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Im Fokus: Maligne Lymphome und multiples Myelom
Das multiple Myelom
Therapieoptionen: Entwicklungen seit 1962 In den letzten 10 Jahren hat die Behandlung des multiplen Myeloms sehr grosse Fortschritte erfahren. Die seit einigen Jahren eingesetzten neuen Substanzen Thalidomid, Bortezomib und Lenalidomid in Kombination mit Dexamethason, Alkylanzien und Anthrazyklinen weisen deutlich höhere Raten kompletter Remission auf als frühere Standardtherapien. Das durchschnittliche Gesamtüberleben bei rezidiviertem oder therapierefraktärem Myelom kann von früher 3 Jahren auf heute 5 Jahre verlängert werden.
ERIKA LERCH
Das multiple Myelom (MM), eine maligne neoplastische Erkrankung der Plasmazellen, betrifft 1 bis 2% aller malignen Erkrankungen und 14% der malignen hämatologischen Erkrankungen in der westlichen Welt. Die Inzidenz der Erkrankung zeigt eine deutliche Altersabhängigkeit und erreicht in Europa 6/100 000 Menschen im Alter zwischen 63 und 70 Jahren. Die Mortalität beträgt 4,1/100 000; die Erkrankten leben im Schnitt 3 bis 5 Jahre nach der Diagnose. Das MM gilt als mit konventionellen (Chemo-)Therapien nicht heilbare neoplastische Entität.
Vereinfachte diagnostische Kriterien – Basis für Behandlungsstrategien
Die diagnostischen Kriterien des MM wurden entsprechend des 2005 publizierten Konsensus «International Staging System for multiple myeloma» (1) vereinfacht. In diesem werden MGUS (= Monoclonal Gammopathy of Undetermined Significance), asymptomatischer und symptomatischer MM, wie in Tabelle 1 aufgeführt, beschrieben. Eine Indikation zur Behandlung besteht beim symptomatischen MM, das heisst bei einem MM mit einem Endorganschaden. Ein solcher liegt vor bei Anämie, Hyperkalzämie, Niereninsuffizienz und Osteolysen. Greipp at al. (1) publizierten 2005 das neue International Staging System (ISS) als Resultat einer retrospektiven Analyse der Überlebensdaten von über 100 000 Patienten mit MM. Basierend auf diesen Daten können alle MM-Patienten bei Diagnosestellung aufgrund der beiden biologischen Parameter 2-Mikroglobulin und Albumin in entsprechende Risikogruppen ISS 1, 2 und 3 mit entsprechend 0, 1 oder 2 pathologischen Werten (respektive deutlich erhöhtem 2-Mikroglobulin von > 5,5 mg/l) eingeteilt wer-
den. Die Stadien ISS 1, 2 und 3 zeigen ein durch andere Studien validiertes Durchschnittsüberleben von 62 respektive 44 und 29 Monaten (1).
Prognostische Faktoren Die bisher bekannten negativen prognostischen Faktoren, Alter (> 70 Jahre), Dauer der Standardchemotherapie (> 12 Monate), IgA-Isotyp, Anämie (Hb < 10 g/dl), Hypoalbuminämie (< 35 g/l) sowie erhöhte Werte für Kreatinin, LDH, CRP- und 2-Mikroglobulin, wurden in den letzten Jahren durch biologische respektive molekulare Kriterien ergänzt: ▲ Proliferationsaktivität im Knochenmark (hohe Mi-
krogefässdichte in der Knochenmarksbiopsie) ▲ Zytogenetik:
– Standardrisiko: normale Zytogenetik, t(6;14), t(11;14)
– Hohes Risiko: del17p, t(4;14), t(14;16) und del13q, wobei t(4;14) und t(14;16) häufig mit einer del13q vergesellschaftet sind.
In der zytogenetischen Diagnostik wurde die konventionelle Metaphasenuntersuchung von der Fluoreszenz-in-situ-Hybrididsierung-(FISH-)InterphasenUntersuchung abgelöst. Für die Patienten in der Hochrisikogruppe konnte gezeigt werden, dass diese auch nach einer Hochdosisbehandlung mit autologem Stammzellsupport (ASCT) ein verkürztes Gesamtüberleben zeigen und am meisten von den unten diskutierten neuen Substanzen profitieren (2, 3).
