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Kongressbericht/Neue Therapien
Gemeinsame Jahrestagung der DGHO, ÖGHO, SGH und SGMO, Wien, 10. bis 14. Oktober 2008
Invasive Pilzinfektionen
Antimykotische Optionen bei Risikopatienten
Invasive Mykosen können für immunsupprimierte und onkologische Risikopatienten immer noch lebensbedrohlich sein. Wann eine Prophylaxe sinnvoll ist und wie die Richtlinien für eine gezielte Behandlung von Pilzinfektionen zurzeit lauten, wurde während des Onkologiekongresses in Wien thematisiert. Neue Antimykotika haben die Möglichkeiten in der Prophylaxe und Therapie in den letzten Jahren entscheidend verbessert.
Zur Behandlung invasiver Mykosen stehen Antimykotika aus der Gruppe der Polyene (Amphotericin B, liposomales Amphotericin B), der Azole (Fluconazol, Itraconazol, Voriconazol, Posaconazol) sowie als Vertreter der Echinocandine Caspofungin und als Antimetabolit Flucytosin zur Verfügung (s. Tabelle 1). Prophylaxe und Früherkennung ist bei Hochrisikopatienten vorrangig, da die Sterblichkeit bei einer invasiven Mykose nach wie vor hoch ist. Aspergillusarten und Candida werden am häufigsten gefunden (1). Das Erkrankungsrisiko korreliert deutlich mit der Dauer einer Granulozytopenie, wie sie im Rahmen von hämatoonkologischen Erkrankungen oder als Folge einer onkologischen Therapie auftreten kann. Für die Entscheidung, ob eine Prophylaxe sinnvoll ist und ab wann eine empirische oder präemptive Therapie begonnen werden sollte, gebe es keine ganz klaren Ja/Nein-Kriterien, sagte Prof. Dr. med. Hildegard Greinix aus Wien. In der Praxis besteht die Hauptschwierigkeit darin, die lebensbedrohliche Pilzinfektion bei Patienten rechtzeitig zu entdecken. Oft kündigt sie sich nur durch Fieber an und kann, wenn beispielsweise in der Lunge lokalisiert, meist nur durch aufwändige diagnostische Methoden enttarnt werden (2). Werden Pilzinfektionen mit Aspergillus zu spät behandelt, versagt häufig die medikamentöse Therapie. Wird zu früh behandelt, können medikamentöse Nebenwirkungen den Patienten schaden, die überhaupt nicht mit den aggressiven Pilzen infiziert sind. Primäres Ziel müsse daher eine schnelle und präzise Diagnose sein, betonte Grei-
nix. An ihrem Spital habe man ein sehr gutes Follow-up, sodass zum Beispiel bei Leukämiepatienten nicht generell eine Prophylaxe erfolge.
Invasive Aspergillose: allgemeines Management
Die klinischen Symptome einer invasiven pulmonalen Aspergillose sind relativ unspezifisch (Husten, Luftnot, Pleuraschmerzen, Fieber, eventuell Hämoptyse). Bei ersten Anzeichen auf eine pulmonale Infektion wird die radiologische Untersuchung mittels Computertomografie (CT, hochauflösende CT oder Spiral-CT) als Diagnostik der Wahl angesehen (2). Entscheidend für Erfolg oder Misserfolg einer antimykotischen Therapie ist der Behandlungszeitpunkt: Die empirische Behandlung bei Hochrisikopatienten sollte möglichst früh einsetzen. Patienten mit Neutropenie und Fieber, die bei Verdacht bereits am Tag 1 empirisch mit einem Antimykotikum behandelt werden, haben ein 15%-iges Mortalitätsrisiko, setzt die Therapie aber erst am Tag 3 ein, verdreifacht sich das initiale Risiko. In dieser Situation bieten sich zwei Strategien an, die empirische und die präemptive Antimykotikatherapie (s. Tabelle 2). Die Vor- und Nachteile beider Behandlungen haben Münchner Experten analysiert: Bis auf Weiteres dürfte bei hämatoonkologischen und stammzelltransplantierten neutropenischen Patienten mit Fieber die empirische Antimykotikatherapie die Strategie der Wahl bleiben. Sie gewährleistet, dass alle, bei denen tatsächlich eine invasive Mykose besteht, frühzeitig eine wirksame Behandlung erhalten (3).
