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Epidemiologische, klinische und biologische Besonderheiten bei NSCLC
Nie geraucht und Lungenkrebs ...
Auch wenn Lungenkrebs meist eine «Raucherkrankheit» ist, darf nicht übersehen werden, dass etwa ein Viertel der Erkrankten nie geraucht hat. In neueren Studien fallen markante epidemiologische, klinische und molekulare Unterschiede der Lungentumoren bei Rauchern und Nichtrauchern auf, sodass bereits postuliert wird, dass Lungenkrebs bei Nichtrauchern eine eigene Tumorentität darstellt. Es zeichnen sich Konsequenzen für spezielle Präventions-, Diagnostik- und Therapiestrategien ab.
Amerikanische Onkologen haben den bisherigen Kenntnisstand zum Lungenkrebs bei Nichtrauchern kürzlich zusammengefasst und markante Resultate herausgestellt. Sie definierten dabei «Nichtraucher» («never smoker») als solche, die weniger als 100 Zigaretten in ihrem Leben konsumiert haben, und Raucher («current smoker, ever smoker») als solche, die derzeit rauchen oder vor weniger als zwölf Monaten das Rauchen eingestellt haben. Sie beziehen sich in ihrer Arbeit auf nichtkleinzellige (80% der Fälle) und kleinzellige Lungenkarzinome (NSCLC bzw. SCLC) und schliessen Sarkome, Lymphome sowie Mesotheliome aus.
Über die Hälfte Frauen
Weltweite Krebsstatistiken haben errechnet, dass ein Viertel aller Lungenkrebsfälle (NSCLC, CLC) Nichtraucher treffen. 15% der Männer mit NSCLC sind Nichtraucher; der Anteil der Frauen mit NSCLC, die nicht geraucht haben, beträgt aber 53% (!). Lungenkrebs bei Nichtrauchern wird zur markanten Grösse in der Krebsstatistik: In der Liste der häufigsten krebsbedingten Todesursachen rangieren Lungenkarzinome bei Nichtrauchern auf Platz 7, in der Mortalitätshäufigkeit vor Karzinomen der Zervix, des Pankreas und der Prostata. Da laut optimistischen Schätzungen Tabakabstinenzbeziehungsweise Rauchstopprogramme in den entwickelten westlichen Ländern immer mehr «greifen» (d.h. immer weniger Menschen rauchen), wird «Nichtraucher-Lungenkrebs» wahrscheinlich an Bedeutung gewinnen. In Subanalysen neuerer Studien wurde bereits deutlich, dass grosse Unterschiede in der Prävalenz
je nach Geschlecht, aber auch hinsichtlich klinisch-pathologischer und molekularer Merkmale gegenüber dem «RaucherLungenkrebs» bestehen.
Rauchinhalation markanteste Grösse
Noch ist die Inzidenz von Lungenkrebs bei Nichtrauchern kaum untersucht: Zwei Studien existieren und fanden eine Zunahme in den vergangenen Jahrzehnten. Eine dieser Studien dokumentierte eine Zunahme von 12,3 auf 14,7 pro 100 000 Frauen, mit statistischer Signifikanz erst bei 70- bis 84-Jährigen. Das starke Vorherrschen der Frauen bei der Nichtraucher-NSCLC ist ganz besonders in Ostund Südasien auffällig: Hier zeigte sich, dass 83% der nicht rauchenden Lungenkrebspatienten Frauen sind. Adenokarzinome stellen den häufigsten NSCLC-Subtyp bei den erkrankten Nichtrauchern und auch bei den jungen Lungenkrebspatienten (unter 40 Jahren) dar. Bei Nichtrauchern sind überwiegend periphere Atemwege betroffen. Zu verzeichnen ist im Übrigen ein steiler Anstieg von Adenokarzinomen (und ein Rückgang von Plattenepithelkarzinomen) auch bei Rauchern, was als eine Folge der immer beliebteren Filter-Light-Zigarette (mit reduziertem Teer- und Nikotingehalt) und der Kompensation durch tiefere Inhalationen betrachtet wird. Raucher sind 10- bis 20-mal so stark gefährdet, Lungenkrebs zu entwickeln wie Nichtraucher. Daneben scheinen umweltbezogene, genetische, hormonale und virale Faktoren mit dem Lungenkrebsrisiko verbunden zu sein. Zu den Umweltfaktoren gehören:
▲ die verstärkte Exposition von Tabakrauch in der Umgebung (Passivrauchen!) mit einem geschätzten relativen Risiko (RR) von 1,22 gemäss Metaanalysen
▲ das natürliche Gas Radon mit einem RR von 10 gemäss Metaanalysen
▲ Kochöldämpfe sowie Kohle- und Holzverbrennung mit einem RR von 2 gemäss Metaanalysen.
