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Kongressbericht/Neue Therapien
46. Jahrestreffen der American Society of Clinical Oncology (ASCO), Chicago, 4. bis 8. Juni 2010
Metastasiertes Melanom (Stadium III und IV)
Neuartige Immuntherapie verdoppelt fast die Überlebensrate
Beim vorbehandelten, metastasierten Melanom, für das bis anhin keine lebensverlängernde Standardtherapie existiert, ist mit einem neuartigen Immun-(T-Zellen-) Potenziator (Ipilimumab), in einer randomisierten, kontrollierten Phase-III-Studie ein Durchbruch gelungen: Das mediane Gesamtüberleben (10,0 vs. 6,4 Monate) sowie das Ein- und Zwei-Jahres-Überleben wurden signifikant verlängert. Diese bedeutsamen Resultate wurden auf einer ASCO-Plenarsitzung vorgestellt und die Anwendung wurde auf einem unabhängigen Symposium erläutert.
Wie die Referenten betonten, handelt es sich bei Ipilimumab um das erste Medikament, welches das Überleben beim fortgeschrittenen Melanom unter den Bedingungen einer grossen, doppelblinden und plazebokontrollierten Phase-IIIStudie signifikant verlängert. «Die Tumorantworten sind ähnlich beeindruckend, wie sie mit zielgerichteter Therapie beim GIST beobachtet wurden», meinte der Onkologe Dr. med. Roger von Moos, Chur, als Schweizer Interpretator.
Infauste Prognose mit derzeitigen Therapien
Das Melanom gehört zu den malignen Tumoren, die gegenwärtig weltweit am meisten zunehmen; in der Schweiz, als eine der stark betroffenen Regionen, steigt die Inzidenz seit Jahrzehnten kontinuierlich. Therapeutisch bleibt nur die Chirurgie in den Frühstadien; für fortgeschrittene Stadien konnte bis heute keine lebensverlängernde onkologische Standardbehandlung entwickelt werden. Anwendungen mit Dacarbazin, seit den Achtzigerjahren mit Interleukin-2 und Interferon-alpha-2b sowie seit einigen Jahren mit Vakzinen haben uneinheitliche und sehr begrenzte Erfolge gezeigt und müssen daher als experimentelle Behandlungen betrachtet werden. Bis jetzt liegt das durchschnittliche Überleben beim fortgeschrittenen Melanom bei 6 bis 9 Monaten. Gerade 25% der Patienten leben noch nach einem Jahr und nur 8 bis 12% nach dem zweiten Jahr.
Bisherige Therapieresistenz und neue Ansätze
Die Ursachen für die Chemotherapieresistenz beim Melanom liegen in spezifischen tumorinduzierten Mechanismen einer fehlenden Immunwirkung («immun evasion») begründet, wobei der eingesetzte Wirkstoff auf die Tumorantigene tolerant wird. Melanome hemmen beispielsweise die Reifung antigenpräsentierender Zellen, sodass die volle T-ZellAktivierung ausbleibt, welche der Tumorzellproliferation entgegenwirkt. Verschiedene Immuntherapien, die bei diesem Mechanismus ansetzen, befinden sich speziell beim Melanom in klinischer Forschung. Hierzu gehören monoklonale Antikörper, welche das sogenannte zytotoxische T-Lymphozyten-assoziierte Antigen 4 (CTLA-4) blockieren, sowie Antikörper, die weitere Komponenten des Immunsystems beeinflussen. Die CTLA-4Blockade ist in der Immuntherapie des Melanoms der am weitesten fortgeschrittene Ansatz in der klinischen Entwicklung. Zwei dieser vollständig humanen monoklonalen Antikörper, Tremelimumab und Ipilimumab (jeweils mit verschiedener Pharmakokinetik und Pharmakodynamik), sind bereits in klinischen Phase-II- und teilweise -III-Studien beim Melanom als Monotherapien und in Kombination mit Chemo- und Immuntherapien untersucht worden. Ipilimumab hat sich in einer jetzt abgeschlossenen grossen Phase-III-Zulassungsstudie (1–3) als besonders vielversprechend erwiesen. Erwartet wird die
Zulassung beim Melanom in den USA und in Europa Ende 2010 oder 2011.