Behandlungsstandards im Wandel der Zeit
Eine Übersicht über die entscheidenden Entwicklungen in der Therapie des MM zeigt Tabelle 2.
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Im Fokus: Maligne Lymphome und multiples Myelom
Tabelle 1
Aktuelle diagnostische Kriterien und Einteilung von MGUS, asymptomatischem und symptomatischem multiplem Myelom (MM)
A. Leichtketten-MM mit Leichtkettennachweis im Serum oder Urin (15% der MM) B. Nicht sekretorisches MM (2–5%):
▲ kein M-Protein im Serum oder Urin ▲ Knochenmarksinfiltration > 10% ▲ Endorganschaden C. Nachweis eines (Ig)M-Gradienten im Serum oder Urin:
M-Protein KM-Infiltration Endorganschaden
KM = Knochenmark
MGUS < 30 g/l < 10% nein asymptomatisches MM > 30 g/l > 10% nein
symtomatisches MM vorhanden oder > 10% ja
Tabelle 2:
Meilensteine in der Behandlung des multiplen Myeloms
Meilensteine
Erklärungen
1962 Melphalan-Prednison (MP) Die Einführung von Melphalan in den Sechzigerjahren ver-
besserte des Gesamtüberleben der MM-Patienten. Intensivere
Chemotherapieschemata vermochten in der Folge im Vergleich
zu MP die CR-Rate, nicht aber das OS zu verbessern.
1996 ASCT
Verschiedene randomisierte Studien dokumentierten einen
OS-Vorteil der Hochdosistherapie im Vergleich zur konven-
tionellen Chemotherapie. Andere Studien dokumentierten
vergleichbare Überlebensdaten einer frühen ASCT im Vergleich
zur ASCT im Rezidiv.
1999 Thalidomid (Thalomid®) ThalDex hat im Vergleich zu Dexamethason allein die An-
sprechrate erhöht und die TTP signifikant verlängert. ThalDex
in Kombination mit Melphalan zeigt einen Überlebensvorteil
im Vergleich zur bisherigen Standardtherapie MP für den
älteren Patienten.
2003 Bortezomib (Velcade®)
Bortezomib zeigt einen Überlebensvorteil gegenüber
Dexamethason beim rezidivierten oder refraktären MM
(APEX-Studie).
2003 Tandem-ASCT
Die Tandem-ASCT verbessert das OS im Vergleich zur Single-
ASCT bei Patienten, die nach der ersten Hochdosistherapie
weniger als eine VGPR erreicht haben.
2005 Lenalidomid (Revlimid®) LenDex verglichen mit Dexamethason-Monotherapie
verlängert das Gesamtüberleben beim rezidivierten oder
refraktären MM in Phase-III-Studien.
Therapien zwischen 1962 und 1999 (und Folgestandards) Ab den Sechzigerjahren wurden zur Behandlung des MM die alkylierenden Substanzen Melphalan in Kombination mit Prednison und Cyclophosphamid eingesetzt. Ab Mitte der Achtzigerjahre galt das alkylanzienfreie, anthrazyklinbasierte
Regime VAD (Vincristin, Doxorubicin, Dexamethason) als Goldstandard. Der Anteil an kompletten Remissionen ist mit maximal 13% im Vergleich zu den später eingesetzten Kombinationen mit den neuen Substanzen als mässig einzustufen (4, 5). Parallel hierzu wurden für jüngere Patienten bis 65 Jahre im Anschluss
an die Induktionsbehandlung VAD die ersten Hochdosisbehandlungen mit autologem Stammzellsupport (ASCT), mit oder ohne Ganzkörperbestrahlung, durchgeführt. Diese führen zu kompletten Remissionsraten von bis zu 45%. Das verbesserte ereignisfreie Überleben (EFS) wie auch das Gesamtüberleben (OS) konnte in verschiedenen Studien belegt werden (6,7). Andere Studien konnten hingegen keinen Unterschied beim Gesamtüberleben durch eine Frontline-ASCT gegenüber einer Hochdosisbehandlung in der Rezidivsituation dokumentieren (8,–10). Aufgrund des verlängerten EFS, Resultat einer italienischen Studie (12), und eines zusätzlichen Überlebensvorteils, Resultat einer französischen Arbeit (11), wird seit 2003 für Patienten, welche mit einer ASCT nicht mindestens eine sehr gute partielle Remission erreichen, eine Tandem-ASCT als Standardtherapie postuliert.
