Transkript
Kongressbericht
45. Jahrestreffen der American Society of Clinical Oncology (ASCO), Orlando/FL, 29. Mai bis 2. Juni 2009
Fortgeschrittener Lungenkrebs/NSCLC
ASCO 2009: Highlights in NSCLC-Studien
Das Motto «Personalizing cancer care» des ASCO-Jahresmeetings 2009 betont die gegenwärtige und künftige Bedeutung zielgerichteter Therapien in der Onkologie.
▲ Medianes progressionsfreies Überleben (PFS):
– 4,3 Monate im Pemetrexed-Arm (vs.
Eine Reihe bemerkenswerter Phase-III-Studien bei Lungenkrebspatienten wurde bei
2,6 Mo.); p = 0,0001
einer ASCO-Medienkonferenz herausgestellt. Aufsehenerregend waren zudem neue Analyseresultate der Studie Women’s Health Initiative (WHI).
– 4,37 Monate bei Nicht-Plattenepithelkarzinomen (vs. 1,84 Mo.)
– 4,6 Monate bei Adenokarzinomen
(vs. 2,66 Mo.).
Patienten mit Plattenepithelkarzinomen
schienen nicht von der Pemetrexed-
«Lungenkrebs stellt eine der grössten sem Jahr wurde die signifikante Verbes- Gabe zu profieren, was mit anderen Stu-
Herausforderungen in der onkologischen serung des OS dokumentiert.
dienergebnissen übereinstimmt. Vermu-
Therapie dar. Heute vorgestellte Studien In der randomisierten, doppelblinden tet wird, dass der unterschiedliche Wirk-
zeigen vielversprechende Resultate für Studie erhielten 441 Patienten Peme- mechanismus mit der Exprimierung von
neue zielgerichtete Therapien, mildere trexed und 222 Patienten Plazebo, je- Biomarkern (wie Thymidylatsynthase)
Regime bei verbesserten Überlebensra- weils begleitet von der «best supportive zusammenhängt, welche mit der Sensi-
ten, die gegenwärtige Standardtherapi- care». Alle Patienten hatten Tumoren im tivität auf Pemetrexed korrelieren. Die
en verändern werden», erklärte einlei- Stadium IIIB oder IV-NSCLC (Platten- Nebenwirkungen waren insgesamt nied-
tend Bruce E. Johnson, MD, Direktor am epithelkarzinome oder andere Subty- rig, aber häufiger in der Studiengruppe
Dana-Farber Harvard Medical Center pen), welche nach platinbasierter Che- (v.a Fatigue: 5% vs. 0,5%) ohne Zunahme
Lung Cancer Program, während der motherapie nicht fortgeschritten waren. bei längerer Anwendung.
Medienkonferenz am 30. Mai.
Erhaltungstherapie mit Pemetrexed verlängert
Die wichtigsten Resultate dieser Studie im Überblick: ▲ Gesamtüberleben (OS): – 13,4 Monate im Pemetrexed-Arm
Erlotinib plus Bevacizumab als Erhaltungstherapie verzögert die Progression
das Überleben
(vs. 10,6 Mo. unter Plazebo); p = 0,012 Ähnlich positive Resultate in der Er-
Chandra P. Belani, Hershey/Pennsylva- – 15,5 Monate bei Nicht-Plattenepithel- haltungstherapie bei fortgeschrittenem
nia, stellte die signifikanten Ergebnisse
karzinomen (= 482 Pat.) (vs. 10,3 Mo.) NSCLC brachten die ATLAS- und die
seiner Studie heraus, die ergab, dass die – 16,8 Monate bei Adenokarzinomen SATURN-Studie (2, 3), die Vincent A. Mil-
Erhaltungstherapie mit Pemetrexed
(vs. 11,5 Mo.).
