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Neue Therapien
8. Kongress der European Association of Neurooncology (EANO)
Glioblastome
Durch Integrin-Inhibition Patienten mehr Zukunft geben
Eine neuartige Strategie der Tumortherapie wird jetzt bei Glioblastomen erforscht. Der Integrin-Inhibitor Cilengitide wirkt sowohl auf Tumorzellen wie auch auf tumorspezifische Blutgefässe. Eine internationale Phase-III-Studie (CENTRIC) mit über 500 Patienten mit neu diagnostiziertem Glioblastom soll nun zeigen, ob durch die Integrin-Inhibition in der Erstlinientherapie ein Überlebensvorteil erzielt werden kann.
Rund 90% der Hirntumoren bei Erwachsenen über 45 Jahre sind Gliome, von denen wiederum 70% hochgradig maligne, also lebensbedrohlich, invasiv und schnell wachsend, sind (1). Glioblastoma multiforma (GBM) ist ein gefürchteter Hirntumortyp, der aus den Zellen des zerebralen Stützgewebes entsteht und eine systemische Erkrankung im ZNS darstellt. Wie Prof. Dr. med. Michael Weller, Zürich, weiter ausführte, ist die operative Therapie sehr schwierig, da der Tumor infiltrierend wächst und meist gut vaskularisiert ist.
grin-Inhibitors Cilengitide in Studien. Die ersten klinischen Ergebnisse waren ermutigend, sodass nun in der CENTRICStudie (= CilENgitide in combination with Temozolamide and Radiotherapy In newly diagnosed glioblastoma phase III randomized Clinical trial) die Substanz im Rahmen der Erstlinientherapie zum Einsatz kommen soll. Auch die Wirksamkeit anderer Angiogenese-Mediatoren (Bevazicumab, Cediranib, Sunitinib, Sorafenib, Temsirolimus) wird in Studien bei Glioblastompatienten untersucht.
Phase-I- und -II-Studien
Cilengitide wurde in ersten Studien als Monotherapie bei verschiedenen Tumorarten einschliesslich neu diagnostizierten Glioblastoms, rezidivierenden Glioblastoms bei Erwachsenen und bei rezidivierenden Hirntumoren bei Kindern untersucht, mit wiederholt vereinzelten positiven Resultaten (4, 5). In der Dosisfindungsstudie bei Gliompatienten wurde die Dosierung 2000 mg zweimal pro Woche i.v. als optimal ermittelt: Bei 2 der insgesamt 51 rekrutierten Patienten wurde eine Vollremission erreicht, bei 3 Patienten eine Teilremission und bei 4 Patienten eine Stabilisierung des Krankheitszustandes über mehr als sechs Monate (6). Auf der ASCO-Jahrestagung im Juni 2007 wurden die Ergebnisse der beiden Phase-II-Studien bei rezidivierendem und neu diagnostiziertem GBM vorgestellt (4, 5). Die Resultate der Phase-I-Studien bei Erwachsenen und Kindern wurden bereits publiziert (7, 8).
Nach Temozolamide/RT neuer Therapieansatz
Die Suche nach einer systemisch wirksamen Therapie hat Vorrang. Die mittlere Überlebenszeit der Glioblastompatienten beträgt ab Diagnosestellung und mit heutiger Standardtherapie weniger als 18 Monate. Die postoperative Radio-(RT) und Chemotherapie mit Temozolamid, danach sechs Monate weitergeführte Chemotherapie, kann das Überleben verlängern: Es wurden Zwei-Jahres-Überlebens-Raten von 46% bei Patienten mit inaktivem MGMT-Gen erreicht (2). Das MGMT-Gen, verantwortlich für das Reparaturprotein Methylguanin-Methyl-Transferase, ist bei 30 bis 50% der GBM-Patienten inaktiviert (methyliert), das heisst: Die Tumorzellen haben die Fähigkeit zur Reparatur des Chemotherapie-induzierten Schadens verloren und sind somit chemosensibler als Tumoren, die aktiviertes MGMT-Gen besitzen. Neu ist der zusätzliche Einsatz des Inte-
Was ist Integrin-Inhibition?
Menschliche und tierische Zellen tragen, um miteinander und mit der Umgebung in Austausch treten zu können, Integrine in ihrer Zellmembran. Verlieren diese fest verankerten transmembranösen Eiweissmoleküle ihre Funktion, so können die Zellen (u.a.) nicht mehr anhaften oder Zellverbände bilden. Durch den IntegrinInhibitor werden die Tumorzellen am Anhaften im Zellverband gehindert, die Zellen sind weniger beweglich und infiltrativ und sterben schliesslich ab (3). Cilengitide umfasst eine RGD-Aminosäuresequenz (Aminosäuren Arginin [R], Glycin [G] und Asparaginsäure [D]); diese vermittelt die Bindung an die spezifischen Integrine ␣v3 und ␣v5. Diese Integrine werden auf Tumorzellen und aktivierten Endothelzellen exprimiert. Werden sie gehemmt, wird die Angiogenese unterbunden; zudem werden die Krebszellen auch unmittelbar geschädigt.