Therapien zwischen 1999 und 2005 Ende des letzten Jahrhunderts wurde die Wichtigkeit der Mikroumgebung der Myelomzellen im Knochenmark für die Entwicklung neuer Strategien gegen das MM erkannt. Als erste neue Stoffklasse wurden die sogenannten Immunomodulatoren (IMID) vom Typ Thalidomid mit immunmodulatorischer und antiangiogenetischer Wirkung für die Therapie des MM erforscht und die Anwendung in verschiedenen Studien weiterentwickelt (13). Die Ansprechrate von Thalidomid (Thalomid®) als Monotherapie beim rezidivierten oder refraktären MM, mit anfänglichen hohen Tagesdosen von bis zu 800 mg, war mit fast 30% vielversprechend (14, 15). Die Kombination mit Dexamethason (ThalDex) als Induktionsbehandlung erwies sich als deutlich wirksamer als Dexamethason allein. Dies überträgt sich in eine signifikante Verlängerung der Dauer des progressionsfreien Überlebens auf 22,6 Monate (im Vergleich zu 6,5 Monaten unter Dexamethason) – bis anhin jedoch ohne Überlebensvorteil (16). Trotz der heute angewandten niedrigeren Tagesdosen von Thalidomid (bis 200 mg) werden weiterhin häufig höhergradige Toxizitäten beobachtet; insbesondere die kumulative Neurotoxizität und thromboembolische Komplikationen sind von Bedeutung.
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von Thalidomid verschiedenes Nebenwirkungsprofil mit weniger thromboembolischen Komplikationen und praktisch vernachlässigbarer Neurotoxizität. Infektionen und gastrointestinale Nebenwirkungen treten jedoch mindestens ebenso häufig auf. In Kombination mit Dexamethason hat sich Lenalidomid (LenDex) in zwei plazebokontrollierten Phase-II-Studien als alternative Therapie des rezidivierenden oder refraktären MM etabliert (21, 22). LenDex als Erstlinienbehandlung zeigt zudem eine sehr hohe Ansprechrate von 91%, ferner ein ZweiJahres-PFS von 83% (23). Die neuesten Daten zu LenDex befürworten eine deutlich niedrigere Dexamethasondosis von lediglich 40 mg einmal wöchentlich. Diese Massnahme bewirkte ein höheres Gesamtüberleben verglichen mit der Gruppe unter der hoch dosierten Dexamethasonbehandlung (24).
Abbildung 1A und 1B:
Abbildung 1A zeigt das Gesamtüberleben gemäss dem Rezidiv-
jahr, Abbildung 1B das Überleben mit respektive ohne Behandlung mit einer neuen Substanz (cut-off Jahr 2000).
Beide Kurven zeigen einen statistisch signifikanten Überle-
bensvorteil für die MM-Patienten, die mit einer der neuen
Substanzen behandelt wurden (Kumar, Blood 2008; 111: 2516–20 [44]).