ler, New York, und Federico Cappuzzo,
(Alimta®) nach der Standardtherapie das
Gesamtüberleben (OS) um mehr als fünf
Monate erhöht, sofern es sich nicht um
Plattenepithelkarzinome fortgeschritte-
ner NSCLC handelt. Die internationale
Phase-III-Studie (1) zeigte, dass Wirk-
samkeit, Verträglichkeit und die leichte
Anwendung der Pemetrexed-Behand-
lung eine starke Rationale darstellten,
um die Standardtherapie für solche Pati-
enten zu ändern, deren Tumor nach vier
Zyklen platinbasierter Chemotherapie
nicht fortge-schritten ist. Wegen der ge-
ringen Toxizität könne die Substanz fort-
laufend über eine längere Zeit gegeben
werden und damit das Leben der Pati-
enten verlängern. Schon bei der Präsen-
tation vorläufiger Ergebnisse im letzten
Jahr (ASCO-Jahresmeeting 2008) konnte gezeigt werden, dass Pemetrexed die Krankheitsprogression verzögert: In die-
Orlando/Florida, Convention Center: Hier tagte das 45. Jahrestreffen der American Society of Clinical Oncology (ASCO) mit rund 30 000 Krebsspezialisten aus über 100 Ländern – dieses Jahr unter dem Motto «personalizing cancer care».
34 ONKOLOGIE 3/2009
Kongressbericht
45. Jahrestreffen der American Society of Clinical Oncology (ASCO), Orlando/FL, 29. Mai bis 2. Juni 2009
Rozzano/Italien, vorstellten: In beiden Studien stand die Effektivität von Erlotinib (Tarceva®) im Vordergrund. ATLAS-Studie: Die Zugabe von Erlotinib zu Bevacizumab (Avastin®) nach initialer Chemotherapie plus Bevacizumab verzögerte die Krankheitsprogression noch stärker als unter dem Angiogenesehemmer allein. Die Studie wurde sogar vorzeitig beendet wegen der signifikant überlegenen Wirksamkeit in der Erlotinib-/Bevacizumab-Gruppe. Die randomisierte, doppelblinde Phase-IIIStudie schloss 768 Patienten ein, die randomisiert entweder eine Erhaltungstherapie mit Bevacizumab plus Erlotinib oder mit Bevacizumab plus Plazebo erhielten. Alle ATLAS-Patienten hatten bereits vier Zyklen Chemotherapie plus Bevacizumab als Erstlinientherapie erhalten und hatten keine Krankheitsprogression erlebt. Die wichtigsten Resultate bei vorzeitigem Studienende: ▲ medianes PFS: 4,8 Monate unter
B./E. (vs 3,7. Mo. unter B./Plazebo); HR = 0,722 (95%-KI: 0,592–0,881; p = 0,0012), signifikante Verlängerung ▲ Sicherheit: entsprechend den bekannten Profilen. SATURN-Studie: Die Bedeutung von Erlotinib in der Erhaltungstherapie bei fortgeschrittenem NSCLC wurde in der zweiten randomisierten, doppelblinden, prospektiven Phase-III-Studie, und zwar mit 880 Patienten aus 160 Zentren, untermauert: Erlotinib bewirkte eine Verlängerung des krankheitsfreien Überlebens um 41% verglichen mit Plazebo, und zwar bei allen histologischen Subtypen (HR = 0,71, p < 0,0001). Die Responserate betrug 12% (vs. 5% unter Plazebo); die OS-Daten sind noch nicht erhältlich. Studienleiter Federico Cappuzzo kommentierte: «ATLAS and SATURN bringen gute Nachrichten, da die Ausweitung der krankheitsfreien Zeit ohne die Notwendigkeit einer Chemotherapie ein Schlüsselziel in der Lungenkrebstherapie darstellt. Der klinische Nutzen von Erlotinib war bei der Mehrheit der Patienten zu beobachten, und sogar unabhängig von histologischem Subtyp und dem Raucherstatus.» Laut Vincent Miller besteht wachsendes Interesse der Onkologen an der Erhaltungstherapie bei fortgeschrittenem NSCLC. Künftige Arbeiten müssten, basierend auf
der Identifikation genetischer Biomarker, herausfinden, welche Patienten von welchem Regime am meisten profitierten.