Therapierichtlinien In Wien wurden auch die Richtlinien der Infectious Diseases Society of America zur Therapie der invasiven Aspergillose diskutiert (4). Dort ist klar aufgezeigt, dass Voriconazol das Mittel der Wahl zur Behandlung invasiver Aspergillosen ist. Die Therapie sollte mit einer Ladedosis von 6 mg/kg Körpergewicht alle zwölf Stunden begonnen und dann mit 4 mg/kg Körpergewicht alle zwölf Stunden weitergeführt werden. Die Verträglichkeit ist gut, als Nebenwirkungen werden in erster Linie reversible Störungen des Farbsehens und hepatische Nebenwirkungen beschrieben. Aufgrund seiner guten Liquorgängigkeit ist Voriconazol auch für die Behandlung zerebraler Aspergillosen gut geeignet. Bei Nichtansprechen oder Unverträglichkeit werden liposomales Amphotericin B (3–5 mg/kg KG/Tag i.v.), Abelcet (5 mg/kg KG/Tag i.v.), Caspofungin (70 mg am Tag 1 i.v., 50 mg alle weiteren Tage), Micafungin (100–150 mg i.v.; in Europa noch nicht zugelassen) oder Posaconazol (800 mg Tagesdosis oral) empfohlen. Auch Itraconazol wird als mögliche Alternative angeführt. Caspofungin wirkt im Gegensatz zu anderen Antimykotika durch Hemmung der Zellwandsynthese.
Tabelle 1: Antimykotika zur Behandlung invasiver Pilzinfektionen ▲ Amphotericin-B-Desoxycholat
(Amphotericin B = AmB-D) ▲ Lipidformulierungen von Amphotericin B
(= AmB) – liposomales Amphotericin B
(AmBisome® = L-AmB) – in einen Lipidkomplex verkapseltes AmB
(Abelcet® = ABLC) ▲ Anidulafungin (Ecalta®) ▲ Caspofungin (Cancidas®) ▲ Fluconazol (z.B. Diflucan®) ▲ Flucytosin (Ancotil®) ▲ Itraconazol (z.B. Sempera®) ▲ Posaconazol (Noxafil®) ▲ Voriconazol (Vfend®)
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Dadurch gibt es keine Kreuzresistenzen mit anderen Antimykotika. Für die Salvagetherapie mit Posaconazol wurde ebenfalls eine gute Ansprechrate (42%) bei therapierefraktären Aspergillosen erzielt (5–7). Tritt eine Infektion im ZNS auf (d.h. ist im Liquor ein Erregernachweis erfolgt), so darf man davon ausgehen, dass die Blut-Hirn-Schranke undicht ist und die Antimykotika sie überwinden, so die Experten.
Prophylaxestandards
Neutropenische Krebspatienten und Empfänger hämatopoetischer Stammzelltransplantationen sind Hochrisikopatienten für invasive Candida- und immer häufiger Aspergillusinfektionen (8). Sie profitieren von einer antimykotischen Primärprophylaxe, wie PD Dr. Andrew J. Ullmann, Infektiologe und HämatoOnkologe am Klinikum Mainz, ausführte. Mit dem Breitspektrumtriazol Posaconazol stehe neben dem bis anhin als Standard geltenden Fluconazol eine neue, evidenzbasierte Option für die Prophylaxe bei Hochrisikopatienten zur Verfügung. «Die Prophylaxe bringt eine Senkung der Sterblichkeit. Das Ergebnis hatten wir nicht erwartet, aber erhofft», kommentierte er die Ergebnisse eigener Studien. Posaconazol reduziert bei Patienten mit Hochdosisimmunsuppression bei Graftversus-Host-Disease (GvHD) nach hämatopoetischer Stammzelltransplantation (HSCT) signifikant die pilzbedingte Mortalität (p = 0,046), ebenso bei Patienten mit akuter myeloischer Leukämie (AML) oder myelodysplastischem Syndrom (MDS), bei Patienten unter remissionsinduzierender Chemotherapie reduziert es sogar die Gesamtmortalität (p = 0,035). Diese überzeugenden Daten haben dazu geführt, dass Posaconazol zunächst vorläufig von der ersten European Conference on Infections in Leukemia mit dem höchsten Evidenzlevel, A1, zur antimykotischen Prophylaxe in den beiden Indikationen empfohlen wurde.