Wirkmechanismus der T-Zell-vermittelten Immunpotenzierung
Ipilimumab gehört zu einer völlig neuen Klasse von vollständig humanen monoklonalen Antikörpern, welche sich von den heute zugelassenen zielgerichteten Therapien unterscheidet. Der Wirkstoff richtet sich nicht explizit gegen die Tumorzelle, sondern greift in tumorinduzierte Mechanismen einer fehlenden physiologischen Immunwirkung ein. Der sogenannte Immunpotenziator (TZell-Potenziator) hemmt das Molekül CTLA-4, welches sich auf der Oberfläche der T-Zellen befindet. Wie die Abbildung zeigt, spielt dieses Molekül eine kritische Rolle in der Regulierung der natürlichen Immunantwort: Bei Vorhandensein von CTLA-4 (z.B. beim Melanom) und bei dessen Bindung an die Tumorzelle wird die T-Zell-Antwort unterdrückt (vgl. mittleres Bild): Es handelt sich damit um eine starke «Bremse» in der natürlichen Immunreaktion auf die Tumorzellen. Durch Gabe von Ipilimumab wird diese «Bremse» aber blockiert, denn Ipilimumab bindet an CTLA-4. Damit wird die T-Zelle in ihrer Aktivität «beschleunigt» (bzw. potenziert) und damit die Tumorzelle angegriffen bis abgetötet. Die Kehrseite dieses Antitumoreffekts: Ipilimumab kann das Immunsystem überstimulieren, was dazu führt, dass T-Zellen in normalem Gewebe angegriffen werden. Immunassoziierte Nebenwirkungen können eine Folge sein. In klinischen Studien zeigten sich – bis auf Einzelfälle – meistens leichte bis mittelgradige Nebenwirkungen, vor allem an Haut und Kolon, sodass das Medikament insgesamt als sicher beurteilt wird.
Die Phase-III-Zulassungsstudie
Ipilimumab hat sich im Vorfeld in mehreren Phase-II-Studien als Monotherapie und in Kombination mit Zytokinen, Vakzi-
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tient nicht unter dosislimitierenden Toxizitäten litt und auf den ersten Behandlungszyklus angesprochen hatte. Die betroffenen Patienten erhielten 1 bis 3 zusätzliche Dosen, aus Gruppe A waren 6,5%, aus Gruppe B 7,2% und aus Gruppe C 1% beteiligt.
Resultate: Wirksamkeitsprofil
Das Gesamtüberleben (OS) betrug in
▲ Gruppe A (Ipilimumab-Monothera-
pie): 10,1 Monate
▲ Gruppe B (Kombination): 10 Monate
▲ Gruppe C: (Impfstoff-Monotherapie):
6,4 Monate.
Die Hazard Ratios: Für Gruppe B/Gruppe
A ergab sich 0,68 (p = 0,0004) und für
Gruppe B/Gruppe C: 0,66 (p = 0,0026).
Das Ein-Jahres-Überleben war in den
Abbildung: Ipilimumab ist ein vollständig humaner Antikörper, der an CTLA-4 (zytotoxisches T-Lymphozyten-assoziiertes Antigen 4) bindet – ein Molekül auf T-Zellen, das eine kritische Rolle in der Regulierung der natürlichen Immunantwort spielt. Das Fehlen oder Vorhandensein von CTLA-4 kann die T-Zell-Antwort verstärken oder unterdrücken. Indem Ipilimumab die Aktivität von CTLA-4 blockiert – sozusagen die «Bremse blockiert» –, wird die Zahl der T-Zellen erhöht und damit eine nachhaltige Immunantwort auf Krebszellen gewährleistet.
