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Kongressbericht/Neue Therapien
53. Jahrestagung der American Hematological Society (ASH), San Diego/Kalifornien, 10. bis 13. Dezember 2011
Chronische myeloische Leukämie (CML)/ Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI)
Die Entwicklung geht in Richtung Heilung weiter
In der Behandlung der CML, seit 2002 durch das zielgerichtete Imatinib (Glivec®) revolutioniert und durch Zweitgenerations-TKI weiter verbessert, stehen Fragen zum «Feintuning» im Vordergrund. Beim ASH-Jahrestreffen im Dezember wurde thematisiert, wie Patienten mit frühzeitigem Therapieversagen identifiziert werden können. Die Kriterien, in neuen TKI-Therapiestudien integriert, erwiesen sich als sehr bedeutsam für neue Therapiestrategien.
«Können wir die CML letztlich heilen?» Diese Frage von Prof. Junia Melo, London, in der einführenden Educational Session zur CML wäre vor Jahren noch unverhältnismässig gewesen. Dieses Jahr zeigte sich, dass diese Fragestellung mittlerweile hinter den meisten neuen CMLStudien steht. Aber es dürfe nicht vergessen werden, so Melo weiter, dass ungefähr 95% aller Studien sich mit dem Thema «chronische CML» beschäftigten, wohingegen die Studien bei CML in der Blastenkrise immer noch dünn gesät seien. Zudem sind laut Melo die Aussichten auf ein längeres Überleben in diesem Krankheitsstadium nach wie vor noch sehr schlecht. Melo forderte daher, auch diesem Aspekt der Erkrankung in Zukunft mehr Forschungsinteresse entgegenzubringen.
zeitüberleben. Demzufolge bedingt ▲ ein BCR-ABL-Level von > 10% nach 3
Monaten eine Überlebensrate nach 5 Jahren von 87% ▲ ein BCR-ABL-Level von < 1% eine Überlebensrate von 97%. Diese Studie wurde mit Imatinib durchgeführt. «Verpassen wir die 10%-Schwelle, so sollte möglichst schnell die Therapie gewechselt werden, um kein verschlechtertes Langzeitergebnis zu bekommen», führte Dr. Benjamin Hanfstein, Mannheim, aus. Zwischen der «< 1%-Gruppe» und der «1%- bis 10%-Gruppe» bestand kein signifikanter Unterschied. Das Verpassen des Meilensteins «10%-BCR-ABL nach 3 Monaten» sagt daher ein verschlechtertes Langzeitergebnis der Therapie voraus und legt einen frühen Therapiewechsel für langsam ansprechende Patienten nahe.
Die magische 10%-Schwelle
Wie kann frühzeitig erkannt werden, dass eine Behandlung nicht «greift»? Auf diese Frage gibt es mittlerweile eine Antwort, die durch eine wachsende Evidenz der Daten gestützt wird: Das Fehlen eines frühzeitigen molekularen Ansprechens innerhalb der ersten 3 Monate führt zu einem erhöhten Risiko für Behandlungsfehler und zu Krankheitsprogression. Dabei gilt die «10%-BCR-ABL-Schwelle nach drei Monaten» als magische Schwelle – ihr Nichterreichen ist mit einem verschlechterten Ansprechen verbunden. Die finalen Ergebnisse der deutschen CML-IV-Studie (1) unterstreichen deutlich die Bedeutung des «10%-BCR-ABL-Spiegels nach drei Monaten» für das Lang-
Schneller Wechsel nach 3 Monaten bei Verfehlen der < 10%-Schwelle
Diese Auffassung wurde nun auch durch Daten aus Studien mit den Zweitgenerations-TKI Dasatinib (Sprycel®) und Nilotinib (Tasigna®) unterstützt. So zeigte die britische SPIRIT2-Studie mit Dasatinib (2), dass der < 10%-BCR-ABL/ ABL-Schwellenwert nach 3 Monaten auch bei einer Therapie mit Dasatinib als Parameter herangezogen werden sollte. Demzufolge liegt die Wahrscheinlichkeit einer kompletten zytogenetischen Response (CCyR) bei einem Transkriptionslevel ≤ 10% nach 3 Monaten Dasatinib bei 89,1%. Bei höheren Leveln sinkt der Wert auf 50,2% (p = 0,02).
