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Im Fokus: Systemische Therapien bei gastrointestinalen Tumoren
Neue Behandlungsoptionen beim metastasierten Kolorektalkarzinom
Bewertung der aktuellen Studienresultate und Konsequenzen
In den vergangenen Jahren hat sich das Management des metastasierten Kolonkarzinoms (mCRC) enorm entwickelt. Die Entwicklung reicht vom jahrzehntelangen Standard einer Therapie mit 5-Fluorouracil über den sequenziellen Einsatz von Kombinationschemotherapien bis zum gezielten Einsatz von «Biologicals». In dieser Spanne liegen Fortschritte, die das Behandlungsspektrum des mCRC nachhaltig beeinflusst haben.
MICHAEL BAUMANN, PATRIK WEDER UND DIETER KÖBERLE
Michael Baumann Patrik Weder Dieter Köberle
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Zahlreiche Studien trugen zum Innovationsgewinn bei, der sich in einer eindrucksvollen Verlängerung der medianen Überlebenszeit von Patienten mit mCRC manifestiert (Abbildung 1). Dabei hat sich zunächst die mediane Lebenszeit unter einer Kombinationschemotherapie in klinischen Studien im Vergleich zu 5-FU/LV-Monotherapie von 10 bis 14 auf 15 bis 17 Monate verlängert, schliesslich konnte eine weitere Steigerung durch den sequenziellen Einsatz von Kombinationstherapien auf über 20 Monate erreicht werden. Die Integration und der koordinierte Einsatz von Biologicals ist eine wichtige Triebfeder auf dem Weg zu einer weiteren Verlängerung der Lebenszeit der Patienten mit mCRC.
«Having had all three (chemo) drugs» als Standard:
Die N9741-Studie (1) hat in der dreiarmigen Versuchsanordnung (Therapie mit FOLFOX vs. IFL vs. IROX) die Überlegenheit von FOLFOX gegenüber dem damaligen Standard-IFL gezeigt: Es wurde eine mediane Zeit bis zur Progression (TTP) von 8,7 vs. 6,9 Monate (p = 0,0014) und ein medianes Überleben (OS) von 19,5 vs. 15 Monate (p = 0,0001) erreicht; zudem wurde ein besseres Toxizitätsprofil von FOLFOX nachgewiesen. Ob die Überlegenheit von FOLFOX im Vergleich zu IFL primär auf das Oxaliplatin oder auf das kontinuierlich applizierte 5-FU zurückzuführen ist, kann mit der N9741-Studie nicht beantwortet werden – es gibt aber Daten, welche die Unterlegenheit von IFL auch gegenüber FOLFIRI (mit kontinuierlichem 5-FU) nahelegen (2). Diese Erkennt-
nis und die in anderen Studien nachgewiesene Gleichwertigkeit von FOLFIRI und FOLFOX sprechen eher gegen einen relevanten Wirksamkeitsunterschied zwischen Irinotecan und Oxaliplatin und vielmehr für die bessere Wirkung von kontinuierlich appliziertem 5-FU gegenüber der Bolusapplikation. Sowohl die Studien von Colluci (3) als auch jene von Tournigand (4) haben bezüglich Effektivität (Remissionsrate, TTP, OS) keinen Unterschied zwischen FOLFOX und FOLFIRI als First-line-Therapie nachweisen können. Hingegen zeigen sich differente Toxizitätsspektren: kumulativ dosisabhängige Neurotoxizität als Charakteristikum der Oxaliplatin-haltigen, vor allem intestinale Mukositis als Charakteristikum der Irinotecan-haltigen Therapie. Die Studie von Tournigand bedarf besonderer Betrachtung: In ihr wurde die Sequenz FOLFIRI als Firstline-, dann FOLFOX als Second-line-Therapie gegenüber der umgekehrten Reihenfolge untersucht. Mit einem medianen Überleben von > 20 Monaten wurde hier eine neue Schwelle überschritten. Erreicht wurde diese wohl mit der im Studienprotokoll vordefinierten Anwendung einer Zweitlinientherapie (4). Passend hierzu wurden in einer Analyse (5, 6) von insgesamt elf Studien die Survivaldaten positiv mit dem Prozentsatz jener Patienten korreliert, die im Krankheitsverlauf alle drei gegenwärtig aktiven Chemotherapiesubstanzen (5-FU/LV, Oxaliplatin, Irinotecan) erhalten haben. Insgesamt kann als Ergebnis der beschriebenen Entwicklung (und als Ausgangsbefund weiterer Schritte) sowohl das FOLFIRI- als auch das FOLFOX-Regime
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als Standard einer First-line-Therapie bezeichnet werden, welcher bei Progression jeweils ein Regime folgt, das die bis anhin noch nicht verwendete Substanz (Irinotecan oder Oxaliplatin) umfasst.