Neuere Studien mit Posaconazol Die Zulassung zur antimykotischen Prophylaxe mit Posaconazol beruht im Wesentlichen auf zwei Studien. In einer Studie von Ullmann bei 600 Patienten mit akuter oder chronischer GvHD nach allogener hämatopoetischer Stammzell-
Tabelle 2: Therapeutische Strategien (nach 11)
Strategie Prophylaxe Empirische Therapie
Präemptive Therapie
Therapie gesicherter invasiver Pilzinfektionen
Definition Gabe bei hohem Infektionsrisiko ohne Hinweis auf Infektion Beginn einer antimykotischen Therapie bei persistierendem Fieber (4–7 Tage Dauer) mit Neutropenie ohne bekannte Ursache für das Fieber und ohne Anprechen auf eine antibakterielle Therapie Bei Verdacht auf eine invasive Pilzinfektion mit Hinweis durch bildgebende Verfahren und/oder Laborparameter Für Patienten, die die EORTC-Kriterien erfüllen (bewiesene oder wahrscheinliche Pilzinfektionen)
transplantation wurde die Wirkung einer Posaconazolprophylaxe (n = 301) mit der einer Fluconazolprophylaxe (n = 299) verglichen (9). Hierbei handelte es sich um die erste randomisierte DoppelDummy-Studie, die die Effektivität einer Prophylaxe im allogenen Setting bei schwerer GvHD dokumentiert. Die Patienten wurden mit oralem Posaconazol 200 mg dreimal täglich oder Fluconazolkapseln 400 mg täglich für bis zu 112 Tage behandelt. Sowohl im Studienzeitraum als auch im Behandlungszeitraum gab es eine klare Überlegenheit von Posaconazol in der Prävention von nachgewiesenen und wahrscheinlichen Mykosen und Aspergillosen. Unter Posaconazoltherapie entwickelten sich signifikant seltener invasive Mykosen als unter Fluconazol (2 vs. 8%, p = 0,004). In erster Linie beruhte dies auf der geringeren Inzidenz von Aspergillosen (1 vs. 6%, p = 0,001). Es bestand auch ein Trend hinsichtlich einer geringeren Gesamtmortalität unter einer Posaconazolprophylaxe. Die Verträglichkeit der Prophylaxe war insgesamt gut. Eine Antimykotikaspiegelkontrolle erfolgt in Ullmanns Team immer, da Compliance und Resorptionskontrolle damit besser seien und man gegensteuern könne, wenn der Wirkspiegel nicht erreicht wird. In der zweiten Studie von PD Dr. med. Oliver Cornely, Köln, wurde bei 602 Patienten mit AML oder MDS, die eine chemotherapieinduzierte Neutropenie zeigten, der Effekt einer Prophylaxe mit Posaconazol im Vergleich zu einem Standard-Azol (Itraconazol oder Fluconazol) untersucht (10). Auch in dieser Studie schnitt Posaconazol deutlich besser ab als Itraconazol oder Fluconazol. Es traten signifikant weniger nachgewiesene oder
invasive Mykosen auf als unter den Vergleichssubstanzen (2 vs. 88%, p = 0,0009). Dieses Ergebnis beruhte wieder vor allem auf der besseren Schutzwirkung vor Aspergillosen (1 vs. 7%). Zudem zeigte sich in dieser Studie, dass die Überlebenswahrscheinlichkeit unter der Posaconazolprophylaxe signifikant grösser war. Hinsichtlich unerwünschter Wirkungen bestand zwischen den Regimen kein wesentlicher Unterschied. Cornely hat aufgrund der Daten 2006 die Posaconazolprophylaxe eingeführt.
