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Neue Therapien / SONDERBERICHT
45. Jahrestreffen der American Society of Clinical Oncology (ASCO), Orlando/Florida, 29. Mai bis 2. Juni 2009
Anti-EGFR-Therapie/mCRC/NSCLC/SCCHN
Biomarker für den Therapieentscheid
Das Thema «Personalizing cancer care» des diesjährigen ASCO-Jahresmeetings kennzeichnet in exemplarischer Weise die aktuelle Therapie beim metastasierten Kolorektalkarzinom (mCRC): Die neuesten Studienresultate bestätigen eindrücklich, dass bei Darmkrebs das KRAS-Wildtyp-Gen als prädiktiver Biomarker Voraussetzung für ein Ansprechen auf eine Anti-EGFR-Therapie mit Cetuximab ist. Neue Studien evaluieren weitere potenziell prädiktive Faktoren für diesen Therapieansatz. Im Gegensatz dazu stehen bei fortgeschrittenen Lungen- und Kopf-Hals-Tumoren nach derzeitigem Wissensstand klinische Biomarker im Vordergrund.
Seit Vorliegen der KRAS-Analyseresultate der CRYSTAL- und OPUS-Studien beim mCRC ist bekannt, dass der molekularbiologische Nachweis des KRAS-
Wildtyp-Gens in Darmtumoren für die Therapie mit Cetuximab (Erbitux®) prädestiniert: Die Kombination von Cetuximab mit Standardchemotherapien (FOL-
FIRI oder FOLFOX) in der Erstlinientherapie* hat bei diesen Tumorcharakteristika klinisch relevante Überlebensvorteile, darunter ein signifikant verlängertes PFS, gegenüber der alleinigen Chemotherapie gezeigt. Dies traf nicht bei mCRCPatienten mit KRAS-mutiertem Gen zu. Diese Resultate wurden erstmals beim ASCO- und ESMO-Jahresmeeting 2008 vorgestellt. Die ASCO bewertete den KRAS-Status als prädiktiven Biomarker und bezeichnete ihn als einen der «top research advances 2008». Der Nachweis solcher Bio-
* Cetuximab ist in der Schweiz für diese Indikationen nicht zugelassen.
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marker hilft, die «richtige Therapie für den richtigen Patienten zur richtigen Zeit zu finden» (ASCO-Präsident David Schilsky in der Eröffnungspressekonferenz). Die Möglichkeit, vorherzusagen, welche Patienten von einer zielgerichteten Therapie profitieren, ist ein wichtiger Schritt Richtung personalisierte Therapie. Zudem erspart es den nicht für diese Therapie geeigneten Patienten unnötige Nebenwirkungen und optimiert den Einsatz von Ressourcen im Gesundheitswesen. Während des ASCO 2009-Jahresmeetings wurden neue Analysen vorgestellt und die Rolle weiterer, potenziell prädiktiver Biomarker bei verschiedenen Indikationen diskutiert.
Metastasierter Darmkrebs: KRAS-Bestimmung vor der Therapie
Die in diesem Jahr präsentierten Studienanalysen bestätigen den KRAS-Status als prädiktiven Biomarker in der Therapie des mCRC: Demnach profitieren Patienten mit KRAS-Wildtyp – etwa 65% der mCRC-Patienten – deutlich von der Kombination Cetuximab plus Standardchemotherapie (FOLFIRI oder FOLFOX).
Update CRYSTAL Claus-Henning Köhne, Oldenburg/ Deutschland, stellte die aktualisierte und erweiterte Analyse der Überlebensdaten der Patienten in der randomisierten Zulassungsstudie CRYSTAL vor (1). Die Patienten hatten in der Erstlinientherapie entweder die Chemotherapie FOLFIRI oder die Kombination FOLFIRI plus Cetuximab erhalten. Der KRAS-Status wurde retrospektiv in beiden Kollektiven bestimmt. In der Gruppe mit KRAS-Wildtyp-Karzinomen zeigte sich, dass die Zugabe von Cetuximab zu FOLFIRI in der Erstlinientherapie ▲ die Ansprechrate fast verdoppelt hat
(Odds Ratio: 1,91; 95% CI, 1,24–2,93; p = 0,003), ▲ das Progressionsrisiko um 32% gesenkt hat (medianes PFS 9,9 Monate unter FOLFIRI/ Cetuximab vs. 8,7 unter FOLFIRI alleine) und ▲ zu einem medianen Gesamtüberleben von 24,9 Monaten geführt hat (vs. 21,0 Mo. unter FOLFIRI alleine).
