Transkript
Im Fokus: Urologische Tumoren
Das Harnblasenkarzinom
Neues zur Epidemiologie, Diagnostik,Therapie und Nachsorge
Für die Therapie und Prognose des Blasenkarzinoms ist die Unterscheidung in Low-gradeund High-grade-Karzinom entscheidend. Während Low-grade-Tumoren zwar lokal rezidivieren können, aber kaum je metastasieren, ist das High-grade-Karzinom potenziell invasiv und metastasiert. Es muss deshalb aggressiv und möglichst frühzeitig behandelt werden.
HANSJÖRG DANUSER, PHILIPP BAUMEISTER
Hansjörg Danuser Philipp Baumeister
Das Leitsymptom des Blasenkarzinoms ist die schmerzlose Makrohämaturie. Zentral in der Diagnostik ist die Zystoskopie und Zytologie, mit welchen der Tumor bewiesen wird, bevor man weitere diagnostische Bildgebung einsetzen kann. Echt neue Erkenntnisse sind noch nicht evaluiert und neue evaluierte Erkenntnisse sind nicht mehr brandneu. Unter diesem Aspekt versuchen wir, eine aktualisierte Übersicht zu geben.
Epidemiologie
Das Blasenkarzinom ist in der Schweiz mit 3,5% aller karzinombedingten Todesfälle beim Mann und 2,2% bei der Frau ein relativ seltenes Karzinom. Die Inzidenz beträgt zirka 15 Fälle pro 100 000 Einwohner pro Jahr. Männer sind dreimal häufiger betroffen als Frauen. Faktoren, die die Entstehung eines Blasenkarzinoms begünstigen, sind: ▲ Nikotinabusus (vierfach erhöhtes Risiko) ▲ aromatische Amine, welche in verschiedenen In-
dustrien vorkommen ▲ Zustand nach Bestrahlung im kleinen Becken (Ri-
siko zwei- bis vierfach erhöht) ▲ Zustand nach Chemotherapie mit Cyclophosph-
amid (Risiko neunfach erhöht). Ferner begünstigen die chronische Zystitis, beispielsweise beim Dauerkatheterträger, oder die Bilharziose die Entstehung eines Plattenepithelkarzinoms der Blase.
Histologie und Grading Über 90% der Blasentumoren sind Urothelkarzinome, und weniger als 10% sind Plattenepithelkarzinome oder, sehr selten, Adenokarzinome. Lokal unterscheidet man das Carcinoma in situ (CIS) und Ta- und T1- bis T4-Tumoren (Abbildung 1). Im Grading, dem Differenzierungsgrad oder «Aggressi-
vitätsindex», unterscheidet man heute Low- (früher G1, G2) und High-grade (früher G3). Von den Urotheltumoren sind 55% Low-grade-Tumoren und 45% High-grade-Karzinome. Etwa die Hälfte der Highgrade-Karzinome sind bei Diagnosestellung muskelinvasiv, das heisst, sie entsprechen einem Stadium ≥ T2. Die andern 50% setzen sich aus Ta-, T1-Tumoren und dem CIS zusammen. Therapeutisch und prognostisch unterscheiden sich Low-grade-Tumoren ganz erheblich von High-grade-Karzinomen. Letztere wachsen meist invasiv, erfordern eine aggressivere Behandlung und metastasieren, wenn sie nicht zeitgerecht behandelt werden.
Diagnostik
Klinische Symptome Das Leitsymptom des Blasentumors ist die schmerzlose Makrohämaturie (85%), welche immer abgeklärt werden soll. Weniger häufig präsentieren sich die Patienten mit einer Reizblasensymptomatik, die als «rezidivierende oder therapierefraktäre Zystitis» verkannt werden kann, sodass das Karzinom nicht selten verzögert diagnostiziert wird. Meist handelt es sich dann um ein invasives Karzinom und/oder um ein CIS. Auch eine Obstruktion des oberen Harntraktes durch Ostiuminfiltration kann das erste Symptom eines invasiven Blasenkarzinoms sein.
Endoskopie Im Zentrum der Blasentumordiagnostik steht nach wie vor die Zystoskopie. Mittels Sonografie, Computertomografie und MRI werden zwar Blasentumoren immer wieder vermutet; in jedem Fall muss die Verdachtsdiagnose aber zystoskopisch bestätigt werden. Ergänzend soll eine zytologische Untersuchung des Urins respektive der Blasenspülflüssigkeit erfolgen.