Hauptsache, irgendwann «all three drugs» – oder doch «combination first»?
Die 2007 im «Lancet» publizierte CAIROund FOCUS-Studien haben das vorgängig geschilderte Paradigma einer Erstlinien-Kombinationstherapie (FOLFOX oder FOLFIRI) herausgefordert: In der CAIRO-Studie (7) wurden Patienten in eine Therapiesequenz mit initialer Monotherapie (firstline: Capecitabin, secondline: Irinotecan, thirdline: XELOX) und in eine Sequenz mit Kombinationstherapien (firstline: XELIRI, secondline: XELOX) randomisiert (Abbildung 2). Bezüglich Gesamtüberleben fand sich in den beiden Armen kein signifikanter Unterschied (16,3 vs. 17,4 Monate), wobei die Studienanlage eine 80%-ige Power für einen Überlebensunterschied von 3,5 Monaten vorberechnet hatte. Die FOCUS-Studie (8) ordnete dem Kollektiv von 2135 Patienten drei Strategien (bzw. 5 Therapiearme) zu (Abbildung 2). Die Monotherapiestrategie war bezüglich Überleben gegenüber der Irinotecan-haltigen Kombination in der First-line-Therapie zwar signifikant unterlegen (13,9 vs. 16,7 Monate; p = 0,01). Zwischen der Strategie mit verzögerter (erst als Zweitlinientherapie eingeführter) Kombinationstherapie und der Kombination zu Beginn wurde aber «Non-inferiority» nachgewiesen. In die ähnliche Richtung deuten auch die vorläufigen Daten einer französischen Studie (9) (Abbildung 2). Diese doch recht provozierenden Studienresultate legen nahe, dass es im palliativen Setting bezüglich Überlebenszeit keine wesentliche Rolle spielt, ob eine Kombinationstherapie als Erst- oder Zweitlinientherapie eingesetzt wird – eine Aussage, die unter Berücksichtigung der oben erwähnten Überlegenheit von Kombinations- gegenüber Monotherapien kontrovers diskutiert wird. Kritisiert wird einerseits, dass keine der beiden Studien (CAIRO, FOCUS) einen Arm mit einem derzeit akzeptierten Erstlinienstandard umfasst. Andererseits gerät die im Vergleich zu anderen Stu-
Abbildung 1: Das mediane progressionsfreie Überleben (mPFS) und das mediane Gesamtüberleben (mOS) in ausgewählten Studien zur Erstlinientherapie
Abbildung 2: CAIRO-, FOCUS- und FFCD-2000-05-Studien im Überblick
dien geringere mediane Überlebenszeit in die Kritik. Letztere wird von den Autoren damit erklärt, dass es sich um ein Patientenkollektiv mit schlechten prognostischen Faktoren handelt (u.a. wurden in der FOCUS-Studie alle Patienten mit potenziell sekundär metastasenchirurgisch behandelbarer Erkrankung ausgeschlossen). Es bleibt zudem die Frage offen, ob ein potenzieller Unterschied in der Lebenszeit von 3,5 Monaten (CARIO) respektive von 2,3 Monaten (FOCUS) –
denn hier liegen die statistischen Auflösungen der Studie – vernachlässigt werden kann. In der Tendenz (wenn auch nicht signifikant) sprechen die Überlebensdaten für die Wahl einer Kombinationschemotherapie in der Erstbehandlung eines mCRC. Unbestritten bleibt aber, ob immer, wenn ein maximales Tumoransprechen erreicht werden muss (wegen symptomatischer Metastasierung oder potenziell metastasenchirurgisch resektabler Situa-
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tion), einer Erstlinienkombinationschemotherapie (mitunter auch einer Trippeltherapie von 3 Zytostatika oder durch Einbezug eines Antikörpers) der Vorzug gegeben werden sollte. Anhand der CAIRO- und FOCUS-Daten kann postuliert werden, dass es eine Patientengruppe gibt, die entweder wegen ihrer Komorbiditäten oder aber aufgrund ihres wenig aggressiven Krankheitsverlaufs mit einer sequenziellen, erst im Verlauf intensivierten Therapie adäquat behandelt ist. Hier eröffnet sich Raum für eine individualisierte palliative Tumorbehandlung (10), welche auch Kombinationen mit Antikörpern umfasst.
Chemotherapiefreie Intervalle oder Erhaltungstherapie?