2001 wurde für den Proteasomen-Inhibitor PS-341, Bortezomib (Velcade®), erstmals hohe In-vitro-Aktivität gegen Myelomzellen beschrieben. Während die immunmodulatorischen Substanzen die Hochregulierung von Interleukin-6 (IL-6) und die Sekretion des vaskulären endothelialen Wachstumsfaktors (VEGF) bewirken, hemmt der Proteasomen-Inhibitor direkt die Proliferation, induziert die Apoptose von chemoresistenten Myelomzellen und hemmt deren Bindung an die Knochenmarksstromazellen. Hierdurch wird die NF-kappa-B-abhängige Produktion von IL-6 vermindert (17). Die Phase-III-Studie APEX dokumentiert eine deutlich höhere Ansprechrate unter der Kombination Bortezomib plus Dexamethason (VelDex) im Vergleich zu Dexamethason allein (38% vs. 8% ) beim therapierefraktären oder rezidivierten MM. Hieraus resultiert eine Verdoppelung der
Zeit bis zur Progression (TTP) und ein deutlich verbessertes Zwei-Jahres-Überleben von 80% (vs. 67%). Das Medikament wurde mittels «fast track»-Verfahren im Jahre 2005 sowohl in den USA als auch in Europa für diese Indikation zugelassen (18). In weiteren klinischen Studien wurden verschiedene hocheffiziente bortezomibbasierte Kombinationen als Frontline-Therapie (19) respektive als Rezidivbehandlung in Phase-III-Studien getestet; beispielsweise Bortezomib plus pegyliertes liposomales Doxorubicin (Caelyx®) versus Bortezomib- Monotherapie, welche bei vergleichbarer Ansprechrate in einer signifikant verlängerten TTP resultiert (20). Die neueste, hoch aktive immunmodulatorische Substanz Lenalidomid (Revlimid®) ist potenter als Thalidomid und zeigt sehr hohe Ansprechraten in den ersten Phase-II-Studien. Ferner zeigt sich ein
Heutige Therapien In den letzten Jahren wurden zahlreiche klinische Studien mit Kombinationen der drei neuen Substanzen plus Dexamethason oder konventionellen Chemotherapeutika durchgeführt; diese wurden mit der bisherigen Standardtherapie VAD in Erstlinientherapie verglichen. Allen voran die Kombination von ThalDex ist interessant, denn sie zeigt eine höhere Ansprechrate als das VAD-Regime (25). ThalDex gilt heute als Standardinduktionsbehandlung und hat ihren Stellenwert vor der ASCT mit Hochdosis-Melphalan als Konditionierung etabliert. ASCT mit Hochdosis-Melphalan gilt weiterhin als Standardtherapie für Patienten bis 70 Jahre mit gutem Allgemeinzustand. Eine Induktionstherapie mit IMID oder dem Proteasomeninhibitor Bortezomib zeigt keine negativen Einflüsse auf die nachfolgende periphere Stammzellsammlung (26–28). Die bisherigen Daten bezüglich der allogenen Stammzelltransplantation sind nicht konsistent. Dank reduzierten Konditionierungsschemata (RIC) ist die behandlungsassoziierte Mortalität (TRM) von 40% auf heute maximal 26% gesunken. Entsprechend zeigen die neuesten Publikationen erstmals einen Überlebensvorteil für dieses Verfahren im Vergleich zur Tandem-ASCT (29). Diese Behandlungsoption ist für junge und
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Tabellen 2A + 2B:
Algorithmen praktikabler Behandlungen
(basierend auf Empfehlungen von J.L. Harousseau und J. San-Miguel )
Tabelle 2A: Junge Patienten (> 65/70 Jahre)
Induktion
Standardrisiko
ThalDex ➞ 1 (–2 ) ASCT
➞ Thalidomid (50–) 100 mg/Tag (Dauer? 6–12 Mt.)
Hohes Risiko oder Niereninsuffizienz Effizienteste Induktion: BAD* oder ThalDex
➞ 1 ASCT + ev. RIC allogene Transplantation
➞ Thalidomid (50–) 100 mg/Tag
Rezidiv
Frührezidiv nach < 12 Monaten Aggressive Reinduktion: VTD-PACE oder Lenalidomid + Bortezomib + Dexamethason ➞ RIC allogene Transplantation Rezidiv nach 12–24 Monaten Reinduktion mit alternativer neuer Substanz ➞ Konsolidierung mit RIC allogener Transplantation Spätrezidiv nach > 24 Monaten
Reinduktion (Wiederholung der Induktion)
➞ 2° ASCT
* BAD = Bortezomib + Adriamycin, Dexamethason (46)
Tabelle 2B: Ältere Patienten (> 65/70 Jahre oder nicht geeignet für ASCT)
Induktion Standard Alternativen
Rezidiv PFS > 6 Monaten PFS < 6 Monaten MP + Bortezomib MP + Cyclophosphamid
MPT, 6 x 6-wöchige Zyklen Lenalidomid + MP, 9 x 4-wöchige Zyklen (47) Bortezomib + MP, 4 x 6-wöchige Zyklen, danachn 5 5-wöchige Zyklen (48)
Wiederholung der Erstlinienbehandlung MP + Lenalidomid
Die Therapiewahl beim älteren Patienten basiert auf der Beurteilung seiner Fragilität, da die Kombinationen mit den neuen Substanzen neben der hämatologischen Toxizität ein breites Nebenwirkungsspektrum aufweisen (schwache kumulative periphere Neurotoxizität, gastrointestinale Nebenwirkungen, Elektrolytstörungen, Kreislaufbeschwerden usw.).
