011; 47: 2742–49.
3. Tang G, Cuzick J et al.: Risk of recurrence and chemotherapy benefit for patients with node-negative, estrogen receptor-positive breast cancer: recurrence score alone and integrated with pathologic and clinical factors. J Clin Oncol. 2011; 29: 4365–72.
4. Aebi S, Davidson T, Gruber G, Castiglione M: Primary breast cancer: ESMO Clinical Practice Guidelines for diagnosis, treatment and follow-up. Ann Oncol. 2010; 21 (suppl 5): v9–v14.
5. Filipits M, Rudas M, et al. (EP Investigators): A new molecular predictor of distant recurrence in ER-positive, HER2-negative breast cancer adds independent information to conventional clinical risk factors. Clin Cancer Res. 2011; 17: 6012–20.
6. Schmid M, Jakesz R, et al.: Randomized trial of tamoxifen versus tamoxifen plus aminoglutethimide as adjuvant treatment in postmenopausal breast cancer patients with hormone receptorpositive disease: Austrian breast and colorectal cancer study group trial 6. J Clin Oncol. 2003; 21: 984–90.
7. Dubsky PC, Jakesz R,et al.: Tamoxifen and Anastrozole As a Sequencing Strategy: A Randomized Controlled Trial in Postmenopausal Patients With Endocrine-Responsive Early Breast Cancer From the Austrian Breast and Colorectal Cancer Study Group. J Clin Oncol. 2012 Jan 23. [Epub ahead of print]
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