Transkript
Im Fokus: Hereditäre Tumorkrankheiten bei Frauen
Familiärer Brust- und Eierstockkrebs
Interdisziplinäres Betreuungskonzept in spezialisierten Zentren Das erbliche Mamma- und Ovarialkarzinom stellt eine spezifische Subgruppe von Tumoren dar, die nicht nur histopathologische Besonderheiten aufweist, sondern auch spezifische diagnostische und therapeutische Massnahmen erfordert. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit in spezialisierten Zentren erlaubt es, die betroffenen Patientinnen und Ratsuchenden umfassend zu beraten und zu betreuen. Darüber hinaus werden aus der Datenanalyse in diesen Zentren wertvolle neue Erkenntnisse gewonnen, die in die klinische Betreuung einfliessen.
KERSTIN LÜDTKE-HECKENKAMP, NICOLE BÜRKI, RITA SCHMUTZLER
Brustkrebs ist die am häufigsten diagnostizierte Krebserkrankung bei Frauen in Deutschland und in der Schweiz. Nach Angaben des deutschen RobertKoch-Instituts ist etwa jede zehnte Frau betroffen, das mittlere Erkrankungsalter liegt bei 65 Jahren. In der Schweiz entspricht dies zirka 5000 Neuerkrankungen pro Jahr, wovon 20% vor dem 50. Lebensjahr auftreten (www.asrt.ch). Das Brustkrebsrisiko bei der vergleichsweise kleinen Gruppe der Frauen mit erblicher Belastung liegt um ein Vielfaches höher als in der Allgemeinpopulation: Die Betroffenen erkranken in 60 bis 80% der Fälle an einem Mamma- und in 20 bis 50% an einem Ovarialkarzinom. Ihr mittleres Erkrankungsalter liegt mit durchschnittlich 45 Jahren deutlich unter dem der Allgemeinbevölkerung. Es wird geschätzt, dass bei rund 0,04 bis 0,2% der gesunden Frauen und bei 3 bis 5% der erkrankten Frauen eine solche erbliche Belastung vorliegt. Hinweise auf die erbliche Belastung ergeben sich häufig aus der Familienanamnese, wenn zum Beispiel mehrere nahe Verwandte schon jung an Brustkrebs erkrankt sind und/oder in der Familie auch Fälle von Eierstockkrebs vorkommen. Die allgemeinen Präventionsmassnahmen sind in diesen Fällen nicht ausreichend. In der jetzigen Geburtenkohorte bis zum 50. Lebensjahr sind bereits 40 bis 50% der Mutationsträgerinnen erkrankt. Im Rahmen eines Verbundprojektes «Familiärer Brust- und Eierstockkrebs» der Deutschen Krebshilfe wurden daher über einen Förderzeitraum von acht
Jahren (1996 bis 2004) zwölf interdisziplinäre universitäre Zentren in Deutschland etabliert, welche ein strukturiertes und standardisiertes Vorgehen zur Beratung, Gendiagnostik und Prävention eingeführt und evaluiert haben. Die Ratsuchenden erhalten hier zum einen eine Antwort auf die Frage, ob sie ein erbliches Erkrankungsrisiko aufweisen, zum anderen aber auch Hilfestellung, wie sie mit einem erhöhten Risiko und gegebenenfalls einem positiven genetischen Befund umgehen können.
«Zentrumsversorgung» für Betroffene
Aufgrund der sehr positiven Ergebnisse dieser Erprobungs- und ersten Evaluationsphase nahmen die Krankenkassen das interdisziplinäre «Gesamtpaket» im Verlauf des Jahres 2005 in die Regelfinanzierung auf. Grundlage für den Mustervertrag, der zwischen den Zentren und Krankenkassen geschlossen wurde, bildeten die 2003 eingeführten Änderungen des Sozialgesetzbuches, wonach die Krankenkassen unter bestimmten Bedingungen direkte Verträge mit den Krankenhäusern über die Erbringung hochspezialisierter Leistungen abschliessen können. Angesichts der geringen Zahl Betroffener bezogen auf die Allgemeinbevölkerung ist die «Zentrumsversorgung» sinnvoll und wichtig, da hierdurch eine für das Gesamtsystem der gesetzlichen Krankenversicherung optimale Ressourcennutzung und die Sicherung der Behandlungsqualität erreicht werden kann. Die Zentren bieten
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1. interdisziplinäre Spezialkompetenz für diese seltene Erkrankung
2. die Möglichkeit, diese besonderen Krankheitsverläufe gut verfolgen zu können
3. die Möglichkeit, aus der Dokumentation möglichst vieler betroffener Ratsuchender beziehungsweise Patienten zusätzliche Erkenntnisse zu gewinnen, um diese wiederum dynamisch in die Behandlungsabläufe zu implementieren.