Als Zeichen einer positiven Entwicklung ist zu werten, wenn im therapeutischen Management einer onkologischen Entität chemotherapiefreie Intervalle oder wenig toxische Erhaltungstherapien untersucht und diskutiert werden. In diesem Zusammenhang ist OPTIMOX1 die bedeutendste Studie: Mit dem Ziel, die vor allem polyneuropathischen Nebenwirkungen von Oxaliplatin zu reduzieren und aufgrund einer verbesserten Toleranz eine Verlängerung der gesamten Therapiedauer zu erreichen, wurde im experimentellen Arm die dosisgesteigerte Oxaliplatinkomponente nach 6 Zyklen Behandlung mit FOLFOX-7 unterbrochen und die Therapie nur noch mit dem 5-FU-Gerüst fortgeführt. Geplant war – nach 12 dieser Erhaltungszyklen mit 5-FU-Infusions-Behandlungen über 48 Stunden – die Wiederaufnahme der FOLFOX-7-Therapie. Als Vergleichsarm diente ein FOLFOX-4-Regime, das bis zur Progression oder bis zu limitierenden Nebenwirkungen fortgeführt wurde (11). Die Intensität der Nebenwirkungen, insbesondere der Polyneuropathie, war in der Gesamtschau im Experimental-Arm deutlich geringer ausgeprägt. Interessanterweise ergab die Auswertung der Studiendaten in beiden Armen vergleichbare Effektivitätsparameter (RR ~59%, PFS ~9 Monate, OS ~20 Monate). Dabei wurden aber nur verhältnismässig wenige Patienten (40%) des experimentellen Arms (und zumeist dann auch erst verzögert) nach der 5-FU-Erhaltungs-
phase der protokollgemässen Oxaliplatinreexposition zugeführt. Für die Gruppe der reexponierten Patienten zeigen sich Hinweise, dass sie von der Wiedereinführung des Oxaliplatins profitiert haben; insgesamt scheint aber angesichts der offenbar häufigen «protocol violations» wenig Vertrauen der Sinnhaftigkeit einer solchen Oxaliplatinreexposition gegenüber vorhanden zu sein. Man könnte postulieren, dass die OPTIMOX1-Studie entgegen dem Design weniger eine eigentliche Therapiepause untersucht als vielmehr eine Erhaltungstherapie mit 5FU geprüft und für sinnvoll beurteilt hat. Mit der vergleichsweise kleinen Folgestudie OPTIMOX2 sollte im Anschluss die Möglichkeit einer kompletten Therapiepause geprüft werden. Die ursprünglich als Phase III konzipierte Studie hat den «stop and go»-Arm der OPTIMOX1Studie mit demselben Regime ohne zwischengeschaltete 5-FU-Erhaltung untersuchen wollen (12). Da die Studie (wegen der Verfügbarkeit von Bevacizumab) vorzeitig abgebrochen wurde, können keine sicheren Erkenntnisse abgeleitet werden, wenngleich das grundsätzliche Konzept von Therapiepausen ohnehin breit akzeptiert ist (von Patienten und Ärzten) und mindestens in Europa auch seit Jahren praktiziert wird. Eine italienische Studiengruppe hat ein chemotherapiefreies Intervall im Rahmen des FOLFIRI-Regimes untersucht und dabei gezeigt, dass nach 2 Zyklen FOLFIRI eine zweimonatige Therapiepause mit anschliessender Therapiewiederaufnahme gegenüber einer kontinuierlichen Chemotherapie ohne nachteiligen Effekt bleibt (13). Auf diesem wichtigen Gebiet werden laufende Studien weitere Wissensschritte bringen und Fragen klären – dabei werden vor allem antikörperbasierte Erhaltungstherapien untersucht, wie zum Beispiel in der OPTIMOX3/DREAM-Studie oder auch in der SAKK-41/06-Studie.
Integration von Antikörpern in das Behandlungskonzept
Einen wesentlichen Fortschritt der letzten fünf Jahre stellen die Antikörpertherapien dar. Hierzu zählen die Medikamente Bevacizumab (Avastin®), Cetuximab (Erbitux®) und das kürzlich zugelassene Panitumumab (Vectibix®). Diese
spezialisierten, da zielorientierten Medikamente ergänzen sich gut mit den bekannten Chemotherapeutika, stellen jedoch mit Ausnahme von Panitumumab, welches für die Monotherapie zugelassen ist, keinen Ersatz dar. Die Lernphase hinsichtlich des optimierten Einsatzes dieser Medikamente ist noch nicht abgeschlossen. Dennoch gilt als gesichert, dass sie die vorbestehenden Behandlungsoptionen wertvoll erweitern und inzwischen einen festen Stellenwert in der Routinebehandlung einnehmen.