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Eine Verbesserung der Aussagekraft der konventionellen Zystoskopie ist durch die Fluoreszenz-Zystoskopie zu erwarten. Obwohl seit längerer Zeit entwickelt, hat sie keine flächendeckende Anwendung erreicht, nicht zuletzt, weil lange Zeit nur limitierte Daten verfügbar waren. Trotzdem muss festgehalten werden, dass zur Fluoreszenz-Zystoskopie in den letzten Jahren Studien (1) publiziert wurden, die folgende Aussagen erlauben: ▲ Durch Fluoreszenz-Zystoskopie kön-
nen mehr Blasentumoren entdeckt werden als durch konventionelle Weisslicht-Zystoskopie (Abbildung 2). Die durchschnittliche Sensitivität liegt bei 93% (82–97%) für die Fluoreszenzversus 73% (62–84%) für die Weisslicht-Zystoskopie. Dieser Vorteil ist insbesondere beim CIS noch offensichtlicher. ▲ Weiter wurden in 3 prospektiv randomisierten Studien durch «second look»-TUR (= transurethrale Resektion) nach Fluoreszenz- und Weisslicht-TUR signifikant weniger Tumoren in der Fluoreszenzgruppe entdeckt, nämlich 5 bis 33% (vs. 25–53%). ▲ Die Rezidivhäufigkeit innerhalb eines Follow-up von zwei Jahren war in 3 von 5 Studien mit 28 bis 64% Rezidiven nach Fluoreszenz-TUR (vs. 40– 88% nach Weisslicht-TUR) signifikant tiefer. In 2 von 5 Studien ergab sich keine signifikante Differenz. Im Weiteren konnte in zwei Langzeitstudien über 5 und 8 Jahre gezeigt werden, dass mehr Patienten ein längeres rezidivfreies Intervall nach Fluoreszenzals nach Weisslicht-TUR aufweisen (1).
Tumormarker im Urin Als Alternative zur Urinzytologie können heute auch Tumormarker im Urin bestimmt werden. Deren Sensitivität ist eher besser, die Spezifität eher schlechter als die der Zytologie. Leider sind diese Marker noch erheblich teurer als die Zytologie. NMP22 ist ein Tumormarker, welcher Blasentumoren aller Tumorstadien mit einer Sensitivität von 50% und einer Spezifität von 87 bis 92% erfassen kann (2, 3). Bei High-grade-Tumoren ist die Sensitivität höher, für das CIS liegt sie bei 70% und für Ta-High-grade- und T1-Tumoren sogar bei 90%. Der Test kann falschposi-
tiv sein bei entzündlichen urogenitalen Erkrankungen oder unter Chemotherapie (2). In einer grossen Multizenterstudie mit 668 Patienten, bei welcher im Follow-up 103 Rezidivtumoren erfasst wurden, konnten 91% durch Zystoskopie entdeckt werden. Von 9 zystoskopisch unentdeckten Rezidivtumoren wurden 8 Tumoren durch NMP22, aber lediglich 3 Tumoren durch die Urinzytologie diagnostiziert (3). Ein weiterer Urin-Tumormarker ist UroVysion®, ein Produkt, welches mit der Fluoreszenz-In-Situ-Hybridisierung-(FISH-)Technik nach chromosomalen Aberrationen in den Tumorzellen sucht. Die Sensitivität liegt bei 69 bis 87%, die Spezifität bei 89 bis 96% (4). Auch dieser Test hat eine höhere Sensitivität bei CIS und High-grade-Karzinomen als bei Lowgrade-Tumoren. In einer vergleichenden Studie mit dem Bladder-Tumor-AntigenTest (BTA stat) und der Urinzytologie wies UroVysion® mit 71% vs. 50% bzw. 21% eine bessere Sensitivität auf (5).