Ipilimumabgruppen fast verdoppelt, die günstigste Wirkung zeigte sich unter der Ipilimumabmonotherapie: 46% versus 25% der Patienten lebten nach 12 Monaten. Ähnlich war das Zwei-Jahres-Überle-
ben: Zu diesem Zeitpunkt leben 24% ver-
sus 14% der Melanompatienten. Einzel-
nen und Chemotherapie beim Melanom Primärer Studienendpunkt war der Ver- ne Patienten in der Gruppe A lebten
als sehr vielversprechend erwiesen. Auch gleich des Gesamtüberlebens (OS) in noch 4½ Jahre nach Studienbeginn und
der Proteinimpfstoff GP 100 zeigte beim den Gruppen A und B. Zu den sekun- sogar darüber hinaus. Eindeutig zeigte
Melanom immunologische und klinische dären Endpunkten gehörten der Ver- sich, dass die Zugabe des Impfstoffs das
Response und verstärkte die klinische gleich des OS zwischen den Gruppen A Überleben nicht verbesserte. (vgl. Tabel-
Wirksamkeit in der Kombination mit wei- und C, die beste objektive Responserate le).
terer Immuntherapie. Eine Kombination (BORR) nach 24 Wochen, die Krankheits- Die Studienleiter früherer Untersuchun-
beider Immuntherapien erschien daher kontrollrate (DCR) bis zur Woche 14, das gen mit Ipilimumab stellten darüber hin-
bei fortgeschrittenem Melanom sinnvoll. progressionsfreie Überleben (PFS) sowie aus interessante, neuartige Tumorre-
Forschungsleiter Dr. med. Steven O’Day, die Sicherheit.
sponsemuster unter dem T-Zell-Poten-
Los Angeles Clinic and Research Institu- Eine Re-Induktion (2) war innerhalb von ziator fest. Diese, so wurde auf dem
te, stellte während einer ASCO-Plenarsit- 28 Tagen dokumentierter Progression er- Expertensymposium (4) betont, seien in
zung die neue klinische Phase-III-Studie laubt. Voraussetzung für dieses Vorge- weiteren Studien speziell zu evaluieren.
(1) vor, welche zur Zulassung eingereicht hen, welches Hodi in einer Subgruppen- Beispielsweise kam es in mehreren Fällen
ist: Unter randomisierten, doppelblin- analyse untersuchte (3), war, dass der Pa- nach einer ersten Krankheitsstabilisie-
den, plazebokontrollierten und multizen-
trischen Bedingungen, durchgeführt an 125 Zentren in 13 Staaten weltweit, wurden 676 vorbehandelte, HLA0201-positive Patienten mit Melanom im Stadium III
Tabelle:
Wirksamkeit gemäss klinischer Endpunkte in den drei Therapiegruppen
oder IV eingeschlossen. Die Patienten wurden in drei Gruppen im Verhältnis 1:3:1 randomisiert: ▲ Gruppe A (n = 137) erhielt Ipilimu-
mab plus Plazebo (Monotherapie)
Gesamtüberleben (OS-Rate, %) 12 Monate 24 Monate
Ipilimumab Ipilimumab
GP-100-Vakzin
+ GP-100-Vakzin
46 44 24 22
25 14
▲ Gruppe B (n = 403) erhielt Ipilimu-
medianes OS, Monate
10,1 10,0
6,4
mab sowie den Impfstoff GP 100 als Kombination ▲ Gruppe C (n = 136) erhielt den Impf-
Medianes PFS*, Monate
2,9
Krankheitskontrollrate (DCR, %)
28,5
Beste gesamte Responserate (BORR, %) 10,9
2,8 20,1 5,7
2,8 11 1,5
stoff GP 100 plus Plazebo (Monotherapie).
*Ähnliche Durchschnittswerte, aber die PFS-Kurven unterscheiden sich deutlich zugunsten der Ipilimumab-Monotherapie (Hazard Ratio: 0,64 für Ipi. vs. GP 100; p = 0,00007).
