Transkript
Im Fokus: Leber-, Pankreas-, Gallen-Tumoren (HPB-Tumoren)
Das Leberzellkarzinom
Epidemiologie, Risikofaktoren, Diagnostik, Therapieoptionen
Weltweit ist das hepatozelluläre Karzinom (HCC) die fünfthäufigste maligne Erkrankung. Die Inzidenz ist global in den letzten Jahrzehnten angestiegen. Im Folgenden werden die Pfeiler der aktuellen Diagnostik und stadiengerechten Therapie aufgezeigt.
DIETER KÖBERLE1, ERIK SCHADDE2, MICKAEL LESURTEL2, BEAT MÜLLHAUPT3
Dieter Köberle
Erik Schadde
Mickael Lesurtel
Beat Müllhaupt
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Das hepatozelluläre Karzinom (HCC) ist der mit Abstand häufigste maligne Tumor der Leber. Weltweit ist das HCC die fünfthäufigste maligne Erkrankung. Die Inzidenz ist global in den letzten Jahrzehnten angestiegen und hat sich in der westlichen Welt vermutlich seit den 70er Jahren verdoppelt. Ein Anstieg der HCC-Inzidenz (1) lässt sich am besten durch die Zunahme von Patienten mit einer Hepatitis-C-assoziierten Leberzirrhose erklären (2). Modellrechnungen lassen vermuten, dass es in den nächsten Jahren noch zu einer weiteren Zunahme von Hepatitis-C-assoziiertem HCC kommen wird (3).
Risikofaktoren
Am häufigsten tritt das HCC bei Patienten mit einer Leberzirrhose auf. Neben der Hepatitis-B- und -C-assoziierten Zirrhose findet sich ein HCC häufig bei Patienten mit einer Zirrhose, die durch Alkoholüberkonsum oder durch Hämochromatose verursacht ist. Im Gegensatz zur chronischen Hepatitis C kann sich bei der chronischen Hepatitis B auch im nichtzirrhotischen Stadium ein HCC entwickeln. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass Übergewicht und Diabetes mellitus ebenfalls wichtige Risikofaktoren sind (4, 5). Weitere Risikofaktoren sind männliches Geschlecht und Alter; so ist das HCC in der Schweiz typischerweise ein Karzinom des älteren Mannes. Aufgrund dieser klar definierten Risikopopulation wurden in den letzten Jahren akzeptierte Überwachungsstrategien entwickelt (6). Screeningmethode der Wahl ist dabei die abdominale Sonografie, die alle sechs Monate durchgeführt werden soll. In einer kürzlich publizierten grossen Studie aus China konnte gezeigt werden, dass die HCC-Mortalität bei Patienten mit sechsmonatlichem Screening um 37% gesenkt werden konnte (7). Wichtig zu beachten ist, dass nicht nur Patienten mit einer Leberzirrhose überwacht werden sollen, sondern auch nichtzirrhotische Hepatitis-B-Patienten, wenn sie aus Asien oder Afrika stammen (Details siehe Tabelle).
Diagnostik
In der Onkologie basiert die Diagnostik eines Tumors in der Regel auf einer histologischen Diagnose. Bei Patienten mit Leberzirrhose und HCC wurden in den letzten Jahren sogenannte nicht invasive Kriterien etabliert, die die Diagnose eines HCC mittels MRI und CT allein erlauben (8) (Abbildung 1). Voraussetzungen dafür sind, dass die Läsion in einer zirrhotischen Leber grösser als 1 cm ist, in der arteriellen Phase stark Kontrastmittel aufnimmt und in der portal-venösen Phase einen «wash-out» zeigt. Ist die Diagnose unsicher, so wird eine Bildgebung mit einem anderen Verfahren oder eine Biopsie empfohlen. Bei Läsionen unter 1 cm ist die diagnostische Sicherheit sowohl mit Bildgebung als auch mittels Biopsie ungenügend, und es wird eine Nachkontrolle empfohlen.