Die australische TIDEL-II-Studie untermauert ausdrücklich die Bedeutung der 10%-Schwelle (3). In dieser Studie wurde eine Imatinib-Erstlinientherapie gegeben, gefolgt von einem Wechsel auf Hochdosis-Imatinib oder Nilotinib bei Verfehlen der Therapiemeilensteine (< 10%-BCRABL-Level nach 3 Monaten). Es zeigte sich, dass das frühe Ansprechen ebenfalls signifikant bedeutsam für das Gesamtüberleben respektive das Erreichen einer MMR war. Wurde dann allerdings schnell gewechselt, so wurden – trotz des anfänglich suboptimalen Ansprechens – letztlich sehr niedrige Progressionsraten erzielt, die den geringen Progressionsraten der ENESTnd-Studie (Nilotinib-Erstlinie) entsprechen. Das heisst aber auch, dass nach 3 Monaten und entsprechender Therapieumstellung immer noch ein möglichst grosser Benefit für die Patienten erreicht werden kann.
ENESTnd: 36-Monats-Daten belegen anhaltende Wirksamkeit
In San Diego wurden in einer oralen Präsentation die 36-Monats-Daten der ENESTnd-Studie präsentiert (4). In dieser dreiarmigen Phase-III-Studie mit insgesamt 846 Patienten mit neu diagnostizierter CML wurde die Effektivität und Sicherheit des TKI Nilotinib (zweimal täglich entweder 300 oder 400 mg) mit der Standardmedikation Imatinib (1 x 400 mg/Tag) verglichen. «Die gute Nachrichte zuerst: Der Behandlungserfolg durch Nilotinib setzt sich weiter fort und 95% aller in die Studie aufgenommenen Patienten werden momentan noch nachbeobachtet», führte Prof. Giuseppe Saglio, Turin, gleich zu Beginn aus. 73% aller Nilotinib-Patienten (2 x 300 mg) im Gegensatz zu nur 53% aller Patienten unter Imatinib erzielten ein gutes molekulares Ansprechen (MMR). Ein Unterschied von 24% zwischen beiden Gruppen wurde auch bezüglich der 4log-Reduktion (MR4) von BCR-ABL/ABL beobachtet. Nur 3,2% der Nilotinib-Patienten erlitten eine
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Krankheitsprogression, wohingegen dies bei 6,7% der mit Imatinib behandelten Patienten der Fall war. Diese Patienten, die in die Blastenkrise übergingen, zeigten nur ein Überleben von knapp 10,5 Monaten nach Krankheitsprogression. Insgesamt bestätigte sich der Vorteil eines frühen und tiefen Ansprechens durch Nilotinib. Als ebenso positiv erwähnte Saglio, dass die Verträglichkeit der Therapie auch in diesem Zeitraum gut blieb. Es wurde kein Anstieg der Leberprobleme beobachtet; auch musste die Therapie nicht wegen erhöhter Blutzuckerspiegel oder kardialer Probleme abgesetzt werden.
Weitere Studienprotokolle In diesem Zusammenhang sollte erwähnt werden, dass die Patienten aus der ENESTnd-Studie, welche ein suboptimales Ansprechen hatten, ebenfalls noch die Möglichkeit haben, auf weitere Studien zu wechseln. In der ENESTnd-Extension-Studie wurde diesen Patienten eine Dosiseskalation auf 2 x 400 mg Nilotinib täglich angeboten (5). Insgesamt 49 Patienten wechselten auf die höhere Dosis. Es kam zu keinen unerwarteten Nebenwirkungen; der anfänglich beobachtete leichte Anstieg der Nebenwirkungsrate klang im weiteren Therapieverlauf wieder ab. 58% der Patienten erreichten durch die Dosiseskalation eine vollständige zytogenetische Remission, und 34% der Patienten erzielten ein gutes molekulares Ansprechen. Der Studienleiter Prof. Andreas Hochhaus, Jena, unterstrich: «Obwohl die Nachbeobachtungszeit noch etwas zu kurz ist, scheint es so zu sein, dass wir bei suboptimalem Ansprechen die Dosisoptimierung nutzen können, um doch noch einen Behandlungserfolg zu erzielen». Laut Untersuchungen der ebenfalls vorgestellten vorläufigen Daten aus der ENESTcmrStudie kann selbst bei Patienten, die ein gutes molekulares Ansprechen unter Imatinib zeigen, durch den Wechsel auf Nilotinib ein noch schnelleres und tieferes Ansprechen erreicht werden (6).
Erstmals STOP-Studien mit TKI der zweiten Generation
Ein Update der Daten aus der französischen STIM-Studie, die den anhaltenden Behandlungserfolg nach dem Absetzen von Imatinib untersuchte, zeigte, dass über 40% der Patienten weiterhin eine CMR aufwiesen (7). Die prognostischen Faktoren zur Vorhersage eines Rückfalles waren der Sokal-Score und die Therapiedauer. Erstmals wurden zudem Daten zum Absetzen von Nilotinib und Dasatinib gezeigt (8). Insgesamt wurden die Daten von 33 Patienten evaluiert (18 Dasatinib, 15 Nilotinib). Nach einem 9-monatigen Followup verloren 8 Patienten ihr Ansprechen. Dies erfolgte in den ersten Monaten nach Absetzen der Therapie. Über 75% der Patienten behielten allerdings bis jetzt die CMR, wobei die Zeit zu einer endgültigen Beurteilung noch zu kurz ist.