Ösophaguskarzinom*: SAKK-Studie mit Cetuximab
Cetuximab (Cet.) erhöht evidenzbasiert die Effektivität von Radio- und Chemotherapie bei Kopf-HalsTumoren. Eine prospektive multizentrische Phase-Ib/II-Studie der Schweizer Arbeitsgruppe für Klinische Krebsforschnung (SAKK) bei 28 Patienten mit resektablem, lokal fortgeschrittenem Speiseröhrenkrebs brachte vielversprechende Resultate: ▲ Methode:
Die Studie prüfte Sicherheit und Wirksamkeit (1./2. Endpunkt) der Zugabe von Cet. zur neoadjuvanten Radiochemotherapie mit dem Ziel, eine hohe Resektionsrate zu erreichen. – Patienten-/Tumorcharakterisika: histologisch bestätigte Plattenepithel- und Adenokarzinome
des Ösophagus bzw. des gastroösophagealen Übergangs; T3 u./o. N1 sowie T4 (wenn resektabel); PS > 2, normale Organfunktionen, Alter: 18–70 J. – Therapie: 2 Zyklen Induktionschemotherapie (Docetaxel/Cisplatin/Cet.), gefolgt von ChemoImmun-Radiotherapie (CIRT), Chirurgie 4 bis 8 Wochen später. ▲ Resultate: – Bei 25 von 28 Patienten konnte eine Resektion erfolgen (R0-Resektion bei allen 25 Patienten). – 68% Responder (komplette und fast komplette Regression in ITT-Analyse). – 89% beendeten die gesamte Therapie. ▲ Folgerungen: Durch die akzeptable Verträglichkeit und die sehr ermutigende antineoplastische Aktivität wird in der Folge eine SAKK-Phase-III-Studie initiiert, welche die multimodale Therapie mit/ohne Cet. bei lokal fortgeschrittenem Ösophaguskarzinom prüft.
Quelle: Ruhstaller, Th. et al.: Cetuximab in combination with chemoradiotherapy prior to surgery in patients with resectable, locally advanced esophageal carcinoma. Abstact ASCO 2009. No. 4570. Korrespondenz: E-Mail: thomas.ruhstaller@kssg.ch
Ein weiterer, potenzieller Biomarker, BRAF, der ebenfalls in die aktuelle Analyse einbezogen wurde, scheint dagegen keinen prädiktiven Wert für den Einsatz von Cetuximab zu haben, sondern scheint ein prognostischer Marker zu sein. Aufgrund der niedrigen Inzidenz der BRAF-Mutation in dieser Studienpopulation (nur 5,3%) und der fehlenden prädiktiven Aussagekraft wird die routinemässige Testung bei mCRC nicht empfohlen.
Update CECOG/CORE1.2.001 Ivan Koza, Bratislawa/Slowakien, bestätigte die Relevanz des KRAS-Status durch eine Analyse der Überlebensraten in der CECOG/CORE1.2.001-Studie (2). Die Phase-II-Studie prüfte die Cetuximab-Therapie in Kombination mit FOLFOX-6 oder mit FOLFIRI bei Patienten mit nicht-resektablem mCRC und verglich die Resultate unter Berücksichtigung des KRAS-Status: Nach einem medianen Follow-up von 29 Monaten wurde bei Patienten mit KRASWildtyp-Tumoren ein signifikant höheres durchschnittliches Gesamtüberleben un-
ter der Kombination mit Cetuximab beobachtet als bei Patienten mit mutiertem KRAS-Gen (20,8 vs. 15,9 Monate; HR = 1,62, p = 0,0296). Zusätzlich zum KRASStatus erwies sich das frühe Auftreten von Hautreaktionen (Grad 2 und 3) in den ersten 6 Therapiewochen als unabhängiger, günstiger Indikator für längeres Überleben
Update CELIM-Studie Das Ermöglichen einer sekundären Resektion von primär nicht resektablen Lebermetastasen stellt einen möglichen kurativen Ansatz bei mCRC-Patienten dar. Bechstein W.O, Frankfurt/Deutschland evaluierte den Effekt von neoadjuvanter Therapie mit Cetuximab plus FOLFOX respektive FOLFIRI in einem Update der CELIM-Studie (3). Im Rahmen eines verblindeten Reviews beurteilten mehrere Chirurgen die potenzielle Resektabilität anhand von CT- und MRIScans (Vergleich der Aufnahmen vor und nach neoadjuvanter Therapie). Insgesamt wurde nach neoadjuvanter Therapie eine annähernde Verdoppelung der Beurteilung der Metastaseneinstufung
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als «resektabel» erzielt. Die bestätigt hohen Ansprechraten von 70% bei KRASWildtyp-Tumoren führten bei 34% der Patienten zu einer R0-Resektion; eine R0oder R1-Resektion war bei 46% der Patienten möglich. Die Resektionsrate konnte insgesamt von 32% auf 60% gesteigert werden.
Lebensqualität in CRYSTAL Die Lebensqualität in der CRYSTAL-Studie wurde mittels eines in der Onkologie erprobten Fragebogens (EORTC QLQ-C30, Version 3.0) erfasst und von G. Folprecht, Dresden/Deutschland, und Kollegen analysiert (4): Sie stellten keinen Unterschied der Beurteilungen zwischen beiden Behandlungsarmen fest. Entgegen den Erwartungen bedeuteten die unter Cetuximab auftretenden Hautreaktionen für die Patienten keine Beeinträchtigung der Lebensqualität.