Tabelle:
Screeningempfehlungen
(adaptiert nach Bruix und Sherman) (6)
Hepatitis-B-Träger
▲ Asiatische Männer ≥ 40 Jahre ▲ Asiatische Frauen ≥ 50 Jahre ▲ AfrikanerInnen ≥ 20 Jahre ▲ Hepatitis-assoziierte Leberzirrhose ▲ Familienanamnese für HCC
Nicht-Hepatitis-B-Zirrhose
▲ Hepatitis-C-Zirrhose ▲ Alkoholische Zirrhose ▲ Genetische Hämochromatose ▲ Primär biliäre Zirrhose Stadium IV ▲ Zirrhose durch nicht alkoholische Steatohepatitis ▲ Zirrhose durch alfa-1-Antitrysin-Mangel ▲ Zirrhose durch Autoimmunhepatitis
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Staging Staging hat den Zweck, die Prognose abzuschätzen und eine Therapieempfehlung zu erleichtern. In den letzten 20 Jahren wurde weltweit eine Vielzahl von Stagingklassifikationen entwickelt, die miteinander in Konkurrenz stehen. Sie basieren auf Daten, die in verschiedenen Patientenpopulationen erhoben wurden, die durch unterschiedliche Grundkrankheiten der Leber und unterschiedliche Behandlungsoptionen gekennzeichnet sind. Kein Staging ist bisher universell validiert und akzeptiert worden. Eine häufig gebrauchte Klassifikation ist das TNM-System. Es berücksichtigt Grösse und Anzahl der Tumoren vor und nach der Resektion. Die in Japan 1985 entwickelte Okuda-Klassifikation berücksichtigt ausserdem die Leberfunktion des Patienten. Da 80 bis 90% aller HCC auf dem Hintergrund einer chronischen Lebererkrankung entstehen und die Therapiemöglichkeiten von der Leberfunktion abhängen, ist die Berücksichtigung der Leberfunktion essenziell. Auch der allgemeine Gesundheitszustand des Patienten, klassifiziert nach dem Karnofsky- oder ECOG-Score, spielt in Chirurgie und Onkologie eine wichtige Rolle. Eine der gebräuchlichsten Klassifikationen in Europa ist der BCLC-Score (Abbildung 2) (8). In dieser Klassifikation werden neben Tumorcharakteristika (Grösse und Zahl der Knoten, Gefässinvasion, Metastasen) auch die Leberfunktion (Child-Pugh-Stadium, Pfortaderdruck) und der Allgemeinzustand des Patienten (Performance-Status 0–4) berücksichtigt. Dies erlaubt eine Einteilung in die Stadien 0–D. Die breite Akzeptanz des BCLC-Stagingsystems beruht sicher auch auf der Tatsche, dass das Tumorstadium direkt mit den therapeutischen Optionen verbunden wird.
Therapie
Für Patienten im BCLC-Stadium 0 und A stehen als kurative Therapieoptionen die Resektion, die Lebertransplantation und die lokal ablativen Verfahren wie Radiofrequenzablation oder Alkoholinstillation zur Verfügung, während für Patienten im Stadium B die transarterielle Chemoembolisation und im Stadium C die systemische Behandlung mittels So-
Abbildung 1: Diagnostischer Algorithmus bei Verdacht auf HCC (adaptiert nach Bruix und Sherman) (8)
Abbildung 2: Barcelona-Clinic-Liver-Cancer-(BCLC-)Stadien-Klassifikation
rafenib (Nexavar®) empfohlen werden. Für Patienten im Stadium D bleibt auch heute noch lediglich die supportive Behandlung. Im Folgenden werden die einzelnen Therapieoptionen in Abhängigkeit von den BCLC-Stadien besprochen.
Therapieoptionen im BCLC-Stadium 0–A
Wann kann reseziert werden? Eine Leberresektion verfolgt eine kurative Absicht, kommt aber leider nur für einen kleinen Prozentsatz von Patienten infrage, da die Mehrzahl der HCC auf dem Hintergrund einer chronischen Lebererkrankung entsteht. Grundsätzlich sollten für Resektionen nur solche Pati-
enten in Betracht gezogen werden, deren Leberfunktion ausreicht, damit sie nach Entfernung des Tumors nicht Gefahr laufen, ein Leberversagen zu entwickeln (Abbildung 3). Ältere Patienten (> 70 Jahre), Patienten mit chronischer Lebererkrankung und Zirrhose haben eine begrenzte Fähigkeit zur Regeneration (9). Das am häufigsten verwendete System zur Einschätzung der Leberfunktion bei Zirrhose vor Resektion ist die altbewährte Child-Pugh-Klassifikation. Patienten mit Child-B- und -C-Zirrhose sollten keine Leberresektionen erhalten, da der portale Druck zu hoch ist und die Synthesefunktion der Leber nicht ausreicht. Portaler Hochdruck kann aber
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A. Patienten mit normaler Leber JA
Resektion
normale Leber
geschätztes Lebervolumen nach
Resektion >30%
NEIN
Embolisation Portalvene
geschätztes Lebervolumen nach
Resektion >30%
JA NEIN
keine Resektion
B. Patienten mit Leberzirrhose
Leberzirrhose
Child-Turcotte-Pugh A
portale Hypertension
Child-Turcotte-Pugh B or C
➝
NEIN
geschätztes Lebervolumen nach
Resektion >50%
JA NEIN
JA
ICG GRÜN RETENTION nach 15 min.
