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EDITORIAL
Im Fokus: Hereditäre Tumorkrankheiten bei Frauen
E twa 5% aller Tumorkrankheiten entstehen auf dem Boden einer durchschlagskräftigen Veranlagung. Man spricht dann von hereditären Tumorkrankheiten, obwohl nicht die Neubildung per se, sondern nur die ihr zugrunde liegende Prädisposition vererbbar ist.
Häufiger als angenommen Hereditäre Tumorkrankheiten sind häufiger als allgemein angenommen wird, jedoch im ärztlichen Alltag wiederum so selten, dass die Ärzteschaft mit den diesbezüglichen Problemen nicht regelmässig konfrontiert wird. Wir haben daher am 18. Oktober 2007 Onkologinnen und Onkologen, Gynäkologinnen und Gynäkologen sowie alle anderen involvierten Ärztinnen und Ärzte, aber auch Fachpersonen aus der Pflege, der Labordiagnostik oder der psychosozialen Betreuung nach Liestal eingeladen, um gemeinsam mit renommierten Expertinnen und Experten zu diskutieren, wie man Risikofrauen für heredi-
Die Bürde der vererbten Prädisposition
täre Tumorkrankheiten erkennen kann und wie man sie und ihre Angehörigen umfassend betreuen sollte. In dieser Ausgabe der «Schweizer Zeitschrift für Onkologie» werden die Einführungsreferate und Diskussionen der Liestaler Veranstaltung zusammengefasst. Dabei werden das familiäre Auftreten von Brust- und Eierstockkrebs, gynäkologische Malignome aufgrund von Kolorektaltumorveranlagungen sowie vererbbare Hauttumoren als häufigste hereditäre Tumorveranlagungen der Frau evaluiert.
Teamwork ist gefragt! Aber auch ein Lotsendienst! Die interdisziplinäre Zusammenarbeit der in Diagnostik und Behandlung involvierten Spezialisten spielt sich in unseren Spitälern immer besser ein. Regelmässig stattfindende Tumorboards evaluieren interdisziplinär das weitere Vorgehen. Leider fehlt es vielerorts noch an eigentlichen «Lotsen», die die Betroffenen von der Anlaufstelle des einen Spezialisten zu derjenigen des anderen führen. So kann die interdisziplinäre medizinische Betreuung zu einer «Odyssee» in einem Kantons- oder Universitätsspital werden, und zwar gerade dann, wenn Veranlagungen zu Neubildungen in verschiedenen Organsystemen führen. Manch eine betroffene Frau mag ein Lied davon singen, wie zermürbend es ist, der jeweiligen Assistenzärztin/dem jeweiligen Assistenzarzt immer wieder alles von Neuem erzählen zu müssen. Oder wie es ihr ergeht, wenn sie mit scheinbar unterschiedlichen Aussagen über Diagnostik, Therapie und Prävention konfrontiert wird (obwohl für die Erkrankungen international gut abgestimmte Richtlinien bestehen). In dieser Situation können auch die Grundversorger die
zentrale Rolle der Vertrauensperson und des Coaches übernehmen.
Tue nichts ohne Beratung! Immer zu beachten: Genetische Untersuchungen bedürfen einer klaren Indikation. Nur dann lassen sich die Resultate unter Berücksichtigung deren Aussagekraft und Reichweite in sinnvolle medizinisch-genetische Informationen für die getesteten Frauen (bzw. Männer) umsetzen. Wenn die Betroffenen das Testergebnis erfahren haben und eine Entscheidung für oder gegen eine medizinische Massnahme finden sollen, brauchen sie sehr oft einen individuellen Rat. Ethische, psychosoziale und rechtliche Aspekte sind dabei von Bedeutung. Gentests müssen daher von einer kompetenten genetischen Beratung begleitet werden, sie gehören nicht «auf den freien Markt». Die Beiträge zur genetischen Beratung und zu ethischen Aspekten in diesem Heft gehen auf diese Aspekte ein. Das Liestaler Meeting fand ein erfreulich grosses Interesse. Das grosse Engagement der Referentinnen und Referenten, die aktive Beteiligung der Kolleginnen und Kollegen an den Diskussionen, der Votanten und schliesslich der Autoren dieser Ausgabe zeigen, dass auf dem Gebiet der hereditären Tumorkrankheiten ein grosser Informations- und Diskussionsbedarf besteht. Dieses Heft möchte dazu beitragen, diese Lücke zu schliessen.
Dr. med. Nicole Bürki Chefärztin Frauenklinik Kantonsspital Liestal
Prof. Dr. med. Hansjakob Müller Abteilung Medizinische Genetik UKBB und Departement Biomedizin Universität Basel
ONKOLOGIE 2/2008
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