Hierbei ist die Häufigkeit, mit der Menschen diesen Risikofaktoren ausgesetzt sind, einzukalkulieren. Der hohe Anteil der nicht rauchenden Frauen mit Lungenkrebs in Süd- und Ostasien wird auf deren ärmliche häusliche Bedingungen (Kohle-/ Holzheizung, Küchenkochöldämpfe in Häusern ohne Rauchabzug respektive Ventilation) und die ständige Exposition gegenüber diesen Dämpfen zurückgeführt. In unseren Breiten ist die Exposition gegenüber Tabakrauch (Passivrauchen) ein Thema, das in einer Vielzahl von Studien untersucht wurde. Allein das Passivrauchen in der Nähe rauchender Ehemänner, also eine sehr häufige Exposition, ist gemäss einer amerikanischen Studie für jährlich zirka 3000 lungenkrebsbedingte Todesfälle von Frauen in den USA verantwortlich. Passivrauchen zu Hause oder/und am Arbeitsplatz erhöht das Lungenkrebsrisiko um 20 bis 25%, fanden mehrere Studien.
Östrogenrezeptoren könnten aufschlussreich werden
Der höhere Anteil der Frauen bei Nichtraucher-Lungenkrebs lässt eine Bedeutung geschlechtsspezifischer Hormone in der Pathogenese vermuten. Einige Untersuchungen weisen eine biologische Rolle der Östrogene in der Entwicklung von Lungenkrebs nach. Auch wenn die Studien hierzu noch experimentell sind, kann davon ausgegangen werden, dass Östrogenrezeptoren (ER) in NSCLCGeweben exprimiert sind und Östrogene die Proliferation der Tumorzellen stimulieren. ER-β bestehen besonders häufig in NSCLC-Zellen bei Frauen und bei Nichtrauchern; dabei scheint die
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Überexprimierung mit besserer Prognose verbunden zu sein als die von ER-α. Noch ist die Rolle dieser Faktoren in der Karzinogenese aber nicht schlüssig beurteilbar. Entsprechendes gilt für virale Faktoren. Geschätzt wird, dass 15 bis 25% der Krebserkrankungen eine virale Ätiologie haben. Eine mögliche Rolle des humanen Papillomavirus (HPV) 16 und 18 und des sogenannten Jaasiekte-Schafvirus in der Pathogenese des Lungenkrebses wird gemäss zwei Studien vermutet, insbesondere bei nicht rauchenden Frauen. Die Tatsache, dass «nur» 10 bis 20% der Raucher Lungenkrebs entwickeln, spricht für eine starke genetische Komponente in der Pathogenese dieses Karzinoms. Eine neuere Analyse von elf Studien fand, dass Lungenkrebs bei einem Nichtraucher in der Familie mit einem um den Faktor 1,5 erhöhten Lungenkrebsrisiko für nahe Verwandte verbunden ist. Individuelle Variationen, ob und wie Karzinogene metabolisiert werden, bewirken eine unterschiedliche Empfindlichkeit für Lungenkrebs auch innerhalb einer Familie.
EGFR, KRAS und TP53: wegweisend
Trotz einer Vielzahl von Studien bleiben die Rolle von Genen und solchen Genen, die im Metabolismus der Karzinogenese involviert sind, sowie Unterschiede in der DNA-Reparatur-Kapazität noch weitgehend unklar. Interessant sind aber, dass bestimmte Genmutationen überwiegend im Lungentumorgewebe von Nichtrauchern bestehen: Kürzlich wurden für drei in der Pathogenese wesentlich involvierte Gene – EGFR, KRAS und TP53 – deutliche Unterschiede der molekularen Alterationen bei Nichtrauchern und Rauchern entdeckt. Dies brachte den Nachweis, dass die Krankheit bei beiden Gruppen durch verschiedene molekulare Mechanismen entsteht. Das EGFR-Protein gehört zu einer Familie von vier Oberflächen-Rezeptor-Tyrosinkinasen, welche bei vielen Krebsarten exprimiert ist, darunter bei der Hälfte der Patienten mit Lungenkarzinom. EGFR löst eine Kaskade von Signalereignissen aus, welche antiapoptotische Signale, Proliferation, Angiogenese, Invasion und Metastasenbildung triggern. Diese Beobachtungen führten zur Entwicklung und
breiten klinischen Untersuchung von kleinen molekularen Tyrosinkinasehemmern (TKI), darunter Erlotinib (Tarceva®) und Gefitinib (Iressa®). Auch wenn diese Inhibitoren bei den meisten Lungenkrebspatienten wenig oder keinen Erfolg zeigen, sind in einigen Fällen dramatische Ansprechraten dokumentiert worden: Bei den betroffenen Patienten wurden Mutationen im Tyrosinkinasebereich des EGFR nachgewiesen. Charakteristische Merkmale der Therapieresponder sind dabei: Adenokarzinome, ostasiatische Ethnie, weibliches Geschlecht und – Nichtraucher.