< 14% < 14 - 20% > 20%
Embolisation Portalvene
geschätztes Lebervolumen nach
Resektion >50%
Resektion
JA
NEIN
keine Resektion
Abbildung 3: Algorithmus zur Leberresektion bei Patienten mit normaler Leber und mit Leberzirrhose
auch durch Messung des Verschlussdrucks in den grossen Lebervenen direkt bestimmt werden, und die Synthesefunktion kann durch Bilirubinbestimmung gut abgeschätzt werden (10). Indirekte Zeichen von portalem Hochdruck sind Thrombozytopenie, Magen- und Ösophagusvarizen und Splenomegalie. Wenn kein portaler Hochdruck und keine eingeschränkte Synthesefunktion (normaler Bilirubinwert) vorliegen, können 50% des Volumens einer zirrhotischen
Leber reseziert werden. Wird beabsichtigt, weniger als 50% des Lebervolumens übrig zu lassen, so sollte eine Bestimmung der quantitativen Leberfunktion durch den Indocyanid-Grün-Test durchgeführt werden. Dabei gilt eine grössere Leberresektion nur dann als sicher, wenn nicht mehr als 15% des Farbstoffes 15 Minuten nach Injektion im Plasma nachweisbar ist. Patienten mit Zirrhose und einer Retentionsrate zwischen 14 und 20% sollten nur dann eine Leberresek-
tion erhalten, wenn das übrig bleibende Restvolumen der Leber auf 50% gesteigert werden kann (11). Diese Volumenmanipulation kann durch Ligatur oder Embolisation der Portalvene in wenigen Wochen erreicht werden. Es hat sich gezeigt, dass sich solche Strategien auch bei gleichzeitiger Durchführung von systemischer Chemotherapie und sogar arterieller Chemoembolisation der ligierten Seite durchführen lassen. Solche Techniken haben die zweizeitige Resektion von bisher als unresezierbar geltenden sekundären hepatischen Tumoren möglich gemacht (12). Zusammen mit hepatoprotektiven Strategien wie intermittent inflow clamping («Pringle-Manöver») sind komplexe Leberresektionen von grossen Tumoren heute zur chirurgischen Routine geworden.
Wann werden Patienten mit HCC lebertransplantiert? Die Lebertransplantation ist nicht nur eine chirurgische Behandlungsoption für das hepatozelluläre Karzinom, sondern auch für die zugrunde liegende chronische Lebererkrankung mit ihrem Potenzial, Ursache weiterer Tumoren zu sein. In den Achtziger- und Neunzigerjahren waren die Ergebnisse für Lebertransplantation bei HCC nicht sehr gut, da bei meist grossen und unresezierbaren Tumoren die Transplantation in Erwägung gezogen wurde. Seit 1996 haben sich die Milan-Kriterien für kleine HCC gut zur Auswahl von Patienten für die Transplantation bewährt: solitärer Tumor < 5 cm oder weniger als drei Tumoren mit je < 3 cm Durchmesser (13). Auf dem Konsensusmeeting «Liver Transplantation for HCC», das am Universitätsspital Zürich im Dezember 2010 durchgeführt wurde, wurde empfohlen, sich an den Milan-Kriterien als «Benchmark» für die Lebertransplantation zu orientieren (in press). Eine Erweiterung der Kriterien wurde nur dann empfohlen, wenn gezeigt werden kann, dass die Prognose innerhalb der neuen Kriterien so gut sei wie die Prognose der Patienten, die unter die Milan-Kriterien fallen. Wie in vielen europäischen Ländern gelten auch in der Schweiz die Milan-Kriterien als Richtlinien für das Eintragen von HCC-Patienten auf der Lebertransplantationsliste. Dabei werden Extrapunkte
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vergeben und mit jedem Monat Wartezeit zusätzliche Punkte, um den Patienten mit ausreichender Leberfunktion die Chance auf eine Transplantation zu erhalten, bevor sich der Tumor als zu gross erweist. Die Tumoren von primär nicht transplantierbaren Patienten können mit lokoregionärer Therapie so verkleinert werden, dass sie unter die Milan-Kriterien fallen. Yao et al. konnten zeigen, dass mit einer geschickten Kombination von verschiedenen lokoregionären Therapien bei bis zu 70% der Patienten ein «downstaging» und eine nachfolgende Transplantation erreichbar sind (14). Patienten, die Gefahr laufen, von der Transplantationsliste eliminiert zu werden, weil ihre Tumoren nach einigen Wartemonaten ausserhalb der Kriterien liegen, können durch lokoregionäre Therapie einem «bridging» zugeführt werden – obwohl wir in einer Metaanalyse gezeigt haben, dass es momentan keine Evidenz für die Effektivität solcher Methoden gibt (15).
