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Im Fokus: Bronchialtumoren
Malignes Pleuramesotheliom
Epidemiologie, Klinik, Diagnostik, Behandlung Für Patienten mit Pleuramesotheliom bieten sich heute Behandlungsmöglichkeiten an, welche die Lebensqualität und das Überleben verbessern. Damit diese Männer und Frauen bestmöglich beraten und behandelt werden können, ist eine multidisziplinäre Beurteilung unter Einbezug von Spezialisten mit grosser Erfahrung aus den Fachgebieten Pneumologie, Radiologie, medizinische Onkologie, Radioonkologie und Thoraxchirurgie unerlässlich.
ROLF A. STAHEL, WALTER WEDER
Zwei Faktoren tragen zur vermehrten Bekanntheit des Pleuramesothelioms bei: ▲ Über 85% der Erkrankungen sind auf eine Asbest-
exposition zurückzuführen, (Abbildung 1). ▲ Die Erkrankungshäufigkeit nimmt zu. Die berufliche Asbestexposition als nachgewiesene Krankheitsursache lässt immer Fragen nach Verantwortlichkeit und Kompensation aufkommen. Auch nach dem Rückgang der Asbestexposition, insbesondere seit dem Verbot des industriellen Gebrauchs dieses Materials, wird sich die Häufigkeit des Pleuramesothelioms wegen der langen Latenzzeit bis in die Jahre 2015 bis 2020 noch verdoppeln (1). Diese Schätzungen gehen von einer bis anhin vermuteten Latenzzeit von 30 bis 40 Jahren aus; kürzlich erschienene Daten aus dem Mesotheliomregister von Norditalien zeigten eine noch längere Latenzzeit von durchschnittlich 44 Jahren (2). In der Schweiz rechnen wir mit über 140 neuen Erkrankungen pro Jahr.
Klinik und Diagnostik
Patienten bemerken meist zuerst Atemnot bei Anstrengung. Im Röntgenbild zeigt sich ein einseitiger Pleuraerguss oder eine pleurale Verdickung. Thoraxschmerzen deuten auf eine Infiltration des Tumors in die Brustwand hin (Abbildung 2). Fernmetastasen sind selten und werden meist nur bei langem Krankheitsverlauf beobachtet. Häufiger sind die Ausdehnung der Erkrankung ins Peritoneum oder die kontralaterale Pleura. Zur eindeutigen Sicherung der Diagnose wird eine thorakoskopische Pleurabiopsie benötigt. Die Diagnostik hat mit den Möglichkeiten der Immunhistochemie grosse Fortschritte erreicht, insbesondere was die Unterscheidung des Pleuramesothelioms vom Adenokarzinom der Lunge betrifft. Calretinin,
D2-40, Zyktokeratin 5/6, WT1 und Podoplanin sind beim Mesotheliom häufig exprimiert; CEA, EMA (= epithelial membrane antigen) und TTF-1 (= thyroid transcription facor 1) sind dagegen beim Bronchialkarzinom häufig exprimiert (3).
Behandlung
Bis vor Kurzem gab es keine allgemein akzeptierte Standardbehandlung des malignen Mesothelioms der Pleura; viele Ärzte beschränkten sich auf eine symptomatische Therapie. Durch eine moderne Kombinationschemotherapie ist eine Verbesserung der Lebensqualität und eine lebensverlängernde Wirkung heute nachgewiesen. Noch immer bleiben aber viele Fragen bezüglich einer optimalen Behandlung unbeantwortet, insbesondere was den Einsatz der Chirurgie und der Radiotherapie betrifft.
