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Tagungsbericht
Fachtagung der Krebsliga «Elektromagnetische Felder und Gesundheit: zwischen Ängsten und Wissen», Bern, 12. Februar 2009
Antwortensuche an der «Krebstagung 2009» – mit Entwarnung
Sind elektromagnetische Felder krebserregend?
Handys, Mobilfunkantennen, Hochspannungsleitungen, Haushaltsgeräte oder Sparlampen – elektromagnetische Felder, in unserem Alltag allgegenwärtig, verursachen sogenannten Elektrosmog. Wie gefährlich ist diese Strahlung für unsere Gesundheit? Wie ernst sind Hinweise auf Hirntumoren oder Leukämie bei Kindern zu nehmen? Trotz unklaren Forschungsresultaten und vielen offenen Fragen konnte an der «Krebstagung 2009» vorsichtig Entwarnung gegeben werden.
Wir sind umgeben von Strahlungsquellen aller Arten, die grösste natürliche Quelle ist die Sonne. Bei Hautkrebs sind Zusammenhänge gut dokumentiert. Wie aber ist es mit dem Elektrosmog, freigesetzt von den immer zahlreicheren Strahlungsquellen, die den technischen Fortschritt gewährleisten? Verursacher von elektrischen oder magnetischen Feldern, «Elektrosmog», gibt es überall dort, wo Strom fliesst, aber auch bei Sendeanlagen für TV, Radio oder Mobilfunk und Internet. Dem unkritischen Umgang mit diesen allgegenwärtigen Quellen stehen heute vermehrt Ängste in der Bevölkerung gegenüber. Diese Verunsicherungen werden besonders laut geäussert, wenn Befindlichkeits- und Schlafstörungen oder auch schwere Erkrankungen wie Krebs auf getreten sind. Zwischen Vermutungen, Ängsten und Wissen zu Elektrosmog liegt noch ein weites Feld, wie die diesjährige Fachtagung der Krebsliga Schweiz zeigte.
Studien haben grosse methodische Schwächen
Elektromagnetische Felder (EMF) und Krebserkrankungen sind in zahlreichen Studien untersucht worden, die Ergebnisse sind allerdings nach wie vor widersprüchlich. Meist aber ergibt sich kein nachweisbarer Zusammenhang zwischen Strahlung und gesundheitlichen Folgen. Darauf verwies der Biostatistiker Dr. Joachim Schüz vom Institut für Krebsepidemiologie der Dänischen Krebsgesellschaft. Alle älteren, aber auch jüngeren Studien hätten methodische Schwächen
und betreffen meist nur einen kurzen Untersuchungszeitraum, räumte der Experte in Bern ein. Für ihn das wichtigste Argument sei aber der Umstand, dass in Ländern mit Krebsregistern wie Dänemark bis anhin keinerlei Zusammenhänge zwischen Mobiltelefonen (bzw. anderen EMF-Strahlungsquellen) und einer erhöhten Krebsgefahr nachweisbar sind (1–3). «Wenn es ein Risiko gäbe, könnte man das in Ländern mit Krebsregistern mittlerweile schwarz auf weiss durch einen Anstieg von Krebsfällen sehen», betonte er. Auch sei keine Assoziation zwischen der Feldstärke von Radiosendern und dem Risiko, dass Kinder an Leukämie erkranken, feststellbar, führte Schütz aus (4). Entsprechendes gelte für Ängste vor neurodegenerativen Erkrankungen durch EMF-Strahlungsquellen.
Handys und WLAN: unsichere Kausalität
Allerdings, so wird selbst vonseiten der Europäischen Union (Bericht Anfang 2009) eingeräumt, seien die langfristigen Wirkungen dieser Strahlung noch unbekannt. Die Belastung durch Strahlen zum Beispiel bei Handys oder Computern im WLAN-Betrieb führe «wahrscheinlich nicht zu einer Zunahme von Krebserkrankungen beim Menschen». Aktuelles Fazit der Experten des EU-Komitees: ▲ für die Handynutzung während weni-
ger als zehn Jahren besteht keine Evidenz für erhöhte Risiken ▲ für die Handynutzung während mehr als zehn Jahren liegen schwache Hinweise für Akustikusneurinom vor ▲ für Kinder liegen keine Daten vor
Angstbesetzt, bis jetzt aber freigesprochen: Mobilfunkantennen (wie hier auf dem Säntis) oder Hochspannungsleitungen, wenn diese im eigenen Umfeld errichtet werden.