Phase-III-Studie CENTRIC
Aufgrund der Erfolg versprechenden Re-
sultate wurde die CENTRIC-Studie ge-
plant. Diese internationale Phase-III-Stu-
die untersucht die Zugabe von Cilengi-
tide zur Standardtherapie mit Temozolo-
mide und Radiotherapie bei Patienten
mit einem inaktiven (methylierten)
MGMT-Gen. Patienten, die die Aufnah-
mekriterien erfüllen und zu einer Teilnah-
me bereit sind, werden randomisiert
einer Standardtherapie oder der Stan-
dardtherapie plus dem Integrin-Inhibitor
zugeführt. Gelingt es, die Interaktionen
zwischen Tumor, Gefässen und Stroma
nachhaltig zu stören, besteht die Hoff-
nung, die Überlebenszeit und Lebens-
qualität weiter zu steigern, so die Über-
zeugung von Studienleiter Privatdozent
PD Dr. med. Roger Stupp, CHUV, Lau-
sanne (9).
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Susanne Schelosky
26 ONKOLOGIE 5/2008
Neue Therapien
8. Kongress der European Association of Neurooncology (EANO)
«Möglichst früh an Studienteilnahme denken!»
PD. Dr. med. Roger Stupp CHUV Lausanne E-Mail: roger.stupp@chuv.ch
PD Dr. med. Roger Stupp ist massgeblich am Konzept der CENTRICStudie mit Cilengitide, Temozolamide und Radiotherapie beteiligt. Am Rande des EANO beantwortete er Fragen zum Studienbeginn bei neu diagnostiziertem Glioblastom.
Schweizer Zeitschrift für Onkologie: Herr Dr. Stupp, welches sind die Voraussetzungen, um in die Studie CENTRIC aufgenommen zu werden? Roger Stupp: Teilnehmen können im Prinzip alle Patienten mit einem gerade diagnostizierten Glioblastoma multiforme. Sie werden registriert und, wenn sie einverstanden sind, wird die Pathologie zentral geprüft und eine molekulare Testung auf «Methylierer: Ja oder Nein» gemacht. Patienten, in deren Tumorzellen das Gen MGMT methyliert ist, werden randomisiert zu Standardtherapie allein (Temozolamide und Radiotherapie) oder dieser
Standardtherapie plus Integrin-Inhibitor Cilengitide, zweimal wöchentlich intravenös.
Wann muss sich der Patient entscheiden, ob er in die Studie will: vor oder nach der Operation? Welche Zentren in der Schweiz nehmen teil? Stupp: So früh wie möglich, weil die Zeit drängt. Die Universitätsspitäler Zürich und Lausanne werden an der Studie mitmachen. Wenn jemand sehr weit weg wohnt, haben wir ein Problem. Die zweimal wöchentliche Infusion kann zurzeit nur an den Studienzentren angeboten werden, später natürlich auch anderswo. Die Therapie ist in der Regel sehr gut verträglich und wird ambulant durchgeführt. Die öffentlichen Verkehrsverhältnisse sollten es den Patienten erlauben, auch aus einiger Entfernung eines der Studienzentren aufzusuchen.
Welche Argumente führen Sie an für die Studienteilnahme? Stupp: Patienten mit einem Glioblastom haben relativ wenig zu verlieren, und in Studien geht es ihnen in der Regel besser. Die Betreuung wird intensiver sein, und die Hoffnung auf einen therapeutischen Fortschritt ist da, sonst würden wir das ja nicht anbieten. Auch im Kontrollarm sind die Patienten besser überwacht als bei Behandlungen ausserhalb einer Studie. Als Arzt ist es zudem befriedigender,
wenn man weiss, dass man für einen Patienten das Neueste anbieten kann. Die Studienteilnahme ist der einzige Weg, um so schnell wie möglich am Fortschritt teilzuhaben: Die meisten Patienten verstehen dies, wollen auch bei der Randomisierung mitmachen und nehmen in Kauf, dass sie erst bei Studienende erfahren, ob sie das neue Medikament bekommen haben oder nicht. Sie wissen auch: Ohne Studienteilnahme können wir lediglich die Standardtherapie anbieten.
Warum fängt man bei dem neuen Therapieansatz, der Integrin-Hemmung mit Celegitinide, beim Glioblastom an? Könnte die Therapie auch für andere Tumoren wirksam sein? Stupp: Weil das Glioblastom ein Tumor ist, der besonders empfindlich auf die Integrin-Inhibition ist. Er ist gut vaskularisiert, und die Angiogenesehemmung spielt daher eine wichtige Rolle. Die Glioblastomzellen exprimieren die Integrine auch sehr stark und sprechen direkt an. Ich denke, es ist ein ganz wichtiger Ansatz, der für die Zukunft viel erwarten lässt. Und: Weil es ein wirksamer Ansatz ist, muss man ihn weiter ausreizen und überprüfen.
Herr Dr. Stupp, herzlichen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Dr. med. Susanne Schelosky.
Quelle:
Media And Patient advocacy group educational event anlässlich des 8th Meeting of the European Association of Neurooncology EANO, Barcelona, 11. bis 14. September 2008.
Referenzen:
1. American Cancer Society.
2. Stupp R, et al: NEJM 2005; 352: 987–96.
3. Hegi M, et al: NEJM 2005; 352: 997–1003.
4. Stupp R, et al.: J Clin Oncol 2007 ASCO Annual Meeting Proceedings Part I. 2007; 25 (suppl): 75s (abstract #2000).
5. Reardon D, et al.: J Clin Oncol 2007 ASCO Annual Meeting Proceedings Part I. 2007; 25(18S [June 20 Supplement]): (abstr #2002).
6. Stupp R, Ruegg C: J Clin Oncol 2007; 25(13): 1651–57.
7. Nabors B et al.: J Clin Oncol 2007; 25(13): 1637–38.
8. MacDonald TJ et al.: J Clin Oncol 2008; 26(6): 919–24.
9. Stupp R, Hegi M: J Clin Oncol 2007; 25: 1470–75.
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