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Kongressbericht
13. Kongress der European Hematology Association (EHA), Kopenhagen, 12. bis 15. Juni 2008
EHA 2008: neueste Therapieoptionen bei CML und multiplem Myelom
Während des viertägigen Jahreskongresses der EHA diskutierten mehr als 6500 Teilnehmer Studienresultate und Therapiestandards in der europäischen Hämatologie. Bei der chronischen myeloischen Leukämie (CML) und dem multiplen Myelom (MM) wurden bisher unpublizierte Daten vorgestellt, die vielversprechende Überlebensvorteile brachten. Beim MM wurde ein neuer Therapiestandard etabliert.
CML: Dosiseskalation oder neues Medikament?
Die wegweisende IRIS-Studie mit Imatinib (Glivec®) hat bei Philadelphia-Chromosom-positiven CML-Patienten die Behandlung revolutioniert, da es die Aktivität des Bcr-Abl-Gens, welche für die Pathogenese verantwortlich ist, gezielt hemmt. Frühe Rezidive im ersten und zweiten Behandlungsjahr bleiben aber ein Problem. Ein sorgfältiges und regelmässiges Monitoring aller CML-Patienten ist darum heutzutage unerlässlich, denn es ermöglicht eine rechtzeitige Therapieoptimierung. Die Verbesserung der «major molecular response» (MMR) zur Verringerung der Bcr-Abl-Aktivität ist laut Prof. Jorge Cortes, Houston/Texas, der nächste Schritt zur Therapieoptimierung
Imatinib mit doppelter Startdosis Die TOPS-Studie (= Tyrosine Kinase Inhibitor Optimization and Selectivity) (1) mit Imatinib beantwortet die Frage, ob sich eine höhere Imatinibdosis als die bisher etablierte 400-mg-Dosis klinisch lohnt. Die Phase-III-Optimierungsstudie, die in 19 Ländern lief, evaluierte bei 476 zuvor unbehandelten CML-Patienten die Startdosis (Therapie direkt nach Diagnosestellung) von 800 mg täglich im Vergleich zu 400 mg. Unter der hohen Dosis erreichten mehr Patienten ein gutes molekulares Anspre-
Abkürzungen: CCyR: komplette zytogenetische Antwort MMR: bedeutende hämatologische Reaktion OS: Gesamtüberleben PFS: progressionsfreies Überleben MMolR: bedeutendes molekulares Ansprechen DOR: Dauer der Antwort
chen (MMR) als unter 400 mg (46,4% vs. 40,1%). Besonders hervorzuheben ist das schnellere Ansprechen in der 800-mgGruppe: Hier wurde früher ein komplettes zytogenetisches Ansprechen erreicht. Die Ansprechrate lag nach 6 Monaten in der Studiengruppe bei 56,7% (vs. 44,6%). Nach 12 Monaten war die Differenz jedoch statistisch nicht mehr signifikant (69,9% vs. 65,6%). TOPS hat bezüglich Wirksamkeit und Sicherheit von Imatinib die Daten der IRISStudie erneut bestätigt. Die Studie hat zudem gezeigt, dass Patienten mit anfänglich niedrigeren Blutspiegeln nach einem Jahr weniger gut auf die Therapie ansprachen.
Studien mit Dasatinib ... Mit Spannung wurden die Daten zur Erstlinienbehandlung mit Dasatinib (Sprycel®) bei der CML erwartet: In der weiteren Studie von Cortes (2) wurden 40 Patienten in zwei Gruppen randomisiert, sie erhielten Dasatinib entweder in der Dosis 2 × 50 mg/Tag oder 1 × 100 mg/Tag. Nach 3 Monaten lag die komplette zytogenetische Antwort (CCyR) bei 72%, nach 6 Monaten bei 88% und nach einem Jahr bei 100%. Nach 12 Monaten hatten zudem 8 von 25 Patienten einen MMR. Trendmässig schnitten Patienten mit der Einmaldosis besser ab. Nichthämatologische Nebenwirkungen 3. und 4. Grades waren Rash (3%), Kopfschmerzen (3%) und Fatigue (5%). Pleuraeffusionen 1. und 2. Grades traten bei 13% der Patienten auf. Während einer mittleren Beobachtungszeit von 18 Monaten benötigten 18 Patienten eine vorübergehende Behandlungsunterbrechung respektive eine Dosisreduktion.
