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Kongressbericht
45. Jahrestreffen der American Society of Clinical Oncology (ASCO), Orlando/FL, 29. Mai bis 2. Juni 2009
Gastrointestinale Tumoren: Magen- bis Analkrebs
Neue Optionen und überlegene Standards
Resultate grosser randomisierter kontrollierter Studien bei verschiedenen gastrointestinalen Tumorentitäten wurden auch vor der Presse beim diesjährigen ASCO-
bei fortgeschrittenen respektive metastasierten Karzinomen der Gallenwege mit Gemcitabine (Gemzar®) behandelt.
Jahresmeeting erläutert. Bei Magen- und Gallenblasenkrebs werden sich im indivi- Die bisher grösste Studie (2) bei dieser
duellen Fall wahrscheinlich neue Standards entwickeln, während Therapiestrategien bei Kolorektal- und Analkrebs derzeit keine revolutionären Veränderungen erfahren.
Indikation hat jetzt erstmals signifikant verbesserte Überlebensraten bei Patienten mit inoperablen fortgeschrittenen
Tumoren unter der Kombination Gem-
citabine plus Cisplatin ergeben. In dieser
britischen Phase-III-Studie wurden 410
«Die präsentierten Studien beantworten zumab Potenzial auch in der Behandlung Patienten mit inoperablen, metastasier-
viele wichtige, lange Zeit diskutierte Fra- anderer Krebsarten als Brustkrebs hat ten Gallenkarzinomen randomisiert für
gen über die beste Behandlung von Pa- und eine individualisierte Therapie bei eine Kombination aus Gemcitabine und
tienten mit gastrointestinalen Tumoren», ausgewählten Magenkrebspatienten dar- Cisplatin oder Gemcitabine allein. Es
sagte Nicholas Petrelli, Delaware/USA, stellt», resümierte Studienleiter Eric van zeigte sich ein bei diesen Tumoren be-
und Moderator der Pressekonferenz am Cutsem, Leuven/Belgien. Die Ergebnisse achtliches Ergebnis mit einem verlänger-
30. Mai. In einigen Studien zeige sich werden wahrscheinlich dazu führen, dass ten progressionsfreien Überleben von
aber, dass der heutige Standard experi- künftig bei fortgeschrittenem Magen- 8,5 versus 6,5 Monaten. Dabei war auch
mentellen Ansätzen überlegen ist.
krebs standardmässig der HER2-Spiegel das Gesamtüberleben signifikant länger
bestimmt und bei hoher Expression die mit 11,7 (vs. 8,2) Monaten. Die Kombi-
Magenkarzinom: Trastuzumab bei HER2-positiven Tumoren
Hocherfreulich waren aber die Resultate
Trastuzumab-Zugabe eingesetzt wird.
Gallenkarzinom: erstmals Therapiefortschritt
nation war insgesamt gut verträglich; häufigste Nebenwirkung war eine mittelschwere Neutropenie (22,6% vs. 17,9%).
der ToGa-Studie (1) bei fortgeschritte- Gallenkarzinome (Gallenblasen- and «Aufgrund dieser Resultate, unterstützt
nem oder metastasiertem Magenkrebs Gallengangkarzinome; Cholangiokarzi- durch weitere kleinere Studien, können
unter der zielgerichteten Anti-HER2-The- nome), obwohl insgesamt selten, neh- wir nun die erste etablierte Standardthe-
rapie mit Trastuzumab (Herceptin®). Er- men aus noch unerklärten Gründen zu. rapie bei fortgeschrittenen Gallentumo-
kannt worden war nämlich, dass Magen- Sie sind bisher sehr schwierig behandel- ren aufstellen», erklärte Studienleiter
tumoren – ebenso wie Brustkrebs – in zir- bar. In den meisten Zentren wird bisher Prof. Juan Valle, Manchester/Gross-
ka 25% der Fälle HER2-positiv sind. Für
diese erste randomisierte, internationale
Phase-III-Studie bei dieser Indikation
wurden Magenkarzinompatienten mit
hohen HER2-Spiegeln eingeschlossen.
Von 3807 zunächst rekrutierten Magen-
krebspatienten hatten 22,1% hohe HER2-
Spiegel. Knapp 600 Patienten aus die-
sem Kollektiv erhielten Standardchemo-
therapie (5-FU oder Capecitabine und
Cisplatin) plus Trastuzumab oder die
Chemotherapie allein. Es zeigte sich ein
deutlicher Vorteil im Gesamtüberleben
in der Studiengruppe: Die Patienten leb-
ten signifikant länger (medianes OS 13,8
vs. 11,1 Monate) und hatten ein um 26%
verringertes Mortalitätsrisiko. Die Thera-
pie war insgesamt gut verträglich, ohne
dass unerwartete Nebenwirkungen auf-
getreten wären. «Die Daten haben ergeben, dass Trastu-
Spannende Plenarsitzung während der Präsentation der ToGA-Studie am diesjährigen ASCO-Jahresmeeting, welches insgesamt mehr als 30 000 Krebsspezialisten zählte.