Um Letzteres qualitätsgesichert und ergebniskontrolliert umsetzen zu können, wurde eine zentrale EDV-basierte Datenbank an der Universität Leipzig etabliert, an welche die Zentren alle Familien in pseudonymisierter Form melden. Aktuell wurden seit Beginn des Verbundprojektes deutschlandweit über 9000 Familien beraten. Bei den Indexpatientinnen (Erkrankten) aus etwa 5600 Familien wurde eine Genanalyse durchgeführt. Hierbei wurden rund 1250 Familien mit einer Mutation in den Genen BRCA1 oder BRCA2 identifiziert. Von über 1700 prädiktiv getesteten Ratsuchenden konnten 620 entlastet werden (unpublizierte Daten IMISE Leipzig).
Indikationen für eine Testung der Gene BRCA1 und BRCA2
Folgende aufgrund der bisherigen Erfahrungen aktualisierte Kriterien führen zum Einschluss ratsuchender Familien in das Betreuungskonzept. In Deutschland betrifft dies Familien mit ▲ mindestens zwei an Brustkrebs er-
krankten Frauen, davon eine unter 51 Jahren ▲ mindestens einer an Brustkrebs und einer an Eierstockkrebs erkrankten Frau ▲ mindestens einer an Brust- und Eierstockkrebs erkrankten Frau ▲ mindestens einer an beidseitigem Brustkrebs erkrankten Frau unter 51 Jahren ▲ einer an einseitigem Brustkrebs erkrankten Frau unter 36 Jahren ▲ mindestens einem an Brustkrebs erkrankten Mann und zusätzlich einem/r an Brust- oder Eierstockkrebs Erkrankten. Diese Einschlusskriterien wurden auf der Basis einer mindestens zehnprozenti-
gen Mutationsdetektionswahrscheinlichkeit ermittelt und in regelmässigen Abständen evaluiert. Die in der Schweiz in Vernehmlassung stehenden Richtlinien basieren ebenfalls auf der Limite einer zehnprozentigen Detektion einer Mutation, setzen aber die Alterslimiten für Familien mit einer einseitig an Brustkrebs erkrankten Frau auf unter 40 Jahren statt unter 36 Jahren. Ferner wird bei Familien mit zwei nahen Verwandten mit Brustkrebs verlangt, dass beide ≤ 50 Jahre alt sind. Zudem sind die Einschlusskriterien erweitert um Familien mit lediglich einer Frau mit Eierstockkrebs ≤ 50 Jahren oder mit mehreren Frauen mit Eierstockkrebs ohne Alterslimite und ohne zusätzlichen Brustkrebs. Familien mit Ashkenazim-jüdischer Ethnie wird eine Sonderstellung eingeräumt.
Das Beratungskonzept
Nach den Richtlinien der Bundesärztekammer ist eine angemessene Beratung und Betreuung von Patienten und Personen aus Familien mit genetischer Krebsdisposition nur durch ein interdisziplinäres Vorgehen gewährleistet. In die Beratung müssen daher ein mit dem jeweiligen Krankheitsbild vertrauter Facharzt (im Fall des erblichen Brust- und Eierstockkrebs ein Facharzt für Frauenheilkunde) und ein Facharzt für Humangenetik sowie gegebenenfalls ein Psychologe/Psychoonkologe einbezogen sein. Die ratsuchende Frau soll in die Lage versetzt werden, eine eigenständige Entscheidung darüber zu treffen, wie sie mit ihrem genetischen Risiko umgehen möchte, das heisst ob sie eine molekulargenetische Diagnostik wünscht und welche präventiven Massnahmen für sie in Betracht kommen. In diesem Rahmen werden die Ratsuchenden/Betroffenen über die Möglichkeiten, Grenzen und Konsequenzen der genetischen Analyse aufgeklärt.