Histologische Diagnose und lokales Tumorstadium Ist der Blasentumor endoskopisch diagnostiziert, muss er durch transurethrale Resektion (TUR) entfernt werden, damit die histologische Diagnose und das lokale Tumorstadium (Abbildung 1) bestimmt werden können. Bei Low-gradeTumoren (i.d.R. Ta-Tumoren) entspricht diese «diagnostische Resektion» gleich der Behandlung. Bei eindeutig invasiven, tief infiltrierenden Karzinomen (i.d.R. ≥ T2-Tumoren), die ohnehin mit hoher Wahrscheinlichkeit durch eine Zystektomie behandelt werden müssen, ist nur so
Abbildung 1: Stadien des Blasentumors von CIS- bis T3-Tumoren. Wichtig ist, dass das CIS und T1- bis T4-Tumoren in der Regel high-grade (früher G3) sind und der Ta-Tumor meist lowgrade ist. Letzterer kann aber im Frühstadium eines potenziell invasiven Karzinoms auch highgrade sein.
viel Gewebe zu entnehmen, wie für das korrekte lokale Staging notwendig ist. Eine vollständige Resektion ist in dieser Situation unnötig und erhöht lediglich das Komplikationspotenzial.
Staging Wird ein Blasentumor neu diagnostiziert, sollen auch die oberen Harnwege abgeklärt werden. Nach wie vor ist dafür das i.v.-Urogramm sinnvoll, da es für die Detektion von intraluminalen Raumforderungen im Harnleiter besser zu sein scheint als die CT. Eine Alternative ist die Kontrast-CT mit anschliessendem Abdomen-Übersichts-Bild oder die Uro-CT. Bei invasiven Blasenkarzinomen, die nach der TUR durch Zystektomie weiter behandelt werden müssen, ist ein Staging mittels CT oder MRI des Abdomens, mittels Skelettszintigrafie und mindestens konventionellem Thorax-
Abbildung 2: Blasentumoren in der Weisslicht- und der Fluoreszenz-Zystoskopie
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Röntgenbild in zwei Ebenen notwendig. Der Stellenwert eines PET-Scans beim Staging von invasiven Blasenkarzinomen kann noch nicht abgeschätzt werden. Künftige Studien müssen erst zeigen, ob es im Staging sensitiver ist als das CT. Lokal muss die parakollikuläre Region in der prostatischen Harnröhre, also der Bereich, in dem das Blasen-ProstataPräparat abgesetzt wird, mittels Biopsien evaluiert werden. Findet sich dort ebenfalls ein Karzinom, muss die Harnröhre auch entfernt werden. Ein orthotoper Blasenersatz als Urinableitung ist dann nicht möglich.
Behandlung
Chirurgische Resektion Low-grade-Tumoren werden durch transurethrale Resektion behandelt. Bei Highgrade-Karzinomen entscheiden Invasionstiefe, Uni-/Multifokalität und gleichzeitiges Vorhandensein eines CIS über die weitere Therapie. Bei einem Stadium TaG3 oder einem unifokalen T1G3-Blasenkarzinom ohne zusätzliches CIS kann nach zwei bis vier Wochen nach Erstresektion nachreseziert und bei negativem Nachresektat als Rezidivprophylaxe ein BCG-Instillationszyklus angeschlossen werden. Zeigt das Nachresektat noch Karzinomgewebe, empfiehlt sich die Zystoprostatektomie. Liegt primär ein unifokales T1N0M0G3Karzinom mit zusätzlichem CIS vor oder ein multifokales T1N0M0G3-Karzinom oder ein Karzinomstadium T2N0M0G3 oder höher, ist ebenfalls eine Radikaloperation durch Zystoprostatektomie und pelvine Lymphadenektomie indiziert. Von diesem Schema kann oder muss je nach Alter und Operabilität abgewichen werden.
Stellenwert der pelvinen Lymphadenektomie Die pelvine Lymphadenektomie erlaubt ein präziseres Staging. Abhängig von der Anzahl entfernter Lymphknoten liegt die Rate nodalpositiver Patienten im Zystektomiekollektiv zwischen 13 und 28% (6–9). Ob sie einen therapeutischen Nutzen aufweist, ist wissenschaftlich nicht bewiesen, allerdings gibt es Hinweise, die eher für deren Durchführung sprechen:
Im Gesamtkollektiv liegt die Fünf-Jahres-Überlebens-Rate bei pN0-Karzinomen bei zirka 75% und bei pN+-Karzinomen (Mikrometastasen) nur noch bei 20 bis 30%. Somit ist die Prognose eines zystektomierten und lympadenektomierten, nodalpositiven Patienten nicht infaust; wir wissen derzeit nicht, ob dafür die Lymphadenektomie allein verantwortlich ist. Im Weiteren scheint die Anzahl entfernter Lymphknoten das Langzeitüberleben signifikant zu beeinflussen (6, 8). Eine pelvine Lymphadenektomie anlässlich der Zystektomie sollte heute empfohlen werden. Der Eingriff dauert etwas länger, die zusätzliche Morbidität ist aber vertretbar.