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britannien. «Die Zugabe von Cisplatin zu Gemcitabine verlangsamt signifikant die Tumorprogression und verlängert das Überleben.»
Kolonkarzinom: adjuvantes Bevacizumab enttäuscht
Enttäuschend war das Ergebnis einer Phase-III-Studie mit erstmals adjuvant angewandtem Bevacizumab (Avastin®) bei kolorektalen Karzinomen (3), von dessen Gabe man sich eine deutliche Rezidivminderung erhoffte: Das Hinzufügen des gegen VEGF gerichteten Antikörpers zur adjuvanten Chemotherapie aus 5-FU, Leukovorin und Oxaliplatin (FOLFOX6) hatte aber keinen Vorteil im Hinblick auf das krankheitsfreie Überleben. Bevacizumab ist bei metastasiertem Darm- sowie bei Brust- und Lungenkrebs zugelassen; eine Vielzahl von klinischen Studien untersucht derzeit die Anwendung in der adjuvanten Situation bei verschiedenen soliden Tumoren. Die 2710 Patienten dieser Studie waren im Stadium II oder III der Erkrankung und erhielten nach operativer Entfernung des Primärtumors – adjuvant – entweder sechs Monate lang eine FOLFOX6-Therapie und zusätzlich dazu 5 mg/kg Bevacizumab, alle zwei Wochen für ein ganzes Jahr (also ein halbes Jahr länger als die Chemotherapie) – oder die bisherige Standardchemotherapie (FOLFOX) allein. Nach einem medianen Follow-up von drei Jahren lebten im Studienarm noch 77,4% der Patienten ohne Rückfall, in der Kontrollgruppe noch 75,5% (p = 0,15). In keiner der Gruppen kam es zu unerwarteten Nebenwirkungen, auch Bevacizumab wurde gut vertragen. «Interessant war, dass wir während des Therapiejahres mit Bevacizumab einen Nutzen beim krankheitsfreien Überleben sahen, der sich allerdings in der Nachbeobachtung verringerte», ergänzte Studienleiter Norman Wolmark. «Unsere Folgerungen sind, dass Bevacizumab in der adjuvanten Therapie – also im Darmkrebsfrühstadium – nicht effektiv ist. Die vorübergehende Wirksamkeit im Studienkollektiv zeigt aber, dass wir noch mehr über die Wirkungsweise des Wirksstoffs lernen müssen und daher neu konzipierte klinische Studien zur klinischen Anwendung brauchen.»
Metastasiertes Stadium: Operation ungünstig Eine weitere Studie zeigte, dass Patienten mit neu diagnostiziertem metastasiertem Kolorektalkrebs keine Resektion des Primärtumors benötigen, sofern dieser keine Komplikationen verursacht. Bei diesen Patienten ist die chirurgische Entfernung des Primärtumors lange Zeit Standard gewesen, da hauptsächlich Komplikationen wie Ileus, Darmperforation oder schwere Blutungen vermieden werden sollten. Jetzt wurde evaluiert, ob die neuen medikamentösen Therapien eine Operation in dieser Situation überflüssig machen können. In einer retrospektiven Studie (4) wurden die Daten von 233 Patienten mit metastasierten kolorektalen Karzinomen im Stadium IV analysiert. Die Patienten, die zwischen 2000 und 2006 behandelt worden waren, hatten zum Zeitpunkt der Diagnose keine gravierenden Symptome, die eine sofortige Operation nötig gemacht hätten, und wurden deshalb primär nicht operiert, sondern mit einer der Standardchemotherapien behandelt (FOLFOX, IFL, FOLFIRI). Einige waren zusätzlich mit Bevacizumab behandelt worden. Die Studienärzte fanden, dass 93% keine Komplikationen entwickelten, die die Entfernung des Primärtumors erforderlich gemacht hätten. Eine Operation mit ihren Risiken verzögert in der Regel den Beginn der Chemotherapie. Die Studienleiter sind der Ansicht, dass die Vermeidung der Operation die Sicherheit der onkologischen Therapie insgesamt verbessert.