... und Nilotinib In der Studie von Rosti (3) wurde der Einsatz von Nilotinib (Tasigna®) in der Dosis 2 × 400 mg/Tag in der Erstlinienbehandlung bei Patienten mit CML in chronischer Phase evaluiert. Nach 3 Monaten erreichten 84% der Patienten eine komplette klinische Remission (CCR), nach 6 Monaten 97%. Ein bedeutendes molekulares Ansprechen (MMolR) nach 3-monatiger Therapie erzielten 62% und nach 6-monatiger Behandlung 75%. Kein Patient progredierte bis dato in die nächste Phase. Die Behandlung wurde generell gut vertragen, doch bei rund der Hälfte der Patienten war eine vorübergehende Therapiepause (median 7 Tage) oder Dosisanpassung erforderlich. Wichtigste Therapienebenwirkungen waren Rash, Juckreiz, Müdigkeit, Knochenschmerzen, Hyperbilirubinämie. Bei 3% trat im EKG eine Verlängerung der QT-Zeit auf.
Multiples Myelom: neuer Therapiestandard
Beim multiplen Myelom (MM) hat die Therapie mit Bortezomib in Kombination mit verschiedenen Substanzen erneut sehr gute Ergebnisse hervorgebracht. Am EHA-Kongress wurde die Phase-IIIStudie VISTA ausführlich vorgestellt, welche Bortezomib in Kombination mit Melphalan plus Prednison (VMP, n = 344) gegenüber Melphalan plus Prednison (MP, n = 338) verglich. Die Behandlung bei den nicht vorbehandelten Patienten mit MM, die nicht für eine Hochdosistherapie und Transplantation (HDT-SCT) infrage kamen, dauerte bis zu 54 Wochen. Die Resultate haben gezeigt, dass VMP der MP-Therapie
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überlegen ist (4). Dies gilt in Bezug auf ▲ die Responseraten (82% vs 50%) ▲ die mittlere Progressionszeit (24 vs.
16,6 Mt., HR = 0,483, p < 0,001) ▲ die mittlere Zeit bis zur nächsten The-
rapie (median im Studienzeitraum nicht erreicht vs. 20,8 Mt., HR = 0,522, p < 0,001) ▲ die mediane Gesamtüberlebenszeit (median nicht erreicht, HR = 0,607, p = 0,0078). Die Daten wurden im Präsidentensymposium im Rahmen der fünf besten Abstracts des EHA vorgestellt. In einer weiteren Auswertung ging es in der VISTA-Studie um die Zeit bis zur klinischen Antwort sowie um die Dauer der Antwort (DOR, sekundäre Endpunkte von VISTA). Ebenso wurde der Einfluss der Therapiedauer von VMP erfasst (5). Die Beurteilung des Therapieerfolges erfolgte gemäss den EBMT-Kriterien. Die mittlere Zeit bis zur ersten Antwort lag unter VMP bei 1,4 Monaten (vs. 4,2 Mt. unter MP; p < 0,001). Allerdings kam es
auch noch zu später auftretenden Antworten unter VMP: In 4% wurden diese erst nach 24 Wochen während den Zyklen 5 bis 9 beobachtet. Die mittlere Zeit bis zur besten Antwort lag unter VMPTherapie bei 2,3 Monaten (4,9 Mt. unter MP); die mittlere Zeit bis zur vollständigen Antwort war 4,2 Monate unter VMP (5,3 Mt. unter MP, p < 0,001). Unter VMP erfolgten 28% der kompletten Antworten während der Zyklen 5 bis 9, die Antworten dauerten substanziell länger als unter der Vergleichstherapie. Die mittlere DOR lag bei 19,9 Monaten unter VMP (13,1 Mt. mit MP). Bei Patienten mit einer kompletten Antwort lag die Zeitdauer gar bei 24 Monaten (12,8 Mt. unter MP). VMP führte somit im Vergleich zu MP zu deutlich höheren Remissionsraten sowie zur Verlängerung der Zeit bis zur Progression sowie der Gesamtüberlebenszeit. Unter VMP kommt es meist deutlich schneller zur Remission. Es lohnt sich aber eine längere Therapie, da bei einem
Teil der Patienten die komplette Remis-
sion erst zwischen dem 5. und 9. Zyklus
erreicht wird. Die Autoren der beiden Ar-
beiten kommen unter Verweis auf die
Richtlinien des ASH/FDA-Panels (6) zum
Schluss, dass VISTA mit der Kombination
VMP einen neuen Therapiestandard bei
MM-Patienten etabliert, die für eine HDT-
SCT nicht infrage kommen.
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Thomas Ferber
Dem Autor wurden ohne Einflussnahme auf den Kongressbericht die Reise- und Hotelkosten von Janssen-Cilag und Novartis erstattet.
Referenzen: 1. JG Cortes et al.: 13th EHA-Congress. Abstract 0402. 2. J Cortes et al.: Abstract 0881. 3. G Rosti et al.: Abstract 0404. 4. J San-Miguel et al.: Abstract 0473. 5. A Palumbo et al.: Abstract 0207. 6. KC Anderson et al.: Leukemia. 2008 Feb; 22(2): 231–9.