▲ Hinweise aus Zell- oder Tierstudien überzeugen nicht
▲ zur Hochfrequenzexposition liegen weniger belastende Daten vor.
Ob Telefonieren mittels Mobiltelefon gesundheitsschädlich ist, ob dies eventuell sogar Hirntumoren auslösen kann – diese Diskussion hat die Mobilfunktechnologie von Anfang an begleitet. Das deutsche Mobilfunkforschungsprogramm veröffentlichte im Jahr 2008 die Resultate einer Studie, welche die Hypothese eines erhöhten Kinderleukämierisikos in der Umgebung starker Fernseh- und Radiosender untersuchte. Dabei wurde die Exposition von 2000 Kindern, die seit 1984 an Leukämie erkrankt sind, mit der Bestrahlungsintensität von 6000 nicht erkrankten Kindern verglichen. Bei den erkrankten und den gesunden Kindern konnten die Studienautoren keine Unter-
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Tagungsbericht
Fachtagung der Krebsliga «Elektromagnetische Felder und Gesundheit: zwischen Ängsten und Wissen», Bern, 12. Februar 2009
schiede in der Belastung durch die Sender feststellen (5). Gross angelegte Studien über den Zusammenhang zwischen mobilem Telefonieren und Hirntumoren bei Erwachsenen weisen in die gleiche Richtung (6, 7). Entsprechendes gilt für Mobilfunksendeanlagen. Erste Daten aus der INTERPHONE-Studie geben ebenfalls Entwarnung. Die bis anhin weltweit grösste Untersuchung zum Thema läuft derzeit in 14 Ländern und untersucht eine Korrelation zu Gliomen, Meningeomen, Akustikusneurinomen und Parotistumoren. Erste nationale Veröffentlichungen aus den skandinavischen Ländern, aus Grossbritannien, Japan und Deutschland zeigten, dass sich insbesondere die Vermutung eines Risikos von Hirntumoren für Handynutzer nicht bestätigen lässt (6, 7). Die zitierten Fälle, die auf ein Risiko von Hirntumoren hinweisen, zeigen ein Problem aller diesbezüglicher epidemiologischer Studien: Die Ergebnisse beziehen sich auf die ersten Benutzer der älteren analogen Handys. Die dahinter stehende Technologie wurde nur von sehr wenigen Personen genutzt – das sogenannte C-Netz wurde bereits 2001 abgeschaltet.
Noceboeffekte sind nicht ausgeschlossen
Prof. Dr. Norbert Leitgeb von der Technischen Universität in Graz ist sich bewusst, dass wissenschaftliche Studien dem technischen Fortschritt immer nachhinken. Dennoch ist die wissenschaftliche Diskussion nicht abgeschlossen, denn ein «Unschädlichkeitsbeweis» steht aus. Seine Argumentation: Wer elektrischen Strom benutzt, erzeugt ein Magnetfeld. Jede Zelle im Körper ist wie die kleinste Batterie, der Organismus ist auf Spannungsänderungen eingerichtet. Die jahrzehntelange Anwendung von Reizstrom spricht laut Leitgeb gegen eine Schädigung durch EMF. Lediglich ein Haus, das direkt unter Hochspannungsmasten und -leitungen stehe, könne ein grösseres Risiko darstellen, so der Experte. Die bisherigen Daten lassen aber keine endgültigen Aussagen zu, inwiefern es nicht doch einen «Noceboeffekt» durch Magnetfelder gibt, relativierte Leitgeb. Prof. Dr. Timo Schär, Biomediziner an der
Universität Basel, stellt sich mit seiner Arbeitsgruppe der schwierige Aufgabe, die von Epidemiologen erforschten Zusammenhänge auf zellulärer Ebene zu erklären. Schon in einer normalen Zelle treten bis zu 80 000 Schäden im Erbgut pro Tag auf, Reparaturmechanismen können diese genetischen Mutationen bei gesunden Menschen normalerweise wieder beheben. Bezüglich Schäden durch EMF konnte er zeigen, dass eine intermittierende Exposition mehr schadet als eine kontinuierliche. Die Ergebnisse von Zellteilungsstudien und Kometentests erlauben zu 99% den Ausschluss, dass Magnetfelder selber schaden. DNA-Strangbrüche treten zwar auf, trotzdem sind keine Mutationen und keine Chromosomenänderungen nachweisbar. Auch hier scheinen die Bücher noch lange nicht geschlossen.