Molekulargenetische Diagnostik der Gene BRCA1 und BRCA2
Mutationen in den Genen BRCA1 oder BRCA2 werden autosomal-dominant vererbt, das heisst die Kinder einer Mutationsträgerin tragen nach den mendelschen Regeln ein 50%-iges Risiko, selbst Mutationsträger zu sein. Zur Tumorinitia-
tion kommt es bei einer Mutationsträgerin erst nach der Inaktivierung des zweiten gesunden Allels (Wildtyp-Allel) in einer einzelnen Epithelzelle des betreffenden Organs. Dies geschieht meistens erst im Erwachsenenalter im Rahmen eines zufällig auftretenden chromosomalen Umbaus in der Zelle und kann im Tumor durch den Verlust der Heterozygotie (loss of heterozygosity, LOH) nachgewiesen werden. Da dieses zweite Ereignis aber nicht bei allen Mutationsträgerinnen auftritt, erklärt dies die unvollständige Penetranz (~80%) der Erkrankung (1). Die Genanalyse wird in allen Zentren nach einem standardisierten Vorgehen (DHPLC und Sequenzierung) und regelmässigen Qualitätskontrollen in Form von Ringversuchen durchgeführt (2). Bei Familien, die die Einschlusskriterien erfüllen, werden pathogene Mutationen in den Hochrisikogenen BRCA1 und BRCA2 festgestellt. In rund 20% der Fälle werden sogenannte unklassifizierte Mutationen (d.h. Missensmutationen oder potenzielle Spleissmutationen) festgestellt, denen keine eindeutig pathogene Wirkung zugeordnet werden kann. Bei rund 55% werden keine suspekten Veränderungen in den beiden Genen gefunden. Nur der Nachweis einer eindeutig pathogenen Mutation bei einer betroffenen Frau in der Familie (Indexfall) erlaubt eine Konkretisierung des statistischen Risikos und ermöglicht eine prädiktive Genanalyse bei den gesunden Ratsuchenden aus dieser Familie. Wird die Mutation bei einer gesunden Ratsuchenden ebenfalls nachgewiesen, so erhöht sich ihr Erkrankungsrisiko auf über 80%. Präventionsmassnahmen sind indiziert. Wird die Mutation bei einer Ratsuchenden ausgeschlossen, so kann diese entlastet und in die allgemeine Vorsorge zurück überwiesen werden. Wird bei der Untersuchung eines Indexfalles eine unklassifizierte Variante gefunden, so ist eine prädiktive Testung nicht indiziert, da die pathogenetische Bedeutung der genetischen Veränderung unklar ist. In diesen Fällen werden aber weitere Analysen im Rahmen begleitender wissenschaftlicher Projekte angeschlossen, durch die bereits eine Reihe dieser unklaren Mutationen kategorisiert werden konnten.
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Wird bei der Untersuchung eines Indexfalles keine Veränderung in einem der beiden bekannten Brustkrebsgene gefunden, so ist nicht auszuschliessen, dass eine Veränderung in einem noch unbekannten Gen für die Entstehung des Brustkrebses verantwortlich ist. Eine prädiktive Genanalyse ist auch hier nicht möglich. Die Suche nach neuen Risikogenen in diesen negativ getesteten Familien mittels genomweiter Hochdurchsatztechniken ist gegenwärtig das Hauptziel der begleitenden Forschungsprojekte.