Abbildung 3: Ersatzblase nach Studer als Beispiel einer ilealen orthotopen Harnableitung. Die Ureteren sind an ein afferentes Darmsegment angeschlossen, welches den Urin in die eigentliche Ersatzblase führt. Diese ist direkt an die membranöse Harnröhre anastomosiert, welche den externen Schliessmuskel enthält.
«Nerve sparing technique» bei der Zystektomie Mit der Entwicklung der «nerve sparing»Technik bei der radikalen Prostatektomie zur Schonung der neurovaskulären Bündel, welche für die Erektionsfähigkeit verantwortlich sind und auch die Urinkontinenz beeinflussen, hat man die Technik auch auf die Zystektomie ausgedehnt. Voraussetzung für ein «nerve sparing» sind tumorchirurgische Aspekte, das heisst: Auf der Seite der beabsichtigten Nervenschonung muss die Blase karzinomfrei sein, und eine beidseitige Nervenschonung ist nur erlaubt bei Karzinomen am Blasendom oder an der Blasenvorderwand (10, 11). Ein- oder beidseitige Nervenschonung beschleunigt und verbessert bei orthotopem Blasenersatz die Urinkontinenz während des Tages. Auch die erektile Funktion konnte bei beidseitiger und in geringerem Ausmass auch bei einseitiger Nervenschonung im Vergleich zur Technik nicht beabsichtigter Nervenschonung signifikant besser erhalten werden, und zwar unabhängig vom Alter. Dieser Faktor beeinflusst die Urinkontinenz und Sexualfunktion per se stark (10, 11).
Harnableitungen Die früher gängigen Harnableitungen, das Ileum- oder Colon-Conduit, sind in den letzten 20 Jahren durch den orthotopen Blasenersatz (bei Erhalt der Harnröhre) und die kontinenten Reservoirs (wenn die Harnröhre mit entfernt werden muss) als Form der Urinableitung ergänzt worden (12). Eine restriktive Patientenselektion ist eines der Hauptkriterien für gute Resultate dieser modernen Harnableitungstechniken. Für eine orthotope, ileale Ersatzblase nach Studer (Abbildung 3) gelten zum einen die objektiven Selektionskriterien wie tumorfreie membranöse Harnröhre, ausreichende Nieren- und Leberfunktion sowie ausreichende Darmreserve. Zum anderen ist wichtig, dass der Patient mental und körperlich fit sowie bereit ist, täglich 2 bis 2,5 l Flüssigkeit zuzuführen und das postoperative Programm zum Aufbau einer guten Blasenkapazität und Kontinenz auf sich zu nehmen (11). Ähnliche Kriterien gelten für das kontinente, kathetrisierbare Reservoir. Zudem muss der Patient bereit sein, alle vier
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Stunden sein Reservoir zu kathetrisieren. Da nicht alle Patienten die Selektionskriterien für einen orthotopen Blasenersatz oder ein kathetrisierbares Reservoir erfüllen, bleiben Ileum- oder Colon-Conduits nach wie vor im Armamentarium des Urologen. Nach 20 Jahren Erfahrung mit der Ersatzblasenchirurgie sind die Gefahren und Problembereiche bekannt (11, 12). Subjektiv zeigen Patienten mit Conduits und solche mit Blasenersatz vergleichbare Zufriedenheit. Hingegen zeigen sich Vorteile der orthotopen Ersatzblase und des kontinenten Reservoirs gegenüber dem Ileum conduit in Bezug auf Bakterienbesiedelung des oberen Harntrakts. Diese liegt beim orthotopen Blasenersatz nach Studer bei etwa 5%, während das Ileum conduit obligat bakterienbesiedelt ist (11, 13). Infektiöse Komplikationen bei der Ersatzblase sind sehr selten. Der obere Harntrakt ist besser geschützt als das Ileum conduit, die Langzeitresultate diesbezüglich sind sehr gut (14). Der Patient muss lernen, seine Ersatzblase möglichst restharnfrei zu entleeren. Dabei muss er mittels Bauchpresse miktionieren, da die Ersatzblasenmuskulatur nicht zu einer koordinierten Kontraktion fähig ist und er zudem auch keinen Harndrang mehr wahrnimmt. Er löst den Urin nicht mehr nach dem Harndrang, sondern «nach der Uhr», das heisst alle vier Stunden. Bei