Chirurgie und multimodale Therapie Die Rolle der Chirurgie in der Behandlung des Pleuramesothelioms wird unterschiedlich betrachtet. Chirurgische Eingriffe sind ▲ die thorakoskopische Pleurodese ▲ die Pleurektomie und Dekortikation sowie ▲ die extrapleurale Pneumonektomie. Eine Pleurektomie und Dekortikation hat den Vorteil, dass die betroffene Lunge erhalten bleiben kann, sie ist aber keine radikale Chirurgie, und es ist damit zu rechnen, dass Tumorgewebe zurückbleibt. Dieses Prozedere wird bei Patienten mit kompromittierter Lunge oder Herzfunktion oder auch bei fortgeschrittenem Alter erwogen, wenn die Tumorausdehnung nicht zu gross ist. Zwei retrospektive Studien aus England zeigten eine geringere Morbidität nach thorakoskopischer Pleurektomie und Dekortikation, verglichen mit extrapleuraler Pneumonektomie bei älteren Patienten und Patienten mit ipsilateralem Lymphkno-
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tenbefall. Die mediane Überlebenszeit betrug 14 bis 16 Monate (4, 5). Eine extrapleurale Pneumonektomie umfasst die En-bloc-Resektion der Pleura und der Lunge mit dem ipsilateralen Zwerchfell und Perikard (Abbildung 3). Für ausgewählte Patienten mit keiner oder nur lokalisierter Thoraxwandinfiltration bietet eine solche Operation die einzige Chance für ein Langzeitüberleben. Da aus anatomischen Gründen der Tumor nicht mit einem Sicherheitsabstand entfernt werden kann, wird diese Operation im Allgemeinen mit einer Chemo- und allenfalls Radiotherapie verbunden. Die grösste Serie von extrapleuraler Pneumonektomie, mit nachfolgender adjuvanter Chemotherapie und Radiotherapie stammt aus Boston/Massachusetts (6): Hier wurden 183 Patienten operiert. Die mediane Überlebenszeit der 176 Patienten, welche 30 Tage nach der Operation noch am Leben waren, betrug 19 Monate. Die häufige Beobachtung eines Lokalrezidivs in dieser Serie hat andere Zentren dazu veranlasst, den Effekt einer postoperativen hoch dosierten Radiotherapie und einer IntensityModulated Radiation Therapy (IMRT) zu untersuchen (7, 8). Es konnte damit die lokale Rückfallrate reduziert werden, allerdings auf Kosten einer teilweise hohen Behandlungstoxizität, welche auf die Exposition der gesunden Lunge auf tiefe Strahlendosen bei der IMRT zurückzuführen ist. Das mediane Überleben in diesen Studien betrug 17 und 14,5 Monate. Wegen der guten Erfahrungen mit einer neoadjuvanten (präoperativen) Chemotherapie beim lokal fortgeschrittenen Bronchialkarzinom sowie der Schwierigkeit, nach einer extrapleuralen Pneumonektomie innert 4 bis 6 Wochen eine Chemotherapie zu beginnen und adäquat durchzuführen, haben wir im Jahr 1999 – in einem gemeinsamen Pilotprojekt zwischen der Klinik für Thoraxchirurgie und der Klinik und Poliklinik für Onkologie am Universitätsspital Zürich – die Untersuchung der Machbarkeit und Wirkung der neoadjuvanten Chemotherapie mit nachfolgender extrapleuraler Pneumonektomie gestartet. 19 Patienten mit malignem Pleuramesotheliom mit einer Ausdehnung, welche eine radikale Chirurgie erlaubte, wurden mit drei Zyklen Chemo-
Abbildung 1: Folgen der Asbestexposition sind: ▲ pleurale Plaques, die meist radiologisch als Verkalkungen nachgewiesen werden, aber nicht spezi-
fisch sind ▲ eine Asbestose der Lunge, welche seltener auftritt, und ▲ das Pleuramesotheliom.
▲ Atemnot (80%) ▲ Husten (60%) ▲ Brustschmerzen (40%) ▲ Gewichtsabnahme (10%)
Abbildung 2: Präsentation des Pleuramesothelioms: die häufigsten Beschwerden und der Röntgenbefund
therapie mit Cisplatin und Gemcitabin behandelt (9). Bei 16 Patienten konnte der Tumor mittels extrapleuraler Pneumonektomie reseziert werden. Das mediane Überleben der Patienten betrug 23 Monate. Postoperative Komplikationen traten bei 6 Patienten auf; alle konnten erfolgreich behandelt werden, und kein Patient verstarb als Folge der Operation. Diese Resultate wurden in einer kürzlich publizierten prospektiven Multizenterstudie bestätigt (10): Hier wurden 61 Patienten neoadjuvant mit Cisplatin und Gemcitabin behandelt. Eine extrapleurale Pneumonektomie konnte bei 45 der Patienten durchgeführt werden. Die perioperative Mortalität betrug 2,2%.
Das mediane Überleben nach Behandlungsintension betrug 19,8 Monate, das mediane Überleben nach extrapleuraler Pneumonektomie betrug 23 Monate (Abbildung 4). Die Befragungen zur Lebensqualität ergaben, dass Patienten sich unter dieser intensiven Behandlung längerfristig nicht beeinträchtigt fühlten. Im internationalen Vergleich liegen unsere Behandlungsresultate mit einer neoadjuvanten Chemotherapie und extrapleuraler Pneumonektomie an der Spitze. Die Chemotherapie wird heute mit Cisplatin und Pemetrexed durchgeführt. Unsere Erfahrung mit über 100 behandelten Patienten zeigt eine bessere Verträglichkeit der Pemetrexed- ge-
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damit die besten chirurgischen Optionen im Behandlungsplan mit angewandt werden können.