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rung zu einer späten partiellen Response oder sogar zur kompletten Remission. Teilweise zeigten sich auch sehr langsam einsetzende Abfolgen von Responsemustern, langer Krankheitsstabilisierung, teilweise viele weitere Entwicklungscharakteristika. Zum Teil korrelierten die speziellen immunvermittelten Nebenwirkungen mit Überlebensvorteilen (4).
Nebenwirkungsprofil Insgesamt wurde die ambulante Behandlung, eine je 90-minütige Infusion alle drei Wochen in vier Zyklen, gut vertragen. Grad-3/4-Nebenwirkungen wurden bei 23% in Gruppe A, bei 17% in Gruppe B und bei 11% in Gruppe C beobachtet. Neuartig waren die immunvermittelten, aber meist leichten Nebenwirkungen in den Ipilimumabgruppen, die bei zwei Dritteln der Patienten auftraten (ein Drittel in Gruppe C). Behandlungsbedürftige immunvermittelte Nebenwirkungen vom Grad 3 und 4 traten bei 10 bis 15% in den Gruppen A und B (nur bei 3% in der Impfstoffgruppe) auf. Während der Studie kam es dennoch zu 14 therapiebezogenen Todesfällen (3,1%; 2,1% und 1,5 % in den Gruppen A bis C).
Zu den häufigsten immunvermittelten Nebenwirkungen gehörten Dermatitis sowie Diarrhö und Kolitis (je in 30–40%), ferner Hypophysitis/Thyroiditis, Hepatitis/ Pankreatitis (6–9%) und andere. Da die meisten dieser Wirkungen leicht bis mittelgradig waren, liessen sie sich medikamentös beherrschen.
Derzeitiges Fazit
Zeitgleich zur Präsentation der Studie am
ASCO-Jahrestreffen wurde die Phase-III-
Studie mit Ipilimumab im «NEJM» veröf-
fentlicht (3). Einige Referenten bezeich-
neten die Studienresultate als das oder
eines der wichtigsten Highlights der
diesjährigen ASCO-Jahrestagung, da
nun erstmals seit 30 Jahren eine neue
Therapieoption beim fortgeschrittenen
Melanom besteht. Zwei weitere interna-
tionale Studien mit Ipilimumab laufen
gegenwärtig, darunter eine EORTC-Stu-
die am Universitätsspital Zürich.
Zudem wird das Potenzial von Ipilimu-
mab auch bei anderen soliden Tumoren,
darunter beim Lungenkazinom (NSCLC),
geprüft.
▲
Bärbel Hirrle
Interessenkonflikte: Die Studie wurde von BristolMyers Squibb (BMS) unterstützt, Symposium und Medienkonferenz von BMS organisiert. Die Autorin erhielt die Reisekosten erstattet, BMS hatte aber keinen Einfluss auf den Textinhalt.
Quellen: 1. O’Day, S. et al.: A phase III, randomized, double-blind, multicenter study comparing monotherapy with ipilimumab or gp100 peptide vaccine and the combination in patients with previously treated, unresectable stage III or IV melanoma. JCO 2010 ASCO Annual Meeting Proceedings, Abstract 4. 2. Hodi, F. St. et al.: Re-introduction with ipilimumab or gp100 peptide vaccine and the combination of both from a phase III randomized, double-blind, multicenter study of previously treated patients with unresectable stage III or IV melanoma. JCO 2010 ASCO Annual Meeting Proceedings, Abstract 8509. 3. Hodi, F.S., O’Day, S. et al.: Improved survival with ipilimumab in patients with metastatic melanoma. N Engl J Med 2010, publ.: 5. Juni. (DOI: 10.1056/NEJMoa1003466). 4. The next generation of therapy for managing melanoma patients: CTLA-4 blockade. Pressekonferenz, Bristol-Myers Squibb, sowie unabhängiges Satellitensymposium. Chicago, 5. /6. Juni 2010.
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