PACE – erste Ergebnisse zu Posatinib
Im Rahmen der Phase-II-Studie PACE (Po-
natinib Ph+ALL and CML Evaluation) wur-
de der orale Pan-BCR-ABL-Tyrosinkinase-
hemmer Ponatinib bei Patienten unter-
sucht, die gegen Dasatinib oder Nilotinib
entweder resistent waren oder Intoleran-
zen aufwiesen (9). Das Molekül wurde ge-
zielt entwickelt, um die durch die T315I-
Mutation verursachten Änderungen im
BCR-ABL-Molekül zu umgehen.
In San Diego wurden die momentan er-
hältlichen Daten von 217 Patienten vorge-
stellt, von denen 64 Betroffene T315I-Mu-
tationen aufwiesen und 94% mindestens
zwei TKIs zuvor erhalten hatten. Durch die
Behandlung mit 45 mg Ponatinib konnte
bei 39% ein vollständiges zytogenetisches
Ansprechen (CCyR) erzielt werden. Be-
sonders bemerkenswert ist, dass 58% der
Patienten mit T315I-Mutation ein CCyR er-
reichen konnten. Das Nebenwirkungspro-
fil wurde als günstig eingestuft, wobei
Hautnebenwirkungen am häufigsten zu
sehen waren.
Bei den stark vorbehandelten Patienten
ist dieses Ergebnis als positiv zu bewerten,
und demnach könnte Ponatinib eine viel-
versprechende neue Behandlungsoption
sein. Eine Erstlinienstudie ist in Vorberei-
tung.
▲
Bettina Reich
Quellen:
1. Hanfstein B et al.: Molecular and Cytogenetic Response After 3 Months of Imatinib Treatment Is Predictive for the Risk of Disease Progression and Death in Newly Diagnosed Chronic Myeloid Leukemia Patients – a Follow-up Analysis of the German CML Study IV, ASH Annual Meeting 2011, Abstract 783.
2. Marin D et al.: The Predictive Value of Early Molecular Response in Chronic Phase CML Patients Treated with Dasatinib First Line Therapy, ASH Annual Meeting 2011, Abstract 785.
3. Yeung D et al.: Upfront Imatinib Therapy in CML Patients with Rapid Switching to Nilotinib for Failure to Achieve Molecular Targets or Intolerance Achieves High Overall Rates of Molecular Response and a Low Risk of Progression – An Update of the TIDEL-II Trial, ASH Annual Meeting 2011, Abstract 451.
4. Saglio G et al.: Nilotinib Versus Imatinib in Patients (pts) with Newly Diagnosed Philadelphia ChromosomePositive (Ph+) Chronic Myeloid Leukemia in Chronic Phase (CML-CP): ENESTnd 36-Month (mo) Follow-up, ASH Annual Meeting 2011, Abstract 452.
5. Hochhaus A et al.: Results From the ENESTnd Extension Study: Efficacy and Safety of Patients (pts) with Chronic Myeloid Leukemia in Chronic Phase (CML-CP), Treated with Nilotinib 400 mg Twice Daily (BID) After Suboptimal Response (SoR) or Treatment Failure (TF) to Imatinib 400 mg Once Daily (QD) or Nilotinib 300 mg BID, ASH Annual Meeting 2011, Abstract 114.
6. Hughes T et al.: Complete Molecular Response (CMR) Rate with Nilotinib in Patients (pts) with Chronic Myeloid Leukemia in Chronic Phase (CML-CP) without CMR After ≥ 2 Years on Imatinib: Preliminary Results From the Randomized ENESTcmr Trial of Nilotinib 400 mg Twice Daily (BID) Vs Imatinib, ASH Annual Meeting 2011, Abstract 606.
7. Mahon FX et al.: Discontinuation of Imatinib in Patients with Chronic Myeloid Leukemia Who Have Maintained Complete Molecular Response: Update Results of the STIM Study, ASH Annual Meeting 2011, Abstract 603.
8. Rea D et al.: Discontinuation of Dasatinib or Nilotinib in Chronic Myeloid Leukemia (CML) Patients (pts) with Stable Undetectable Bcr-Abl Transcripts: Results From the French CML Group (FILMC), ASH Annual Meeting 2011, Abstract 604.
9. Cortes J et al.: Initial Findings From the PACE Trial: A Pivotal Phase 2 Study of Ponatinib in Patients with CML and Ph+ ALL Resistant or Intolerant to Dasatinib or Nilotinib, or with the T315I Mutation, ASH Annual Meeting 2011, Abstract 109.
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