Das Präventionskonzept
Aufgrund des frühen mittleren Erkrankungsalters für ein Mammakarzinom müssen Prävention und Früherkennung frühzeitig einsetzen. Das multimodale Früherkennungsprogramm besteht aus einer halbjährlichen klinischen Untersuchung und Sonografie der Brust ab dem 25. Lebensjahr sowie einer jährlichen Mammografie und Brust-MRT ab dem 30. Lebensjahr. Die in den zwölf Zentren durchgeführten Früherkennungsmassnahmen werden in der Datenbank in Leipzig einer umfassenden Ergebnisanalyse unterzogen, um Informationen durch die Kombination der bildgebenden Untersuchungen sowie über die Relevanz für die brustkrebsbedingte Mortalität gewinnen zu können. Es konnte bereits belegt werden, dass erbliche Tumoren spezifische bildgebende Charakteristika aufweisen und eine Frühdiagnostik möglich ist (3–6). Nach bisherigen Ergebnissen hat die Früherkennung für Prävention und Verlauf des Ovarialkarzinoms keinen Nutzen erbracht (7). Eine klinische Prävention ist nach derzeitigem Erkenntnisstand dann indiziert, wenn ▲ eine Mutation in einem der bekann-
ten Brustkrebsgene nachgewiesen wurde oder ▲ das Heterozygotenrisiko über 20% oder ▲ das lebenslange Erkrankungsrisiko über 30% liegt. Die spezifischen präventiven Massnahmen hängen ausserdem vom Alter und der individuellen Lebenssituation ab. Neue prospektive und retrospektive Untersuchungen belegen, dass die prophylaktische Adnexektomie das Risiko für
Eierstockkrebs bei Frauen mit einer familiären Belastung für das Ovarialkarzinom um > 90% reduziert (8, 9). Auch das Risiko für ein Mammakarzinom wird durch die Adnexektomie um etwa 50% gesenkt. Der Effekt wird durch einen Wegfall der hormonellen Stimulation des Brustdrüsengewebes erklärt. Die prophylaktische Adnexektomie wird daher ab einem Alter von 40 Jahren und bei abgeschlossener Familienplanung empfohlen. Bisher haben sich rund 15% der Mutationsträgerinnen, in letzter Zeit mit steigender Akzeptanz, für einen solchen Eingriff entschieden. Eine niedrig dosierte Hormonersatztherapie bis zum Alter der natürlichen Menopause ist möglich. Retrospektive und prospektive Untersuchungen belegen, dass bei Frauen mit einer BRCA1- oder BRCA2-Mutation das Erkrankungsrisiko durch eine prophylaktische bilaterale Mastektomie auf unter 2% gesenkt wird (10). Eine simultane Rekonstruktion sollte angeboten werden. Bisher haben sich weniger als 10% der gesunden Mutationsträgerinnen für diese Massnahme entschieden. Eine detaillierte histologische Aufarbeitung der Operationsresektate in den Zentren zeigte vermehrt Präneoplasien im Brustdrüsengewebe ab einem Alter von 40 Jahren.
Neue Therapieoptionen
Die BRCA-assoziierten Tumoren unterscheiden sich in ihrem Genexpressionsmuster und auch im Phänotyp von den sporadischen Mammakarzinomen. Es gibt histopathologische Kriterien, die bereits den Verdacht auf einen BRCA1assoziierten Tumor nahelegen. Das BRCA1-Protein spielt eine wichtige Rolle bei der Reparatur von DNA-Doppelstrangbrüchen durch homologe Rekombination. Es interagiert mit einer Reihe von Proteinen wie RAD51 oder BRCA2, die an diesem DNA-Reparaturmechanismus beteiligt sind, und ist dadurch für die Integrität des Genoms verantwortlich (11). Auf diese Schlüsselfunktion ist es zurückzuführen, dass eine pathogene BRCA-Mutation bei Verlust des Wildtyp-Allels weitreichende Konsequenzen hat und die Sensitivität einer Zelle gegenüber DNA-schädigenden Substanzen regulieren kann. In-vitro-Stu-
dien untermauern dies und zeigen eine deutlich unterschiedliche Sensitivität von Tumorzellen mit BRCA1-Defekt im Vergleich zu Tumorzellen sporadischer Mammakarzinome gegenüber bestimmten Chemotherapeutika: So steht eine erniedrigte Sensitivität der BRCA1-defizienten Zellen für Spindelgifte und Topoisomerase-II-Hemmer, zum Beispiel Paclitaxel (Taxol®), einer gesteigerten Sensitivität für DNA-interkalierende Chemotherapeutika, zum Beispiel Cisplatin, gegenüber (12). Bislang wurden die von BRCA1- oder BRCA2-assoziiertem Brustkrebs betroffenen Frauen genauso behandelt wie die Patientinnen mit sporadischem Mammakarzinom. Hierauf wertete das «Polnische Konsortium für familiären Brust- und Eierstockkrebs» in einer retrospektiven Untersuchung das Tumoransprechen bei Patientinnen mit hereditärem und sporadischem Mammakarzinom auf unterschiedliche neoadjuvante Chemotherapieregime aus: Es zeigte sich auch hier, dass die BRCA1-assoziierten Mammakarzinome auf Spindelgifte wie Docetaxel häufig nicht ansprachen, jedoch auf DNA-schädigende Agenzien (13). Vorrangiges Ziel ist es nun, die bisherigen Ergebnisse anhand prospektiver klinischer Studien zu stützen und Patientinnen mit hereditärem Mammakarzinom einer individuellen Therapie zuzuführen.
