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Kann Aspirin Krebs verhindern?
Standpunkte zum internationalen Konsensus zur Krebsprävention
Trotz überzeugender Belege, dass Azetylsalizylsäure (ASS) und andere NSAR einen chemopräventiven Effekt gegen kolorektale (und wahrscheinlich weitere) Tumoren haben, können NSAR noch nicht routinemässig zur Krebsprävention empfohlen werden. Dies ergab der Konsensus der 5. Internationalen Konferenz zur Krebsprävention in St. Gallen 2008.*
FLORIAN OTTO, HANS-JÖRG SENN
Florian Otto Hans-Jörg Senn
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Nach Ansicht der Expertenkommission bleibt die Datenlage zum Risiko-Nutzen-Verhältnis einer generellen Empfehlung der NSAR noch unzureichend.
Dilemma Evidenz und Anwendungsfragen
An der 5. Internationalen Konferenz zur Krebsprävention in St. Gallen im März 2008 diskutierte ein Panel namhafter Experten über die Rolle von Azetylsalizylsäure (ASS) und anderer nichtsteroidaler Antirheumatika (NSAR) in der Krebsprävention. Das Rundtischgespräch hatte zum Ziel, die derzeit verfügbare Evidenz bezüglich des potenziellen Risikos und Nutzens von ASS und anderen NSAR in der Krebsprävention zu bewerten. Während die Expertengruppe feststellte, dass eine grosse Zahl potenziell chemopräventiver Substanzen für gastrointestinale Tumorerkrankungen existieren, bestand die einhellige Ansicht, dass es einzig für ASS ausreichende Evidenz für die Wirksamkeit in der Tumorchemoprävention und Daten zur Toxizität gibt, um eine Risiko-Nutzen-Analyse durchzuführen. Eine Ausnahme stellen Hochrisikogruppen für Krebs (z.B. Patienten mit familiärer Adenomatosis coli [FAP]) dar. War es die ursprüngliche Intention des Rundtischgesprächs, eine Konsensusempfehlung für die Anwendung von ASS und anderen NSAR als Medikamente zur Tumorchemoprävention zu erarbeiten, so wurde rasch klar, dass der gegenwärtige Wissensstand bezüglich Dosis, Anwendungsdauer und optimalen Anwendungsalters zu grosse Lücken aufweist. Daher erlaubt die derzeitige Wissensbasis auch für ASS keine formale Risiko-Nutzen-Analyse. Aus diesem Grund konzentrierte sich die Expertengruppe darauf, Berei-
* Die «5th International Conference on Cancer Prevention» in St. Gallen fand vom 6. bis 8. März 2008 statt.
che zu identifizieren, in denen weitere Forschungsarbeit als Grundlage für eine Risiko-Nutzen-Analyse notwendig ist. Dieser Artikel fasst die Diskussionen des Konsensuspanels und die daraus hervorgegangenen Konklusionen zusammen.
Hinweise für antitumorale Effekte
Der Grossteil der verfügbaren klinischen Evidenz für einen chemopräventiven Effekt von ASS stammt aus epidemiologischen Studien (Tabelle) (1). Prospektive randomisierte Studien zu diesem Thema sind rar. Lediglich eine einzige randomisierte Studie wurde mit dem primären Ziel durchgeführt, den Effekt von ASS auf die Krebsinzidenz bei Gesunden zu prüfen (2). Darüber hinaus haben mehrere klinische Studien evaluiert, ob ASS kolorektale Adenome verhüten kann, die als Vorläufer des kolorektalen Karzinoms angesehen werden (3, 4). Aus epidemiologischen Untersuchungen gibt es Hinweise, dass ASS das Risiko für kolorektale Adenome verringern kann (5). Klinische Studienergebnisse, die die Sterblichkeit an Krebs als primären Endpunkt gehabt hätten, liegen allerdings bis heute nicht vor. Aus Tiermodellen zur Tumorgenese weiss man, dass NSAR die Entwicklung von Neoplasien des Dickdarms und der Brustdrüse verzögern oder verhindern können. Obwohl sehr verschiedene Mechanismen untersucht wurden, wie NSAR die Karzinogenese in unterschiedlichen Stadien hemmen könnten, ist unklar geblieben, welchen dieser Mechanismen und molekularen Zielstrukturen klinisch die grösste Bedeutung zukommt. Es ist bekannt, dass das induzierbare Isoenzym der Zyklooxygenase (COX-2) in Vorstufen von bösartigen Tumoren der Brust, Lunge und des Dickdarms überexprimiert ist. Die Aktivität dieses Enzyms kann von den verschiedenen NSAR in unterschiedlichem Ausmass gehemmt werden. Während es seit einigen Jahren COX-2-selektive Inhibito-
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ren gibt, sind die schon lange bekannten und klinisch eingesetzten unspezifischen NSAR, die sowohl das konstitutiv exprimierte Isoenzym COX-1 wie auch COX-2 hemmen, in der Mehrzahl (6).