Fazit: EMF ist das kleinere Übel
Rund 53% der Schweizer machen sich, laut einer Umfrage, wegen Elektrosmogs Sorgen um ihre Gesundheit. Geschürt werden die Ängste, weil es einerseits keine pragmatische Antwort auf die Frage gibt, ob EMF Krebserkrankungen auslösen können, und weil sich andererseits die Unschädlichkeit bis heute nicht beweisen lässt.
Verkehrte Welt: Warum Handys doch gefährlich sind
Die Mobiltelefone von Klinikpersonal sind gemäss einer Studie mit Bakterien übersät und können gefährliche Krankheiten übertragen. Die Studie wurde kürzlich in der Fachzeitschrift «Annals of Clinical Microbiology and Antimicrobials» (2009, 8:7 doi: 10.1186/1476-0711-8-7) veröffentlicht. Die Handys von Ärzten und Pflegern beherbergen Erreger harmloser Hautirritationen bis zum Überträger tödlicher Krankheiten. Während die Ärzte und Pfleger sich selbstverständlich an übliche Hygieneregeln wie etwa Händewaschen hielten, nahmen sie es mit der Sauberkeit ihrer Mobiltelefone nicht so genau. Nur jeder zehnte an der Untersuchung beteiligte Klinikmitarbeiter gab an, sein Handy regelmässig zu reinigen.
Quelle: Ulger F et al.: Are we aware how contaminated our mobile phones are with nosocomial pathogens? Annals of Clinical Microbiology and Antimicrobials 2009, 8:7 doi:10.1186/1476-0711-8-7.
Für Prof. Dr. med. Franco Cavalli, Direktor
des onkologischen Instituts der italieni-
schen Schweiz, ist Elektrosmog das «klei-
nere Übel» für das derzeitige Krebsrisiko
der Bevölkerung, verglichen mit Rauchen
und Fast Food. Man könne allerdings
heute auch nicht beweisen, ob EMF zur
Bildung von Tumoren beitragen, sagte
Cavalli in der Diskussion. So lange das so
ist, könne der Einzelne sich lediglich
durch individuelle Vorsorge schützen:
Quellen orten und durch eine möglichst
kurzzeitige Exposition die vielleicht doch
mögliche Gefährdung senken.
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Susanne Schelosky
Quelle: Krebstagung 2009 am 12. Februar 2009 in Bern.
Referenzen:
1. Blettner M et al.: Mobile phone base stations and adverse health effects: phase 1 of a populationbased, cross-sectional study in Germany. Occup Environ Med. 2009 Feb; 66 (2): 118–23. Epub 2008 Nov 18.
2. Schüz J et al.: Risks for central nervous system diseases among mobile phone subscribers: a Danish retrospective cohort study. PLoS ONE. 2009; 4 (2): e4389. Epub 2009 Feb 5.
3. Ahlbom A et al.: Possible effects of electromagnetic fields (EMF) on human health-opinion of the scientific committee on emerging and newly identified health risks (SCENIHR).Toxicology. 2008 Apr 18; 246 (2–3): 248–50.
4. Otto M, von Mühlendahl KE: Electromagnetic fields (EMF): do they play a role in children's environmental health (CEH)? Int J Hyg Environ Health. 2007 Oct; 210 (5): 635–44. Epub 2007 Aug 31. Review.
5. http://www.emf-forschungsprogramm.de
6. Bondy ML et al.: Brain tumor epidemiology: consensus from the Brain Tumor Epidemiology Consortium. Cancer. 2008 Oct 1; 113 (7 Suppl): 1953–68. Review.
7. Lahkola A et al.: Meningioma and mobile phone use – a collaborative case-control study in five North European countries. Int J Epidemiol. 2008 Dec; 37 (6): 1304–13.
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