gesteigerter Flüssigkeitszufuhr (bei mindestens 2 bis 2,5 l) muss der Patient daher nachts einmal zur Blasenentleerung aufstehen. Auch Blasenkapazität und Kontinenz muss der Patient sich erarbeiten. Bei entsprechendem Schliessmuskeltraining und langsamem Aufbau der Ersatzblasenkapazität erreichen 95% der Patienten drei Monate postoperativ vollständige Kontinenz. Nachts ist das Erreichen der Kontinenz schwieriger, da der Tonus am Urethralsphinkter im Schlaf absinkt. Es dauert zirka zwei Jahre, bis rund 80% der Patienten kontinent sind. Die bei ilealer Ersatzblase mögliche metabolische, hyperchlorämische Azidose kann bei entsprechender Kontrolle frühzeitig mit peroralem Natriumbikarbonat und adäquater Flüssigkeitszufuhr abgefangen werden; im Langzeitverlauf ist sie kaum je ein Problem.
Laparoskopische und roboterassistierte Zystektomie und Harnableitung Im Rahmen der sich rasch ausbreitenden konventionell laparoskopischen und roboterassistierten laparoskopischen Techniken haben diese auch vor der Zystektomie nicht haltgemacht. Basierend auf momentanen Daten (15), kann Folgendes gesagt werden: Rein laparoskopische, laparoskopisch unterstützte wie auch roboterassistierte Zystektomien und Harnableitungen sind machbar, wenn auch einzelnen spezialisierten Zentren vorbehalten. Am häufigsten wird die laparoskopisch unterstützte Technik angewandt, bei welcher die Zystektomie intrakorporell durchgeführt und die Urinableitung extrakorporell konstruiert und danach intrakorporell mit der Harnröhre anastomosiert wird. In Analysen von konsekutiven Serien von rein laparoskopischer und laparoskopisch unterstützter Technik sind zugunsten der laparoskopisch unterstützten Zystektomie signifikant kürzere Operationszeiten, geringerer Blutverlust und eine verringerte Transfusionsrate, frühere Restitution der Darmtätigkeit und weniger Komplikationen festzustellen. Im Vergleich zur offenen Operation weist die laparoskopisch unterstützte Zystektomie eine signifikant längere Operationszeit, geringeren Blutverlust und verringerte Transfusionsrate sowie eine frühere Restitution der Darmtätigkeit auf. Angesichts des Komplikationspotenzials bei solchen grossen und lange dauernden Eingriffen sollte der Zuverlässigkeit und Sicherheit der offenen Chirurgie die weit höhere Bedeutung zuteilwerden als der minimalen Invasivität (und dem Ehrgeiz des Urologen, hoch spezialisierte Zentren imitieren zu wollen). Die Technik, sofern sie sich durchsetzen wird, soll sich allmählich etablieren. Die erreichte Qualität der offenen Chirurgie sollte nicht der minimalen Invasivität geopfert werden, wie es bei der Einführung der laparoskopischen radikalen Prostatektomie passiert ist.
Chemotherapie In den Neunzigerjahren fand in der Chemotherapie des Blasenkarzinoms noch das MVAC-Schema (Methotrexat, Vinblastin, Adriamycin = Doxorubicin, Cis-
platin) Anwendung. In den letzten zehn Jahren wurde es durch Gemcitabin/ Platinol ersetzt, das in der Wirksamkeit mit MVAC vergleichbar ist, aber im Nebenwirkungsprofil deutlich besser abschneidet (16). Beim metastasierten oder lokal fortgeschrittenen Blasenkarzinom hat die Chemotherapie grundsätzlich palliativen Charakter. Sie kann aber auch als neoadjuvantes Behandlungskonzept zusammen mit der Zystektomie eingesetzt werden. In einer Metaanalyse prospektiv randomisierter Studien hat sie einen bescheidenen Gesamtüberlebensvorteil bei 6,5% der Patienten ergeben (17). Bei der adjuvanten Chemotherapie nach Radikaloperation ist die Datenlage offen. Eine Metaanalyse hat einen bescheidenen, aber nicht überzeugenden Vorteil bezüglich der Faktoren Überleben und rezidivfreies Überleben zugunsten der adjuvanten Chemotherapie ergeben (18), womit studientechnisch nicht bewiesen ist, dass dieser Vorteil real ist.