Wie viel, wie lange einnehmen? Eine grosse Zahl epidemiologischer Studien hat eine inverse Korrelation zwischen der Einnahme von NSAR und dem Auftreten kolorektaler Karzinome zeigen können. Sowohl Kohorten- wie auch FallKontroll-Studien weisen auf eine Reduktion der Inzidenz kolorektaler Karzinome um etwa 40% hin, wenn NSAR regelmässig eingenommen wurden. Aus diesen Studiendaten lässt sich die optimale Dosis und Behandlungsdauer jedoch nicht sicher ableiten. Sowohl retro- wie auch prospektive Studien zeigen eine Reduktion der Inzidenz und Grösse kolorektaler Adenome durch die Einnahme von NSAR. Obwohl diese Beobachtungen konsistent sind, stellt sich die bis anhin ungeklärte Frage nach
▲ der niedrigsten wirksamen Dosis und ▲ der notwendigen Dauer der Ein-
nahme, unter der es in der chemopräventiven Indikation bei Risikopersonen zu einer relevanten Risikoreduktion kommt.
Auch kontroverse und unsichere Studienresultate Nicht alle Daten sprechen für einen chemopräventiven Effekt von ASS. Zwei randomisierte, kontrollierte Studien mit einer Behandlungsdauer von 5 respektive 10 Jahren konnten keinen chemopräventiven Effekt von ASS nachweisen. In der Women's Health Initiative wurden 38 876 gesunde Frauen im Alter von mindestens 45 Jahren randomisiert. Während die Probandinnen der einen Gruppe jeden zweiten Tag 100 mg ASS einnehmen sollten, erhielten die der anderen ein Plazebo. Die Behandlung erstreckte sich über durchschnittlich 10 Jahre. Die Studienauswertung zeigte, dass ASS – zumindest während der ersten 10 Jahre – keinen Effekt
auf die Inzidenz irgendeiner Krebsart hat, wenn es in dieser Dosierung gegeben wird (2). In einer zweiten Studie, der Physicians’ Health Study, wurden 22 071 männliche Ärzte zwischen ASS und «keiner Behandlung» randomisiert (3). Nach einer Behandlungsdauer von 5 Jahren zeigte sich keine Reduktion der Inzidenz kolorektaler Karzinome, was sich auch in einer erneuten Auswertung nach 12 Jahren Nachbeobachtungsdauer bestätigte (7). Die Ergebnisse dieser randomisierten Studien lassen sich nur schwerlich mit den epidemiologischen und präklinischen Daten sowie den Studien zur Chemoprävention kolorektaler Adenome vereinbaren; es sei denn, der chemopräventive Effekt träte erst nach mehr als 10 bis 12 Jahren ein. Die Auswertungen der British Doctors’ Study, der UK-TIA Study und mehrerer Beobachtungsstudien nach einer längeren Nachverfolgungszeit lassen vermuten, dass eine zehnjährige Zeitverzögerung zwischen NSAR-Einnahme und nachweisbarer
Tabelle:
Geschätzter Nutzen einer langjährigen (~20 Jahre dauernden) ASS-Einnahme für die Allgemeinbevölkerung (modifiziert nach [14]):
Der Nutzen der prophylaktischen ASS-Einnahme zur Verhinderung eines kolorektalen Karzinoms ist ganz besonders markant!