Kosteneffektivität der Prophylaxe
Kosten-Nutzen-Analysen werden als Argumentationshilfen immer wichtiger. PD Dr. med. Ulrich Schuler aus Dresden stellte entsprechende Zahlen zu invasiven Mykosen vor: Die «number needed to treat» liege bei 16, um 1 invasive Mykose zu verhindern und bei 26, um 1 Todesfall zu verhindern. Das sei überzeugend, so der Experte. Erste Berechnungen basierten auf einem US-amerikanischen pharmakoökonomischen Modell und den Zahlen aus der direkten Vergleichsstudie zwischen Posaconazol und Fluconazol/Itraconazol in der Induktions-Chemotherapie bei Patienten mit AML/MDS (10). Neben der Wirksamkeit (Reduktion pilzbedingter Infekte, Überlebenswahrscheinlichkeit) wurden auch die Kosten der Prophylaxe, die Kosten einer zu behandelnden Pilzinfektion sowie das Langzeitüberleben der Patienten berücksichtigt. Das Ergebnis: Mit 80%-iger Wahrscheinlichkeit liegen die zusätzlichen Kosten der Prophylaxe mit Posaconazol unter denen von Fluconazol/Itraconazol, und zwar um den Betrag von knapp 1000
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Dollar. Das Modell wurde an deutsche Daten adaptiert und bestätigt: Die signifikante Reduktion der Mykoseinzidenz (möglich, wahrscheinlich und nachgewiesen) führt zu einer signifikanten Reduktion der neutropenischen Episoden mit Bedarf an empirischer antimykotischer Therapie. Da bei der indikationsund leitliniengerechten Therapie nur teure i.v.-Antimykotika zum Einsatz kommen, können die Kosten pro Episode ohne Prophylaxe deutlich über den Kosten für eine Pilzprophylaxe mit oralem Posaconazol liegen. So wurden die Antimykotikakosten pro Episode am Universitätsklinikum Frankfurt etwa halbiert. Diese Ergebnisse geben erstmals Hinweise darauf, dass durch Einsatz der Posaconazolprophylaxe die Häufigkeit kostenintensiver empirischer Therapie reduziert werden konnte. Was bleibt, ist eine deutliche Einsparung im Antimykotikabudget.
Gefahr der Resistenz gegen
antimykotische Wirkstoffe?
Die Gefahr, dass es durch einen prophy-
laktischen Einsatz von Antimykotika wie
bei den Antibiotika zu Resistenzen kom-
men könnte, sieht Prof. Dr. med. Herbert
Hof, Mannheim, nicht. «Pilze sind anders,
sie haben Ergosterin in der Zellwand an-
stelle von Cholesterin und haben weder
Resistenzplasmide noch sonst die Fähig-
keit, Resistenzen weiterzugeben», führte
er in Wien aus.
▲
Dr. med. Susanne Schelosky
Quelle:
«Evidenzbasierte Vermeidung und Therapie invasiver Pilzinfektionen bei onkologischen Risikopatienten. Klinische Umsetzung und Finanzierbarkeit». Satellitensymposium von Essex Pharma/Aesca Pharma GmbH, anlässlich der DGHO/ÖGHO/SGMO- und SGH-Jahrestagung in Wien 2008.
Referenzen:
1. Patterson TF et al.: Medicine (Baltimore) 2000; 79: 250–60.
2. Lass-Florl C et al.: Clin Infect Dis 2007; 45: e101–e104.
3. Rieger CT, Ostermann H.: Mycoses 2008; 51, Suppl. 1: 31–34.
4. Walsh TJ et al.: Clin Infect Dis 2008; 46: 327–60.
5. Kwon DS, Mylonakis E.: Expert Opin Pharmacother. 2007 Jun; 8(8): 1167–78. Posaconazole: a new broad-spectrum antifungal agent.
6. Herbrecht R et al.: NEJM 2002; 347: 408–15.
7. Herbrecht R et al.: Ejc Supplements 2007; 5: 49–59.
8. Upton A et al.: Clin Infect Dis 2007; 44: 531–40.
9. Ullmann AJ et al.: NEJM 2007; 356; 4: 335.
10. Cornely OA et al.: NEJM 2007; 356: 348–59.
11. Segal BH et al.: J Natl Compr Canc Netw 2008; 6(2): 122–74.
12. Arzneimittelkompendium.ch
13. www.fungiscope.net
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