Wann kommt ein lokal ablatives Verfahren in Betracht? Die Ablation des HCC mit Radiofrequenzproben (RFA) oder durch Injektion von Alkohol kann entweder unter intraoperativem Ultraschall oder durch die interventionelle Radiologie im CT-Scan erfolgen. In den meisten Fällen wird sie durchgeführt, wenn das Karzinom nicht kurativ reseziert oder transplantiert werden kann. Das tumorfreie Überleben mit RFA ist bei kleinen Tumoren (< 3 cm) vergleichbar dem von Leberteilresektion (s. Chen und Livraghi und Lau) und wird deswegen im BCLC-Algorithmus als kurativ eingeordnet. Die offensichtlichen Bedenken bezüglich Tumortraktseedings und Dissemination scheinen keinen signifikanten Einfluss auf die Überlebensdaten zu haben. Obwohl Transplantation oder Resektion die Therapie der Wahl bleibt, sollte RFA bei Patienten mit kleinen Tumoren, die ein erhöhtes Operationsrisiko haben, in Erwägung gezogen werden.
Therapieoptionen im BCLS-Stadium B
Wenn Tumoren zu gross oder zu zahlreich für die kurativen Behandlungsoptionen sind, ist die transarterielle Chemoembolisation (TACE) die Methode
der Wahl. Das Konzept der TACE-Therapie baut darauf auf, dass die Lebertumoren zum grössten Teil durch den arteriellen Zufluss der Leber mit Blut versorgt werden und nicht durch die portalvenöse Versorgung. Eine direkte Applikation von chemotherapeutischen Medikamenten (i.d.R. Doxorubicin) und embolisierenden Schaumstoffpartikeln betrifft deswegen selektiv den Tumor und nur in einem geringeren Grad das normale umgebende Lebergewebe. Eine wichtige Metaanalyse hat gezeigt, dass TACE für Patienten ohne kurative Optionen (im «intermediate» und «advanced stage» nach der BCLC-Klassifikation) einen bedeutenden Überlebensvorteil bringt (16). In Erprobung sind momentan «Drug eluting beads» (DEB). Diese Plastikpartikel werden mit chemotherapeutischen Mittel beladen und dann in die arterielle Strombahn injiziert. Dort bleiben sie in den Tumorkapillaren hängen und geben dann über den Zeitraum von mehreren Stunden das Medikament an das umgebende Gewebe ab. Verglichen mit der konventionellen Embolisation können dadurch die systemischen Nebenwirkungen reduziert werden. Bei Patienten mit deutlich eingeschränkter Leberfunktion und stark erhöhtem Bilirubinwert kann die Chemoembolisation zu einer Leberdekompensation führen. Bei Patienten mit Portalveneninfiltration durch den Tumor besteht die Gefahr, dass die Chemoembolisation zu einer kompletten Infarzierung des Lebergewebes führt. Hier können minimalembolisierende Methoden wie eine Embolisation mit radioaktiven Mikrosphären aus Resin oder Glas, die mit radiaktivem Yttrium-90 beladen sind, weiterhelfen. Ytrium-90 ist ein Betastrahler und deponiert die Bestrahlungsdosis über 2 cm im Gewebe um die arteriell applizierten Kügelchen. Es wurden Fälle veröffentlicht, in denen Tumoren mit dieser inneren Bestrahlung komplett avital gemacht werden konnten. Die grösste bis jetzt veröffentlichte Serie berichtet von einer 37%igen partiellen radiologischen Response mit dieser Therapieform (17). Noch fehlen aber Daten aus grossen randomisierten Studien. Eine zusätzliche Anwendung finden TACE und die Radioembolisation in der Tumorverkleinerung vor Resektion und Transplantation. Primär anatomisch nicht
resezierbare Tumore können mit lokoregionären Therapien manchmal so verkleinert werden, dass sie resezierbar oder wieder transplantierbar werden.