Krebsart und Studiendesign
Kolorektales Karzinom Fall-Kontroll Kohorte
Kolorektales Adenom Fall-Kontroll Kohorte
Ösophaguskarzinom Fall-Kontroll Kohorte
Magenkarzinom Fall-Kontroll Kohorte
Bronchuskarzinom Fall-Kontroll Kohorte
Mammakarzinom Fall-Kontroll Kohorte
Ovarialkarzinom Fall-Kontroll Kohorte
Anzahl Studien
11 7
5 2
2 4
3 4
2 6
6 12
6 2
Anzahl Fälle
9 232 5 146
15 213 1 845
643 1 118
1 557 1 376
1 906 1 003
13 822 14 738
2 896 449
RR für
95%-KI
Neoplasie
0,59 0,54–0,64 0,85 0,78–0,92
0,87 0,77–0,98 0,72 0,61–0,85
0,41 0,29–0,57 0,83 0,70–0,98
0,67 0,56–0,80 0,93 0,82–1,05
0,70 0,56–0,88 0,96 0,91–1,02
0,80 0,73–0,87 0,94 0,90–0,98
0,82 0,69–0,99 0.98 0,80–1,20
Subgruppe
Risiko (%) bis Geschätzter Nutzen bis zum zum 74. Lebensj. 74. Lebensj. (pro 1000 Pers.)
Männer Frauen
4,64 3,83
19,0 verhindert 15,7
Männer Frauen
30 25
51,0 42,5
Männer Frauen
0,81 0,33
4,8 1,9
Männer Frauen
1,10 0,41
3,6 1,4
Männer Frauen Männliche Raucher Nieraucher
6,69 2,89 15,9 0,4
20,1 8,7 47,7 1,2
Frauen
9,46
18,9
Frauen
1,46
2,6
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Prävention kolorektaler Karzinome durchaus plausibel sein könnte (4). Allerdings bleibt bis jetzt ungeklärt, ob eine längere Einnahmedauer oder eine längere Nachverfolgungszeit notwendig ist, um diesen Effekt zu beobachten. Bis anhin gibt es keine randomisierten Studien, die eine ASS- oder NSAR-Einnahme über einen längeren Zeitraum als zehn Jahre geprüft hätten. Auf der Basis aller verfügbaren Evidenz erachtete das Expertengremium einen chemopräventiven antitumoralen Effekt von ASS und Sulindac als «sehr wahrscheinlich», einen solchen der anderen NSAR wegen der spärlichen Datenlage nur als «möglich».
Verhältnis zwischen Risiko und Nutzen in der Krebsprävention
Die Nebenwirkungen der NSAR sind gut dokumentiert und lassen sich zumeist auf eine Hemmung der Zyklooxygenase zurückführen. ASS erhöht das Blutungsrisiko durch eine Hemmung der Thrombozyten-Zyklooxygenase, durch die eine Aggregation der Thrombozyten verhindert wird. ASS-induzierte Blutungen betreffen zumeist den Gastrointestinaltrakt sowie die ableitenden Harnwege, während intrakranielle Blutungen eher selten sind. Die verminderte Produktion von Prostaglandin E2 in der Magenschleimhaut durch höhere Dosen von ASS und andere nichtselektive NSAR erhöht das Risiko gastrointestinaler Ulzera und Blutungen. Die Hemmung von COX-2 im Gefässendothel durch Coxibe und nichtselektive NSAR führt über eine verminderte Prostazyklinproduktion zu einem erhöhten Risiko für thrombotische kardiovaskuläre Ereignisse. Das Nebenwirkungsrisiko steigt mit Alter und Dosis (8, 9). Die klassischen Kontraindikationen für eine ASS-Anwendung sind Ulkusanamnese, Blutungsneigung und allergische Reaktionen. Mit diesen Ausnahmen ist es bis heute jedoch nicht möglich vorherzusagen, welche Individuen für Nebenwirkungen am anfälligsten sind. Andererseits ist ASS zur Sekundärprävention des Myokardinfarktes und der zerebralen Ischämie indiziert und weltweit zugelassen (10). Während der Nutzen bei dieser Hochrisikogruppe klar gezeigt ist, würde bei Personen mit normalem kar-
diovaskulärem Risiko der Nutzen durch die Nebenwirkungen wahrscheinlich grösstenteils aufgewogen. Darüber hinaus ist das Alter ein weiterer wichtiger Faktor in der Risiko-Nutzen-Betrachtung, da das Nebenwirkungsrisiko jenseits des 60. Lebensjahres deutlich ansteigt.