Auf einen Blick
Etwa ein Viertel aller Lungenkrebsfälle sind bei Nichtrauchern zu finden. Lungenkrebs bei Nichtrauchern: ▲ gehört zu den 7 häufigsten krebsbedingten
Todesursachen und liegt damit vor Zervix-, Pankreas- und Prostatakrebs ▲ betrifft überwiegend Frauen ▲ manifestiert sich meist als Adenokarzinom in den distalen Atemwegen ▲ hat charakteristische Genmutationsmuster bei TP53-, KRAS- und EGFR-Genen, die bei Rauchern selten vorkommen ▲ spricht auf zielgerichtete Therapien mit EGFR-Tyrosinkinasehemmern bevorzugt an ▲ wird sich als eigene Tumorentität etablieren.
Mutationen des KRAS-Gens, welches in der Zellproliferation involviert ist, bestehen meist bei Adenokarzinomen. (Bei Lungentumoren sind diese Mutationen ausschliesslich bei NSCLC zu finden). Betroffene Patienten haben eine schlechte Prognose und zeigen Resistenz auf EGFR-TKI. KRAS-Mutationen sind bei Nichtrauchern selten. Das Tumorsuppressorgen TP53, welches hauptsächlich als Transkriptionsfaktor für eine grosse Zahl von zielgerichteten Genen agiert, findet sich seltener im Lungentumor von Nichtrauchern als von Rauchern und zeigt dabei unterschiedliche Transkriptionsmuster. Obwohl EGFRund KRAS-Mutationen sich gegenseitig ausschliessen, finden sich TP53-Mutationen (bei NSCLC) unabhängig vom EGFR- und KRAS-Mutationsstatus. Studien über weitere molekulare Verän-
derungen bei Lungenkrebs unterstützten die Hypothese, dass die Genexpressionsprofile der Tumoren bei Nichtrauchern und bei Rauchern unterschiedlich sind.
Klinische Unterschiede
Markant sind klinische Unterschiede des
Lungenkrebses bei Nichtrauchern, ver-
glichen mit dem der Raucher: Meist sind
Frauen betroffen. In Studien aus Japan,
Hongkong und Singapur zeigt sich, dass
dort Nichtraucher-Lungenkrebs eher bei
jungen Menschen (Frauen) diagnostiziert
wird als Raucher-Lungenkrebs – im Ge-
gensatz zu Untersuchungen aus dem
amerikanischen und europäischen Raum,
wo Lungenkrebs wegen des Nichtrau-
cherstatus meist spät erkannt wird.
Verschiedene Studien berichteten über
ein zum Teil signifikant besseres Überle-
ben bei Nichtrauchern, unabhängig von
Stadium, Therapie, Komorbiditäten und
weiteren prognostischen Faktoren. Auch
diese Beobachtungen sprechen für bio-
logische Unterschiede der Krankheit bei
Rauchern und Nichtrauchern. Eine
neuere Studie fand selbst bei mestasta-
sierter Erkrankung eine signifikant
höhere Rate der Response auf Chemo-
therapie und ein längeres Gesamtüber-
leben in der Nichtrauchergruppe. Mar-
kant sind die Unterschiede in der
zielgerichteten Behandlung mit EGFR-
TKI wie oben beschrieben mit teilweise
viermal höheren Ansprechraten. Thera-
piestudien für ausgewählte Patienten-
gruppen, insbesondere für NSCLC bei
Nichtrauchern, laufen zurzeit.
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Bärbel Hirrle
Quelle: Sun, S., Schiller, J.H., Gazdar, A.F.: Lung cancer in never smokers – a different disease. Nature 2007; 7: 778–790.
Die Autoren, Onkologen aus Texas, haben für ihren Artikel den internationalen Journalist Award der Global Lung Cancer Coalition 2007 erhalten.
Die wichtigsten Referenzen: 1. Parkin, D. et al.: Global cancer statistics 2002. CA Cancer J. Clin 2005; 55: 74–108. 2. Boffeta, P. et al.: Int. J. Cancer 2001; 94: 591–593. 3. Thun, M.J. et al.: J. Natl. Cancer Inst. 2006; 98: 691–699.
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