Vandetanib plus Docetaxel verbessert PFS
Die Ergebnisse der ZODIAC-Studie (4), welche die neuartige Therapie mit Vandetanib (in den USA als Zactima® bereits zugelassen) evaluierte, stellte Studienleiter Roy Herbst, Houston/Texas, vor. Bei der neuen Substanz handelt es sich um einen einmal täglich oral einzunehmenden Wirkstoff, der gleichzeitig zwei bei NSCLC überexprimierte Rezeptoren, den EGFR und den VEGFR, und darüber hinaus RET-Signale (= «rearranged during transfection») hemmt. Eine frühere Phase-II-Studie hatte bereits unter der Kombination Vandetanib und Docetaxel eine Verlängerung des PFS gezeigt. Die aktuell vorgestellte Phase-III-Studie mit medianem Follw-up von 12,8 Monaten ergab erneut eine signifikante Verbesserung des PFS bei den vorbehandelten Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC. 1391 vorbehandelte Patienten erhielten randomisiert entweder Docetaxel (Taxotere®) kombiniert mit Vandetanib (maximal 6 Zyklen) oder Docetaxel und Plazebo. Die wichtigsten Resultate in der Studiengruppe: ▲ signifikant verlängertes PFS: 4 Mona-
te (vs. 3,2 Mo.) bei Adeno- sowie Plattenepithelkarzinomen; HR = 0,79 (97%-KI: 0,70–0,90; p < 0, 001) ▲ Gesamtresponse: 17% (vs. 10%) ▲ Zeit bis zur Symptomverschlechterung: verzögert unter Kombination ▲ OS: kein signifikanter Unterschied in beiden Gruppen. Künftige Studien haben zu klären, welche Patientengruppen bei fortgeschrittenem NSCLC mit grosser Wahrscheinlichkeit am stärksten von der Standardchemo-
therapie in Kombination mit dem neuen Wirkstoff profitieren.
Frauen mit Lungenkrebs: HRT erhöht das Mortalitätsrisiko
Für die alltägliche Praxis sehr beachtenswert sind aktuelle Daten einer sekundären Analyse der Women’s Health Initiative (WHI), welche Studienleiter Rowen T. Chlebowski, Los Angeles, vorstellte: Demnach bewirkt die postmenopausale kombinierte Hormontherapie (HRT) eine Erhöhung des Mortalitätsrisikos bei Frauen, welche an Lungenkrebs erkrankt sind (5). Frühere Untersuchungen haben bereits gezeigt, dass Hormone bei NSCLC eine Rolle spielen, da Frauen tendenziell höhere Überlebensraten als Männer haben und besser auf einige Therapien ansprechen. Die neue WHI-Analyse zeigte allerdings negative Einflüsse einer Hormongabe – erstmals in einer spezifischen Korrelation zwischen Lungenkrebsmortalität und weiblichem Geschlecht unter HRT im Rahmen einer sehr grossen, randomisierten, plazebokontrollierten klinischen Studie. Die WHI-Studie, mit dem Ziel, den Gesundheitseffekt unter HRT bei Frauen nach der Menopause zu evaluieren, hatte 16 608 meist gesunde postmenopausale Frauen eingeschlossen, welche im Arm A konjugiertes equines Östrogen (CEE) plus Medroxyprogesteron (MPA) respektive Plazebo erhalten hatten. 2002 wurden die Resultate unter dieser HRT veröffentlicht (JAMA 2002; 288: 321). Zusätzlich zu den primären Analysen, welche eine Erhöhung von kardiovaskulären und Brustkrebsrisiken in Arm A ergeben hatten, sollten die Studienresultate bezüglich Lungenkrebs aufhorchen lassen und laut Chlebowski in die Diskussion insbesondere mit Raucherinnen einflies-
Tabelle:
NSCLC in der WHI-Studie (n/%) pro Jahr
CEE + MPA
n/%
NSCLC-Inzidenz
96/0,14%
NSCLC-Mortalität* 67/0,10%
*Analysen beginnen nach initialer Randomisierung.