Neue Studien zu BRCA-assoziierten Tumoren Eine erste wichtige Studie hierzu ist die BRCA-Studie, die in England, als «Investigator initiated trial» von Cancer Research UK und Breakthrough Breast Cancer gefördert und begonnen wurde und auch in Deutschland ab diesem Frühjahr in sieben Zentren des Konsortiums starten soll. Primäres Ziel der Studie ist, bei BRCA1- und BRCA2-Mutationsträgerinnen mit metastasierendem Brustkrebs (first line) zu evaluieren, ob eine Carboplatinmonotherapie eine bessere Alternative zur Standardbehandlung mit Docetaxel darstellt. Es sind jeweils sechs Zyklen vorgesehen, bei Progression der Erkrankung besteht die Möglichkeit zum Crossover. Einen wesentlichen Schritt zur spezifischen Therapie der BRCA-assoziierten Tumoren stellt der klinische Einsatz eines
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PARP-Inhibitors dar, mit dem erstmals ein
gut verträgliches, orales Medikament zur
Verfügung steht, das die spezifischen ge-
netischen Veränderungen in den Tumor-
zellen der Patientinnen als therapeuti-
schen Angriffspunkt nutzt (14, 15). Die
BRCA1-/BRCA2-Genprodukte sind wich-
tig für die DNA-Doppelstrangreparatur
durch homologe Rekombination. Der In-
hibitor des PARP-1-Enzyms, derzeit in
Phase-II-Studien eingesetzt, hemmt ge-
zielt einen DNA-Einzelstrangreparatur-
mechanismus, dessen Ausfall in den
schadhaften BRCA1- oder BRCA2-defizi-
enten Tumorzellen zu einer komple-
mentären Störung und zum Zelltod führt.
Die gesunden Körperzellen, die noch ein
funktionierendes BRCA-Gen besitzen,
werden dagegen nicht oder nur wenig
beeinträchtigt, wodurch die typischen
Nebenwirkungen einer Chemotherapie
weitestgehend ausbleiben.
Die ersten Ergebnisse der Phase-I-Stu-
dien sind sehr positiv. In den weltweit
durchgeführten Phase-II-Studien werden
Patientinnen mit metastasiertem
Mamma- oder Ovarialkarzinom (second
line) mit dem PARP-1-Inhibitor behan-
delt. Das deutsche Konsortium für fami-
liären Brust- und Eierstockkrebs beteiligt
sich mit vier Zentren (Heidelberg, Kiel,
München und Köln als Studienleitzen-
trum). Um Patientinnen mit metastasier-
tem Mamma- oder Ovarialkarzinom und
starker familiärer Belastung dieser viel-
versprechenden und nebenwirkungsar-
men Therapie im Falle eines positiven
Genbefundes zuzuführen, bieten die be-
treffenden Zentren eine «fast track»-
Gendiagnostik» an, die weniger als zwei
Monate benötigt.
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Prof. Dr. med. Rita Schmutzler (Korrespondenzadresse) Stiftungsprofessorin der Deutschen Krebshilfe Schwerpunkt Familiärer Brust- und Eierstockkrebs Universitätsfrauenklinik Köln Kerpener Str. 34 D-50931 Köln E-Mail: rita.schmutzler@uk-koeln.de
sowie
Dr. med. Kerstin Lüdtke-Heckenkamp Universitätsfrauenklinik Köln und
Dr. med. Nicole Bürki Frauenklinik Kantonsspital Liestal Tel. 061-925 22 00 E-Mail: nicole.buerki@ksli.ch
Quellen:
1. Antionou A et al.: Average risks of breast and ovarian cancer associated with BRCA1 or BRCA2 mutations detected in case series unselected for family history: a combined analysis of 22 studies. Am J Hum Genet 2003; 72: 1117–1130.