Rezidivprophylaxe und Nachsorge
Instillationstherapien Seit Jahrzehnten werden Instillationstherapien zur Rezidivprophylaxe von Blasentumoren verwendet. Obwohl trotz zahlreicher Studien diverse Fragen wie optimale Dosis oder Behandlungsdauer unklar sind, kann Folgendes aus der momentanen Datenlage abgeleitet werden: Nach TUR von Low-risk-Tumoren soll ein Chemotherapeutikum und nicht BCG instilliert werden. Eine Chemotherapieinstillation (z.B. Mithomycin) wird innerhalb von sechs Stunden nach TUR der Blase empfohlen, da sie die Rezidivrate signifikant – bei unifokalen Blasentumoren um zirka 12% und bei multifokalen Blasentumoren um zirka 20% – senkt (19). Instillationszyklen bringen im Vergleich zur einmaligen Instillation postoperativ bei Low-risk-Tumoren keinen Vorteil (20). Bei High-risk-Tumoren (Ta, T1 High grade oder CIS) ist die Instillation mit BCG der Chemotherapieinstillation überlegen, allerdings ist sie mit mehr Nebenwirkungen behaftet. In der Regel wird ein sechswöchiger Instillationszyklus durchgeführt. Inwieweit eine Erhaltungstherapie tatsächlich signifikant bessere Resultate ergibt, kann heute nicht
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abschliessend beurteilt werden (20). Tritt nach BCG-Instillationstherapie ein Rezidiv auf, soll die Zystektomie durchgeführt werden (21).
Nachsorge Regelmässige Nachkontrollen bei initial blasenerhaltender Therapie sind notwendig, um Rezidive frühzeitig erfassen und behandeln zu können. Das Intervall der Nachsorge richtet sich nach dem Grading des behandelten Tumors. Bei Low-grade-Tumoren ist eine 6-monatliche Kontrolle mit Zystoskopie und Spülzytologie während 2 Jahren notwendig, anschliessend in jährlichen Abständen bis 5 Jahre nach der letzten Resektion. Eine radiologische Kontrolle des oberen Harntrakts ist nur bei der Erstbehandlung und beim Auftreten von Rezidiven sinnvoll. High-grade-Karzinome sollen im ersten Jahr mittels Zystoskopie und Zytologie 3-monatlich, im zweiten Jahr halbjährlich und später 1-mal jährlich bis mindestens 5 Jahre nach der letzten Resektion nachkontrolliert werden. Nach Zystektomie sind die Nachsorgeempfehlungen uneinheitlich. Kommt es zum Krankheitsprogress, tritt dieser mehrheitlich binnen 2 Jahren auf. Man
Merksätze
▲ Das Blasenkarzinom kann sich wenig aggressiv und lediglich lokal störend (Lowgrade-Tumoren) oder sehr aggressiv und metastasierend (High-grade-Karzinome) präsentieren.
▲ Klinisch zeigt es sich meist mit schmerzloser Makrohämaturie, was sofort zystoskopisch abgeklärt werden muss. Cave: therapierefraktärer «Harnwegsinfekt»!
▲ Potenziell kurativ ist die Chirurgie. Chemotherapie/Radiotherapie haben palliativen Charakter.
befindet sich dann in einer palliativen
Situation; eine Therapie (Radio- oder
Chemotherapie oder beides) sollte spä-
testens beim Auftreten von Symptomen
erfolgen. Eine Nachkontrolle mit Thorax-
röntgen und Abdomen/Becken-CT ist
frühestens nach 6 Monaten sinnvoll oder
aber bei klinischem Verdacht auf Pro-
gress.
▲
Prof. Dr. med. Hansjörg Danuser (Korrespondenzadresse) Chefarzt Urologische Klinik Kantonsspital 6000 Luzern 16 E-Mail: hansjoerg.danuser@ksl.ch
Dr. med. Philipp Baumeister Urologische Klinik Kantonsspital 6000 Luzern 16
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