Therapieoptionen im BCLC-Stadium C
Moderne systemische Therapiemöglichkeiten Bis 2008 standen keine wirksamen systemischen Therapiemöglichkeiten für Patienten zur Verfügung, bei denen eine Leberresektion, Lebertransplantation oder lokoregionäre Therapie nicht infrage kommt. Chemotherapien, zum Beispiel mit einem Anthrazyklin, mit 5-Fluorouracil oder Cisplatin, sind – insbesondere wenn als Kombinationstherapie verabreicht – in der Lage, Tumorremissionen zu induzieren. Diese Remissionen sind jedoch kurzweilig und werden von einer hohen Toxizitätsbelastung begleitet. Zudem konnte bisher keine Chemotherapie eine Überlebensverlängerung in vergleichenden Studien nachweisen. Als unwirksam stellten sich Substanzen wie Tamoxifen, Antiandrogene, Octreotide und Interferon heraus. Sorafenib (Nexavar®) hat sich zwischenzeitlich als Standardtherapie für Patienten mit fortgeschrittenem HCC mit Child-A-Leberdysfunktion etabliert – basierend auf den Ergebnissen einer randomisierten, plazebokontrollierten PhaseIII-Studie (SHARP-Studie). In dieser Studie zeigte sich ein statistisch signifikanter Überlebensvorteil (HR = 0,69, p = 0,0006) zugunsten der Sorafenibtherapie (18). Die mediane Überlebenszeit wurde durch Sorafenib von 7,9 auf 10,7 Monate verlängert. Die Bestätigung eines Überlebensvorteils durch Sorafenib gelang durch eine in Asien und im pazifischen Raum durchgeführte Studie mit vergleichbarem Studiendesign (19). In diesen beiden Studien konnte zum ersten Mal nachgewiesen werden, dass eine Behandlung mit einem MultispektrumTyrosinkinasehemmer bei dem sonst therapierefraktären Tumor wirksam ist. Die Wirksamkeit von Sorafenib äussert sich in Form einer Tumorstabilisierung. Tumorremissionen im Sinn einer deutlichen Grössenreduktion sind sehr selten. In manchen Fällen wird hingegen bei gleichbleibender Grösse unter Therapie
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SAKK 77/09 & SASL 30 A phase I open label/phase II randomized, double-blind, multicenter trial investigating the combination of everolimus and TransArterial ChemoEmbolisation (TACE) with doxorubicin in patients with HCC
Trial chair: Dufour J.F. (Bern); Co-Trial chair: Köberle D (St. Gallen)
SAKK 77/08 & SASL 29 Sorafenib alone or in combination with Everolimus in patients with unresectable HCC: A randomized phase II trial (SAKK 77/08 & SASL 29)
Trial chair: Köberle D. (St. Gallen); Co-Trial chairs: Dufour J.F. (Bern), Bodoky G. (Budapest), Montemurro M. (Lausanne)
Abbildung 4: Schweizer Studien der SAKK und SASL zur systemischen Therapie des HCC
eine nekrotische Umwandlung des Tumors beobachtet. Die klinische Bedeutung dieser bildmorphologischen Änderung ist Gegenstand laufender Untersuchungen. Gleiches trifft für den Vorschlag einer HCC-spezifischen Modifikation der RECIST-Responsekriterien zu (20), welche eine verminderte Kontrastmittelaufnahme in den HCC-Knoten als Bewertungskriterium für ein Tumoransprechen heranzieht. Mehrere einarmige Phase-II-Studien haben in den letzten Jahren die Wirksamkeit weiterer zielgerichteter Medikamente wie Sunitinib, Bevacizumab, Erlotinib, Everolimus, Brivanib und Linifanib untersucht. In den meisten Studien zeigten sich mehr oder weniger starke Hinweise auf eine klinische Aktivität, weswegen einige dieser Medikamente in randomisierten Phase-III-Studien weiter untersucht werden. Die prinzipielle Schwierigkeit bei der Wirksamkeitsbeurteilung neuer Substanzen in unkontrol-