2. German Consortium for Hereditary Breast and Ovarian Cancer: Comprehensive analysis of 989 patients with breast or ovarian cancer provides BRCA1 and BRCA2 mutation profiles and frequencies for the German population. Int J Cancer 2002; 97: 472–480.
3. Schmutzler RK, Rhiem K, et al.: Outcome of a structured surveillance program in woman with a familial predisposition for breast cancer. European J Cancer Prevention 2006; 15 (6); 483–489.
4. Rhiem K, Flucke U, Schmutzler RK: BRCA1-Associated Breast Carcinomas Frequently Present with Benign Sonographic Features. Am J. Roentgenology 2006; 186: E11–E12.
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9. Rebbeck TR, Lynch HT, Neuhausen SL, et al.: Prophylactic oophorectomy in carriers of BRCA1 or BRCA2 mutations. N Engl J Med 2001; 346: 1616–22.
10. Meijers-Heijboer H, van Geel B, van Putten WL, et al.: Breast cancer after prophylactic bilateral mastectomy in women with a BRCA1 or BRCA2 mutation. N Engl J Med 2001; 345, 159–64.
11. Venkitaraman AR: Tracing the network connecting BRCA and Fanconi anaemia proteins. Nat Rev Cancer 2004; 4: 266–276.
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13. Byrski T, et al. (Polish Hereditary Breast Cancer Consortium): Response to neo-adjuvant chemotherapy in women with BRCA1-positive breast cancer. Breast Cancer Res. Treat. 2007; DOI 10.1007/s10549-007-9600-1.
14. Farmer H, McCabe N, et al.: Targeting the DNA repair defect in BRCA mutant cells as a therapeutic strategy. Nature 2005 434: 917–21.
15. Bryant HE, Schultz N, et al.: Specific killing of BRCA2-deficient tumours with inhibitors of poly(ADP-ribose) polymerase. Nature. 2005 Apr 14; 434(7035): 913–7. Erratum in: Nature. 2007; 447: 346.
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Diskussion:
Konsequenzen für die Praxis
Im Anschluss an das Referat von Frau Prof. Rita Schmutzler (Seite 6 bis 10) anlässlich der Fortbildung «Hereditäre Tumorkrankheiten der Frau» im Oktober 2007 diskutierte eine Expertengruppe aus den Disziplinen Medizinische Genetik, Gynäkologie und Plastische Chirurgie die Folgerungen für die medizinische Praxis bei Frauen mit Mamma- und Ovarialkarzinom-Veranlagungen.
NICOLE BÜRKI
(Resümee der Diskussion)
Die von PD Dr. Pierre Chappuis, Genf, geleitete SAKK-Arbeitsgruppe «Network for Cancer Predisposition, Testing and Counseling» formulierte Empfehlungen, welche Frauen im Hinblick auf Mamma- und Ovarialkarzinom-Veranlagungen einer genetischen Beratung bedürfen und für die Veranlassung von BRCA1/2-Gentests qualifizieren: «Swiss Referral Guidelines for Genetic Counselling and Evaluation for BRCA1/BRCA2 Testing». Diese Empfehlungen sind derzeit noch in Vernehmlassung bei verschiedenen Fachgesellschaften und sollen demnächst auf der SAKK-Website (www.sakk.ch) publiziert werden. Dort wird auch die Liste der Schweizer Zentren abrufbar sein, die eine entsprechende genetische Beratung nach Krankenpflege-Leistungsverordnung anbieten können (vgl. S. 12). Im Schosse einer Arbeitsgruppe der Schweizerischen Gesellschaft für Senologie (SGS) wurde ein einfacher «Quiz-Test» entwickelt, der allen Frauen mit einem Mammakarzinom abgegeben werden kann, um diejenigen aufzufinden, bei denen eine Veranlagung vorliegen könnte. ▲ Dieser Fragebogen ist auf folgender
Website einsehbar: http://pages.unibas.ch/genetik/pdf/TriageQuiz_Brustkrebs.pdf. ▲ Ein Kurzstammbaum zum Abgeben an
die Patientinnen findet man als letzte Seite unter: http://pages.unibas.ch/genetik/pdf/HNPCCDeutsch.pdf. BRCA1/2-Gentests sind keine generellen Screeninguntersuchungen. Sie bedürfen einer klaren Indikation, wenn man ein Übermass von Tests mit einem «negativen Re-
Diskussionspartner:
● Prof. Dr. med. Dr. h.c. Wolfgang Holzgreve*
● Prof. Dr. med. Gerhard Pierer**
* Chefarzt Universitätsfrauenklinik Basel ** Chefarzt Universitätsklinik für Wiederherstellende
Chirurgie Basel
sultat» vermeiden will. Ein solches lässt immer noch offen, ob nicht doch eine andere genetische Veranlagung für ein Mammakarzinom vorliegt, die noch nicht bekannt ist. Zur Bestimmung der Wahrscheinlichkeit, dass eine BRCA1/2-Genmutation vorliegen könnte, stehen Computerprogramme zur Verfügung.