motivierte Patienten mit genetischen Hochrisikocharakteristika sowie als Konsolidationsbehandlung vertretbar. Für ältere Patienten (> 65/70 Jahre) oder Patienten, die aus speziellen Gründen nicht für eine ASCT qualifizieren, ist die Kombinationen von Melphalan, Prednison und Thalidomid (MPT) als Erstlinienbehandlung etabliert (39). In dieser Phase-III-Studie überträgt sich die deutlich höhere Response- und komplette Remissionsrate von MPT im Vergleich zum bisherigen Standard-MP in ein verlängertes PFS von 21,8 Monaten (vs. 14,5
Monate). Zwei französischen Studien (IFM 99-06 und IFM 01-01) dokumentieren sogar einen Überlebensvorteil für MPT im Vergleich zu MP respektive einer sequenziellen Therapie mit Intermediate-dose-Melphalan und autologem Stammzellsupport (31, 32). Eine weitere, auch von älteren Patienten gut vertragene, hochaktive Kombination ist Thalidomid, pegyliertes liposomales Doxorubicin plus Dexamethason (ThaDD) (33). Die Kombinationen MP mit Lenalidomid 10 mg (34) und MP mit Bortezomib (35) zeigen hohe Ansprechraten
von über 80% mit Raten kompletter Remission von 24 respektive 32%. Unter der Kombination Thalidomid mit Lenalidomid werden nebst den bereits beschriebenen typischen Nebenwirkungen gehäuft Neutropenien, ferner Vaskulitiden in fast 10% der Fälle beschrieben. Während alle Kombinationsbehandlungen mit IMID zur Risikoreduktion von thromboembolischen Ereignissen einer entsprechenden individuellen Prophylaxe gemäss internationalen Richtlinien bedürfen, zeigte sich für die mit Bortezomib behandelten Patienten keine Notwendigkeit für eine solche Prophylaxe (36). Für die Schweiz gilt, dass die meisten Krankenkassen aufgrund der aktuellen Datenlage und der vergleichsweise niedrigen Medikamentenkosten Thalidomid auch als Induktionsbehandlung vergüten, dies, obwohl das Medikament nicht auf der Spezialitätenliste (SL) figuriert. Entsprechend muss die Kostengutsprache des Vertrauensarztes eingeholt werden. Die vergleichsweise hohen Kosten von Bortezomib werden als Zweitlinenbehandlung von den Krankenkassen übernommen. Lenalidomid wurde am 15. Juli 2008 als Therapie des rezidivierten oder therapierefraktären MM in die SL aufgenommen. Diese Therapie bedarf aufgrund ihrer hohen Kosten jedoch weiterhin einer Kostengutsprache durch den Vertrauensarzt.
Erhaltungstherapie
Eine Verlängerung des Gesamtüberlebens durch eine Erhaltungstherapie nach einer Induktionsbehandlung und ASCT konnte bisher lediglich für Prednison 50 mg jeden zweiten Tag (37), Interferon alpha (38, 39) sowie für Thalidomid (40) gezeigt werden. Die Daten für Interferon und Thalidomid sind jedoch nicht konsistent. So wurde der Immunmodulator IFN-␣ in der einen positiven Studie mit Prednison kombiniert; zudem können andere Publikationen keinen Überlebensvorteil dokumentieren. IFN-␣ kann auch aufgrund seiner schlechten subjektiven Verträglichkeit nicht als Erhaltungstherapie empfohlen werden. Bezüglich Thalidomid zeigen zwei Studien ein signifikant verlängertes
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Gesamtüberleben (40, 41). Die ersten Daten einer wichtigen amerikanischen Studie dokumentieren dagegen zwar eine deutlich erhöhte Rate kompletter Remissionen und eine erhöhte TTP, jedoch keinen signifikanten Überlebensvorteil. Dies ist auf das deutlich verkürzte EFS (event-free-survival) in der Thalidomidgruppe zurückzuführen (42). Aus dem Update dieser Studie in diesem Jahr geht hervor, dass lediglich die Patienten mit zytogenetischen Anomalien bezüglich Gesamtüberleben von einer Thalidomiderhaltungstherapie profitieren (43). Allerdings ist die Dauer der Erhaltungstherapie noch unklar. Die kontinuierliche Behandlung mit Thalidomid bis zum Rezidiv scheint obsolet. Für ältere Patienten ohne ASCT gibt es keine Daten zur Erhaltungstherapie.