lierten Studien ist insbesondere beim HCC verschärft und erklärt sich durch eine grosse Inhomogenität hinsichtlich zentraler Patienten- wie auch tumorbezogener Faktoren und einer uneinheitlichen, wenig standardisierten Studienmethodologie. Aus diesem Grund werden randomisierte Phase-II-StudienDesigns mit Sorafenib als Vergleichstherapie zukünftig bevorzugt. Die zukünftige Behandlung des HCC wird möglicherweise eine Systemtherapie in verschiedenen klinischen Situationen integrieren. In Studien wird der Einsatz von zielgerichteten Medikamenten nach Leberresektion mit dem Ziel einer verlängerten rezidivfreien Zeit geprüft. Ein weiteres Forschungsfeld ist die Kombination einer Chemoembolisation (TACE) mit einer Systemtherapie. Eine entsprechende Studie wird auch in der Schweiz durchgeführt. Die SAKK-77/09- und SASL30-Studien prüfen dieses neue Behandlungskonzept in Form eines randomisier-
ten Vergleichs zwischen TACE alleine und TACE kombiniert mit dem mTOR-Hemmer Everolimus (Abbildung 4). Im fortgeschrittenen Tumorstadium, definiert durch ein Stadium C in der BCLCKlassifikation, stellt sich zunehmend die Frage, wie die Behandlung weiter optimiert werden kann. Grundsätzlich ist ein Fortschritt in zwei Richtungen vorstellbar: entweder in Form einer wirksameren Kombinationsbehandlung in der Erstlinientherapie – oder in Form sequenzieller Behandlungen, wie sie heute bereits beim metastasierten Nierenzellkarzinom üblich sind. Gegen den sequenziellen Einsatz mehrerer Therapielinien spricht leider die klinische Erfahrung, dass nur eine Minorität von Patienten sich für eine Zweitlinientherapie qualifiziert. Tumorprogressionen gehen häufig mit einer raschen Verschlechterung des Allgemeinzustandes oder der Leberfunktion einher und behindern somit weitere Therapieversuche. Gestützt auf präklinische Hinweise für eine potenzierende Wirksamkeit von zwei zielgerichteten Medikamenten wird derzeit in der Schweiz eine Studie der SAKK 77/08 und SASL 29 (Abbildung 4) durchgeführt, welche im randomisierten Vergleich die Wirksamkeit einer Kombination aus Sorafenib und Everolimus gegenüber einer Standardtherapie mit Sorafenib prüft. Die beiden genannten Studien wie auch eine weitere Studie der SAKK, welche die Wirksamkeit einer Radiotherapie beim HCC untersucht, sind unverzichtbare Elemente für wissenschaftliche Fortschritte. Zudem ist es von übergeordneter Bedeutung, unseren Patienten mit HCC innovative und multidisziplinäre Behandlungskonzepte anbieten zu können.
Therapieoptionen im BCLC-Stadium D Bei Patienten mit deutlich reduziertem Allgemeinzustand und stark limitierter Leberfunktion stehen Tumortherapien nicht grundsätzlich zur Verfügung, da der Nutzen in keinem sinnvollen Verhältnis zum möglichen Nachteil steht. Ausgenommen sind Patienten, bei denen eine potenziell reversible Ursache vorliegt und eine berechtigte Aussicht auf die Rekompensation einer passageren Leberdysfunktion besteht. In dieser Situation sind alle geeigneten Massnahmen zu
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treffen, um die Leberfunktion zu verbes-
sern. Wird eine Child-B-Leberdysfunktion
mit sieben Punkten erreicht, kann eine
onkologische Therapie erwogen werden.
Andernfalls werden symptomorientierte
Therapiemassnahmen empfohlen. ▲
Dr. med. Dieter Köberle1 (Korrespondenzadresse) 1Fachbereich Onkologie/Hämatologie, Department Innere Medizin Kantonsspital St. Gallen 9000 St. Gallen E-Mail: dieter.koeberle@kssg.ch
sowie Dr. med. Erik Schadde2, Prof. Dr. med. Mickael Lesurtel2, PD Dr. med. Beat Müllhaupt3 2Klinik für Viszeral- und Transplantationschirurgie, 4Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie, UniversitätsSpital Zürich, 8091 Zürich.
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