Antiangiogene Behandlung: wann und wie lange? Bevacizumab, ein Antikörper gegen VEGF, ist das erste antiangiogen wirksame Medikament, welches für die Erstlinientherapie beim mCRC zugelassen wurde. Der Zulassung lagen Ergebnisse einer randomisierten Studie (14) zugrunde, welche den damaligen (inzwischen überholten) Behandlungsstandard einer Polychemotherapie nach dem IFLSchema gegenüber der gleichen Chemotherapie plus dem Antikörper untersucht hat. Sämtliche Wirksamkeitsendpunkte (RR, PFS, OS) wurden durch die Kombinationschemotherapie in einem klinisch relevanten Ausmass verbessert. Zum Zeitpunkt der Zulassung sprach der zuständige Kommissar der amerikanischen Behörde davon, dass die antiangiogene Therapie nun als vierte Modalität in der Tumorbehandlung angesehen werden könne. Mit der Medikamentenzulassung kamen die Entwicklungsergebnisse einer jahrzehntelangen Laborforschung auf dem Gebiet der Angiogeneseinhibition zum klinischen Einsatz und wurden Teil eines neuen Behandlungskonzepts. Leider haben sich mit Bevacizumab die hoch gesteckten Wirksamkeitserwartungen beim Menschen nur begrenzt bestätigt, da rasch erkannt werden musste, dass das Medikament eine sehr geringe Wirkung in der Monotherapie hat und in einer weiteren randomisierten Erstlinientherapiestudie (in Kombination mit FOLFOX oder XELOX-Chemotherapie) lediglich zu einer moderaten Verlängerung des progressionsfreien Intervalls führte (15). Diese wie auch andere Studien stützen die Vermutung, dass bereits optimierte Polychemotherapien, wie das FOLFOX-Regime, durch die Zugabe von
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Bevacizumab nicht wesentlich in der Effektivität gesteigert werden können, hingegen weniger potente, wie das IFLSchema, durchaus durch die parallele Bevacizumabgabe Steigerungspotenzial erfahren. Nachdem der ergänzende Einsatz von Bevacizumab zur palliativen Erstlinienchemotherapie etabliert gewesen war, konnte mit dem Nachweis einer Verlängerung sowohl des progressionsfreien als auch des Gesamtüberlebens der Wert von (hoch dosiertem) Bevacizumab zusätzlich zu einer FOLFOX-Chemotherapie auch im Rahmen einer Zweitlinentherapie bei nicht mit Bevacizumab vorbehandelten Patienten gezeigt werden (16). Diese Therapievariante ist jedoch in der Schweiz nicht kassenpflichtig. Eine wichtige offene Frage bleibt die Dauer der Bevacizumabtherapie: Soll – nach Absetzen der Erstlinienchemotherapie – die Antikörpertherapie allein bis zur Tumorprogression weitergeführt oder parallel zur Chemotherapie pausiert werden? Erkenntnisse hierüber soll die derzeit gesamtschweizerisch laufende, randomisierte SAKK-Studie 41/06 erarbeiten, in welcher nach erreichter Krankheitsstabilisierung oder Tumorremission unter einer Erstlinienchemotherapie in Kombination mit Bevacizumab eine alleinige Bevacizumab-Erhaltungstherapie versus eine reine Verlaufsbeobachtung im Hinblick auf die progressionsfreie Zeit verglichen wird. Unklar ist auch, ob Patienten von einer erneuten oder weitergeführten Bevacizumabtherapie parallel zur Zweitlinienchemotherapie profitieren können. Diese Frage wird ebenfalls in laufenden Studien geprüft.