Die gesamte Gesundheit muss im Zentrum stehen In Anbetracht der Unsicherheiten bezüglich der minimal effektiven Dosis und der notwendigen Dauer einer prophylaktischen Behandlung mit ASS zur Senkung der Krebsinzidenz sowie bezüglich der Einflüsse auf das kardiovaskuläre und andere Systeme erachtete es das Expertengremium als derzeit unmöglich, das Risiko-Nutzen-Profil dieser Medikamente ohne weitere klinische Studien zu bestimmen. Es erschien darüber hinaus nicht sinnvoll, eine Empfehlung zum Einsatz von ASS oder anderen NSAR zur Krebsprävention zu geben, ohne den gesamten Einfluss der Behandlung auf die Gesundheit in Betracht zu ziehen. Daher wandte sich das Expertengremium der Frage zu, welche Forschungsfragestellungen es zu beantworten gilt, bevor eine solche Empfehlung abgegeben werden kann.
Offene Forschungsfragen
Dosis In niedrigen Dosen (100 mg/Tag) reduziert ASS das Risiko kardiovaskulärer Ereignisse mit geringem Blutungsrisiko, da das Medikament primär auf Thrombozyten im Pfortaderkreislauf wirkt und kaum in die systemische Zirkulation gelangt. Höhere Dosen erreichen die Magenschleimhaut sowie das vaskuläre Endothel und führen so zu vermehrten Nebenwirkungen. Die optimale Dosis zur Krebsprävention ist jedoch noch offen, und vermutlich wären dafür tägliche Dosen von 325 mg oder mehr notwendig (11). Daher scheint die Dosisfrage besonders wichtig und sollte in randomisierten Studien mit multiplen Endpunkten prospektiv geklärt werden.
Behandlungsdauer Die verfügbaren Daten weisen darauf hin, dass ASS über zehn oder mehr Jahre eingenommen werden muss, um eine signifikante Reduktion der Krebsinzidenz
zu erreichen. Es ist jedoch noch offen, ob ASS kontinuierlich eingenommen werden muss beziehungsweise ob eine zehnjährige Behandlungsdauer zu einem anhaltenden Schutz gegen Krebs führen könnte («carry-over effect»). Ein solcher Effekt hatte in zwei randomisierten Studien gezeigt werden können (4), während mehrere Beobachtungsstudien diesen nicht nachweisen konnten (12). Da die Beantwortung dieser Frage lange Zeit in Anspruch nimmt, sollte die Priorität auf der Fortsetzung der Nachbeobachtung bereits existierender klinischer Studien liegen.
Alter Ein chemopräventiver Effekt von ASS und anderen NSAR wurde für Ösophagus-, Magen-, Lungen-, Brust- und Prostatakrebs beschrieben. Die meisten dieser Krebsarten treten im höheren Lebensalter auf. Da NSAR ihre chemopräventive Wirkung vermutlich durch einen Effekt auf Krebsvorstufen entfalten und diese dem klinisch detektierbaren Krebs unterschiedlich lang, teilweise um Jahrzehnte, vorausgehen, wäre es denkbar, dass die Behandlung im Alter von 40 bis 50 Jahren beginnt. Da die Nebenwirkungen der NSAR erst nach dem 60. Lebensjahr deutlich zunehmen, könnte eine Langzeittherapie vor diesem Alter mit relativ wenig Nebenwirkungen verbunden sein.
Hochrisikogruppen In der Krebschemoprävention gilt der pausible Grundsatz: Am wenigsten effizient ist es, wenn eine grosse Zahl gesunder Personen Medikamente einnimmt, damit vergleichbar wenige Krebsfälle – gesamthaft – verhindert werden. In einem solchen Fall können sogar seltene Nebenwirkungen das Nutzen-Risiko-Verhältnis umkehren. Daher wäre es erstrebenswert, die Präventionsanstrengungen auf Personen mit einem deutlich erhöhten Krebsrisiko fokussieren zu können. Während Lebensstil, Alter und Umwelt das individuelle Krebsrisiko beeinflussen, wird vermutlich ein grosser Teil des Krebsrisikos genetisch bestimmt. Daher sind spezielle molekulare und genetische Untersuchungen notwendig, damit Personen mit einem erhöhten Risiko, einen (durch ASS vermeidbaren) Tumor zu ent-
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wickeln, identifiziert werden können. Ebenso muss es möglich werden, solche Personen herauszufiltern, die wegen metabolischer Konstellationen ein erhöhtes Risiko für schwere Nebenwirkungen unter der ASS-Medikation tragen. Solche Fortschritte in der Risikovorhersage könnten das Risiko-Nutzen-Profil medikamentöser Interventionen entscheidend verbessern.