Resümee und Ausblick
Das Erreichen einer kompletten Remission (CR) oder einer sehr guten partiellen Remission (VGPR) ist der prognostisch wichtigste Faktor für das Langzeitüberleben. Bis 1999 lieferte die ASCT diesbezüglich die besten Daten mit CR-Raten von maximal 45%. Die seit 2000 für die Behandlung des MM zur Verfügung stehenden hochaktiven neue Substanzen Thalidomid, Bortezomib und Lenalidomid in Kombination mit Dexamethason, Alkylanzien und Anthrazyklinen weisen im Vergleich zu den früheren Standardtherapien deutlich höhere CR-Raten auf. Sie haben als Behandlung des rezidivierten und therapierefraktären MM das durchschnittliche Gesamtüberleben der
Myelompatienten von 3 Jahren auf 5 Jahre verlängert (44). So zeigen die Patienten, die nach dem Jahr 2000 rezidivierten, ein Überleben von 23,9 Monaten, gegenüber 11,8 Monaten der Patienten, die nicht von einer oder mehreren der neuen Substanzen profitieren konnten. Derzeit sind zahlreiche Studien offen, die dieselben Kombinationen als Induktionsbehandlung prüfen. Die mit Spannung erwarteten Resultate werden die entscheidende Frage beantworten, ob sich die bekannten sehr hohen Ansprechund CR-Raten im Vergleich zur bisherigen Standardtherapie auch in einem Vorteil bezüglich des EFS oder OS (Gesamtüberleben) übertragen können. Es ist absehbar, dass in den kommenden Jahren die Indikation der ASCT als Teil der Erstlinienbehandlung noch stärker infrage gestellt werden wird. Bezüglich der Postinduktions-Erhaltungstherapie sind klare Daten über Dosierung und Dauer der Behandlung mit Thalidomid wünschenswert. Den Stellenwert von Lenalidomid als mögliche alternative Erhaltungstherapie werden die Daten der voraussichtlich in diesem Herbst schliessenden IFM-2005-02-Studie aufzeigen. Die individuelle Stratifizierung der Patienten nach spezifischen Risikogruppen mit entsprechenden therapeutischen Strategien basiert heute weitgehend auf der Zytogenetik bei Diagnosestellung. Zur weiteren Vereinfachung der Risikostratifizierung hat die spanische PETHEMA-Gruppe dieses Jahr interessante Daten über die Assoziation der be-
kannten prognostisch negativen geneti-
schen Aberrationen mit spezifischen Im-
munphänotypen der Myelomzellen pu-
bliziert. Sie beschreiben in dieser
prospektiven Studie, basierend auf Da-
ten von 685 neuen MM-Fällen, dass die
simultane Expression von CD19 und
CD28 bei gleichzeitig fehlender CD117-
Expression mit einem signifikant kürze-
ren PFS und OS einhergeht. Die CD28-
Expression korrelierte mit der
Translokation t(14;16) und der Deletion
del17p, während CD117-negative Pati-
enten die Aberrationen t4;14) und/oder
del13q aufwiesen. So ergeben sich aus
der simultanen Bestimmung von CD28
und CD117 folgende drei Risikogrup-
pen, die mit signifikant unterschiedli-
chem PFS und OS eruiert werden:
▲ CD28+/CD117- = hohes Risiko
▲ CD28/CD117 je +/+ oder -/- = inter-
mediäres Risiko
▲ CD28-/CD117+ = niedriges Risiko
(45).
Diese Daten bedürfen jedoch unbedingt
einer Validierung mittels weiterer, wenn
möglich prospektiver Studien.
▲
Dr. med. Erika Lerch Istituto Oncologico della Svizzera Italiana (IOSI) Ospedale San Giovanni 6500 Bellinzona E-Mail: erika.lerch@eoc.ch
Die ausführliche Quellenliste ist bei der Autorin oder über die Redaktion (hirrle@rosenfluh.ch) erhältlich.
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