Lungenkrebs: frühe Hautreaktion als klinischer Biomarker
Ken J. O’Byrne, Dublin/Irland (5) und Robert Pirker, Wien/Österreich (6) präsentierten neue Analyseresultate der FLEX-Studie, die als Erstlinientherapie* Cetuximab in Kombination mit Platin-basierter Standardchemotherapie (Cisplatin/Vinorelbine) bei fortgeschrittenem, nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) geprüft hat. Die pivotale Phase-III-Studie mit 1125 Patienten zeigte ein signifikant verlängertes Gesamtüberleben unter der CetuximabKombination von 11,3 Monaten (vs. 10,1 Monaten unter Chemotherapie allein; p = 0,044), unabhängig von der Histologie.
O’Byrne erläuterte, dass die Wirksamkeit von Cetuximab in der Erstlinientherapie des NSCLC unabhängig von Biomarkern wie KRAS-Status oder der Anzahl der EGFR-Genkopien ist. Stattdessen erwies sich das frühe Auftreten von Hautausschlag bereits im 1. Therapiezyklus der Cetuximab-Kombination als Indikator für längeres Überleben: ▲ Patienten mit «early acne-like rash»
(56%) lebten median 15 Monate ( HR 0,63; p < 0,001) ▲ Patienten ohne «Rash» lebten median 8,8 Monate (95%CI 7,6–11,1 Mo.) (5). Pirker fand in seiner neuen Analyse bestätigt, dass die Faktoren weibliches Geschlecht, Asiaten, Nichtraucher, ein guter Performancestatus sowie Adenokarzinome mit verbesserter Prognose assoziiert sind. Das Lebensalter (≤ 65 oder ≥ 65 Jahre) ist dagegen kein relevanter prognostischer Faktor (6). Pirker prognostiziert, dass sich für Cetuximab künftig neue Therapieoptionen auch in früheren NSCLC-Stadien eröffnen.
Kopf-Hals-Tumoren
Lisa Licitra (7), Mailand/Italien, stellte eine retrospektive Analyse der EXTREMEStudie vor, bei der das prädiktive Potenzial verschiedener Faktoren als Biomarker geprüft wurde. Die Studienresultate der EXTREME-Studie bei Patienten mit rezidivierten und/oder metastasierten Plattenepithelkarzinom im Kopf-Hals-Bereich* bedeuteten einen Meilenstein in der Therapie der sehr schwer behandelbaren Kopf-Hals-Tumoren. Unter der Zugabe von Cetuximab zur Platin-basierten Standardchemotherapie konnte zum ersten Mal seit 30 Jahren ein Überlebensvorteil erzielt werden (PFS 5,6 vs. 3,3 Mo.; OS 10,1 vs. 7,4 Mo.; Ansprechrate 36% vs. 20%).
Die mittels FISH-Analyse nachgewiesene
Anzahl der EGFR-Genkopien wurde bei
71% der ITT-Population ermittelt und de-
ren Einfluss auf das klinische Resultat
evaluiert: Dabei wurde kein Zusammen-
hang zum OS, PFS oder der Ansprechra-
te gefunden. Somit scheint dieser Para-
meter keinen prädiktiven Aussagewert
für die Wirksamkeit von Cetuximab beim
SCCHN zu haben.
Die Entdeckung und der Einsatz von Bio-
markern in der zielgerichteten Therapie
stellt eine spannende Entwicklung dar
und wird künftig zu einer individualisier-
ten Therapie führen und den Nutzen für
die Patienten optimieren.
▲
Bärbel Hirrle
Interessenkonflikt: Der Bericht wurde von Merck (Schweiz) AG unterstützt.
Quellen/Referenzen:
1. Koehne C. et al.: ASCO Congress 2009; J Clin Oncol 2009; 27:15s, abstr. 4068.
2. Koza I. et al.: ASCO Congress 2009; J Clin Oncol 2009; 27:15s, abstr. 4055.
3. Bechstein W.O. et al.: ASCO Congress 2009; J Clin Oncol 2009; 27:15s, abstr. 4091.
4. Folprecht I. et al.: ASCO Congress 2009; J Clin Oncol 2009; 27:15s, abstr. 4076.
5. 4. O’Byrne K. et al.: ASCO Congress 2009; J Clin Oncol 2009; 27:15s, abstr. 8007.
6. Pirker R. et al.: ASCO Congress 2009; J Clin Oncol 2009; 27:15s, abstr 8083.
7. Licitra L. et al.: ASCO Congress 2009; J Clin Oncol 2009; abstr. 6005.
8. Yang D. et al.: ASCO Congress 2009; J Clin Oncol 2009; abstr. 4022.
9. Jonker D. et al.: ASCO Congress 2009; J Clin Oncol 2009; abstr. 4016.
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