Zeitaufwand für einen BRCA1/2Gentest Gentests können sehr arbeits- und damit zeitintensiv sein. Da es sich beim BRCA1und BRCA2-Gen um ausgesprochen grosse Gene handelt und Mutationen in deren gesamten Verlauf auftreten können, kann es Wochen dauern, bis das endgültige Resultat vorliegt. Die ratsuchenden Frauen und die sie betreuenden Ärzte sind über diese Situation zu informieren, um wegen der Wartezeit entstehende Frustrationen zu vermeiden. Sobald aber in einer Familie eine Genmutation einmal nachgewiesen wurde, wird es bei Angehörigen einfach, zu überprüfen, ob sie diese geerbt haben oder nicht. Bei Frauen mit einer Ashkenasim-jüdischen Abstammung sollte vorerst das mögliche Vorliegen folgender drei Mutationen überprüft werden: BRCA1 185del AG und 5382insC sowie BRCA2 6174delT.
Voraussetzungen für eine Mastektomie Die Entfernung einer Brust ist ein erheblicher Eingriff in die körperliche, aber auch seelische Integrität einer Frau und muss deshalb besonders gut überlegt sein. Dies gilt ganz besonders, wenn dieser Eingriff prophylaktisch und nicht aufgrund eines bereits vorliegenden malignen Geschehens geplant wird. Eine prophylaktische Mastektomie bedarf einer klaren medizinischen Indikation, die häufig auf Stammbaumanalysen und genetischen Risikoberechnungen für die Entwicklung eines zukünftigen Mammakarzinoms basiert, aber immer die Frau in ihrer Gesamtheit ins Zentrum stellt. Der gereifte Wunsch einer Frau nach einer solch einschneidenden prophylaktischen Massnahme wird somit vorteilhafterweise im Sinne eines ethischen Konsils in einem interdisziplinären Gremium von betreuenden Gynäkologen, Genetikern, plastischen Chirurgen, Ethikern und Psychologen der Tragweite entsprechend breit abgestützt, wie dies an der Universitätsklinik Basel bereits praktiziert wird.
Präimplantationsdiagnostik bei Trägerinnen einer BRCA1/2-Mutation Sobald die Mutation eines Gens bekannt ist, kann sie im Prinzip in einer einzelnen Zelle, so auch in einer solchen, die dem frühen Embryo entnommen wurde, festgestellt werden. Damit ist eine Präimplantationsdiagnostik (PID) des BRCA1- und auch des BRCA2-Gens prinzipiell möglich und wird zum Beispiel in angelsächsischen Ländern auch erwogen. In der Schweiz wird in den Kreisen, die eine PID befürworten, vornehmlich die Ansicht vertreten, dass sie für Krankheiten eingesetzt werden sollte, die während der Kindheit zu schwerer Krankheit führen. Zweifelsohne muss man auf die Situation der betroffenen Frau eingehen.