Krebsarten Neben der zwischenzeitlich recht soliden Evidenz für einen protektiven Effekt von ASS und anderen NSAR gegen kolorektale Neoplasien mehren sich die Hinweise auf chemopräventive Effekte gegenüber anderen Krebsarten. Diese betreffen Neoplasien von Ösophagus, Magen, Lunge, Brust und Prostata (1, 13). Da die Datenlage zu diesen Tumorentitäten derzeit noch spärlich ist, sind weitere grosse kontrollierte Studien notwendig.
Studiendesign Klinische Studien zur Krebschemoprävention sind sehr arbeitsaufwendig und kostspielig, da sie mehrere Jahre bis Jahrzehnte dauern und eine grosse Zahl Teilnehmer einschliessen müssen, um signifikante Ergebnisse zu erzielen. Daher ist es derzeit von grösster Bedeutung, die bereits durchgeführten Studien auszuwerten hinsichtlich der Auftretenshäufigkeit von Krebsarten nach langen Beobachtungszeiten. In neuen Studien wird ASS unter dem «strategischen Vorteil» des nachgewiesenen kardiovaskulären Nutzens evaluiert. Auch andere NSAR wie Sulindac sollten künftig bezüglich eines krebspräventiven Effekts näher untersucht werden. Das Design von Chemopräventionsstudien stellt eine grosse Herausforderung dar, insbesondere die Wahl eines geeigneten Endpunktes. So ist beispielweise der Endpunkt «Kolonkarzinom» problematisch in Studien, die eine koloskopische Überwachung vorsehen. Unethisch wäre es, die Entwicklung von kolorektalen Karzinomen aus Vorläuferläsionen ohne Intervention zu beobachten. Ein intermediärer Endpunkt «kolorektale Adenome» erscheint sinnvoller, weil eine kürzere Studiendauer und geringere Probandenzahlen möglich wären. Dabei sollten nur solche Adenome für den Endpunkt gewertet werden, die ein hohes
Risiko für die Progression zum Kolorektalkarzinom aufweisen.
Wer berät, behandelt, bezahlt? Eine weitere Herausforderung besteht in der Entwicklung klinisch-präventiver Infrastrukturen (Präventionszentren) unter wissenschaftlicher Begleitung, in denen Hochrisikoindividuen identifiziert und adäquat beraten werden, um so die nachgewiesenen effektiven Präventionsmassnahmen zu nutzen. Inadäquate finanzielle Ressourcen stellen ein weiteres Hindernis für einen raschen Fortschritt in der Krebspräventionsforschung dar. So werden in den USA lediglich 10% der Krebsforschungkosten für die Prävention ausgegeben, in Grossbritannien und im kontinentalen Europa sogar nur 5% oder gar weniger. Davon fliesst gerade ein Viertel in die Forschung zur Tumorchemoprävention.
Derzeitiges Fazit
ASS könnte sich in der Chemoprävention
einiger Krebsarten für Patienten be-
währen, die bereits aufgrund einer kar-
diovaskulären Indikation für eine prophy-
laktische Thrombozytenaggregations-
hemmung infrage kommen. Darüber
hinaus könnte ASS (und anderen NSAR)
ein Stellenwert in der Sekundärpräven-
tion gastrointestinaler Tumorerkrankun-
gen bei den Patienten zukommen, die
keine gastrointestinale Blutung erlitten.
Dagegen werden selektive COX-2-Inhi-
bitoren wohl keinen Platz in der Krebs-
chemoprävention einnehmen – mit Aus-
nahme der derzeit schon etablierten Ver-
wendung bei jungen Patienten mit FAP.
Zukünftige Studien müssen die Fragen
zu optimaler Dosis, Anwendungsdauer
und dem besten Alter bei Therapiebe-
ginn beantworten. Ergebnisse aus ran-
domisierten Studien sind zur Abschät-
zung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses
unabdingbar.
▲
Prof. Dr. med. Florian Otto (Korrespondenzadresse) Tumor- und Brustzentrum ZeTuP Rorschacherstrasse 150 9006 St. Gallen E-Mail: florian.otto@zetup.ch
und
Prof. Dr. med. Hans-Jörg Senn Tumor- und Brustzentrum ZeTuP Rorschacherstrasse 150 9006 St. Gallen
Quellen:
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