Abbildung 3: Extrapleurale Pneumonektomie mit En-bloc-Resektion der Pleura und der Lunge mit dem ipsilateralen Zwerchfell und Perikard
Ein-Jahres-Überleben: 69% Medianes Überleben: 19,8 Monate
(95%-Kl: 14,6–24,5 Monate)
Ein-Jahres-Überleben: 78% Medianes Überleben: 23,0 Monate
(95%-Kl: 16,6–32,9 Monate)
Abbildung 4: Überlebenskurve der Patienten, behandelt mit neoadjuvanter Chemotherapie und extrapleuraler Pneumonektomie (alle Patienten und Patienten mit extrapleuraler Pneumonektomie)
genüber der Gemcitabin-Kombination und weiterhin ein medianes Überleben von 23 Monaten. Im Rahmen einer randomisierten Multizenterstudie (SAKK 17/04) untersuchen wir gegenwärtig den Stellenwert einer postoperativen Radiotherapie nach neoadjuvanter Chemothe-
rapie und extrapleuraler Pneumonektomie. Wir empfehlen, Patienten mit Pleuramesotheliom zur Abklärung bezüglich einer multimodalen Behandlung frühzeitig einem auf dem Gebiet der Thoraxonkologie spezialisierten Zentrum zuzuweisen,
Merkpunkte: Pleuramesotheliom
▲ Die Erkrankungshäufigkeit nimmt weiterhin zu. ▲ Häufigste Präsentationen sind Anstrengungsdyspnoe, Thoraxschmerzen, einseitiger Pleuraerguss
oder pleurale Verdickung. ▲ Asbestexposition ist in der Anamnese zu finden. ▲ Diagnose erfolgt mittels thorakoskopischer Biopsie und Immunhistochemie. ▲ Abklärung muss im Zentrum bezüglich operativer Optionen erfolgen. ▲ Bestes Überleben besteht nach neoadjuvanter Chemotherapie und extrapleuraler Pneumonekto-
mie; Stellenwert der Strahlentherapie wird untersucht. ▲ Palliative Chemotherapie mit Pemetrexed und Cisplatin oder Carboplatin ist Standard.
Chemotherapie Eine Kombinationstherapie mit Pemetrexed und Cisplatin ist heute die bevorzugte Behandlung beim fortgeschrittenen Pleuramesotheliom. Dies basiert auf einer grossen prospektiven Studie, welche die Überlegenheit dieser Kombination gegenüber Cisplatin allein gezeigt hat. Es wurden eine Remissionsrate von 17% (vs. 47%) und eine mediane Überlebenszeit von 9,3 Monaten (vs. 12,1 Monate) erreicht (11). Phase-II-Studien mit Pemetrexed und Carboplatin anstelle von Cisplatin zeigen ähnliche Resultate und sehr wenig Behandlungstoxizität. Diese Kombination sollte insbesondere bei Patienten mit reduziertem Allgemeinzustand oder Komorbiditäten erwogen werden (12, 13). Ob abwarten oder ein früher Beginn einer Chemotherapie vorteilhafter ist, wurde in einer kleinen englischen Studie untersucht (14). Hier zeigte sich, dass der Zeitraum bis zur Progression der Symptomatik nach einer frühen Behandlung signifikant verlängert war. Daher und auch wegen der sehr geringen Behandlungstoxizität unter der heutigen Chemotherapie empfehlen wir, mit dem Patienten frühzeitig über die Möglichkeiten einer Chemotherapie zu sprechen. Ungeklärt ist gegenwärtig der Einsatz einer Zweitlinienchemotherapie nach Pemetrexed und Platin. Ausserhalb von Studien verwenden wir vorzugsweise Vinorelbin. Wir offerieren gegenwärtig Patienten die Teilnahme an einer vergleichenden Studie zwischen Vinorelbin und dem oralen Tyrosinkinase-Inhibitor Vandetanib. ▲
Prof. Dr. med. Rolf A. Stahel Leitender Arzt Klinik und Poliklinik für Onkologie UniversitätsSpital Zürich Rämistrasse 100 8091 Zürich E-Mail: rolf.stahel@usz.ch
und
Prof. Dr. med. Walter Weder Direktor Klinik für Thoraxchirurgie UniversitätsSpital Zürich Rämistrasse 100 8091 Zürich E-Mail: walter.weder@usz.ch
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