Dr. med. Nicole Bürki (Korrespondenzadresse) Frauenklinik Kantonsspital Liestal Rheinstrasse 26 4410 Liestal/BL E-Mail: nicole.buerki@ksli.ch
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Schweizer Zentren für die genetische Beratung und Auswertungen bei Tumorveranlagungen
Aarau Zentrum für Onkologie/Hämatologie Kantonsspital Aarau Dr. B. Röthlisberger Tel. 062-838 57 25
Basel 1) Abteilung für Medizinische Genetik UKBB/Departement Biomedizin 4058 Basel PD Dr. K. Heinimann, Prof. Hj. Müller, Dr. N. Bürki Tel. 061-685 64 15 Dr. N. Bürki (Kantonsspital Liestal) Tel. 061-925 22 00
2) Beratungsstelle für familiäre Tumorerkrankungen Abteilung für Onkologie, Kantonsspital 4031 Basel Prof. W. Weber-Stadelmann und H. Stoll Tel. 061-265 50 03
3) Prof. Walter Weber-Stadelmann Onkologische Praxis 4051 Basel Tel. 061-261 02 25
Bern 1) Sonnenhof Klinik Engeried Genetische Beratung 3012 Bern Dr. K. Buser und PD Dr. G. Pichert Tel. 031-309 95 03
2) Klinik und Poliklinik für Medizinische Onkologie Inselspital 3010 Bern Dr. M. Rabaglio und Dr. B. Röthlisberger Tel. 031-632 41 14
Genève 1) Unité d’oncogénétique et de prévention des cancers Service d’Oncologie Hôpitaux Universitaires de Genève 1211 Genève 4 PD Dr. P. Chappuis und Prof. A-P. Sappino Tel. 022-372 98 78
2) Service de Médecine Génétique Centre Médical Universitaire 1211 Genève 4 PD Dr. P. Chappuis Tel. 022-379 56 96
Neuchâtel Consultations d’oncogénétique Département Pluridisciplinaire d’Oncologie Hôpital Communal 2303 La Chaux-de-Fonds Dr. C. Monnerat Tel. 032-967 21 51
St. Gallen 1) Onkogenetische Beratung Zentrum für Tumordiagnostik und Prävention 9006 St. Gallen Dr. B. Bolliger und Dr. A. Glaus Tel. 071-243 00 43
2) Genetische Sprechstunde Fachbereich Onkologie/Hämatologie Kantonsspital St. Gallen 9007 St. Gallen Dr. D. Köberle, Prof. Hj. Müller und Prof. T. Cerny Tel. 071-494 11 11
Ticino Centro Di Consulenza Genetica Oncologica Istituto Oncologico della Svizzera Italiana (IOSI) Ospedale Beata Vergine 6850 Mendrisio Dr. O. Pagani Tel. 091-811 33 95/34 67
Valais Unité de Génétique Médicale Institut Central des Hôpitaux Valaisans 1951 Sion Dr. V. Membrez und PD Dr. P. Chappuis Tel. 027-603 48 53
Vaud 1) Consultations d’oncogénétique Service de Génétique Médicale Maternité – CHUV 1011 Lausanne Dr. C. Monnerat and Dr. S. Jacquemont Tel. 021-314 55 93
2) Unité d’Oculogénétique Hôpital Ophtalmique et Institut de Recherche en Ophtalmologie 1004 Lausanne Prof. D. Schorderet Tel. 027-205 79 00
3) Département de Génétique Médicale Laboratoire AMS 1006 Lausanne Prof. G. Pescia Tel. 021-613 70 40
Zürich 1) Institut für Medizinische Genetik der Universität Zürich 8603 Schwerzenbach-Zürich Prof. A. Schinzel und Dr. D. Niedrist Tel. 044-655 70 51
2) Senologische Sprechstunde Departement Frauenheilkunde Universitätsspital Zürich 8091 Zürich Prof. D. Fink und Dr. J. Pok Tel. 044-255 51 50
3) Beratungsstelle für Personen mit genetisch bedingtem Krebsrisiko Klinik und Poliklinik für Onkologie Dept. Innere Medizin/Universitätsspital Zürich 8091 Zürich Dr. S. Stoll Tel. 044-255 21 54
Die Adressen werden demnächst auch auf der Website der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Klinische Krebsforschung (SAKK) abrufbereit sein.
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