Cetuximab und Panitumumab nur bei bekanntem KRAS-Status Die zweite Gruppe von etablierten Antikörpern sind gegen den EGF-(Epidermal Growth Factor)-Rezeptor gerichtet. Sie wurden zunächst unselektioniert eingesetzt (da nach heutigem Wissen ein immunhistochemischer Nachweis von EGFR am Tumor keine prädiktive Aussagekraft besitzt). Die Zulassungsstudie von Cetuximab, bei der nach Versagen einer Irinotecan-haltigen Chemotherapie die überlegene Wirksamkeit einer
Kombinationstherapie von Irinotecan mit Cetuximab versus Cetuximab mono gezeigt werden konnte, stammt von 2004: Die Ansprechraten betrugen 10,8% (Cetuximab mono) respektive 22,9% (Kombination Irinotecan/Cetuximab), auch wurde das mediane Überleben um fast 2 Monate von 6,9 auf 8,6 Monate gesteigert (17). Wirksamkeit in der Monotherapie zeigen sowohl Cetuximab als auch der humane Antikörper Panitumumab. Beide zeigen auch bei zytostatisch stark vorbehandelten Patienten mit nicht bestimmtem KRAS-Status eine Remissionsrate um 10% und bewirken bei weiteren 30 bis 35% eine Krankheitsstabilisierung. Abgesehen von einer gesteigerten Remissionsrate haben die Studienresultate bezüglich einer Kombination von Cetuximab und einer modernen Erstlinenchemotherapie wenig überzeugt, insbesondere, da nur ein bescheidener Gewinn in der progressionsfreien Zeit durch die zusätzliche Antikörpergabe resultierte. Diese Sichtweise hat sich deutlich geändert, als nachträglich in den randomisierten Studien der Mutationsstatus von KRAS, einem intrazellulären Effektorprotein der EGFR nachgeschalteten Signalkaskade, analysiert wurde. Uniform zeigt sich in den bis anhin durchgeführten (zumeist retrospektiven) Untersuchungen folgendes Bild: Nur bei nicht mutierten KRAS-Status im Tumor, nicht aber bei KRAS-Mutationen, können Tumorremissionen unter Anti-EGFR-Behandlung erzielt werden. Somatische KRAS-Mutationen werden bei zirka 40% aller CRC gefunden, sie treten früh in der Tumorgenese auf und lassen sich konkordant im Primärtumor und dessen Metastasen mit inzwischen breit verfügbaren molekularbiologischen Testverfahren abklären. Die gängige Lehrmeinung, basierend auf neu erworbenem Wissen der letzten Monate, empfiehlt dringend die Bestimmung des KRAS-Status vor jeder Behandlung mit Cetuximab oder Panitumumab. Auch sollte deren Einsatz bei Nachweis einer KRAS-Mutation nur erwogen werden, falls keine Therapiealternativen bestehen (da die Aussicht auf einen klinischen Profit dieser Behandlung sehr gering ist). Weitere Studien werden das zukünftige Einsatzgebiet von Cetuximab und Panitumumab näher definieren. Priorität haben
randomisierte Studien in der Erstlini-
entherapie, welche eine Chemotherapie
plus Bevacizumab gegenüber der glei-
chen Chemotherapie mit einem Anti-
EGFR-Antikörper bei Patienten mit KRAS-
unmutierten Tumoren untersuchen, um
Klarheit über die in dieser Situation wirk-
samste Behandlungsform zu finden. So-
bald eine neue Limitatio den negativ prä-
diktiven Wert einer KRAS-Mutation für
eine Behandlung mit einem Anti-EGFR-
Antikörper anerkennt (wie dies bereits
jüngst bei der Zulassung von Panitumu-
mab erfolgt ist), wird sich das Einsatzge-
biet von Cetuximab in absehbarer Zeit er-
weitern. In weiterer Folge öffnen sich
Forschungsgebiete bei KRAS-mutierten
Tumoren insbesondere für Substanzen,
welche gezielt in den pathologisch verän-
derten Signaltransduktionsweg eingrei-
fen und die dadurch ausgelöste Proli-
ferationsstimulation supprimieren. Zwi-
schenzeitlich basiert die Behandlung
KRAS-mutierter Tumoren weiter auf den
Pfeilern jeder etablierten Form von Che-
motherapie, welche, wie auch eine
VEGF-Blockade mit Bevacizumab, be-
wiesene Wirksamkeit besitzt.
Eine weitere neue Erkenntnis muss je-
doch auch bedacht werden: Die (Vier-
fach-)Kombination einer Chemotherapie
mit Bevacizumab und einem Anti-EGFR-
Antikörper sollte tunlichst vermieden
werden. Entsprechende Studien (PACCE,
CAIRO-2) haben einen negativen Effekt
gezeigt. Wieder einmal zeigt sich in der
Onkologie: Induktive Logik kann keine
randomisierte Studie ersetzen!
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Dr. med. Michael Baumann Fachbereich Onkologie und Hämatologie Departement Innere Medizin Kantonsspital 9007 St. Gallen
Dr. med. Patrik Weder Fachbereich Onkologie und Hämatologie Departement Innere Medizin Kantonsspital 9007 St. Gallen
Dr. med. Dieter Köberle (Korrespondenzadresse) Fachbereich Onkologie und Hämatologie Departement Innere Medizin Kantonsspital 9007 St. Gallen E-Mail: dieter.koeberle@kssg.ch
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Quellen:
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