Plazebo n/% 72/0,11% 39/0,06%
HR 95%-KI p-Wert 1,28 0,94–1,73 0,12 1,61 1,09–2,39 0,02
36 ONKOLOGIE 3/2009
Kongressbericht
45. Jahrestreffen der American Society of Clinical Oncology (ASCO), Orlando/FL, 29. Mai bis 2. Juni 2009
sen, die eine kombinierte HRT erwägen. Die Studie betrachtete die NSCLC-Inzidenz und -Mortalität während der Intervention (5,6 Jahre HRT bzw. Plazebo) und des Follow-up (2,4 Jahre). Zwar zeigte sich kein signifikanter Unterschied in der Lungenkrebsinzidenz, doch war die Mortalität nach der NSCLC-Diagnose signifikant höher in dem Kollektiv, das die kombinierte HRT eingenommen hatte: ▲ 67 Lungenkrebspatientinnen unter
der HRT (vs. 39 unter Plazebo) waren nach diesem Zeitraum gestorben. ▲ Das Mortalitätsrisiko unter den NSCLC-Patientinnen lag damit um 61% höher bei HRT-Einnahme. ▲ Unter den Raucherinnen in der HRTGruppe (gesamthaft) lag die Mortalitätsrate bei 3,4% (vs. 2,3%) (vgl. Tabelle). Hormonelle Einflüsse bei Lungenkrebs werden zurzeit in einer sehr grossen Stu-
die des US-amerikanischen National
Health Service mit über 107 000 Frauen,
darunter 1729 Lungenkrebspatientinnen,
weiter untersucht.
▲
Bärbel Hirrle
Interessenkonflikte: Der Bericht erfolgte redaktionell, ohne finanzielle Unterstützung.
Quelle: ASCO-Meeting 2009: Oral presentation, 30. Mai 2009.
Quellen/Referenzen:
1. Belani, C.P. et al.: Maintenance pemetrexed plus best supportive care (BSC) versus placebo plus BSC: a randomized phase III study in advanced NSCLC. J Clin Oncol. 2009; 27: 15s, suppl. abstr. CRA8000.
2. Miller, V.A. et al.: A randomized, double-blind, placebo-controlled, phase IIIb trial (ATLAS) compa-
ring bevacizumab (B) therapy with or without erlotinib (E) after completion of chemotherapy with B for first-line treatment of locally advanced, recurrent, or metastatic non-small cell lung cancer (NSCLC). J Clin Oncol. 2009; 27: 18s, suppl; abstr LBA8002.
3. Cappuzzo, F. et al.: SATURN: A double-blind, randomized, phase III study of maintenance erlotinib versus placebo following nonprogression with first-line platinum-based chemotherapy in patients with advanced NSCLC. J Clin Oncol. 2009; 27: 15s, suppl; abstr 8001.
4. Herbst, R.S. et al.: Vandetanib plus docetaxel versus docetaxel as second-line treatment for patients with advanced non-small cell lung cancer (NSCLC): A randomized, double-blind phase III trial (ZODIAC). J Clin Oncol. 2009; 27: 18s, suppl; abstr. CRA8003).
5. Chlebowski. R.T. et al.: Non-small lung cancer and estrogen plus progestin use in postmenopausal women in Women’s Health Initiative randomized clinical trial. J Clin Oncol. 2009 27: 18s, suppl; abstr. CRA 1500.
Neue Therapien / SONDERBERICHT
38 ONKOLOGIE 3/2009