Analkarzinom: CisplatinKombination ohne Vorteil
Die bisher grösste Studie bei Analkrebs (5) zeigte, dass die aktuelle Standardtherapie aus einer neuen kontinuierlichen Strahlentherapie in Kombination mit 5FU und Mitomycin-C zu besseren Ergebnisse führt als die Radiochemotherapie mit Gabe von Cisplatin statt Mitomycin. Zudem ergab sich kein Nutzen einer zusätzlichen Erhaltungstherapie. Anders als Kolorektalkrebs benötigen die meisten Patienten mit Analkrebs keine Chirurgie, da es sich bei Analkrebs um Plattenepithelkarzinome handelt, die Chemo- und Radiotherapie-sensibel
sind. Cisplatin, für Plattenepithelkarzinome in anderen Organen verwendet, hat erhebliche neurologische und renale Nebenwirkungen. Die britische ACT-II-Studie hatte 940 Patienten randomisiert. Nach drei Jahren Follow-up fanden die Studienleiter keinen signifikanten Unterschied in den Kollektiven: ▲ Die komplette Remissionsrate nach
sechs Monaten betrug 94% in der Mitomycin-Gruppe (vs. 95%). ▲ Das krankheitsfreie Überleben nach drei Jahren betrug in allen Gruppen 75% (mit/ohne Erhaltungstherapie). ▲ Das Gesamtüberleben nach drei Jahren betrug 85% in der Erhaltungstherapie- und 84% in der Vergleichsgruppe.
Rektumkarzinom: neoadjuvante Oxaliplatin-Zugabe ohne klaren Effekt
Auch die Standardtherapie beim lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinom ist weiterhin angemessen nach den Ergebnissen einer grossen italienischen Studie (6), welche die Zugabe von Oxaliplatin (Eloxatin®) zur neodadjuvanten (präoperativen) Radiochemotherapie untersuchte. Die zusätzliche Gabe erhöhte nicht, wie vermutet, die Tumorresponse. Möglicherweise kann sie jedoch die Zahl der Fernmetastasen reduzieren, so vorläufige Analysedaten. In dieser multizentrischen Phase-III-Studie erhielten 747 Patienten mit lokal fortgeschrittenem Rektumkarzinom entweder die präoperative standardmässige Radiochemotherapie oder diese plus Oxaliplatin. Die Prüfärzte fanden keinen signifikanten Unterschied zwischen beiden Gruppen hinsichtlich der Tumorverringerung: ▲ 16% der Patienten in beiden Grup-
pen waren zum Operationszeitpunkt tumorfrei. ▲ 29% (vs. 30% in der Kontrollgruppe) hatten leicht invasive Tumoren (T1, T2) ohne Lymphknotenbeteiligung. ▲ Lymphknotenbeteilung bestand bei 27% (vs. 25% in der Kontrollgruppe). In einer ungeplanten Analyse, bei der die intra-abdominale Tumorausbreitung zum Operationszeitpunkt des Primärtumors betrachtet wurde, hatten nur 0,5% der Patienten in der Oxaliplatin-Gruppe
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(2 Patienten) Fernmetastasen, aber 3% in der Kontrollgruppe (11 Patienten) – ein statistisch signifikanter Unterschied. «Obwohl die Zahl sehr klein ist und diese Analyse ungeplant war, ist der Unterschied signifikant. Es zeigt sich, dass der fehlende Effekt des präoperativen Oxaliplatins auf die Verringerung des Primärtumors nicht unbedingt auch die Mikrometastasenbildung beeinflusst», schloss Studienleiter Carlo Aschele, Genua/ Italien. Er forderte eine längeres Followup zur Beobachtung der Überlebenszeiten. ▲
Bärbel Hirrle
Quellen: Pressekonferenzen ASCO-Jahresmeeting, 30. Mai bis 1. Juni 2009, Orlando/FL.
Referenzen: 1. Van Cutsem, E. et al.: Efficacy results from the ToGA trial: A phase III study of trastuzumab added to standard chemotherapy (CT) in first-line human epidermal growth factor receptor 2 (HER2)-positive advanced gastric cancer (GC). J Clin Oncol 27:15s, 2009 (suppl; abstr LBA4509). 2. Valle, JW. et al.: Gemcitabine with or without cisplatin in patients (pts) with advanced or metastatic biliary tract cancer (ABC): results of a multicentre, randomised phase III trial. J Clin Oncol 27:15s, 2009 (suppl; abstr4503). 3. Wolmark, N. et al.: A phase III trial comparing mFolfox6 to mFolfox6 + bevacizumab in Stage II or
III carcinoma of the colon: Results of NSABP Protocol C-08. J Clin Oncol 27:15s, 2009 (suppl; abstr LBA4).
4. Poultsides, GA. et al.: Outcome of primary tumor in patients with synchronous stage IV colorectal cancer receiving combination chemotherapy without surgery as initial treatment. J Clin Oncol 27:15s, 2009 (suppl; abstr CRA4030).
5. James, R. et al.: A randomised trial of chemoradiation using mitomycin or cisplatin, with or without maintenance cisplatin/5FU in squamous cell carcinoma of the anus (ACT II). J Clin Oncol 27:15s, 2009 (suppl; abstr LBA4009).
6. Gerard, J-P. et al. : Randomized multicenter phase III trial comparing two neoadjuvant chemoradiotherapy (CT-RT) regimens (RT45-Cap vs RT50Capox) in patients (pts) with locally advanced rectal cancer (LARC): Results of the ACCORD 12/0405 PRODIGE 2. J Clin Oncol 27:15s, 2009 (suppl; abstr LBA4007).
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